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Kapitel 2

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Eineinhalb Jahre später

Der Feueralarm erreichte die Feuerwehr und die Polizei der Stadt Amsterdam zeitgleich um 21.23 Uhr. Zu diesem Zeitpunkt war das Van-Gogh-Museum bereits über drei Stunden geschlossen. Außer zwei Wachmännern sollte sich in dem Gebäudekomplex niemand mehr befinden.

Drei der vier Wachmänner wurden später gefesselt und geknebelt auf dem Rücksitz dreier Autos gefunden. Die Fesselung war unnötig, da die Wachmänner friedlich schliefen und auch durch die Polizisten nicht geweckt werden konnten, welche nach dem Löschen des Feuers den museumseigenen Parkplatz abzusuchen begannen. Erst ein Notarzt machte sie mit einem Aufputschmittel wieder wach und vernehmungsfähig.

Sie konnten sich jedoch nur noch daran erinnern, dass sie wie immer nachmittags um 17 Uhr ihren Dienst angetreten hatten, ihre Rundgänge zum Ende der Öffnungszeit durchgeführt hatten und dass es keine Vorkommnisse gab. Vermutlich, daran konnte sie sich nicht mehr erinnern, hatten sie dann mit ihrem Kollegen eine Tasse Kaffee zum Abendessen getrunken. Aber da waren sie sich schon nicht mehr sicher.

Erst die Auswertung der Videokameras überführte den Täter. Obwohl er die Möglichkeit dazu gehabt hätte, versuchte der vierte Wachmann erst gar nicht, die Aufzeichnungen zu löschen. Er verhinderte nicht, dass die Kameras sein Verbrechen aufzeichneten!

Die Beamten der innerhalb kürzester Zeit eingerichteten Sonderkommission "Van Gogh" der Amsterdamer Polizei konnten verfolgen, wie der zweite Wachmann, der Henrik Hasselbach hieß, seinen bewusstlosen Kollegen zu dessen Wagen schleifte und ihn auffallend sorgfältig auf die Rücksitzbank bettete. Dann entnahm er dem eigenen Kofferraum einen grossen Rucksack und zwei große Taschen. Er betrat das Museum und legte kleine Beutelchen unter die Bilder, die mit feinen Drähten verbunden waren. Die Beutelchen reichten für fast alle Bilder in allen Stockwerken aus.

Die Polizisten erkannten auf Anhieb, dass hier kein Amateur zu Werke ging. Was sie sahen war von langer Hand geplant, war absolut professionell in seiner Vorbereitung und Ausführung. Jeder Griff des untreuen Wachmanns saß. Zuletzt konnten sie zusehen, wie er die Kabel an ein kleines Kästchen, kaum größer als ein Feuerzeug, anschloss. Der Wachmann stand so nah an der Videokamera, als wollte er mit einem Filmteam einen Lehrfilm für Sprengstoffspezialisten drehen.

Als der Täter, der sich selbst mit den Aufnahmen überführte, das Kästchen ablegte und das Museum eiligen Schrittes verließ, begann eine rote Lampe daran in immer kürzen Abständen zu blinken. Bis die Lampe nur noch rot leuchtete und Sekunden darauf die Sprengsätze in den Stoffbeuteln zündete. Bruchteile von Sekunden später waren die Videoaufnahmen von den Innenräumen des Gebäudes zu ende. Zeitgleich zeigten die Außenkameras wie der kleine braune Wagen des zweiten Wachmanns den Parkplatz verließ. Er drehte sich kein einziges Mal um oder hielt an, um sein Werk zu beobachten.

Das brauchte er auch nicht. Denn bereits eine halbe Stunde später brachten alle Fernsehsender des Landes und der Welt die Nachricht und erste Bilder seiner Tat. Noch vor Mitternacht wurden erste Bilder der Überwachungskamera ausgestrahlt. Diejenigen, die den Täter so zeigten, dass man ihn identifizieren konnte.

Ein Wachmann, der sich soeben selbst fristlos entlassen hatte. Ein Mann, der sich selbst für schuldig erklärte. Sich selbst der Tat überführt hat. Jemand, der sich den Zorn einer ganzen Stadt, einer Nation, der ganzen kulturellen Menschheit zugezogen hatte. Ein Monster. 33 Jahre alt. Schwarze Haare. Schlank. 170 cm groß. Keine auffälligen Kennzeichen. Südostasiatischer und mitteleuropäischer Herkunft. Niederländischer Staatsbürger.

