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Ein Kardinal wacht auf

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Ich (Richard Rohr) bin 1970, im Jahr meiner Priesterweihe, durch einen Jesuiten in das System des Enneagramms „eingeweiht“ worden. Damals hat man uns eingeschärft, dass wir es nicht schriftlich weitergeben sollten und dass niemand erfahren dürfte, woher wir es hätten. Ich muss gestehen, dass ich mir dabei seinerzeit manchmal etwas unehrlich vorgekommen bin. Es ist ein paar Mal passiert, dass jemand in meine Sprechstunde gekommen ist und ich nach einer Weile – dank des Enneagramms – die Energie oder den „Wahrnehmungsstil“ dieses Menschen ziemlich genau erfassen konnte. Während ich meine „Geheimkenntnisse“ einsetzte, dachte mein Gegenüber: „Richard Rohr liest in meiner Seele wie in einem offenen Buch und bringt mein Problem genau auf den Punkt! Wo hat er das nur gelernt?“ So erschien ich manchen fast wie ein Hellseher oder so, als hätte ich die Gabe der „Herzensschau“, die einigen Heiligen nachgesagt wird. Auf diese Art ist das Enneagramm angeblich ursprünglich verwendet worden. Es handelte sich der Legende nach um esoterisches Wissen, das die Seelenführer nur innerhalb ihrer Gruppe weitergegeben haben. Als wir Amerikaner es in die Finger bekamen, ist passiert, was passieren musste: Wir haben vor ein paar Jahren angefangen, es aufzuschreiben.

Seither ist eine Flut von Büchern erschienen. Vor allem im katholischen Milieu hat es einen wahren Siegeszug angetreten. Vielleicht liegt es daran, dass wir katholische Ordensleute die Zeit und die Einkehrhäuser haben, um uns intensiv mit solchen Dingen zu befassen. Von dort aus wird es an suchende und interessierte Menschen aus den unterschiedlichsten Schichten weitergegeben. Jetzt, da es längst nicht mehr geheim ist, möchten wir dazu beitragen, es so darzustellen, dass es angemessen angewendet werden kann und möglichst wenig Schaden anrichtet. Der „schlafende Riese“ ist aufgewacht und seine alte Weisheit ist suchenden Menschen zugänglich!

Wir haben das Enneagramm noch nie einer Gruppe weitervermittelt, die es nicht – aus irgendeinem Grund – interessant fand. Das ist erstaunlich, weil sein Ansatz negativ ist. Das Enneagramm hat nicht die Absicht, dem Ego zu schmeicheln. Es will vielmehr eine Hilfestellung dazu geben, das loszulassen oder unnötig zu machen, was Thomas Merton und andere das „falsche Selbst“ genannt haben. Wir kennen kein anderes Hilfsmittel, das diese Aufgabe auf direkterem Wege leisten kann als das Enneagramm.

Ich habe vor Jahren Exerzitien für 20 Bischöfe gehalten. Am ersten Tag habe ich über das kontemplative Gebet referiert. Die Bischöfe saßen da und hörten zu – schließlich waren es Bischöfe und sie mussten anstandshalber aufpassen, wenn es ums Beten ging. Man konnte sehen, dass sie zwar dabei waren, aber nicht wirklich auf die Sache „angesprungen“ sind. Ich weiß nicht mehr, was ich am zweiten Tag erzählt habe, jedenfalls waren sie schon aufmerksamer. Am dritten Tag haben mich zwei Bischöfe beiseite genommen und gesagt: „Sie müssen dieser Gruppe das Enneagramm beibringen!“ Das hatte ich eigentlich nicht vor. Aber die beiden Bischöfe haben darauf bestanden: „Doch! Das brauchen die!“ So habe ich am nächsten Morgen damit angefangen. Ich konnte miterleben, wie einige Teilnehmer, einschließlich eines frischgebackenen Kardinals, plötzlich hellwach wurden und ganz Ohr waren. Von diesem Zeitpunkt an waren sie bis zum Ende der Exerzitien voll dabei.

Das Enneagramm bringt eine wesentliche Wahrheit unseres Seelenlebens auf den Punkt. Es tut das auf eine Weise, wie es die meisten von uns selten oder nie erlebt haben. Das Enneagramm ist von geradezu bezwingender Weisheit.

Das Enneagramm

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