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Kapitel 3

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Zwei Wochen später

Es war der erste windstille und sonnige Tag seit einer Woche. Einheimische wie Touristen nutzten das schöne Wetter aus. Sie legten sich auf die Wiesen in die Parks, sassen in den Cafés und genossen einen der wahrscheinlich letzten schönen Tage vor dem Winter. Touristen besuchten Schloss Versailles, Sacre Coeur und Notre Dame, oder fuhren den türkisblau gestrichenen Eiffelturm hinauf.

Der Louvre war an diesem Tag wenig besucht. Seinen Ansturm hatte er in den verregneten und windigen Tagen zuvor erlebt. Das Personal konnte wieder durchatmen. Es litt schon zusätzlich durch die verstärkten Sicherheitsvorkehrungen, auf die viele Besucher des Louvre zum Teil mit Unverständnis reagierten. Jede Handtasche wurde durchleuchtet, Aufnahmegeräte aller Art durften nicht ins Museum mitgenommen werden. Das Gleiche traf für jegliche Form von Getränken und Nahrung zu.

Das Sicherheitsbedürfnis des Louvre seit der Vernichtung der Van-Gogh-Gemälde ging so weit, dass in einer Pariser Zeitung eine Karikatur mit nackten Besuchern vor einer schamroten Mona Lisa erschien. Aber anstatt die Gemälde durch Kopien zu ersetzen, präsentierte man stolz die Sicherheitsvorkehrungen für die wichtigsten Bilder. Nein, Kopien konnte man nicht ausstellen. Die Besucher, welche 50 Euro Eintritt bezahlten, wollten die Originale sehen.

Eine halbe Stunde nach Öffnung der Ausstellung, schob eine ungefähr dreißigjährige schlanke Frau schwarzafrikanischer Abstammung in einem farbenfrohen Sommerkleid eine alte Nonne im Rollstuhl in das Sicherheitszelt. Es war eilig errichtet worden und stand vor dem eigentlichen Eingang des Louvre, der gläsernen Pyramide.

Sie schob den Rollstuhl mit der alten Frau in eine Ecke des Zeltes, damit sie Niemandem im Weg standen. Als sie sich vom Rollstuhl wegdrehte, um zur Kasse zu gehen, entdeckte sie einen Bekannten in der Sicherheitsschleuse. „Salut, Francois!“, rief sie ihm mit einem bezaubernden Lächeln zu. Der angesprochene Wachmann winkte zurück. Sein „Salut, Isabelle!“ hörte sie nicht mehr, da die Alte im Rollstuhl sie ebenfalls beim Namen gerufen hatte und eine gewisse Ungeduld durch ein langsames Heben ihrer linken Hand unterstrich.

Isabelle beugte sich über die alte Nonne, die sich in ihrer strengen, dennoch weit geschnittenen schwarz-weißen Nonnentracht verhüllt hatte. Sie streichelte ihr den Arm, redete beruhigend auf sie ein und küsste sie auf die Stirn. Dann versuchte sie erneut zu einem der Schalter zu gelangen. Sie kam sofort dran, legte die ID-Cards von sich und ihrem Pflegefall zusammen mit dem ermäßigten Eintritt von jeweils 30 Euro auf den Tresen. Sie erhielt die beiden Eintrittskarten mit dem Bild der Mona Lisa und eine Quittung, damit sie den Eintritt mit ihrem Arbeitgeber abrechnen konnte.

Vorsichtig schob sie den Rollstuhl zu der rechten Sicherheitsschleuse, die speziell für Menschen im Rollstuhl bereitgestellt wurde. Natürlich stand Francois hier. Sie schob den Rollstuhl durch die Detektortür, worauf sofort der Warnton wegen des für Gestänge und Felgen des Rollstuhls verwendeten Metalls ertönte. Ein paar Touristen blickten erschrocken zu ihnen hinüber.

Francois sagte „Bonjour, Madelaine!“ und erntete ein mehr gekrächztes als gesprochenes „Bonjour!“ von der Nonne.

„Wie geht´s?, wollte der junge Wachmann, immer zu einem Flirt aufgelegt, von Isabelle wissen.

„Gut. Und Dir?“

Aus dem Flirt wurde nichts, denn schon meldete sich die Alte wieder mit einem „Isabelle“ zu Wort und verlangte dadurch zu den Bildern gebracht zu werden. Mit einem Lächeln und einem Achselzucken verabschiedete sich Isabelle wortlos von ihrem Verehrer und schob den Rollstuhl zu einem der Aufzüge. Francois sah ihr lächelnd hinterher. Vielleicht ein anderes Mal, dachte er sich. Sie kam oft genug im Louvre vorbei.

Eine halbe Stunde später waren sie in dem Raum angekommen, in dem die Mona Lisa von Leonardo da Vinci hing. Das berühmteste Gemälde der Welt. Immer noch spekulierte man darüber, wer sie wohl war. Aber das tat ihrem Lächeln und der Faszination, welches davon seit Jahrhunderten ausging, keinen Abbruch. Zwei Wachmänner standen in diesem Raum, damit beschäftigt, den Besucherstrom am Fließen zu halten. Jeder wollte die Mona Lisa sehen. So als würde es nur dieses eine Bild im Museum geben.

In einem Radius von drei Metern um das Bild herum führte eine Absperrung, die sofort Alarm auslöste, wenn sie übertreten wurde. Durchschnittlich einmal in der Woche unterbrach ein vorwitziger Tourist die Lichtschranken. Was dann passierte, hätte man nur in einfach gestrickten Abenteuerfilmen für möglich gehalten. Die Ausgänge des Raumes verschlossen sich. Und wie das Fallbeil einer Guillotine fiel eine Schutzwand aus der Decke, welche das schönste Bild der Welt hinter einer Wand aus 3 Zentimeter dickem Spezialstahl abschirmte. Das Bild selbst war zum Schutz vor Säurespritzern ständig hinter einem nicht reflektierenden Panzerglas, das man als Betrachter in der Regel nicht wahrnahm. Das Vergehen wurde stets mit einer Verwarnung von 1.000 Euro bestraft.

Isabelle rollte die Nonne direkt an die gegenüberliegende beige Wand, an der seit Jahren keine Bilder mehr hingen, weil in diesem Raum nur die Mona Lisa beachtet wurde. Sie richtete den Rollstuhl genau auf die lächelnde Mona Lisa aus und arretierte die Räder des Rollstuhls.

„So,“ sagte sie mit sanfter Stimme, „jetzt kannst Du Dich erst einmal mit Mona Lisa unterhalten. Ich komme gleich wieder.“

Als Antwort ertönte ein „Oui, oui!“ aus dem Rollstuhl.

Im Hinausgehen lächelte Isabelle einem der Wachmänner zu, während sie ihm mit Gestiken andeute, dass sie unbedingt auf die Toilette musste und gleich wieder zurückkommen würde. Isabelle war keine Unbekannte. Mindestens zwei Mal die Woche erschien Isabelle mit einer alten Frau, welche sie pflegte, im Louvre.

Schnellen Schrittes ging Isabelle den langen Korridor hinunter, der auf halbem Weg zu den Toiletten führte. Als sie die Damentoilette erreichte, würdigte sie diese mit keinem Blick. Sie schritt den Korridor weiter in ihrem wallenden, bunten afrikanischen Sommerkleid hinunter. In der rechten Hand hielt sie eine blau glänzende Handtasche, mit der sie ihre schnellen Schritte auszupendeln versuchte.

Das Fax erreichte die Zentrale des Pariser Überwachungsdienstes und die Amsterdamer Kriminalpolizei zeitgleich. Es fiel sofort auf, da Telefaxen als altmodisch galt und nur noch selten angewendet wurde. Im Zeitalter des 3D-Scannens wurde das Telefax nur noch verwendet, wenn man keinen Computer zur Verfügung hatte.

Auf beiden Faxen stand das gleiche: „Räumen Sie den Louvre so schnell es geht. Explosion um 10.09 Uhr Ortszeit. Bestätigungscode: XODZHG305S. Neuer Code: OZSLJFU673X.“ Der Beamte, der in Paris das Fax las, griff sich sofort ein Telefon: „Ich habe eine Bombendrohung für den Louvre. Die Bombe soll in 4 Minuten hoch gehen!“

Als am anderen Ende aufgelegt wurde, klingelte das Telefon sofort wieder. Es war die Amsterdamer Polizei, die den Pariser Überwachungsdienst über das Fax informieren wollte. „Danke, wir haben das gleiche Fax bekommen. