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Alarm im Weltraum
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An Bord von Lunos Raumschiff starrten Pennyflax und Shirah gebannt aus dem Fenster und beobachteten, wie Garstingen unter ihnen schrumpfte. Als sie sich vor einer Minute von ihren Landsleuten verabschiedet hatten, war ihnen an der Außenhülle des Schiffs keinerlei Fensteröffnung aufgefallen. Denn von draußen wirkte es wie ein Saphir, dessen Oberfläche undurchsichtig war. Doch aus dem Innenraum vermochten die Kobolde durch fast alle Wände des Fluggeräts zu schauen, sogar durch einen Teil des Bodens und der Decke. Nur die Computerkonsole, von der aus Luno viele Tasten und das Steuer bediente, versperrte die Sicht nach draußen. Und natürlich der Bildschirm über der Konsole, auf dem eine Sternkarte flimmerte.
Da das Raumschiff seine Geschwindigkeit steigerte und immer schneller in den Himmel aufstieg, waren die beiden froh, gestern das Schleudertraining absolviert zu haben. Sie wurden in den Sessel gepresst, auf dem sie gemeinsam saßen, konnten aber trotzdem die Aussicht genießen, ohne Übelkeit oder Schwindel zu verspüren. Gerade verwandelte sich das Wäldchen, in dem Garstingen lag, in einen rotbraunen Fleck in der Herbstlandschaft. Selbst der Blauwassersee wirkte aus dieser Höhe wie eine Pfütze. Weit im Osten kam kurz darauf das Elfenreich Viancáru in Sicht, samt den Türmen der Hauptstadt Castyllium, die im Sonnenaufgang glänzten.
Pennyflax schubste seine Freundin an und deutete nach Nordwesten, wo sich inmitten der Brennenden Lande der Feuerberg erhob. Der Vulkan rauchte und glühte und erinnerte die Kobolde daran, dass noch vor wenigen Wochen Sulferion der Hexenmeister in den Tiefen des Bergs seine finsteren Pläne geschmiedet hatte. Mittlerweile war die Gefahr durch den Hexer gebannt, bevor er die Völker Eraluvias hatte besiegen können. Dennoch blickte Pennyflax voller Wehmut Richtung Feuerberg, da sein Freund Fauch, ein rot geschuppter Drachling, sich im Vulkan aufhielt. Dieser hatte ihn bis jetzt auf allen Abenteuern begleitet, doch nach dem Sieg über Sulferion war Fauch bei seinem Vater Pyros geblieben, um einen Drachenhort im Feuerberg einzurichten.
Shirah erriet seine Gedanken und versuchte ihn aufzuheitern. »Mach dir keine Sorgen, Fauch geht’s prima. Der häuft mit Pyros die Schätze an, die Sulferion zurückgelassen hat. Und wenn wir vom Mond heimgekehrt sind, seht ihr euch sicher wieder!«
Die zwei Kobolde wurden bei ihrer Unterhaltung unterbrochen, als plötzlich die Stimme des Bordcomputers eine Warnung schnarrte und ihre Aufmerksamkeit nach oben lenkte. Draußen, am dunkelblauen Himmel, erkannten sie einen Vogelschwarm, der ihre Flugbahn kreuzte. Bevor sie sich darauf vorbereiten konnten, flog das Schiff einen abrupten Bogen, um dem Hindernis auszuweichen. Prompt rutschten die beiden aus ihrem Gurt, wurden vom Sitz geschleudert und wirbelten auf die Computerkonsole zu, die jede Menge Ecken und Kanten hatte.
Glücklicherweise reagierte Luno schnell genug. Er sprang aus seinem Sessel, fing seine Freunde auf und ließ sich in einen dritten Sitz plumpsen. Nachdem das Schiff seinen Kurs stabilisiert hatte und durch eine Wolkenbank schoss, setzte Luno die zwei zurück auf ihre Füße.
