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Liebes Tagebuch

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Liebes Tagebuch, 12. Februar

ich weiß, dass du mich noch nicht kennst. Heute ist ja das erste Mal, dass ich dir schreibe. Jetzt wirst Du sicherlich fragen, warum jetzt erst. Ganz einfach. Vorher wusste ich noch nichts von dir. Bisher kannte ich dich nicht. Keiner meiner Klassenkameraden schrieb an dich. Doch seit dieser Woche kenne ich dich. Seit dieser Woche weiß ich, dass Du existierst. Wie es dazu kam? Das will ich dir berichten.

Meine Eltern sind mit mir erst vor zwei Wochen umgezogen. Meine Mutter hat einen neuen Job bekommen. Der bringt Geld, hat meine Mutter gesagt. Das einzige Geld. Mein Vater war ja arbeitslos. Seitdem er vor drei Jahren einen Unfall hatte, war nichts mehr wie es war. Dabei hatte er nicht einmal Schuld! Damals war er noch Kraftfahrer. War die ganze Woche unterwegs. Fuhr vom Westen in den Osten, vom Osten in den Süden, vom Süden in den Norden, vom Norden in den Westen. So kam er überall herum. An diesem besagten Tag fuhr er, wie so oft, auf der Autobahn. Er fuhr gerade an einer Auffahrt vorbei, als neben ihm ein Motorrad auftauchte. Es blieb nicht auf den Beschleunigungsstreifen. Nein, es fuhr in den LKW hinein. Besser gesagt in den Anhänger. Dort verhakte sich das Motorrad unter dem Anhänger und am Ende wurde das Motorrad samt Mensch überrollt. Den Zusammenstoß selbst merkte mein Vater nicht, das Überrollen schon. Er sah in den Rückspiegel und sah einen Teil des Motorrades. Sofort ging er in die Eisen, denn er erkannte, dass es ein Motorrad war. Als er ausstieg, sah er das Unglück einige Meter hinten dem LKW. Er rannte zurück, während er das Warndreieck aufstellte. Erst ließ er den Motorradfahrer links liegen, um die nachfolgenden Autos zu warnen. Er stellte das Warndreieck auf und lief zum Motorradfahrer zurück. Währenddessen rief er den Notarzt. Multitaskingfähig war mein Vater damals auf jeden Fall.

Seit diesem Tag hatte mein Vater Albträume. Er träumte jedes Mal von dem Unfall. Vor seinen Augen sah er, wie sich das Motorrad verkeilte und der Motorradfahrer überrollt wurde. Er sah es ganz genau. Dabei konnte er es damals gar nicht sehen, wie es passierte. Doch mein Vater träumte davon. Anfangs war es nicht ganz so schlimm. Er konnte weiterhin seinen Beruf ausüben. Mit der Zeit wurde es aber schlimmer. Am Ende war mein Vater nicht mehr arbeitsfähig und verlor seinen Job. Seitdem waren wir auf meine Mutter angewiesen. Sie verdiente zwar nicht sehr gut, aber es reichte für uns. Vor zwei Monaten bekam sie eine neue Stelle angeboten. Das Gehalt sollte auf fast das Doppelte steigen. Sie nahm es an. Und so kamen wir hierher. Das hieß für mich auch die Schule zu wechseln. Meinen alten Klassenkameraden Lebewohl sagen, und meinen neue Mitschülern Hallo. Ja und einer davon schrieb ein Tagebuch. Er erzählte, dass er jeden Tag etwas hineinschreiben würde. Manchmal mehr, manchmal weniger. Ich wurde neugierig. Ich wusste, dass ich verdammt schüchtern war. Könnte ich mir so nicht alles aufschreiben, was ich erlebte? Meine Gefühle, meine Gedanken. Könnte es nicht neue Ideen bringen? Neue Ideen für Comics? Ich hatte ja einige Comics schon gezeichnet. Mehr Ideen wären doch nicht schlecht, oder? Meinst Du nicht auch Tagebuch?

Warte mal. Tagebuch, das klingt so unpersönlich. Sollte ich Dir nicht einen Namen geben? Mal überlegen. Welchen Namen könnte ich Dir geben? Mein Name nicht, aber. Warte, ich habs! Ich nutze meinen Namen und drehe ihn für dich um. Aus Aron wird also Nora. Hast Du etwas dagegen? Nein? Sehr schön. Wenn ich also von Nora spreche, spreche ich eigentlich zu Dir und keiner kennt diese Nora. Meine Eltern denken, dass Du eine Mitschülerin bist, meine Mitschüler, dass Du meine Freundin bist. Das erste wird irgendwann auffliegen. Irgendwann wird schon eine Elternversammlung sein, und mit der Zeit sollten meine Eltern mitbekommen, dass es keine Nora gibt. Der zweite Fall sollte schneller auffliegen. Glaube ich. Aber hey, ich bin kein Hellseher. Ich weiß nicht, was heute Nacht passiert, was morgen passiert. Ich weiß nur Eines. Übermorgen beginnt die zweite Woche in der neuen Schulwoche. Ob ich Dir übermorgen schreibe, wie der erste Tag in der neuen Woche war? Ich weiß es nicht. Ehrlich nicht. Ich glaube nicht, dass ich übermorgen dazu komme. Ich werde Dir wohl erst nächste Woche wieder schreiben. Täglich werde ich nicht daran denken. Aber eine Erinnerung werde ich mir einstellen. So werde ich jede Woche von meiner Woche erzählen. Ja, so werde ich es machen. Hast Du etwas dagegen? Ich hoffe nicht. Also abgemacht. Bis nächste Woche.

Aron

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