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Mare Nubium
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Pennyflax feuerte den Phrasendrescher ab. Durch die transparenten Wände verfolgte er, wie die Knusper-Floskel-Kugel mit der Aufschrift »Hallöchen Popöchen« aus dem Rohr katapultiert wurde und direkt auf das Jägerschiff der Finsterlinge zuschoss, das sich an Lunos Heck gehängt hatte. Der Verfolger, der einem schwarzen Manta-Rochen glich, versuchte dem Projektil auszuweichen, doch die Floskel war so schnell heran, dass sie in den Flügel des nebelartigen Jägers einschlug und darin verschwand.
Der Kobold fragte sich einen Moment lang, ob das alles gewesen war, da flammte ein Lichtblitz im Inneren des Finsterling-Schiffs auf. Ein Geräusch ertönte, als ob Cornflakes oder Müsli in eine Schüssel geschüttet wurden, jemand diese Cornflakes genüsslich zerkaute und mit vollem Mund »Hallöchen Popöchen« nuschelte. Immer mehr Lichtblitze und Stimmen kamen hinzu, die alle knusperten und redeten, bis schließlich ein Stimmengewirr aus »Hallöchen Popöchen« durcheinander schmatzte. Pennyflax traute seinen Augen kaum, als sich die nebelhafte Oberfläche des Jägers verfestigte und so aussah, als bestünde sie aus Frühstücksflocken, samt Nusssplittern und Obststückchen drin. Selbst die grinsende Dämonenfratze am Bug, die wohl das Cockpit darstellte, wirkte wie ein Crunchy-Müsli-Riegel. In Windeseile begann der Verfolger zu zerbröseln, schmierte ab und verpuffte kurz über der Mondoberfläche in tausend Knusperteilchen.
»Vollkornbrei für alle!«, jubelte Pennyflax. »Das war ein Supertreffer!« Hinter ihm applaudierte Shirah, doch auch weiterhin hatte seine Freundin am Bildschirm der Computerkonsole alle Mühe damit, die glühenden Leser-Strahlen durch Vorlesen abzuwehren, die ihnen um die Ohren pfiffen. Luno war in seinen hektischen Bemühungen, den Gummiflicken über die Risse in der Schiffshülle zu kleben, nur wenig erfolgreich. Und Bordcomputer Amigo flog ihr Schiff zwar in einem waghalsigen Zickzack-Kurs durch die dünne Atmosphäre des Mondes, vermochte die Verfolger aber nicht abzuschütteln. Zudem heulte die Alarmsirene wieder los und die roten Signallampen begannen zu flackern, da ihnen sowohl der Treibstoff als auch die Atemluft ausging.
Pennyflax war deshalb klar, dass sein Treffer nur ein Teilerfolg war, vor allem, weil das Geschwader der Finsterling-Schiffe hinter ihnen gefährlich aufholte. Ohne groß zu überlegen, griff er in die XXL-Packung der Knusper-Floskeln und wuchtete die Kugel mit der Aufschrift »Alles im grünen Bereich?« in die Munitionsklappe des Phrasendreschers. Gerade wollte er die Kanone schwenken und auf den nächsten Gegner abfeuern, da erblickte er zu seinem Entsetzen einen riesigen Jäger, der doppelt so groß wie die anderen war und gleich zwei grinsende Dämonenfratzen-Cockpits besaß. Es musste sich um das Kommandoschiff des Anführers der Finsterlinge handeln, welches seine vier Leser-Geschütze auf Lunos Raumschiff ausrichtete.
Verzwurbeldingst!, fluchte der Kobold innerlich. Wenn die Doppelfratze auf uns ballert, können wir unser Schiff abhäkeln! Ich nehme am besten gleich mehrere Knusperkugeln auf einmal, weil sich der Brummi sonst schlapp lacht.
