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Kapitel 5

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Am nächsten Vormittag.

„Ich definiere unsere Aufgaben folgendermaßen:

Verhinderung neuer Attentate, und

Aufspüren der Täter und Hintermänner.“

Er machte eine demonstrative Pause, um seinen Zuhörern Zeit zum Nachdenken zu geben. „Nicht mehr und nicht weniger. Und bis jetzt sieht es so aus, als würden wir die Stecknadel im Heuhaufen suchen.“

„Ist es denn nicht möglich, dass Jensen-Mendez der Hintermann ist? Ist es denn nicht wahrscheinlich, dass mit seinem Tod auch die Attentate vorbei sind?“ Einer der jungen Agenten meldete sich zu Wort. Er sprach aus, was viele hofften. Doch Hoffnung war etwas für die Öffentlichkeit, die in den Medien stattfand. Genauso wie es Mutmaßungen und Gerüchte waren.

„Ich persönlich glaube nicht daran, dass er der alleinige Hintermann war.“ Es folgte wieder eine kleine Pause. Dann fuhr der fünfundvierzigjährige Agent des ESS fort: „Aber, was ich glaube, ist hier nicht gefragt. Gefragt sind Fakten. Wir müssen herausfinden, welche Motive hinter all diesen Kunstvernichtungen stehen. Wir brauchen Beweise, gleich welcher Art, um die Täter und Hintermänner zu überführen.“

Drei Stunden nach der Explosion in Bilbao übertrug das Europäische Innenministerium dem ESS die Leitung der Ermittlungen im Fall des sogenannten Kunstterrors. Dies bedeutete für alle bisher gebildeten Sonderkommissionen Unterordnung und Zuarbeit, sofortige Weitermeldung neu gewonnener Erkenntnisse und uneingeschränkten Einblick in Aufzeichnungen und laufende Ermittlungen.

Zum Leiter der Ermittlungsgruppe 23-14 wurde der fünfundvierzigjährige Italiener Stefano Rizzardi von der Zentrale des ESS ernannt. Seine Laufbahn begann Rizzardi beim italienischen Militär, in welchem er aufgrund seiner Sprachbegabung und hochgradiger Kombinationsfähigkeit auffiel. Mit 27 Jahren wechselte er in den militärischen Geheimdienst und wenige Jahre darauf wurde er für den neu gegründeten ESS empfohlen. Innerhalb des europäischen Geheimdienstes galt er als Legende, da alle Ermittlungen erfolgreich beendet wurden, in denen er mitwirkte. Jetzt wurde er mit dem 23. Fall des laufenden Jahres in der vierzehnjährigen Geschichte des ESS betraut.

Kurze Zeit nach seiner Ernennung begann er sein Team zusammenzustellen. Er hatte die Möglichkeit, jeden verfügbaren Mitarbeiter des ESS in sein Team zu holen. Als verfügbar galt jeder, der derzeit nicht zu einer Ermittlungsgruppe gehörte oder nach Rücksprache mit anderen Gruppenleitern frei gegeben wurde. Das ESS arbeitete in seiner Personalzusammenstellung hochflexibel. Ermittlungsgruppen wurden laufend erweitert, umgruppiert, neu strukturiert. Die Arbeit zeichnete sich durch Kreativität, Selbständigkeit und von hoher Motivation aus.

Jeder Ermittlungsgruppe wurden zwei stille Beobachter zugeteilt, welche in sämtliche Arbeitsvorgänge Einblick nehmen durften, ohne selbst mitzuarbeiten. Ihr einziger Auftrag war die Rechtmäßigkeit der Arbeit der Ermittlungsgruppe zu überwachen und die Zentrale über alle bedeutenden Vorkommnisse zu unterrichten.

Der einzige Mitarbeiter seines Teams, den sich Rizzardi nicht selbst aussuchen konnte, war der englische Agent Anthony Brown. Als erster, auf „ein mögliches Vorkommnis von besonderer Bedeutung“ angesetzter Agent hatte er seine bisher gewonnenen Erkenntnisse und Informationen an die Ermittlungsgruppe weiterzugeben. Es stand Rizzardi frei, ihn danach aus seinem Team zu entlassen.

„An Fakten haben wir bisher sehr wenig.“ Anthony Brown griff damit die Worte von Rizzardi auf, als er zu einer ersten Zusammenfassung aufgefordert wurde. „Was wir haben, sind die Namen der ausführenden Täter. Diese sind entweder verschwunden oder tot. Wir wissen, was zerstört worden ist, mit welchem Material und welcher Technik. Aufgrund von Kodierungen auf Bekennerschreiben und Telefaxen wissen wir, dass die Anschläge in Amsterdam, Paris und Bilbao im Zusammenhang zueinander stehen.“

Brown machte eine kurze Pause, um Kopien des ersten Bekennerbriefes und der beiden Telefaxe in die Runde zu geben. Die Mitglieder der Ermittlungsgruppe fanden sich in Wien in der nationalen ESS-Zentrale zusammen. Rizzardi bevorzugte Wien wegen seiner relativ zentralen Lage in der Europäischen Union.

„Wenn ich mir das zweite Telefax anschaue, dann wird hier ein weiteres Attentat angekündigt.“ Rizzardi stellte die Bemerkung als Frage an Brown.