»Entschuldigt bitte«, schnaufte der Mondmann. »Ich hatte vergessen, euch beim Anschnallen auf das Festziehen der Gurte hinzuweisen. Unvorhersehbare Flugmanöver passieren immer wieder. Ihr solltet außerdem eure Raumanzüge anlegen, denn bald verlassen wir die Atmosphäre, dann wird es noch holpriger.«
Pennyflax vergewisserte sich, dass es Shirah gut ging, hob seinen Schlapphut auf und wunderte sich: »Echt jetzt? Hast du solche weißen Polster-Anzüge, wie du ihn trägst, in unserer Größe dabei?«
Luno lächelte. »Noch nicht. Aber ich habe einen 4D-Drucker an Bord, der jedes gewünschte Objekt in jeder Größe anfertigt. Und das ohne Zeitverlust!«
Sogleich wurden sie von ihm zu einer Kabine geführt, die einem Kleiderschrank aus Metall ähnelte und vorne eine Tür besaß. Auf Lunos Anweisung betraten die beiden die Metallkabine, und ehe sie sich versahen, begann der ganze Kasten wie wild zu surren und zu wackeln. Während etliche Lichter aufblinkten und Dampf aus allen Ritzen drang, spürten sie ein Kribbeln auf ihrer Haut. Keine drei Sekunden später öffnete sich die Tür, die beiden wurden sanft aus der Kabine geschoben – und trugen Raumanzüge in Koboldgröße.
»Donnerrettich!«, entfuhr es Pennyflax. Er schaute an sich hinunter und grinste. Sein Anzug bestand aus einem flexiblen und doch festen Material, das wärmte und von einigen Metallspangen verstärkt wurde. Auf dem weißen Stoff prangte das N.A.S.E.-Symbol, und auf seinem Rücken hing ein kleiner Kasten, der wohl den Sauerstoff enthielt. »Bekommen wir auch Helme?«, erkundigte er sich und überlegte, wie er seinen Hut da hinein quetschen sollte.
Luno nickte. »Die lasse ich gleich produzieren. Doch nun setzt euch bitte und schnallt euch an, sonst würdet ihr an Bord umher schweben, sobald wir den Weltraum erreichen.«
Pennyflax und Shirah kletterten zurück auf den Sitz, zurrten den Sicherheitsgurt fest und verfolgten, wie ihr Gefährte sich an seine Steuerkonsole setzte. Als ihr Blick wieder nach draußen fiel, klappten ihnen die Münder auf: Unter ihnen war Eraluvia zu einem Fleck im Ozean geschrumpft und in seinen kompletten Ausmaßen zu überschauen. Vom Goblin-, Zwergen- und Koboldland im Westen, über das Elfenreich und Menschenland in der Mitte, bis hin zum Reich der Aquarianer im Osten lagen sämtliche Gebiete des Kontinents in ihrem Blickfeld. Erst jetzt wurde ihnen bewusst, wie klein Eraluvia im Vergleich zum Rest der Welt war.
»Un-fass-lich!«, staunte Shirah. »Unsere Heimat ist nur ein Klecks, wenn man sich all die anderen Orte auf dieser riesigen Kugel anguckt.« Sie geriet ins Grübeln. »Wie heißt eigentlich die ganze Kugel?«
»Euer Planet heißt Erde«, klärte Luno sie auf.
Shirah starrte weiterhin nach draußen und murmelte: »Hm … Erde also. Wie Sand, Dreck oder Matsch. Das gefällt mir.«
»Flughöhe achtzig Kilometer«, schnarrte der Bordcomputer. »Wir erreichen nun die Thermosphäre.«
»Was ist das eigentlich für’n komischer Kauz, der hier ständig rumquäkt«, wunderte sich Pennyflax und guckte sich nach der mysteriösen Stimme um, die er bereits mehrfach vernommen hatte.
Luno kontrollierte die Flugroute auf dem Bildschirm und erläuterte: »Dies ist ein elektronisches Gerät, genannt Computer, der für mich komplizierte Rechenaufgaben während des Flugs übernimmt, das Schiff steuert und mich an viele Dinge erinnert. Mit anderen Worten: Er ist eine intelligente Maschine.«
»Hast wohl in der Schule nicht aufgepasst, wenn du andere für dich rechnen lässt, was?«, gluckste Pennyflax. Als er Shirahs Ellbogen in den Rippen spürte, kam er rasch aufs Thema zurück. »Hat der Computer-Knilch auch einen Namen? Und was meint der mit dem ›Erreichen der Thermosflasche‹?«
»Die Thermosphäre«, klärte der Mondmann ihn auf, »ist eine bestimmte Schicht der gesamten Lufthülle, die die Erde umschließt. Zusammen heißen diese Schichten Atmosphäre und reichen hinauf bis in fünfhundert Kilometer Höhe. Doch bereits davor, in hundert Kilometern Höhe, beginnt der Weltraum.« Er deutete auf seine Computerkonsole, an der jede Menge Lämpchen blinkten. »Und mein Rechner hat zwar keinen Namen, aber das Modell ist ein Amigo 64 Elite.«
»Aha«, machte Pennyflax und erblickte draußen zufälligerweise eine Wolkenfläche, auf der braune Flecken zu erkennen waren. Werde mal testen, ob der Computer tatsächlich so ein Schlauberger ist!, dachte er sich und rief voller Spott: »Hey, Amigo! Ich wette, du hast keine Ahnung, was das da für braune Flecken auf den Wolken sind. Stimmt’s?!«
Der Computer klickte einige Male und schnarrte aus dem Lautsprecher: »Es handelt sich hierbei um Wolkenfelder, auf denen die berühmte Luftschokolade angebaut wird. Sobald die Schokolade reif zur Ernte ist, wird sie von einem Luftzug abgeholt und nach Wolkenkuckucksheim transportiert.«
Dreimal verlauster Grottenolm!, fluchte Pennyflax innerlich. Das Schraubenhirn hat echt was auf’m Kasten! Er suchte rasch nach einer weiteren Testmöglichkeit und entdeckte ein mysteriöses, grünliches Leuchten, das in der Atmosphäre unterhalb des Nordpols der Erde waberte. Jetzt hab ich den Angeber!, war er der festen Überzeugung. »Und was leuchtet da im Norden so grün, Amigo?«
Wiederum klickte der Computer und vermeldete: »Aurora borealis, genannt ›Nordlicht‹ oder ›Polarlicht‹. Hervorgerufen wird die Erscheinung durch elektrisch geladene Teilchen, die von der Sonne abströmen und als sogenannter Sonnenwind im Magnetfeld der Erde zu leuchten beginnen.«
Triumphierend lachte Pennyflax auf. »Ha! Ich wusste es! Du hast null Plan und flunkerst mir was vor. Erstens gibt’s auf der Sonne gar keinen Wind, sonst würde der ja das Feuer auspusten. Und zweitens kann in der Erde unmöglich ein Magnet stecken, weil ich mein runtergefallenes Besteck zu Hause nicht mehr vom Fußboden aufheben könnte. Ätsch, drangekriegt!«
Luno schaltete sich ein und zwinkerte mit seinen Telleraugen. »Ich muss dich enttäuschen, geschätzter Freund. Da die Sonne ein riesiger Feuerball ist und dort gewaltige Explosionen stattfinden, schleudert sie fortwährend einen Strom winziger Plasma-Teilchen ins All, den Sonnenwind. Trifft dieser Teilchenstrom auf deinen Planeten, wird er vom Magnetfeld der Erde abgelenkt, doch an den Polen nur unvollständig. Und weil dort der Teilchenschauer bis zur Erdatmosphäre durchdringt, entsteht der Leuchteffekt. Außerdem kann ich dir versichern, dass die Erde im Inneren einen Eisenkern besitzt, der wie ein schwacher Magnet wirkt, wovon aber an ihrer Oberfläche kaum etwas zu spüren ist. Der Beweis für das Vorhandensein des Magnetfelds ist übrigens eine Kompassnadel, die nach Norden zeigt, sowie Vogelschwärme, die das Feld zur Orientierung nutzen.«
Pennyflax schmollte und knurrte etwas von »Ihr beiden Besserwisser habt euch abgesprochen!«
Deshalb ergriff Shirah die Gelegenheit. Sie wandte sich zum Lautsprecher und fragte: »Sag mal, Amigo-Computer … kreist die Sonne nur um die Erde? Oder gibt’s da noch andere Planeten?«
»Es ist die Erde, die um die Sonne kreist«, korrigierte der Computer Shirah und schnarrte: »In unserem Sonnensystem bewegen sich insgesamt acht Planeten um die Sonne, alle in verschiedenen Abständen und auf festen Umlaufbahnen. Am nächsten zur Sonne befindet sich der Merkur, dann folgen die Venus, als dritter Planet die Erde, der Mars sowie Jupiter und Saturn. Weiter draußen kreisen Uranus und Neptun, und schließlich der Zwergplanet Pluto, der jedoch wegen seiner Winzigkeit vernachlässigt wird. Die Reihenfolge lässt sich mit folgendem Spruch merken: ›Mein Vater Erklärt Mir Jeden Sonntag Unsere Neun Planeten‹.«
»Und wieso kreisen die eigentlich um die Sonne?«, hakte Shirah nach.
»Dies liegt an der Anziehungskraft, auch Gravitation genannt. Die Sonne ist der größte Körper im Sonnensystem, besitzt somit die größte Masse und hält alle kleinen Planeten durch ihre Anziehungskraft ›gefangen‹, als ob sie durch Bänder mit ihr verbunden wären. Doch jeder Körper, egal wie groß seine Masse ist, übt eine Anziehungskraft aus, genau wie die Erde auf den Mond. Über welche Gravitation die Sonne verfügt, kann man sich anhand ihrer Größe vorstellen. Lege 109 Erdkugeln nebeneinander, und du erlangst den Durchmesser der Sonne.«
»Wow!«, staunte die Koboldin und schaute aus dem Fenster, wo ihr schon die Erde riesig vorkam. Sie gelangte zu dem Schluss, dass die Sonne eine enorme Anziehungskraft besitzen musste, wenn sie aus dieser Entfernung wirkte.
»Aber warum bleiben wir mit unserem Raumschiff nicht in der Nähe der Erde hängen, ähnlich wie der Mond?«, provozierte Pennyflax den Computer und versuchte ein weiteres Mal, die Maschine des Lügens zu überführen.
Amigo klickte und schnarrte: »Das wäre tatsächlich der Fall, wenn wir unseren Antrieb abschalteten. Allerdings müsste das in einer bestimmten Entfernung zur Erde geschehen. Schalten wir den Antrieb zu früh ab, stürzen wir wegen der Gravitation zur Erde zurück, und schalten wir ihn zu spät ab, treiben wir in den Weltraum hinaus. Doch in einem perfekten Abstand würden wir in einer Umlaufbahn hängen bleiben und auf ewig die Erde umkreisen. So wie ein Satellit.«
Obwohl Pennyflax und Shirah mittlerweile der Kopf von den vielen Informationen schwirrte, fanden sie das Thema Weltraum und dessen gigantische Ausmaße hochspannend. Am unglaublichsten kam ihnen Amigos Erklärung vor, laut der beinahe jeder Leuchtpunkt in der Schwärze des Alls ein Stern war, also eine Sonne, die vielleicht ebenso über Planeten verfügte. Als schließlich die Erde unter ihnen zurückblieb, spürten die beiden das Schwinden der Anziehungskraft am eigenen Leib: Sie wurden auf einmal ganz leicht, und wären sie nicht angeschnallt gewesen, hätten sie zu schweben begonnen. So wie ein gewisser Schlapphut oder eine Kräutertasche, die ungehindert durch das Schiff trieben.
***
Schließlich näherte sich das Raumschiff auf seinem zweistündigen Flug dem Ziel. Dank Lunos Hinweis vermochten sich die Kobolde endlich das Größen- und Entfernungsverhältnis zwischen Erde und Mond vorzustellen. Verglich man nämlich die Erde mit einer Orange, besaß der Mond nur die Größe einer Kirsche und umkreiste die Erde im Abstand von einem Meter – eine Strecke, die in der Realität 380.000 Kilometern entsprach. Was die zwei aber zu Begeisterungsstürmen hinriss, war der Anblick des Vollmonds, dessen strahlende Oberfläche bald den ganzen Sichtbereich hinter den durchsichtigen Raumschiffswänden ausfüllte. Sie erkannten jeden Krater und erfuhren, dass die Löcher durch den Einschlag von Meteoriten entstanden waren. Steine von Millimeter- bis Felsgröße, die durch das Weltall gerast und irgendwann auf die Mondoberfläche gekracht waren.
Doch auch Einzelheiten vermochten sie zu erspähen. Zum Beispiel silbrige Ebenen, auf denen Tierherden grasten oder sich die Laubdächer von silbernen Wäldern im Wind wiegten. Türkisfarbene Flüsse schlängelten sich dort unten durch Felslandschaften, stürzten als Wasserfälle in Seen oder sprudelten an Siedlungen vorbei, deren Gebäude in der Sonne glitzerten. Einmal bemerkten sie einen zugefrorenen See, über den Ungetüme stampften, die Mammuts ähnelten und Häuser auf ihren Rücken schleppten. Und im Luftraum über dem Mond flogen nicht nur Vögel, sondern auch Raumschiffe umher.
Luno zeigte nach unten und machte seine Begleiter auf etliche schwarze Flecken aufmerksam, die die Oberfläche verschandelten und so groß wie Fußballfelder waren. Die Gebiete wirkten klebrig und abgestorben, als ob jemand Teer darüber gegossen hatte. »Seht, meine Freunde«, jammerte er mit bebender Stimme. »Dies sind die Stellen, an denen die Finsterlinge das Lichtsilber gestohlen haben. Nichts wächst oder leuchtet mehr auf dem Boden, weil ihm jegliche Energie geraubt wurde. Selbst unsere Mondgarde ist machtlos gegen die Diebe, die sich mit einer solchen Schattenkraft umgeben, dass nichts sie stoppen kann.«
Pennyflax hatte sich bereits Gedanken über die Herangehensweise an die Situation gemacht. »Kann uns denn irgendwer etwas über die Schwächen der Finsterlinge verraten? Wie man sie aufspürt und wo sie unseren Magiker und die entführten Wissenschaftler gefangen halten? Am besten wäre natürlich, wenn wir eine Landkarte zur dunklen Seite des Mondes kriegen könnten.«
»Wir müssten auch wissen«, ergänzte Shirah, »ob unsere Klangstein-Amulette etwas gegen die Finsterlinge ausrichten.«
Luno deutete zum Horizont, an dem eine Großstadt in Sichtweite gelangte. »Wir werden den Hohen Rat meiner Regierung um Hilfe bitten, mit dem ich bereits ein Treffen vereinbart habe. In Kürze erreichen wir Kosmopolis und landen auf dem Mondhafen Alpha 1. Von dort aus begeben wir uns zum Regierungsgebäude, wo uns die Ratsmitglieder gewiss nützliche Informationen und ihre Landkarten zur Verfügung stellen. Vor langer Zeit kannte sich mein Volk, die Lunari, in einigen Gebieten der Mondrückseite aus und hat wichtige Orte auf den Karten verzeichnet.«
Pennyflax nickte. »Einverstanden. Wir sollten uns aber sputen, weil Meister Snagglemint vielleicht von den Halunken gequält wird und unsere Hilfe braucht.«
Plötzlich schrillte im Schiff eine Alarmsirene los. An den Wänden begannen rote Signallampen zu flackern, die Luno veranlassten, hektisch den Bildschirm zu kontrollieren. Seine Blicke flogen über das Radarbild, bis er zu seinem Entsetzen einige Punkte entdeckte, die sich schnell näherten. Noch bleicher als sonst fuhr er zu seinen Freunden herum und flüsterte: »Wir werden von einem Raumschiff-Geschwader verfolgt, das aus Finsterling-Schiffen besteht. Offensichtlich führen die Schurken erneut einen Raub durch, bei dem wir sie gestört haben. Mir bleibt keine andere Wahl, als den Kurs zu ändern. Wir müssen wieder höher hinauf, um sie abzuschütteln …«
Ein gewaltiges Krachen erschütterte ihr Raumschiff, so dass die drei zusammenzuckten und die Köpfe einzogen. Gleich darauf ertönte ein schneidendes Quietschen, das die Wände zum Vibrieren brachte. In der Schiffshülle entstanden Risse, deren Ränder glühten und durch die zischend die Atemluft entwich. An den Rissen bildete sich zudem eine schwarze Schmiere, welche die Kobolde an die Schattenpflanze in Meister Snagglemints Haus erinnerte. Wie dort, stank auch dieses Zeug fürchterlich nach Teer.