Im Schweiße seines Angesichts beförderte er die Kugeln »Alter Schwede!«, »Bei dir ist Hopfen und Malz verloren« und »Reif für die Insel« in den Phrasendrescher. Um ganz sicher zu gehen, schob er noch »Tschüssikowski« hinterher und knallte die Klappe zu. Nachdem er tief durchgeatmet hatte, nahm er das Kommandoschiff ins Visier und knurrte: »Auch wenn bei dir alles im grünen Bereich ist, alter Schwede, kannste gleich deinen Hopfen auf der Insel schlürfen. Tschüssikowski!«
Als die elektronische Zieloptik der Kanone aufblinkte, feuerte Pennyflax aus allen Rohren und purzelte aufgrund des enormen Rückstoßes aus dem Sitz des Phrasendreschers. Dennoch konnte er verfolgen, wie die fünf Knusper-Floskel-Kugeln davon zischten, vor dem sternengesprenkelten Hintergrund des Weltalls auf den riesigen Finsterling-Jäger zuschossen – und ihr Ziel verfehlten. Das gegnerische Kommandoschiff hatte ein solch schnelles Ausweichmanöver hingelegt, dass die Kugeln unter ihm hindurch gerauscht waren. Harmlos verpufften sie in einem Cerealien-Feuerwerk und bildeten die Worte »Prost Mahlzeit!« am Himmel.
Pennyflax stieß eine Verwünschung aus und griff bereits nach einer weiteren Kugel. Im nächsten Moment aber gefror ihm das Blut in den Adern, weil das Kommandoschiff der Finsterlinge zum Angriff überging. Es sauste herbei, füllte mit seiner nebelhaften Rochenform das Sichtfeld hinter Lunos Schiff aus und schoss gleichzeitig seine vier Geschütze ab.
Vier rot glühende Leser-Strahlen fauchten heran, allesamt fiese Schachtelsätze, gegen die selbst das gewagteste Manöver von Amigo kaum helfen würde. Dennoch schaffte es der Bordcomputer, ihr Schiff durch einen abrupten Linksschwenk vor zwei der Strahlen zu bewahren. Gleichzeitig gelang es Shirah in letzter Sekunde, den dritten Strahl gegenzulesen und zu neutralisieren. Der vierte Leser-Strahl jedoch traf unweigerlich sein Ziel.
»Achtung Einschlag!«, brüllte Pennyflax seinen Freunden zu und erhaschte wie in Zeitlupe einen Blick auf den Schachtelsatz, dessen Wörter lauteten:
»Hiermit fordern wir Sie ein letztes Mal auf, die Mahngebühren in vollem Umfang zu begleichen, da wir ansonsten drastische Schritte gegen Sie einleiten werden und Ihnen aufgrund des wiederholten Zahlungsverzugs ein Gerichtsverfahren anhängen, dessen Kosten Sie, laut Strafgesetzbuch, Absatz soundso, in voller Höhe zu tragen haben, selbst wenn dies Ihren finanziellen Ruin bedeutet, so dass Sie ins Gefängnis wandern oder den Rest ihres Lebens in einer Abfallentsorgungsanlage schuften dürfen, mit anderen Worten, Sie sind geliefert!«
Begleitet von einem unglaublichen Rumms schlug der Leser-Strahl seitlich in die Hülle von Lunos Raumschiff ein und fraß sich tief ins Innere vor. Unter der enormen Hitze schmolz das blaue, edelsteinartige Material, aus dem das Schiff bestand, wie Butter. Funken sprühten, der Sauerstoff entwich und die gesamte Kabine begann heftig zu Rütteln, weshalb Pennyflax den Eindruck bekam, ihr Fluggerät müsse jeden Augenblick auseinander brechen. Einige Sekunden lang war er wie gelähmt vor Schreck, doch der Gedanke an Shirah zwang ihn zum Handeln. In seiner Panik kletterte er aus der Geschützkanzel und driftete durch die Schwerelosigkeit nach vorne, Richtung Bug.
An Bord herrschte heilloses Chaos: Zu dem Schrillen der Alarmsirene, dem Funkenregen, dem Rütteln und Zischen, hatte sich dichter Rauch gesellt, der durch die geschmolzenen Bordinstrumente verursacht wurde. Wäre das rote Flackern der Signallampen nicht gewesen, Pennyflax hätte gar nichts mehr gesehen. Außerdem begann er vor Atemnot zu japsen, weil die Luft knapp wurde und draußen, so hoch über der Mondoberfläche, nur wenig davon vorhanden war. Verdingst … wenn wir nicht bald landen, werden wir hier drinnen ersticken!
Zwei leuchtende Telleraugen schälten sich aus dem Dunst. Luno trug mittlerweile einen Helm, winkte hektisch und hielt dem Kobold ebenfalls einen der kugelrunden, durchsichtigen Helme hin. »Rasch!«, rief er mit ungewöhnlich rauer Stimme und zitternden Ohren. »Unser Schiff kann nicht mehr steuern und wird jeden Moment abstürzen! Wir müssen die Rettungskapsel erreichen!«
Pennyflax hustete wegen des Rauchs, stülpte den Helm über seinen Kopf samt Hut und sog begierig den Sauerstoff in seine Lungen. Er fühlte sich wie nach einem langen Tauchgang, bei dem einem die Luft unter Wasser ausgegangen war. Über Helmsprechfunk röchelte er zurück: »Was ist mit Shirah?!«
Ohne Zeit zu verlieren, packte Luno ihn und zog ihn mit sich. »Ihr geht es gut, sie befindet sich bereits in der Kapsel! Hoffentlich gelingt es uns, damit zu starten und der Aufmerksamkeit unserer Verfolger zu entkommen. Dieses Unglück tut mir so leid, mein Freund …«
Liebend gerne hätte Pennyflax dem Mondmann gesagt, dass alles halb so wild war. Doch sie schwebten ernsthaft in Lebensgefahr. Ihr Raumschiff trudelte in einem Schlingerkurs dem Boden entgegen und wurde noch immer von den Jägern der Finsterlinge beschossen. Vor allem das große Kommandoschiff klebte ihnen an den Fersen, feuerte aus allen Kanonen und schien mit seinen zwei Nebel-Cockpits noch dämonischer zu grinsen als vorher. Und obwohl der Kobold nicht einmal richtig auf dem Mond angekommen war, verspürte er schon jetzt eine Riesenwut auf diese Schattenschufte. Am liebsten hätte er ihnen Brennnesseln in die Unterhosen gestopft oder eine Stinkbombe durchs Fenster geworfen.
»WARNUNG!«, plärrte Amigo. »Aufschlag am Boden steht unmittelbar bevor! Es gelten die Rettungsvorschriften der Raum-Bredouille Orion: Benutzen Sie das Bügeleisen und bringen Sie sich in Sicherheit!«
Luno und Pennyflax erspähten hinter den transparenten Wänden ihres Schiffs, wie sich die Mondoberfläche rasend schnell näherte. In wilden Kreisen tanzte die Kraterlandschaft auf die beiden zu, während sie sich verzweifelt durch das Rütteln und den Rauch zur Rettungskapsel vorarbeiteten. Mit einer gehörigen Portion Glück schafften sie es schließlich, die Kapsel zu erreichen.
Shirah gab ihnen bereits panisch Handzeichen und wollte ihren Gefährten beim Einsteigen an der Luke helfen. Pennyflax hatte jedoch etwas Wichtiges vergessen, wand sich aus ihrem Griff und schwebte davon.
»WAS MACHSTE DENN???«, schrie seine Freundin ihm hinterher.
Er versuchte, mit seinen Blicken den Qualm im Raumschiff zu durchdringen, zu dem sich in diesem Moment auch noch Flammen gesellten, weil die Geräte zu brennen begannen. Die Umgebung wirbelte aber im Flackern des Feuerscheins und der Alarmlichter dermaßen schnell umeinander, dass er nichts erkannte. »Unsere Schwerkraftstiefel müssen hier irgendwo sein«, rief er ihr über den Helmfunk zu. »Ohne die werden wir auf dem Mond nur schlecht laufen können.«
»Du wirst GAR nicht mehr laufen können«, brüllte Shirah hysterisch, »wenn du nicht sofort zurückkommst! SOFORT, verstanden?!?!«
Pennyflax wollte seine Suche gerade abbrechen, da flogen beide Stiefelpaare an ihm vorbei. Und nicht nur die: Auch Shirahs Kräuterbeutel tauchte vor seiner Nase auf. Mit einem beherzten Sprung stieß er sich am 4D-Drucker ab, schnappte sowohl die Schuhe als auch den Beutel und schoss durch eine Flammenwand hindurch, direkt in die Rettungskapsel hinein, wo Luno ihn auffing.
Sogleich verschloss der Mondmann die Luke, zog an einem Hebel und warf sich zusammen mit den Kobolden in einen der Sessel, die in der engen Kapsel montiert waren. Keine Sekunde zu früh, denn nun zündeten die Schubdüsen und katapultierten die runde Kapsel davon.
»Mach’s gut, Amigo«, murmelte Pennyflax beim Zurückblicken. »Werde dich vermissen … obwohl du ein ganz schöner Lügner warst.«
In einem Bogen zischten die Freunde von dem blauen, tropfenförmigen Raumschiff weg und beobachteten, wie es eine Rauchfahne hinter sich herzog und abschmierte. Die Finsterling-Jäger umschwärmten es wie Hornissen, trafen nun mehrfach mit ihren Leser-Geschützen und gaben ihm den Rest – nur wenige Augenblicke später krachte Lunos Schiff brennend auf die Mondoberfläche und explodierte in einer blauen Stichflamme. Qualmende Splitter spritzten in alle Richtungen, doch da es sich um eine Graslandschaft handelte, auf der nur Büsche wuchsen, kam niemand zu Schaden.
An Bord der Rettungskapsel atmeten Shirah, Luno und Pennyflax auf, weil ihre Flucht unbemerkt geblieben war. Die schwarzen Nebelschiffe der Finsterlinge kreisten über der Absturzstelle und suchten vergeblich nach einem Lebenszeichen ihrer Beute. Schließlich drehten sie ab und zischten davon, um hinter einem Berg am Horizont zu verschwinden.
Inzwischen hatten sich die Fallschirme der Kapsel geöffnet und gewährleisteten ein sanftes Herabschweben zum Boden. Zweihundert Meter von der Absturzstelle ihres Raumschiffs entfernt, landeten die drei Freunde auf sandigem Untergrund, öffneten die Luke und kletterten auf die Mondoberfläche.
»Das war … teuflisch knapp!«, schnaufte Pennyflax. Er half seiner Freundin aus der Luke, umarmte sie vor Erleichterung und lobte sie: »Haste super gemacht, mit dem Abwehren der Leser-Strahlen.«
Shirah lächelte schief. »Du hast’s ihnen mit dem Phrasendrescher aber auch ganz schön gezeigt. Leider waren die in der Überzahl, sonst hätten wir’s bestimmt geschafft.« Die Koboldin überprüfte, ob ihre beiden Regenbogen-Amulette die Notlandung überstanden hatten. Dann schaute sie sich um. »Und was jetzt? Sieht nach einer ziemlich verlassenen Gegend aus.«
Pennyflax ließ den Blick über die karge Busch- und Graslandschaft schweifen. Er entdeckte, außer der Rauchsäule ihres abgestürzten Raumschiffs, nur einen Berg in der Ferne, dessen Hang von einer bunten Lichtquelle angestrahlt wurde. Gleich darauf aber richtete sich seine Aufmerksamkeit schräg nach oben – und sowohl ihm als auch Shirah klappte die Kinnlade runter: Am dunkelblauen, sternenübersäten Mondhimmel glänzte eine große Erde, die mit ihren Wolkenbändern und Ozeanen einer wunderschönen Murmel glich. Einer nicht ganz runden Murmel, da ihre Unterseite im Schatten lag und abgeschnitten wirkte, ähnlich wie die eines Dreiviertelmondes, den die Kobolde von zu Hause kannten.