Ein spezielles Einsatzkommando der Polizei stürmte seine Wohnung. Die Männer mit den schwarzen Sturmmasken, den schusssicheren Helmen und Westen rammten die Tür mit einer schweren Eisenramme auf und stürmten von Raum zu Raum. Die Wohnung war sauber aufgeräumt, so als würde der Bewohner Besuch erwarten. Henrik Hasselbach war nicht anwesend und auch sonst nirgends auffindbar. Sein kleines, braunes Auto wurde mit Hilfe des Kennzeichens innerhalb von drei Minuten durch das elektronische Verkehrsüberwachungssystem aufgefunden. Der Weg vom Museum bis zu einem Supermarktparkplatz ließ sich genau nachvollziehen. Ein Sprengstoffteam näherte sich dem abgestellten Fahrzeug vorsichtig. Die Vorsicht war berechtigt. Wer eine Tat mit Sprengstoff beging, war in der Lage, noch mehr einzusetzen. Das Einsatzteam fand allerdings nichts.

Während die Aufnahmen der Überwachungskameras des Supermarktes ausgewertet wurden, brachten Hubschrauber die ersten Suchmannschaften und Hundestaffeln. Die Suchhunde versuchten die Witterung des Flüchtenden aufzunehmen und nahmen die Fährte auf. Der Weg führte die Suchteams in die gleiche Richtung, die auch die Kameras als Fluchtweg aufgenommen hatten.

Die Wohnung wurde währenddessen von Spezialisten in antistatischen Laboranzügen auf Waffen und Sprengstoffe, auf die kleinsten Auffälligkeiten und Hinweise durchsucht. Auf dem Küchentisch fanden sie einen Umschlag mit der Aufschrift „Polizei“. Sofort wurde er von einem Spezialgerät durchleuchtet und auf Spuren von Sprengstoff oder Krankheitserregern untersucht. Nachdem der Apparat festgestellt hatte, dass es sich um einen ganz normalen Brief handelt, schickten sie ihn mit einem Blaulichtfahrzeug an das Einsatzzentrum der neu gegründeten Sonderkommission „Van Gogh“.

„Was wissen wir über ihn?“ Gemeint war der Täter, Henrik Hasselbach. Die Frage stellte der Leiter der Sonderkommission „Van Gogh“.

„Ich habe hier seine Daten: Geboren in Amsterdam. Sein Vater war Landschaftsgärtner in Rotterdam. Seine Mutter stammt aus Indonesien, von der Insel Borneo. Er hat PKW- und LKW-Führerschein. Machte eine Ausbildung zum Tierpfleger im Amsterdamer Zoo. Vor einem Jahr wechselte er in den Sicherheitsdienst des Van-Gogh-Museums wegen einer Tierallergie. Er lebt in keiner Partnerschaft, war bisher in keiner Weise straffällig geworden.“ Während der Beamte die Informationen vorlas, verteilte ein anderer Polizist die ausgedruckte Biographie an die Anwesenden.

In dem Besprechungsraum der Amsterdamer Kriminalpolizei saßen zwölf Personen. Außer den Polizisten auch der Direktor des Van-Gogh-Museums sowie ein stellvertretender Staatssekretär des Niederländischen Innenministeriums.

„So viel zur Biographie. Was wissen Sie über ihn?“, frage der Leiter von „Van Gogh“ den Museumsdirektor, der de facto arbeitslos geworden war.

„Henrik Hasselbach galt als sehr zuverlässig. Er war stets höflich und sprang oft für Kollegen ein, wenn sie nicht konnten.“

Mit einem in dieser Situation unangebrachten „Jetzt wissen wir auch warum!“ wurde er kurz unterbrochen.

Er fuhr unbeirrt fort: „Wie Sie dieser Sicherheitsüberprüfung anlässlich seiner Einstellung entnehmen können, hatte er hervorragende Referenzen.“ Damit reichte er dem Beamten, der zuvor schon die Biographie verteilt hatte, einen weiteren Stapel Kopien, die er zuvor aus dem Sicherheitsinformationssystem der Amsterdamer Behörden gezogen hatte.

„Gibt es schon eine Sprengstoffanalyse?“ Der SK-Leiter fuhr mit seinen Fragen fort.

„Die Proben werden noch im Labor ausgewertete.“ Diesmal antwortete der Vize-Direktor der Abteilung Spezialaufgaben der Amsterdamer Polizei. „Unsere Experten sind auch noch dabei Rückschlüsse aus der Vorgehensweise des Täters zu ziehen.“

„Wie weit sind die Ermittlungen über Hasselbach selbst?“

Ein anderer hochrangiger Polizist antwortete: „Die Befragung der Nachbarn dauert an. Ebenso die Befragung der anderen Wachleute. Wir haben auch Ermittlungsteams zu Mitarbeitern des Zoos geschickt, wir befragen Nachbarn und alle, die ihn irgendwie kannten. Insgesamt haben wir mittlerweile 80 Polizisten im Einsatz.

„Was kann ich der Presse sagen?“ Diesmal stellte der Pressesprecher der Polizei die Frage. „Geben Sie Ihnen Fotos des Täters, auch wie er möglicherweise aussehen könnte. Wir brauchen ihn lebendig.“ Es war das Standardprozedere.

„Was ist mit dem Brief, der in seiner Wohnung gefunden wurde?“

„Davon sollten Sie noch nichts an die Presse weitergeben. Er wird noch erkennungsdienstlich behandelt.“ Dem SK-Leiter war es nicht recht, dass offensichtlich schon jeder von diesem Brief wusste.

Nach einer kurzen Pause fragte er: „Hat noch jemand was?“

Als keiner antwortete, sagte er kurz: „Um 6 Uhr treffen wir uns wieder hier. Also in 5 Stunden.“ Daraufhin verließ er den Raum und ging in sein Büro.

Während Hubschrauber über dem betroffenen Stadtteil kreisten und jeden Winkel auszuleuchten versuchten, nahmen die Suchhunde die Fährte auf. Wild kläffend rannten sie vom Parkplatz des Supermarktes in die vermeintliche Fluchtrichtung, bis sie an eine der vielen Krachten gelangten. Hier endete abrupt die Fährte in einem kleinen Holzkahn. Die Polizisten fanden in dem Boot die Uniform und Unterwäsche des ehemaligen Wachmanns, was sie zu dem Schluss veranlasste, dass er entweder weitergeschwommen oder mit Taucheranzug und Pressluftgerät auf beziehungsweise unter Wasser zu entkommen versuchte.

Die Suche wurde innerhalb kürzester Zeit auf die ganze Stadt ausgedehnt. Während man noch darüber nachdachte, aus anderen Landesteilen Bereitschaftspolizisten für die Suche in Marsch zu setzen, beteiligte sich auch die Amsterdamer Bevölkerung an der Jagd nach dem Täter. Kurz nach drei Uhr war es auch sicher, dass Henrik Hasselbach tauchend zu flüchten versuchte. Die Auswertung eines Überwachungsvideos zeigte ihn zwei Sekunden lang wie er in einem schwarzen Neoprenanzug, eine Pressluftflasche umklammernd, sich in dem Kahn niederkauerte. Zwei Sekunden lang, als er gerade vom Fahrlicht eines vorbeifahrenden Autos erfasst wurde. Hier hatte er sich mehr Mühe mit den Kameras gegeben. Es gab nicht viele Plätze in Amsterdam, wo man vor den Kameras sicher war. Als diese Videoszene entdeckt wurde, war sie jedoch schon über fünf Stunden alt. In einer ersten Sichtung war Hasselbach in seinem Kahn übersehen worden. Auf den Monitoren machte er gerade einen Ausschnitt von einem Quadratzentimeter aus.

Während alle noch wachen Bewohner von Amsterdam in allen Winkeln, Kellern, Gassen, Fluren, Dachböden, unter Brücken, wo auch immer man sich verstecken konnte, den Täter suchte, während die Wasserschutzpolizei die Kanäle mit ihren Booten und mit Netzen abzuriegeln versuchte, Taucher ins Wasser sprangen und den Grund absuchten, eine Sondersendung nach der anderen das Fernsehprogramm der Welt unterbrach, stellte man sich auf dem ganzen Planeten nur eine Frage: „Warum?“

„Warum?“ Die Frage warf der Leiter der SK Van Gogh in den Raum. „Warum fackelt er alle Bilder ab? Warum hat er nicht eines gestohlen?“

Sein Gegenüber, der Direktor der Abteilung Sonderaufgaben, antwortete ihm nicht. Er wusste die Antwort nicht. Stattdessen überreichte er ihm in einem durchsichtigen Plastikbeutel den Brief mit der Aufschrift „Polizei“, der in Hasselbachs Wohnung gefunden wurde und nannte ihm die Untersuchungsergebnisse:

„Seine Fingerabdrücke sind darauf, sonst keine. Das Papier ist ganz normales Recyclingpapier, normale Qualität, so wie es millionenfach in der Europäischen Union verkauft wird.“

Der SK-Leiter öffnete den Plastikbeutel, entnahm dann den Brief aus dem bereits geöffneten Umschlag. Er las langsam vor, was darin stand:

„Der nächste Anschlag wird vorgewarnt und ist mit folgendem Code versehen: XODZHG305S.“

„Aha!“, antwortete der Direktor der Sonderaufgaben, und der Leiter der Einsatzkommission wiederholte den Satz noch einmal.

„Was sollen wir denn damit anfangen? Ein weiterer Anschlag?“ Ohne eine Antwort zu erwarten, stellte der Leiter der SK die Fragen in den Raum.

„Wir müssen wieder zur Besprechung. Es ist 6 Uhr!“

Die Stimmung in dem Besprechungsraum war gereizt. Die nächtliche Arbeit ohne jeglichen Schlaf, der Druck der Politik und der Öffentlichkeit forderten ihren Tribut. Der Personenkreis hatte sich um einen Mann, der im Hintergrund Platz nahm, erweitert. Waren um Mitternacht noch teilweise Stellvertreter anwesend, wurden die Sitze jetzt von den Hauptverantwortlichen der Abteilungen wahrgenommen.

„Bevor ich mir ihre Zwischenergebnisse anhöre,“ begann der SK-Leiter die Runde, „habe ich eine Frage an den Museumsdirektor!“ Er drehte sich mit einem Ausdruck der Hoffnung an den Mann, der niedergeschlagen und gestresst am anderen Ende des Tisches saß. Die ganze Nacht über musste er wieder und wieder Fragen von ermittelnden Polizisten beantworten, Zutritt zu den Räumlichkeiten des Museums gewähren, Mitarbeitern und Politikern Rede und Antwort stehen. Außerdem hätte er sowieso nicht schlafen können.

„Waren es die Originale?“ Die Frage des Leiters der SK Van Gogh wurde bisher von noch Niemandem gestellt. Aber es war eine Frage, die auf eine Verneinung drängte. Die auf eine Verneinung, eine erlösende Verneinung, hoffte. Denn dann wäre es nur noch Brandstiftung gewesen. Wenn auch in in einem Heiligtum. Einem Heiligtum der Malerei.

Als der Museumsdirektor zur Antwort ansetzte, hielten einige Teilnehmer der Besprechung den Atem am.

„Selbstverständlich waren es die Originale!“

„Kein Zweifel?“

„Kein Zweifel! Die Bilder wurden in unregelmässigen Abständen geprüft.“

„Ich möchte trotzdem, dass die Reste untersucht werden. Vielleicht wurden sie vorher ausgetauscht.“ Der SK-Leiter wollte auf Nummer Sicher gehen. „Es gibt doch Reste, oder?“

Es folgten die Berichte der einzelnen Abteilungen. Die Untersuchung des verwendeten Explosivstoffes ergab, dass es sich um einen hochexplosiven Brandbeschleuniger handelte, eine Weiterentwicklung von Napalm. Ein Stoff, der in kurzer Zeit grosse Hitze entwickelt. Kein Stoff, der frei verkäuflich war.