Luno riss die leuchtenden Augen auf und rief: »Oh Schreck, wir werden angegriffen! Die Finsterlinge beschießen uns mit Leser-Strahlen!«
»Was sind denn Leser-Strahlen???«, schrie Pennyflax durch den Lärm zurück und beobachtete, wie der Mondmann sich abschnallte und durch die Schwerelosigkeit des Schiffs driftete.
Luno hielt sich an der Metallkabine des 4D-Druckers fest und betätigte ein paar Knöpfe. »Leser-Strahlen stammen von einer gefährlichen Energiewaffe, die verschachtelte Sätze verschießt. Werden diese Schachtelsätze nicht schnell genug gegengelesen, fressen sie Löcher in das Ziel. Deshalb brauche ich schleunigst eure Hilfe, meine Freunde!« Er zerrte einen Gummilappen aus dem dampfenden Drucker, der einem großen Fahrradflicken ähnelte, und keuchte: »Während ich das Leck in der Wand repariere, muss sich einer von euch ans Steuerpult setzen und die Leser-Strahlen unserer Verfolger gegenlesen, damit sie nicht unser Schiff treffen.«
Shirah nickte und schnallte sich los. »Ich mach das! Was genau soll ich tun?«
Luno stieß sich mit den Füßen ab und schwebte samt dem Flicken unterm Arm zum Riss in der Wand hinüber. »Am besten, du beobachtest die Strahlen vom Bildschirm aus, und sollte einer auf uns zuschießen, liest du den gesamten Schachtelsatz laut vor, sobald du seine Wörter erkennst. Sprich dafür in das Mikrofon, das deine Stimme nach draußen überträgt.«
»Klarifari!«, bestätigte Shirah und schwebte zur Steuerkonsole hinüber.
»Und was mache ich, verdingst?!«, rief Pennyflax und versuchte, die nervige Alarmsirene zu überhören.
»Dich brauche ich im Heck des Schiffs«, erklärte der Mondmann, wischte sich den Schweiß von der Stirn und begann, den Flicken aufzukleben. »Hinten gibt es eine Geschützkanzel mit unserer Abwehrwaffe, dem Phrasendrescher. Der funktioniert im Prinzip wie eine große Schleuder und sollte die Finsterlinge auf Abstand halten, bis wir Mondhafen Alpha 1 erreichen.«
Pennyflax grinste. »Mit Schleudern kann ich umgehen. Die Schufte können schon mal ihre Schattenmorellen einpacken!« Er wand sich aus dem Sicherheitsgurt und schwebte zum spitzen Ende des tropfenförmigen Raumschiffs, wo auch das Triebwerk saß.
»Achte aber darauf«, rief Luno ihm nach, »die richtige Munition für den Phrasendrescher zu verwenden. Um die Schiffe des Gegners außer Gefecht zu setzen, benötigst du eine XXL-Packung Knusper-Floskeln. Die findest du im Schrank mit der Aufschrift ›Frühstücks-Trivialien‹.«
Während Pennyflax durch die Kabine segelte und froh über das Training zur Schwerelosigkeit war, sorgte Bordcomputer Amigo für einen Ausweichkurs, um den Verfolgern die Suppe zu versalzen. Mit halsbrecherischer Geschwindigkeit steuerte der Computer das Raumschiff immer höher hinauf, weg von der Mondoberfläche.