»Wie unglaublich schööön«, flüsterte Shirah, ergriff die Hand ihres Freundes und schaute mit ihm wie verzaubert hoch zum Firmament. Zudem stand die Sonne schräg unterhalb, die den Standort der drei mit einem Licht ungewöhnlicher Klarheit überflutete. Einige Schleierwolken zogen über den Mondhimmel.
Luno trat hinter die beiden und verkündete feierlich: »Trotz der misslichen Umstände heiße ich euch auf dem Mond willkommen, meine geschätzten Gefährten. Wir befinden uns am Rand einer Ebene, genannt Mare Nubium und sollten uns nach Norden bewegen, um Kosmopolis, die Hauptstadt meines Volkes zu erreichen.« Er nahm seinen Helm ab, hielt sein Navigationsgerät hoch und studierte die elektronische Landkarte, die auf dem Bildschirm des zehn Zentimeter großen Kastens aufleuchtete. »Das Problem ist jedoch die Entfernung bis Kosmopolis, die knappe vierhundert Kilometer beträgt. Wir müssen also nach einem Transportmittel Ausschau halten … und wenn ich mich nicht irre, verläuft da hinten am Rand des Kraterbergs eine Straße, neben der eine Raststätte liegt. Dort finden wir gewiss eine Mitfahrgelegenheit.«
Pennyflax und Shirah spähten in die Richtung, in die der Mondmann wies und erblickten den bunt angestrahlten Berghang, der ihnen bereits zuvor aufgefallen war. Vorsichtig nahmen sie ihre Astronautenhelme ab, atmeten die kühle Luft ein und spürten sofort die Belastung, die sich auf ihre Lungen legte. Das Gefühl glich dem einer Kletterpartie im Hochgebirge, wo einem der niedrige Sauerstoffgehalt und Luftdruck eine Atemnot bescheren konnte. Immerhin boten ihre Raumanzüge Schutz vor der Kälte, deren Temperatur kurz über dem Gefrierpunkt lag.
Nach einem Schluck Holundersaft aus der Flasche in seiner Hutkrempe verkündete Pennyflax: »Na, dann nix wie los!« Sogleich wollte er auf den Berg zumarschieren, doch sein erster Schritt ließ ihn vom Boden abheben und einen Hüpfer machen. Begleitet von einem Ausruf der Überraschung flog er zwei Meter weit, stolperte bei der Landung und kam nur mit Mühe zum Stehen. »Verzwurbeldingst«, japste er, »ich hatte glatt die Leichtigkeit des Mondes vergessen!« Behutsam tippelte er zurück zur Rettungskapsel und holte die Schwerkraftstiefel heraus, von denen er ein Paar seiner Freundin reichte. Nachdem beide die Stiefel aus kariertem Kreuzworträtsel-Leder und extra schwerer Sudoku-Sohle angezogen hatten, stellten sie erfreut fest, dass Schlonzos Erfindung für ein Gehgefühl wie auf der Erde sorgte.
So gerüstet stapften die drei in Richtung des Berges los, der sich in fünfhundert Metern Entfernung auf der silbern glänzenden Ebene erhob.
***
Obwohl das Mare Nubium mit seinen Büschen, Gräsern und spärlich gesäten Bäumchen kaum Attraktionen bot, verschlangen Pennyflax und Shirah die Gegend mit ihren Augen. Bereits nach wenigen Metern hatten sie sich an das Gehen mit den Schwerkraftstiefeln gewöhnt und staunten über die zeitlupenartig zu Boden rieselnden Staubwölkchen, die sie bei jedem Schritt verursachten. Dies lag an der verminderten Anziehungskraft des Mondes, die nur ein Sechstel der Erdanziehung betrug. Überhaupt waren die zwei von dem Gestein und den Pflanzen fasziniert, denn die Flora schimmerte ähnlich, wie Lunos Körper. Alles war mit jenem Lichtsilber durchsetzt, das die Mondbewohner zum Überleben benötigten.
Trotz der Atemnot, die die zwei verspürten, stellten sie Luno tausend Fragen zu dem Lichtsilber. Sie erfuhren, dass es »Arkanos« genannt wurde und sogar als Energiequelle diente, mit der die Lunari ihre Maschinen betrieben.