„Das ist richtig. Es bedeutet für uns, dass noch mehr Leute hinter den Anschlägen stecken. Diesen Schluss lassen auch die bisherigen Untersuchungsergebnisse zu.“ Als keiner der Anwesenden dazu etwas sagte, fuhr Brown fort: „Die verwendeten Explosivstoffe sind Spezialentwicklungen, welche bisher ausschließlich Sprengstoffexperten des europäischen oder amerikanischen Militärs, beziehungsweise Spezialeinheiten der Polizei zur Verfügung stehen. Die eingesetzte Technik des in Paris verwendeten Rollstuhls ist auf einem Stand der Technik, den selbst unsere Experten erst in ein paar Jahren für möglich gehalten hätten. Nicht zuletzt ist es den Tätern in Amsterdam und Paris gelungen, die Überwachungstechnik zu überlisten und unterzutauchen. Hinter diesen Taten muss eine mehrköpfige, finanzkräftige Organisation mit Insiderkenntnissen stehen.“

„Mir fällt auf, dass die Täter vermeiden wollten, dass Menschen verletzt oder getötet werden. Ich entnehme das insbesondere dem zweiten Telefax. Ist es richtig, dass taktische Fehler der Polizei für die Verletzten in Paris verantwortlich sind?“ Der Psychologe des Teams, der Engländer Dr. Howard Martin, meldete sich zu Wort.

„Der Code für das Telefax in Paris wurde von den Amsterdamer Ermittlern zurückgehalten. Deshalb ging die echte Warnung zwischen den vielen Trittbrettfahrer-Aktionen unter.“

„Okay. Es ist mir klar, dass sie viele Fragen haben. Agent Brown, Sie stellen mir bitte sämtliche bisherigen Untersuchungsergebnisse zusammen. Ich brauche die Unterlagen sortiert nach Amsterdam und Paris, Ermittlungen zu Bekennerbrief und erstem Telefax, Biografien der drei Täter. Ferner brauche ich von Ihnen eine Liste aller bisher ermittelnden Dienststellen.“ Die Anweisungen von Rizzardi waren knapp und präzise. Dennoch war sich Brown nicht sicher, ob der Italiener ihn in seinem Team haben wollte.

„Dr. Martin, Sie erstellen mir bitte zuerst ein Profil von diesem Bildhauer, danach von den beiden ersten Attentätern. Außerdem brauche ich von ihnen eine psychologische Analyse über die möglichen Hintergründe.“

„Danielle!“ Damit wandte er sich an eine französische Agentin, mit der er schon oft zusammen gearbeitet hatte. „Sie suchen Kontaktleute für die Behörden in Amsterdam und Paris aus. Die üblichen Voraussetzungen: Landessprache, Sachverstand, sprich Kenntnisse von der Kunstszene. Sie selber leiten die Ermittlungen vor Ort in Bilbao.“

Zwei weitere Frauen und ein Mann blieben noch übrig. „Roger. Sie versuchen etwas über den verwendeten Sprengstoff und den Rollstuhl herauszufinden. Ich verspreche mir hier eine erste heiße Spur.“

Er wandte sich an die beiden Frauen, zuerst an eine Rumänin, danach an die Dänin Erica Peddersen. „Irina, Sie sind ab sofort mein Stellvertreter und koordinieren hier in Wien die Arbeit des Teams.“ Die Angesprochene nickte nur. Sie arbeitete bereits zum dritten Mal für ihn.

„Und Sie,“ damit meinte er die die dänische Agentin, welche ihm von Dr. Martin empfohlen wurde, „sind zuständig für die Aufzeichnungen der Sicherheitskräfte. Ich möchte vor allem wissen, wie die Täter die Sicherheitskräfte überlisten konnten.“

Damit hatte jeder seinen Auftrag. Rizzardi brauchte nichts weiter zu sagen. Seine Mitarbeiter würden selbständig weitere Mitarbeiter benennen und ihr eigenes Team zusammenstellen, sie würden sich selbst Arbeitsräume und alles beschaffen, was sie zur Erfüllung ihres Auftrages benötigten.

Drei Tage später war die Ermittlungsgruppe um 32 Agenten und Experten angewachsen. Als Experte wurde vom ESS bezeichnet, wer aufgrund seiner besonderen, innerhalb des ESS nicht verfügbaren Kenntnisse und Fähigkeiten mit in die Ermittlungen einbezogen wurde, zugleich jedoch als Außenstehender anzusehen war, dem wenig Einblick in die Struktur des Geheimdienstes und die laufenden Ermittlungen gegeben wurden.

Ein erstes großes Treffen zur Auswertung erster Ergebnisse fand wieder in Wien statt. Dazu fanden sich die Experten und die Leiter der einzelnen Teams ein. Im Gegensatz zu den Experten, die ihre Arbeitsergebnisse vortrugen und sich dann in einem Nebenraum verfügbar halten mussten, blieben die Teamleiter die ganze Zeit über in dem kleinen, mit neuester Hightech ausgestatteten Konferenzraum anwesend.

Den Anfang machte Danielle, die französische Agentin. Sie hatte einen Sprengstoffexperten mit dabei, der den verwendeten Sprengstoff untersucht hatte.

„Der Verantwortliche für den Anschlag auf das Guggenheim in Bilbao ist der Bildhauer Jensen-Mendez. Es besteht kein Zweifel daran, dass er den verwendeten Sprengstoff bewusst in seiner Skulptur mit verarbeitet hat. Es liegen keine Anzeichen vor, dass er erpresst oder dazu gezwungen wurde. Auch wurde die Skulptur nicht kopiert und ausgewechselt. Der Täter gab in den Tagen vor dem Anschlag mehrere Interviews, in denen er seinen baldigen Tod angekündigte. Eine schwere Krankheit konnte bei seiner Obduktion nicht festgestellt werden. Für sein Alter war er entsprechend gesund. Als Todesursache wurde die Einnahme von zwei Tabletten MDT7 ermittelt, die normalerweise unter strengen Auflagen von eigens dazu ermächtigten Sterbehilfe-Ärzten verabreicht werden dürfen. Er hat die Tabletten zusammen mit Champagner eingenommen, als er von der Dachterrasse seiner Suite aus die Explosion des Guggenheims beobachtete.“

Jeder der Anwesenden wusste von der Wirkung von MDT7. Enthalten war unter anderem ein endorphinähnlicher Stoff, welcher dem Patienten das wohlige Gefühl der Geborgenheit und Zeitlosigkeit vermitteln sollte. Der Sterbenskranke wurde zumindest psychisch in ein Stadium höheren Bewusstseins geführt... Zusammen mit Champagner und dem Blick von der Hotelterrasse aus eine besondere, fragwürdig romantische Inszenierung.