Und dennoch holten die Finsterlinge auf.
Als der Kobold die Geschützkanzel im Heck erreichte, sah er, wie die Jägerschiffe der Schattenwesen weitere Leser-Strahlen abfeuerten und die Schüsse gefährlich nahe vorbei zischten. Einer der glühenden Strahlen schoss jedoch direkt auf Lunos Schiff zu, ein besonders langer und fieser Schachtelsatz, der bei einem Treffer gewiss ein riesiges Loch in die Hülle quasseln würde.
Wie erstarrt hielt Pennyflax inne und wartete auf den Einschlag. Doch da hörte er Shirahs Stimme. Seine Freundin saß an der Steuerkonsole, verfolgte den heran schießenden Leser-Strahl über den Bildschirm und begann, die Wörter des Schachtelsatzes abzulesen und in das Mikrofon zu sprechen. Über die Außenlautsprecher hörte man die Koboldin sagen:
»Bei der Schularbeit war es mir aufgrund der ständigen, von meinen Klassenkameraden ausgehenden Ablenkung unmöglich, mich auf die Aufgabenstellung zu konzentrieren und eine rechtzeitige Fertigstellung einzuhalten, obwohl ich mir alle Mühe gab, den Lärm in meinem Umfeld zu ignorieren, speziell die tieffliegenden Butterbrote, die an der Wand kleben blieben und ein Muster von erstaunlicher Schönheit bildeten, weshalb ich beschloss, das Kunstwerk durch mein Käsebrot zu ergänzen und es mit Kaugummis zu verzieren.«
Shirahs Verteidigung wirkte Wunder. Kurz bevor der Schachtelsatz auf Lunos Raumschiff traf und es beschädigen konnte, löste er sich in seine Buchstaben auf, die hinaus ins All wirbelten und funkensprühend explodierten.
Pennyflax jubelte seiner Freundin zu, verlor aber keine weitere Zeit, denn die Verfolger holten auf. Er öffnete die Tür der Geschützkanzel, ließ sich in die Kabine gleiten und landete auf einem Sessel vor einer Art Kanone: dem Phrasendrescher. Sogleich öffnete er den Schrank darunter, auf dem ›Frühstücks-Trivialien‹ stand und entnahm ihm eine XXL-Packung Knusper-Floskeln. Die Packung enthielt apfelgroße Kugeln, die aus gepressten Cornflakes zu bestehen schienen und von denen jede eine andere Aufschrift besaß.
Donnerwetter!, staunte der Kobold. Das sind ja wirklich abgedroschene Redensarten. Da gab es zum Beispiel Kugeln mit dem Aufdruck »Probieren geht über Studieren« oder »Der Kandidat hat zehn Gummipunkte« oder »Ende Gelände«. Weitere nichtssagende Sprüche waren »Willkommen im Club«, »Gute Frage, nächste Frage«, »Schicht im Schacht« oder gar »Herzlichen Glühstrumpf«. Um den Finsterlingen gleich ordentlich einzuheizen, wählte er die besonders peinliche Floskel »Hallöchen Popöchen« und wuchtete die Kugel in die Munitionsklappe des Phrasendreschers.
Nachdem er die Kanone mit beiden Händen auf die Jägerschiffe der Verfolger ausgerichtet hatte, vermochte Pennyflax einen genaueren Blick auf die Angreifer zu werfen. Fasziniert stellte er fest, dass sie Mantas ähnelten, also Rochen, die sich so geschmeidig wie unter Wasser bewegten. Im Gegensatz zu den Tiefseeräubern schienen die Schiffe aber aus schwarzem Nebel zu bestehen und besaßen grinsende Dämonenfratzen vorne am Bug. Als einer der Finsterling-Jäger heran schoss und sich hinter das Heck von Lunos Raumschiff klemmte, drückte der Kobold den Abzug.