„Was ich nicht ganz verstehe ist,“ ein bisher stiller Beobachter führte seine Frage aus, „warum nur vier Wachmänner das Museum bewachten. Der letzte Van Gogh, der versteigert wurde, erbrachte so etwas um die 180 Millionen Dollar. Wenn ich das auf das Museum hochrechne, wäre eine ganze Kompanie Wachleute noch zu wenig gewesen.“

Bevor der Museumsdirektor erklären konnte, schaltete sich der Chef des Amsterdamer Überwachungsdienstes ein: „Eines meiner Überwachungsteams hat ständigen Zugriff auf die Kameras des Museums. Innerhalb von zwei Minuten steht ein Spezialkommando von 12 Mann am Museum, wenn etwas passiert!“

Ein Gemurmel erhob sich in dem Raum, das abrupt abbrach, als der SK-Leiter die Frage stellte, die alle betraf: „Der Täter ging seinem Werk mindestens 20 Minuten gänzlich ungestört nach. Was lief da schief?“

„Wir wissen es noch nicht, aber so wie es aussieht, hat sich jemand in unser System gehackt und den Überwachungsfilm vom Vortag auf den Überwachungsmonitor bei der Polizei überspielt.“

„Das kann doch gar nicht möglich sein!“

„Wir haben uns das Video angeschaut und verglichen. Henrik Hasselbach putzt sich an zwei Tagen hintereinander genau um 19.10 Uhr an der selben Stelle, vor Van Goghs Selbstporträt, die Nase. Wir wissen nur noch nicht, wie jemand in unser geschlossenes System gelangen konnte.“

„Kommen wir zum Motiv: Warum? Ist es möglich, dass die Bilder vorher ausgewechselt wurden? Ich erinnere daran, dass die Überwachungsvideos manipuliert wurden!“ Sein Blick schweifte an dem großen ovalen Tisch von einem Anwesenden zum nächsten. „Oder will ein Sammler den Preis in die Höhe treiben?“

Der Chef des Amsterdamer Überwachungsdienstes schaltete sich wieder ein: „Wir haben die Aufzeichnungen sämtlicher Zufahrtsstrassen und überwachten Gebäude um das Museum herum ausgewertet. Bis vor zehn Tagen, als die letzte Echtheitsprüfung stattfand. Es gab keinen Abtransport von Bildern. Und auch keine weiteren Manipulationen am Überwachungssystem!“

„Was ist mit dem Täter?“ Der Abgesandte des Innenministeriums hatte lange geduldig zugehört. Für ihn bedeutete alles nur: Keine Ergebnisse. Bevor jemand etwas sagen konnte, richtete er eine weitere Frage auf den Mann im Hintergrund, der um Mitternacht noch nicht dabei war. „Vielleicht kann uns der Abgesandte des ESS weiterhelfen?“

Dieser erhob sich, ging ein paar Schritte nach vorne und antwortete dann: „Sie werden ihn nicht finden! Nicht mit dem Standardablauf.“

„Wer sind Sie überhaupt?“, fuhr ihn der Leiter der SK Van Gogh an.

„Anthony Brown, European Security Service!“ Für die Anwesenden war klar, dass es sich um einen Decknamen handelte. Er hätte sich auch James Bond nennen können. Viele nannten ihre Kollegen vom Nachrichtendienst auch verächtlich nach dem Filmhelden.

„Und was macht Sie so sicher, Mister James Bond?“ Der SK-Leiter stand als Polizist dem Geheimdienst von Haus aus misstrauisch gegenüber.

„Es ist alles sehr professionell! Und wir können sicher davon ausgehen, dass er kein Einzeltäter ist. Da steckt mehr dahinter!“ Er wirkte auf die Anwesenden arrogant. Und mit einem spöttischen Lächeln fuhr er fort: „Was steht in dem Brief?“

Alles blickte wieder gespannt auf den Leiter der SK Van Gogh. Dieser hielt seinem "Kollegen" vom ESS das in Folie verschweißte Papier hin. „Nichts! Nichts von Bedeutung.“

Die Pressekonferenz fand zwei Tage später in einem Anbau des Van-Gogh-Museums statt. Der Raum wurde bisher für Multimedia-Vorführungen über das Leben, das Werk und die Zeit von Vincent Van Gogh genutzt und eignete sich aufgrund seiner Ausstattung hervorragend für die Präsentation der Polizeiarbeit.

In der Mitte des langen Tisches saß der Leiter der Sonderkommission, der die Konferenz eröffnete und beendete. Flankiert wurde er vom Direktor der Abteilung Sonderaufgaben und dem Pressesprecher der Amsterdamer Polizei. Ergänzt wurden ihre Ausführungen von Spezialisten und Vorgesetzten der beteiligten Dienststellen.