Es folgte eine kurze Pause, in welcher der Sprengstoffexperte herbeigerufen wurde. Er erläuterte seine Untersuchungsergebnisse in holprigem Englisch: „Der verwendete Sprengstoff stammt aus den USA und wird dort ausschließlich von Spezialisten der Streitkräfte verwendet. Einziger Produzent des seit vier Jahren verfügbaren X37, von Insidern `City-Cleaner´ genannten Stoffes ist die `Watson-Jiang Chemical Inc.´ mit Sitz in Texas. Sowohl der Hersteller als auch die US-Streitkräfte betonen, dass ihnen nichts von dem Stoff fehlt. Das X37 war in zwei Skulpturen verteilt, vier Fünftel davon in der großen Figur, dem Trojanischen Pferd. Der Sprengstoff ist in einem sehr aufwendigen Verfahren verglast worden, weshalb auch die Sprengstoffspürhunde nichts bemerken konnten.“

Rizzardi meldete sich zu Wort: „Was für ein Sprengstoff wurde in Amsterdam verwendet?“

Danielle hatte dafür gesorgt, dass der Sprengstoffexperte auch hierzu Auskunft geben konnte: „Es handelt sich hier um eine Art Brandbeschleuniger ohne nennenswerte Sprengkraft, dafür aber mit einer schnellen, großflächigen Hitzeentwicklung. Dieser Stoff wird exklusiv für Spezialisten der Europäischen Streitkräfte hergestellt. Wir haben das in Amsterdam verwendete FFHX2 einer genauen chemischen Analyse unterzogen. Dabei stellten wir aufgrund von Abweichungen in der Zusammensetzung fest, dass es sich um einen Nachbau handelt.“

„Wer hat die Möglichkeiten dazu?“ Der Gruppenleiter sah die Möglichkeit einer weiteren Spur.

„Vermutlich südamerikanische Drogenkartelle. Der Stoff wurde im Zusammenhang mit Drogenschmuggel und Bandenkriegen bereits mehrmals in Kolumbien und einmal auch in den USA eingesetzt.“ Damit beendete der Experte seine Ausführungen. Er überreichte seine Untersuchungsergebnisse dem Gruppenleiter und ging hinaus.

„Was wissen wir über den Bildhauer?“ Rizzardi stellte die Frage dem Psychologen Dr. Martin.

„Schwermut kennzeichnete sein Wesen in den letzten Jahren. Er war nie verheiratet, hatte aber häufig Geliebte, welche er auch als seine Musen bezeichnete. Seit 12 Jahren lebte er auf Mallorca. Auffällig ist, dass er im Gegensatz zu seinem Einkommen und seinem Erfolg einen relativ bescheidenen Lebensstil führte. Sein ganzes Geld steckte er in seine Villa auf Mallorca und sein Hobby. Er züchtete in drei großen Gewächshäusern exotische Pflanzen und tropische Vögel, sogenannte Kolibris. Dafür beschäftigte er drei Gärtner und zwei Tierpfleger.“

Dr. Martin unterlegte seinen Vortrag mit Bildern vom Wohnsitz des Künstlers. „Es liegen keine Anzeichen für psychische Erkrankungen vor. Sein Tod war lange geplant. Bereits vor einem halben Jahr hat er seine Vögel einer zoologischen Forschungsstation in Andalusien geschenkt, und die Einrichtung einer entsprechenden Zuchtanlage großzügig mit finanziellen Mitteln gefördert. Er hat sein Arbeitszimmer und sein Atelier sauber und ordentlich hinterlassen. Auffällig ist, dass er vor vier Wochen sein Testament beim Notar durch einen Umschlag mit leerem Blatt ausgewechselt hat. Außerdem hat er größere Vermögenswerte veräußert und eine Hypothek auf seine Villa genommen.“

„Wohin ist das Geld?“

Die Frage des Gruppenleiters wurde von Danielle beantwortet: „Das Geld wurde in zahlreichen Transaktionen auf Bankkonten in den Randstaaten überwiesen. Von dort versickerte das Geld in der Unsicheren Zone. Das Gleiche gilt für die Erlöse aus dem Verkauf seiner neuesten Arbeiten, die wegen seiner Todesankündigung zu Bestsellern wurden.“

„Warum fielen die Transaktionen der Finanzbehörde nicht auf?“ Rizzardi war davon fasziniert, welche Hintergründe sich hier auftaten.

Die Dänin aus seinem Team nahm zu dieser Frage Stellung: „Die involvierten Banken haben die Überweisungen gemäss den gesetzlichen Bestimmungen an die Finanzbehörden gemeldet. Die Daten verschwanden aus dem Netzwerk, das ausschließlich von Banken, Versicherungen und den Finanzbehörden verwendet wird. Die Möglichkeit, gemeldete Daten zu manipulieren, besteht rein theoretisch nur durch die Verwendung von Rechnern der Systemadministratoren. Das Wort `Theoretisch´ bedeutet, dass jede Manipulation von der Software erkannt wird und verschiedenen Sicherheitsabteilungen gemeldet wird. Fakt ist, dass die Daten gezielt gelöscht, besser gesagt unterdrückt wurden, und es niemandem auffallen konnte.“

„Gut, dann werden wir unsere Recherchen auf die Unsichere Zone ausdehnen müssen.“ Den Beschluss fasste Rizzardi. „Derart große Mengen Geld müssen Spuren hinterlassen. Es muss Vereinbarungen über die Verwendung, sowie Treffen und Kommunikation von Beteiligten gegeben haben.“

Er machte eine Pause, bevor jemand weiterreden konnte, hob er kurz die Hand, um zu signalisieren, dass er einen Gedanken gleich aussprechen wollte, an dem er gerade herum formulierte. Für kurze Zeit dachte er daran, die CIA mit einzuschalten. Dann aber ließ er es sein. Es war zu früh. Außerdem sollte es nicht nach einem Hilferuf klingen. Als sich Rizzardi der stummen, erwartungsvollen Zuhörer gegenwärtig wurde, gab er ein kurzes Zeichen, dass sie fortfahren sollten.

Es folgten weitere Berichte und Zusammenfassungen der beteiligten Agenten und Experten. Sie alle stellten sich als Bestandsaufnahmen und Analysen dar. Weiterhin gab es keine Spur von den Hintermännern und den Motiven. Die Codes selber wurden auch einer Analyse unterzogen. Mit Hilfe modernster Rechen- und Chiffrierprogramme wurde versucht eine Bedeutung oder irgendeinen Hinweis aufzuspüren. Die Analysten kamen zum Schluss, dass es sich um rein zufällige Symbolfolgen handelte. Von einem Menschen durchgeführt, nicht von einem Zufallsgenerator. So viel konnten sie feststellen.

Selbst auf dem Kunstmarkt gab es keine Auffälligkeiten vor den Anschlägen. Gemälde von Vincent Van Gogh waren bereits vor dem Attentat auf das Museum in Amsterdam sehr selten und wurden noch seltener gehandelt. Trotzdem wurde der hochkarätige Kunstmarkt von einem eigens dafür geschaffenen Team beobachtet und überwacht. Seit den Anschlägen waren die Preise bekannter und vor allem bereits verstorbener Maler ausgeschlagen, wie die Zeiger seismischer Geräte bei einem Erdbeben. Teilweise wurden die Werke auch unter dem Einstandspreis von ihren Besitzern abgestoßen, weil die Versicherungsgesellschaften astronomische Prämien verlangten oder sich konsequent weigerten, weiterhin die hochgefährdeten Meisterwerke zu versichern.

„Dann müssen wir tiefer gehen!“ Rizzardi vergab seinen letzten Auftrag für heute. „Es muss Parallelen geben zwischen den drei bekannten Tätern. Gemeinsame Bekannte, gemeinsame Vorlieben, gemeinsame Aufenthaltsorte. Irgendetwas muss diese Menschen miteinander verbinden. Irina, kümmere Du Dich darum!“, sagte er zu seiner Stellvertreterin, der Rumänin.

01.20 Uhr in der darauffolgenden Nacht. Rizzardi wurde aus dem Schlaf geläutet. Er hatte ein Zimmer in einem Seitentrakt des Wiener ESS-Gebäudes bezogen.

„Wir haben ein neues Fax! Der Code stimmt mit dem aus Bilbao überein.“ Es war Irina Bogdan. Sie schien rund um die Uhr zu arbeiten. Zumindest konnte man es meinen, weil sie es zur Zeit vorzog, auf einer Couch in ihrem Arbeitszimmer zu schlafen.

„Wo?“, fragte der noch vom Schlaf leicht benommene Gruppenleiter.

„Archäologisches Museum Kairo. Heute um 15.30 Uhr Ortszeit.“

„Ist Kairo schon verständigt?“

„Ja. Das Innenministerium und das Kulturministerium haben dort zeitgleich mit dem Überwachungsdienst in Bilbao das Telefax bekommen. Bilbao hat den Ägyptern die Echtheit des Codes bereits bestätigt.“ Die Rumänin hatte alle Informationen bereit.

„Okay. Ich werde sofort nach Kairo fliegen. Wer ist alles in Wien?“ Natürlich meinte er die Mitarbeiter seines Teams.

„Außer mir ist nur noch Anthony Brown da. Alle anderen sind zu Recherchen unterwegs. Oder haben frei.“

Rizzardi musste schlucken. Erst jetzt wurde ihm wieder bewusst, dass er schlecht eingeschlafen war. Es kam ihm so vor, als hätte sich seine Seele stundenlang dagegen gewehrt einzuschlafen. Er vermisste seine Familie. Er konnte wegen seiner Arbeit, seiner Verantwortung, der Gefahr neuer Attentate nicht nach hause.

„Okay. Brown fliegt mit. Gib der Flugbereitschaft Bescheid.“ Und damit schluckte er seinen Frust hinunter.

Zehn Minuten später stürmte er fertig angezogen mit einem kleinen Aktenkoffer, in dem sich sein Laptop samt Kommunikationsanlage befand, in das Büro seiner Stellvertreterin. Brown wartete bereits auf ihn.

„Kommen Sie mit!“, sagte er zu dem jungen, 28jährigen Agenten, der sich eilig von der Rumänin verabschiedete. Hätte Rizzardi nicht unter dem Druck eines bevorstehenden Anschlages gestanden, hätte er die leise Vertrautheit der Beiden bemerkt.

Seine Stellvertreterin reichte ihm noch schnell eine Kopie des Telefaxes, bevor er hinter Anthony Brown aus ihrem Büro hastete. Im Hinausgehen las er es:

Archäologisches Museum Kairo. Explosion um 15.30 Uhr Ortszeit.

Bestätigungscode: WSFEO)§“3746OLUW. Neuer Code: ZWER0§&4DL830.

Die Flugbereitschaft bestand in Form eines Vertrages mit einem zivilen Flugunternehmen, welches dafür bezahlt wurde, dass ein Kleinjet innerhalb von einer Stunde für den ESS abflugbereit verfügbar war. Auf dem Weg zum Flughafen studierte Rizzardi das Fax, diskutierte darüber mit Brown und machte sich Notizen.

Während das geräuscharme Flugzeug vom Wiener Flughafen startete, gab Rizzardi bereits telefonisch Anweisungen an seine Stellvertreterin. „Stell einen Kontakt zum ESS-Mitarbeiter in Kairo her. Der Sprengstoffexperte soll nach Kairo kommen. Finde heraus, wo das Telefax abgeschickt wurde. Ich brauche noch einen Agenten für Ägypten. In der Deutschen ESS-Zentrale gibt es zwei Agenten, die sich dort auskennen. Versuche einen davon für uns abzuziehen und nach Kairo zu schicken.“

Zwanzig Minuten später schickte ihm die Rumänin die Verbindungsdaten für den ESS-Mitarbeiter in Kairo. Die Daten wurden von ihr aus Sicherheitsgründen chiffriert und auf dem Laptop wieder dechiffriert. Ägypten war ein sogenannter Randstaat. In diesen Ländern arbeiteten die ESS-Agenten verdeckt als Mitarbeiter einer Botschaft Europas.

Randstaaten konnte man auch als Schwellenländer bezeichnen. Im Gegensatz zu den Sicheren Ländern, zu denen die Europäische Union, Nordamerika, Australien und Neuseeland, sowie einzelne Länder in Lateinamerika, Nordafrika und Asien, vor allem Arabien, gehörten, verfügten die Randstaaten über einen niedrigeren Sicherheitsstandard und zahlreiche Schlupflöcher für Kriminelle. Die Randstaaten verfügten im Vergleich zu den Ländern der Unsicheren Zone über stabile Regierungen, gut funktionierende Sicherheitskräfte und eine einigermaßen florierende Wirtschaft. Reisen in die Randstaaten waren günstig und bis auf Kleinkriminalität wie Taschendiebstahl grundsätzlich sicher.

Kurz darauf stand die Bildtelefonleitung zu dem Agenten Rudolf Maybach, der als Wirtschaftsreferent an der Deutschen Botschaft in Kairo tätig war.

„Guten Morgen!“ begrüßte ihn Rizzardi auf Deutsch, eine der Sprachen, welche er beherrschte. „Mein Name ist Stefano Rizzardi, Gruppenleiter 23-14. Geben Sie mir bitte einen Lagebericht.“

„Heute Nacht um 02.12 Uhr Ortszeit erhielten das Innenministerium und das Kulturministerium zeitgleich ein Telefax mit der Bombendrohung für das Archäologische Museum. In Folge der Anschläge in Europa wurde hier bereits der Alarmplan überarbeitet und die Sicherheitsmaßnahmen für das Museum und andere kulturhistorisch wertvolle Plätze verstärkt. Das Innenministerium hat inzwischen angeordnet, dass die wertvollsten Ausstellungsgegenstände aus dem Museum evakuiert, und in einen Bunker der Regierung verfrachtet werden. Militär und Polizei haben begonnen, die betroffenen Stadtviertel abzusichern. Im Museum wird bereits fieberhaft nach Sprengstoff gesucht. Außerdem wurde für Kairo ein Überflugverbot verhängt.“

„Vielen Dank. Veranlassen Sie bitte unsere Abholung. Ich benötige in der Botschaft ein abhörsicheres Büro und eine Liste aller beteiligten Sicherheitsbehörden. Bis nachher.“ Noch müde nutzte er die Zeit des dreistündigen Fluges, um zu schlafen. Sein Laptop war empfangsbereit. Im Falle dringender Notwendigkeiten, die ihm nur seine Stellvertreterin schicken konnte, würde er durch einen Signalton geweckt werden. Anthony Brown hatte es sich ebenfalls bequem gemacht und versuchte zu schlafen.

Eine halbe Stunde später wurden sie vom Laptop geweckt. Auf dem Monitor stand in großen Buchstaben: Anruf!

„Ja. Was gibt´s?“ Rizzardi hasste sich dafür, dass er Schlaf brauchte und nur langsam wach wurde.

Seine Stellvertreterin, im Gegensatz zu ihrem Boss nie müde und immer topfit, war in der Leitung: „Sie haben die Bombe gefunden.“

Noch bevor Rizzardi antworten konnte, mischte sich Brown ein: „Das muss ein Ablenkungsmanöver sein!“

Rizzardi war jetzt hellwach. Was sein Assistent sagte, machte Sinn. Hier war etwas faul. „Wie kommen Sie darauf?“ wollte er von ihm wissen.

„Das Telefax wurde um 01.12 Uhr MEZ, also 02.12 Uhr Ägyptischer Zeit abgeschickt. Die Bombe soll um 15.30 Uhr hochgehen, über 13 Stunden später! Warum so viel Zeit? Nachts ist außer den Wachen niemand im Museum. Warum ist die Bombe so schnell und leicht zu finden? Die wollen ablenken!“ Brown brachte seine Erkenntnisse knapp und schlüssig vor.

„Oder der Anschlag soll gar nicht in dem Museum stattfinden, sondern auf dem Weg zu den Bunkern! Auf jeden Fall ist Zeit genug, um das Museum zu räumen. Mit allen Objekten!“

Er führte das Telefon, welches an seinem Laptop angeschlossen war, wieder an sein Ohr. „Hören Sie! Geben Sie sofort eine Warnmeldung an alle Museen weltweit heraus. Es könnte ein Ablenkungsmanöver sein. Ich rufe in Kairo an und lasse mir einen Lagebericht geben. Benachrichtigen Sie über den Polizei-Strang die Ägypter, dass möglicherweise der Transport das Anschlags-ziel ist, nicht das Museum. Sie sollen das in Betracht ziehen! Sagen Sie denen aber nicht, dass ich unterwegs bin.“

„Verdammt! Warum ist mir das nicht gleich aufgefallen?“ Der Topagent Rizzardi ärgerte sich. Das Manöver war so einfach zu durchschauen. Man hätte gleich merken müssen, dass etwas nicht stimmt.