Pennyflax kratzte sich unterm Schlapphut und wunderte sich: »Heißt das, ihr schmeißt einfach ’ne Handvoll Sand in eure Raumschiffe und dann fliegen die?«
Der Mondmann schüttelte den Kopf. »Aber nein, mein Freund. Erinnerst du dich nicht an den Antriebskristall, den mir die Goblins vergangenen Sommer stahlen, als ich in eurem Nachbartal notlandete und wir uns dort kennenlernten? Dieser Kristall bestand aus Arkanos, dem Lichtsilber. Es überzieht den gesamten Boden der Mondvorderseite und tritt an vielen Stellen in konzentrierter Form auf. Kristalle, die wir Lunari zu verschiedenen Größen zurecht schleifen und damit unsere Maschinen antreiben. Und dennoch ist das Arkanos in allem, was du um dich herum siehst. Sogar in allen Lebewesen.« Er lächelte und deutete an sich herunter. »Meine schimmernde Haut ist der beste Beweis dafür!«
»Schon klar. Aber wie entsteht das Arkanos, und was genau isses?«, wollte Pennyflax wissen, während er ein leuchtendes Tier durchs Gras hoppeln sah, das einem Hasen ähnelte.
Luno kontrollierte sein Navigationsgerät und säuselte: »Wir Lunari denken, das Lichtsilber kam mit den Göttlichen Erschaffern auf den Mond. Wie ich euch erzählte, erschufen die Zwölf das Universum mithilfe des Uhrwerks der Sterne, das heute noch die Zeit antreibt. Anschließend schenkten sie ihre göttliche Macht in Form der Klangstein-Säulen den Rassen Eraluvias und ließen sich auf dem Mond nieder, um den Volksstamm der Lunari zu gründen. Womit sie ihr Leben als sterbliche Wesen begannen … und schließlich starben. Zumindest elf der Zwölf, weil es eine Ausnahme gab. Doch ihr göttlicher Atem, das Lichtsilber, überzieht noch immer den Mond und leuchtet vor allem, wenn Sonnenstrahlen darauf treffen.«
»Hm …«, brummte Pennyflax und fasste zusammen, wie er die Sache verstanden hatte. »Eure Götter bastelten also einen Riesenwecker, damit die Zeit voran läuft und sie dadurch Dinge entstehen lassen konnten. Dann starben elf von ihnen, aber einer hat lieber was anderes gemacht. Und offensichtlich hatten die ziemlichen Mundgeruch, wenn ihr Lichtsilber-Atem heute noch da ist. Ich finde es nur schade, dass das Arkanos bei Sonnenuntergang aufhört zu leuchten.«
»Es leuchtet schon, nur nicht mehr so stark. Außerdem geschieht das je nach Gebiet erst übermorgen«, klärte Luno ihn auf. »Die Tageszeiten hier auf dem Mond unterscheiden sich von denen auf der Erde. Bei uns scheint die Sonne vierzehn Tage am Stück. Und die Nacht dauert genauso lang.«
Pennyflax stolperte fast vor Überraschung. »Du behauptest ernsthaft, ihr habt auf dem Mond zwei Wochen lang Tag und zwei Wochen Nacht?«
»Ganz recht, mein Freund. Das liegt daran, dass sich der Mond viel langsamer als die Erde dreht und Helligkeit und Dunkelheit langsamer wechseln.«
Shirah war an einem Teich stehen geblieben. Sie prüfte im Wasser, ob ihre geharzten Zöpfe ordentlich abstanden, pflückte einen Strauß Kristallblumen und erkundigte sich: »Aber wenn das Arkanos nachts kaum leuchtet, verlassen euch Mondbewohner dann nicht die Kräfte?«
Luno schmunzelte. »Nein, liebe Shirah. Dazu müsste es monatelang dunkel bleiben. Nur diese Lichtsilber-Diebstähle können uns gefährlich werden.«
»Und was ist mit der dunklen Seite des Mondes?«, bohrte die Koboldin nach. »Gibt es dort kein Lichtsilber, weil die Sonne da nie scheint?«
»Eigentlich«, erklärte Luno, »handelt es sich um eine falsche Ausdrucksweise. Natürlich wird der Mond auf beiden Seiten von der Sonne beschienen, da er genauso langsam rotiert, wie er um die Erde kreist. Doch auf seiner Rückseite dringt die Sonne kaum durch den schwarzen Dunst zur Oberfläche durch. Schuld daran tragen jedoch weniger die Finsterlinge, sondern ihre Gebieterin, die …«
Luno stockte und schaute sich nervös um, als fürchtete er, beobachtet zu werden. Er flüsterte: »Wie ich bereits in Garstingen erwähnte, wurden die Finsterlinge von einer düsteren Macht erschaffen, welche die andere Seite des Mondes beherrscht. Über diese Macht dürfen wir Lunari nicht sprechen, weil wir ein großes Unheil bei der Erwähnung ihres Namens fürchten. Etwas kann ich euch aber verraten: Es handelt sich um die eine, übrig gebliebene Erschafferin, die sich damals weigerte, ihre Unsterblichkeit aufzugeben, als die anderen elf sich dafür entschieden. Und weil sich jene göttliche Zwölfte in Hass und Kälte hüllt, ist die gesamte Mondrückseite in Dunkelheit versunken.«
Pennyflax bekam ein mulmiges Gefühl bei der Sache und fragte sich, mit welchen Kräften er und Shirah sich da anlegen wollten. Kriegten sie es allen Ernstes mit einer ehemaligen Göttin zu tun, die einst das Universum erschaffen hatte? Vor allem grübelte er über die Bedeutung nach, die das Lichtsilber für die Finsterlinge und ihre Gebieterin haben mochte. Denn schließlich stahlen die Schurken große Mengen des Arkanos, um auf der dunklen Seite des Mondes irgendetwas damit anzustellen.
Da gibt’s bestimmt, vermutete der Kobold, einen Zusammenhang zu den Wissenschaftlern und Magikern wie Meister Snagglemint, die von ihren Heimatplaneten entführt und auf die Mondrückseite verschleppt werden. Er nahm sich deshalb vor, Luno bei der nächsten Gelegenheit eindringlich über diese Göttin der Dunkelheit auszufragen. Oder zumindest den Hohen Rat der Lunari in Kosmopolis, sobald sie dort ankamen.
Die drei Freunde hatten während ihrer Unterhaltung die fünfhundert Meter bis zu dem Berg zurückgelegt, der sich am Rand der Mare Nubium-Ebene erhob. Zu ihrer Erleichterung bestätigte sich Lunos Vermutung, denn dort verlief tatsächlich eine Straße, neben der eine Raststätte lag. Und auf dem Dach der Raststätte blinkte ein Neonschriftzug in bunten Buchstaben, der wiederum der Grund für den Lichtschein am Berghang war, den man schon von Weitem sah. Die Wörter des Schriftzugs »Rupert Ranzigs Brutzelbude« wirkten in der Gras- und Buschlandschaft zwar völlig fehl am Platz, verhießen aber die Möglichkeit, eine Mitfahrgelegenheit zu finden.
Bevor sich die drei jedoch über die Anzeichen der Zivilisation freuen konnten, spürten sie ein Vibrieren unter ihren Füßen. Einige Vögel stoben im Gras auf, und ehe sie sich versahen, begann der Boden zu beben. Schmale Risse entstanden im silbrigen Untergrund, in die Sand hinein rieselte und aus deren Tiefen ein Rumpeln und Knirschen herauf polterte.
Die Gefährten gerieten ins Taumeln und hielten sich vor Schreck an den Händen fest. Aber die Erschütterungen endeten so schnell wie sie begonnen hatten – bereits nach wenigen Sekunden war der Spuk vorbei.
Mit Sorgenfalten auf der Stirn führte der Mondmann die beiden Kobolde auf die Raststätte zu und vermochte sich keinen Grund auszumalen, warum sein Heimatplanet plötzlich von Beben heimgesucht wurde.