„Was macht Sie so sicher, dass es die Originale waren?“ Ein Journalist stellte die Frage, deren Verneinung wie eine Erlösung für die Welt gewesen wäre.

„Die Gemälde wurden aufgrund des verwendeten Brandbeschleunigers nicht vollständig verbrannt. Von fast allen Bildern blieben unversehrte Ränder unter den Bilderrahmen zurück, die auf ihre Echtheit untersucht werden konnten. Vereinzelt blieben sogar Teile der Bilder übrig.“ Das Foto des Restes eines Sonnenblumenbildes, nur noch der blaue Hintergrund und ein gelbes Blütenblatt war auf fast jeder Ersten Seite der Tageszeitungen und Nachrichtenmagazine zu sehen.

Ein weiterer Journalist begann nachzufragen: „Ist mit weiteren Gemäldevernichtungen zu rechnen?“

„Uns liegen keine Informationen darüber vor. Die Sicherheitsvorkehrungen wurden weltweit verschärft. Der Mindeststandard ist jetzt neben unregelmässigen Kontrollen von Wachleuten durch die regionale Polizei auch die Auflage, nur aus industriell verschlossenen Behältern zu essen und zu trinken. Ausserdem wurden nach regionalen Untersuchungen weitere Sicherheitskonzepte erstellt, um unter anderem mehr Wachpersonal einzusetzen und Alarmanlagen zu modernisieren.“ Die Antwort des Staatssekretärs aus dem Innenministerium war lang und erschöpfend.

„Was ist mit dem Täter?“

Längst waren alle Daten über ihn veröffentlicht worden. Endlose Sendungen zu dem Thema zeigten die Interviews von Nachbarn, Freunden (die es nicht mehr sein wollten), Arbeitskollegen.

„Der Täter, Henrik Hasselbach, ist verschwunden. Trotz modernster Fahndungsmethoden ist es uns noch nicht gelungen, ihn aufzuspüren. Das legt nahe...“

Der SK-Leiter wurde in seinen Ausführungen von einem aggressiveren Journalisten unterbrochen: „Haben die Überwachungssysteme und die Polizei versagt?“

„Ein Versagen liegt definitiv nicht vor.“ Die Augen des Leiters der SK Van Gogh ruhten fest und jede Feindlichkeit vermeidend auf dem Journalisten. „Es liegt nahe, dass der Täter tot ist oder sich zumindest an einem unbekannten Ort im Stadtgebiet versteckt hält und Komplizen hat. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis er gefunden wird.“

`Bis dahin kaum noch einiges passieren´, dachte sich in der hinteren, rechten Ecke ein stiller Beobachter. Er setzte sich seine bläulich schimmernde Sonnenbrille auf und verließ vorzeitig die Pressekonferenz. Polizeibeamte vor den Monitoren der Überwachungskameras konnten auf seinem Sonderausweis den Namen „Anthony Brown, ESS“ lesen. Seine genaue Identifizierung war nicht möglich, da die Sonnenbrille einen Scann der Augennetzhaut nicht zuließ. Aber das war man bei den Leuten vom Geheimdienst gewohnt. Immer korrekt mit einem dunklen, unauffälligen Anzug bekleidet. Kurze Haare. Sonnenbrille. Klischees.

Die letzte Frage, bevor die Konferenz beendet wurde: „Wie hoch ist der Schaden?“

Der unglückliche Museumsdirektor sprach mit ruhiger, trauriger Stimme. Er war den Tränen nahe: „Die Bilder waren nicht versichert, da keine Versicherung der Welt das Risiko auf sich nehmen konnte. Außerdem wären die Prämien astronomisch hoch gewesen. Lediglich die Schäden am Gebäude waren versichert.“ Seine Stimme stockte. „Aber selbst wenn eine Versicherung zahlen würde, kein Geld der Welt könnte diesen Frevel wieder gut machen. Was Van Gogh geschaffen hat, ist unwiederbringlich zerstört worden!“

Er wiederholte das Wort. Wiederholte es mit tränenerstickter Stimme. Das furchtbare Wort: „Unwiederbringlich!“

Am Ende

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