Mit seinem Kommunikations-Laptop stellte er eine neue Verbindung her. Kairo. „Hallo! Herr Maybach? Ich brauche einen neuen Lagebericht von Ihnen.“ Rizzardi lieferte ihm kurz die Begründung, seinen Verdacht. Maybach versprach sich vor Ort zu informieren und so bald wie möglich zurückzurufen.

Währenddessen mischte sich ein Flugbegleiter ein: „Der Pilot hat vom Kairoer Flughafen Landeverbot erhalten. Wir müssen nach Alexandria ausweichen. Für den Großraum Kairo wurde absolutes Flugverbot erlassen.“

Rizzardi bedankte sich und griff erneut zum Telefon, um seine unermüdliche Stellvertreterin anzurufen: „Irina!“, sprach er sie sofort an, als er sie auf dem Bildschirm erkannte. „Ruf bitte im Kairoer Innenministerium an. Sag, dass der ESS-Agent Brown in dieser Maschine sitzt und in Alexandria landen muss. Sie sollen ihm einen Hubschrauber zur Verfügung stellen und dann irgendwie nach Kairo reinbringen. Gib an, dass er noch einen Assistenten dabei hat. Danke.“

Zu Brown sagte er: „Wir haben es hier mit einem Genie zu tun. Bisher war er uns immer einen Schritt voraus. Wir können nur reagieren. Und immer läuft es so, wie er es will. Ich möchte wissen, mit wem ich es zu tun habe. Es kann nicht sein, dass jemand mit diesen Fähigkeiten nicht bekannt ist. Wie auch immer!“

Der Gruppenleiter wies Anthony Brown an, dass er mit den Vertretern der Ägypter sprechen sollte. Er selbst würde nur zuhören und sich als Experte für Sicherheitssysteme ausgeben.

In Alexandria wurden sie von einem Inspektor der Kairoer Polizei empfangen. Wie gewünscht stand ein Helikopter der Polizei bereit, um sie nach Kairo zu bringen. Auf dem Flug wurden sie von dem Ägypter in fast akzentfreiem Englisch über den neuesten Stand in Kairo unterrichtet. Rizzardi sagte dabei nichts und blickte aus den Fenstern. Draußen dämmerte es bereits und man hatte einen wundervollen Blick über die Landschaften des Nildeltas und der Wüste. Die aufgehende Sonne verursachte lange Schatten hinter Hügeln und Sanddünen.

„Im Namen der Ägyptischen Regierung heiße ich Sie herzlich willkommen. Wir bedanken uns für Ihre Interesse und die angebotene Hilfe. Ich hoffe jedoch, dass unsere Maßnahmen ausreichen werden.“ Der Inspektor war höflich, gab aber zwischen den Zeilen zu verstehen, dass sein Land durchaus in der Lage war, sich selbst zu helfen.

Brown stellte die Fragen: „Wir vermuten, dass die Bombendrohung nur ein Ablenkungsmanöver ist. Es könnte sehr gut sein, dass die Kunstgegenstände aus dem Museum herausgelockt werden sollten, und dann auf dem Weg zu den Bunkern zerstört werden!“

„Selbstverständlich haben wir das in Betracht gezogen. Polizei und Militär haben in Kairo verschiedene Routen abgesperrt. Es herrscht Ausgangssperre in den betroffenen Stadtvierteln. Die Kunstgegenstände werden in Spezial-Lastwagen transportiert, welche sogar die Angriffe aller herkömmlichen Panzerfaustsysteme überstehen. Außerdem ist nur wenigen hochgestellten Kommandeuren bekannt, in welchen der Lastwagen sich die Gegenstände befinden und welche Route sie fahren.“ Der Ägypter klang selbstsicher und stolz.

„Wir müssen Sie trotzdem zu größter Vorsicht auffordern!“ Brown ließ nicht locker. Er versuchte dabei, nicht arrogant zu wirken. Er musste jedoch zugeben, dass die Ägypter einen sehr guten Notfallplan in der Durchführung hatten. „Wir haben es mit genialen Terroristen zu tun. Sie haben es in Europa geschafft, unsere modernsten Sicherheitssysteme zu umgehen.“

Der Inspektor hätte am liebsten geantwortet, dass die modernste Technik sich immer irgendwie umgehen ließ. Wie aber sollte ein Attentat auf einen der Konvois erfolgen, ohne dass der Täter dabei gestellt werden würde? Tot oder lebendig? Und offensichtlich handelte es sich hier nicht um Selbstmordterroristen. Außerdem hatten die Europäer gesagt, dass die Terroristen den Tod und sogar Verletzungen von Menschen vermeiden wollten. Was also konnte passieren? Seine Antwort fiel deshalb kurz aus: „Ich werde Ihnen in Kairo das Museum und die Transporter zeigen.“

Der Hubschrauber erhielt eine Sondererlaubnis, um auf einer zuvor genau festgelegten Flugroute in die Stadt einfliegen zu können und auf dem Dach eines Hotels landen zu dürfen. Anthony Brown ließ sich seine Bedenken, ob sie vielleicht nicht doch abgeschossen werden konnten, nicht anmerken. Er hatte kein Vertrauen in die Sicherheitsorgane der Randstaaten. Vor allem nicht in deren Flugüberwachung und Militär.

Vor dem Hotel bestieg der Inspektor zusammen mit dem Agenten Brown eine Limousine und fuhr zum Archäologischen Museum. Rizzardi ließ sich von einer Polizeistreife zur Deutschen Botschaft bringen. Dort wurde er bereits erwartet und von einem Sicherheitsbeamten in das von ihm angeforderte Büro gebracht. Als er sein Laptop angeschlossen und einen Sicherheitscheck durchgeführt hatte, betrat Maybach den Raum und erstattete Bericht:

„Alles läuft nach Plan. Es gibt einige große Steinklötze, welche nicht abtransportiert werden können. Die bedeutendsten Kunstwerke sind schon verladen. Die erste Bombe ist inzwischen entschärft worden. Mittlerweile sind zwei weitere Bomben gefunden worden. Sie wurden alle in einem neu errichteten Seitentrakt eingemauert.“

Rizzardi lehnte sich zurück und dachte nach. Wenn die Möglichkeit bestand, eine Bombe in einen LKW unterzubringen, dann bedeutete das aber, dass zumindest der Fahrer, vielleicht auch Personen am Straßenrand gefährdet wurden. Konnten das die Terroristen erahnen. Oder waren ihnen die Menschenleben mittlerweile gleichgültig? Und warum ausgerechnet jetzt das Archäologische Museum?

Obwohl Brown mit einem Inspektor der Ägyptischen Polizei unterwegs war, wurden sie an jeder Straßensperre gründlich kontrolliert. Eine genaue Kontrolle bedeutete in diesem Fall sogar, dass sie kurz vor dem Museum aussteigen mussten und das Auto auf Sprengstoff untersucht wurde. Da es nur noch wenige hundert Meter waren, beschlossen sie, zu Fuß weiterzugehen. Es war schon heiß, dabei war es noch nicht einmal Mittag. Brown fragte sich, wie heiß es wohl erst am Nachmittag werden würde und sehnte sich nach dem klimatisierten Auto.

Der Gebäudekomplex war selbst großräumig abgesperrt. Umliegende Gebäude waren bereits evakuiert worden. Grosse, schwere weiße Sattelschlepper fuhren in einen Hinterhof des Museums oder fuhren auf der Strasse davor auf. Es war schwer bei all dem Rangieren den Überblick zu behalten. Wie er jedoch erfuhr, war das eine der Taktiken, mit denen die Polizei Verwirrung stiften wollte. Die LKW´s sahen alle gleich aus, hatten sogar die gleichen Kennzeichen. Unterscheiden konnte die Transporter nur die Zentrale, welche eingebaute Sender über GPS verfolgte.

Brown entschied sich das Gebäude zu betreten, da er sich sicher war, dass die Bombe nicht vor 15.30 Uhr explodieren würde. Wenn es dann noch eine Bombe gab. Als sie den Schauplatz erreichten, wurde gerade gemeldet dass die zweite Bombe entschärft worden war und ein weiterer Sprengkörper eingemauert gefunden worden.

In sicherem Abstand zu dem Museumsgebäude befand sich die eilig eingerichtete Leitzentrale der Evakuierungsmassnahmen. Brown wurde hier dem Einsatzleiter vorgestellt. Der Inspektor übersetzte für ihn. „Wie Sie sehen können, laufen unsere Maßnahmen hervorragend. Bereits seit Stunden sind die wertvollsten Gegenstände dieses Museums, die wertvollsten Gegenstände unserer Vergangenheit, abtransportiert worden. Haben Sie von den Grabbeigaben des Pharao

Tutenchamun gehört? Es ist einer der bedeutendsten Funde der Ägyptischen Archäologie. Zusammen mit der Mumie von Ramses II wurden diese wunderbaren Gegenstände als erstes abtransportiert. Die ersten LKW´s haben den Regierungsbunker bereits sicher erreicht und wurden dort sicher abgestellt.“

Brown wiederholte seine Warnungen. Der Einsatzleiter bedankte sich dafür, wiederholte aber, dass alles in Ordnung wäre. Es blieb dem ESS-Agenten nichts anderes übrig, als seinem Vorgesetzten in der Deutschen Botschaft telefonisch Bericht zu erstatten und die Vorgänge im Museum und den Transportrouten zu beobachten.

Alles lief ab wie geplant.

Weltweit wurden die Sicherheitsvorkehrungen erhöht. Museen blieben geschlossen. Verdächtige Personen wurden festgenommen und verhört, weil sie sich auffallend intensiv für die Sicherheitsmassnahmen interessierten. Zahlreiche Trittbrettfahrer wurden identifiziert und ebenfalls verhaftet. Die Berichterstattung in den Medien über ein Attentat wirkte immer wie ein Signal für die Verrückten dieser Welt, ihrem Wahnsinn freien Lauf zu lassen. Sehr schnell wusste die Polizei, dass diese Art von Bombendrohungen nicht ernst war. Denn welcher richtige Terrorist sprach die Drohungen von seinem eigenen Telefonanschluss oder von seinem jederzeit lokalisierbaren Mobiltelefon aus?

Um 15.15 Uhr räumte die Ägyptische Polizei das Museumsgebäude und alle angrenzenden Gebäude komplett. Um 15.30 Uhr ereigneten sich im Dachstuhl des neu errichteten Nebenflügels zwei kleine Explosionen, die jedoch lediglich Schäden am Gebäude selbst, jedoch an keinem der wenigen verbliebenen Kunstgegenstände verursachten. Die beiden detonierten Bomben waren zwar entdeckt worden, konnten jedoch nicht mehr rechtzeitig entschärft werden.

Um 18.00 Uhr Ortszeit gaben die Sprengstoffexperten Entwarnung. Das Gebäude war komplett abgesucht, keine weiteren Bomben entdeckt worden. Zur Sicherheit wollte man noch einmal 24 Stunden abwarten, bevor das Archäologische Museum wieder betreten werden durfte. Lediglich spezielle Teams der Polizei, ausgerüstet mit Detektoren oder Sprengstoffsuchhunden, durften das Gebäude betreten.

Die Welt atmete auf. Ausgerechnet Ägypten, ein Randstaat, hatte es geschafft, seine Kunstgegenstände in Sicherheit zu bringen. In Europa kritisierten Politiker die eigenen, teuren Sicherheits- und Überwachungssysteme als ineffektiv und lückenhaft. Das Ägyptische Innenministerium setzte noch für denselben Abend, für 22.00 Uhr Ortszeit, eine Pressekonferenz, vor dem Museumsgebäude an.

Rizzardi entsandte seinen Agenten Brown und den mittlerweile eingetroffenen deutschen Experten für Ägypten ans Museum. Sie sollten sich zwei Stunden vor Beginn der Pressekonferenz an Ort und Stelle umsehen, und mit ihrem Sprengstoffexperten Verbindung aufnehmen, dem es gestattet worden war, die entschärften und explodierten Bomben zu untersuchen.

Die beiden Agenten fanden ihn in einem Zelt, das eigens zur Untersuchung der gefundenen Bomben aufgestellt wurde. Mit einem „um was für hochgeheime Spielereien handelt es sich denn diesmal?“ begrüßten sie ihn.

„Nichts besonderes!“ war die Antwort eines fast enttäuschten Experten. „Ganz normale Rohrbomben und TNT, wie es seit Jahrzehnten verwendet wird.“

Brown rief umgehend bei Rizzardi an, der hatte davon aber schon erfahren. „Das bestätigt unsere Theorien. Die Ausstellung, beziehungsweise das Museum waren nie bedroht. Ich glaube trotzdem nicht, dass nichts passiert ist!“

Die beiden Agenten vor Ort wurden angewiesen, die evakuierten Kunstgegenstände auf ihre Unversehrtheit und Echtheit zu überprüfen. „Denken Sie an Paris. Dort wurde nur das Gemälde der Mona Lisa zerstört. Die Mona Lisa in Kairo wäre für mich die Totenmaske von Tutenchamun.“

Bei der ägyptischen Einsatzleitung stießen sie auf taube Ohren. Das hartnäckige Drängen der beiden Europäer veranlasste den Einsatzleiter dazu, dass er einen seiner Männer anwies, ihm das Geheimnis seiner Ruhe zu zeigen. Der junge ägyptische Inspektor führte sie in den Innenhof des Museums, in dem drei weiße Sattelschlepper unter Bewachung standen.

„Das hier sind drei Spezial-LKW. Sie stehen hier seit heute Morgen unter ständiger scharfer Bewachung. In diese Fahrzeuge wurden zuallererst die wertvollsten Artefakte unseres Landes eingelagert. Die LKW´s wurden keinen Meter bewegt. Wir wollten kein Risiko eingehen, dass unterwegs zu den Bunkern etwas geschieht.“

Brown staunte. Es entfuhr ihm ein „Nicht schlecht!“ als Bewunderung für diese Taktik. „Was können Sie mir über diese LKW´s sagen? Wir haben so etwas in Europa nicht!“

Der Ägypter fühlte sich geschmeichelt. Stolz berichtete er: „Diese Spezialtransporter wurden uns vor einem halben Jahr geschenkt. Ein weiser, reicher Mann hat sie der Polizei gestiftet. Er machte sich große Sorgen um die einzigartigen Gegenstände aus unserer Vergangenheit. Sie können diese Container mit Panzerfäusten beschießen und es geschieht nichts. Der Innenraum ist luft- und wasserdicht abgeschlossen.“

„Was brummt denn da?“, fragte der deutsche ESS-Agent nach.

„Das ist ein Kühlaggregat. Der Container ist mit einem besonderen Stahl ummantelt, der gekühlt werden muss. Die Sonne, Sie wissen!“ Bereitwillig gab der Inspektor Auskunft.

Die beiden Europäer sahen sich wortlos aus. Sie dachten beide das Gleiche. Stahl, der gekühlt werden musste? Sie baten den Ägypter darum, einen der Container von innen begutachten zu dürfen.

„Nur der Einsatzleiter vor Ort darf persönlich die Fahrzeuge öffnen lassen. Aus Sicherheitsgründen, Sie verstehen?“.

Um 21.45 Uhr vergewisserte sich der Einsatzleiter der Kairoer Polizei persönlich davon, dass die versammelte Weltpresse, durchleuchtet und für harmlos befunden, auf ihn und die Vertreter der Regierung warteten. Vor den Medienvertretern war ein langer, mit Tischdecken, Blumengebinden und Mikrofonen von Fernsehsendern aus aller Welt bedeckter Tisch aufgebaut. Hinter dem Konferenztisch stand eine noch leere Panzerglasvitrine. Hier sollte in wenigen Minuten die Maske des legendären Pharao Tutenchamun ausgestellt werden. Als sichtbarer Beweis für den Triumph der Ägyptischen Sicherheitskräfte.

Unter seiner Aufsicht wurden die Sattelschlepper in dem Innenhof so aufgefahren, dass man in alle drei Container gleichzeitig blicken konnte. Unter der Anwesenheit hochrangiger Regierungsvertreter und den Vertretern der Presse, wurden die Spezialcontainer geöffnet. Als die Türen aufschwangen, strömte den Zuschauern heißer dunkler Rauch entgegen. Es roch verbrannt. Kurze Zeit darauf war der Rauch verflogen und bot den Versammelten ein Bild des Entsetzens.

Alles kunstvoll verarbeitete Gold und verwendete Metall war geschmolzen. Edelsteine zeichneten sich wie Rosinen aus einem Kuchen in der verschmolzenen Masse ab. Alles andere, egal ob Holz, Knochen oder mumifizierte Haut war restlos zu Asche verbrannt. Dabei war auch die Mumie von Ramses II.

Fassungslos standen die Anwesenden vor den drei Spezial-Backöfen auf Rädern. Die bedeutendsten Kunstgegenstände des Landes, einzigartig und unbezahlbar, waren unwiederbringlich zerstört worden.

Für immer.

Am Ende

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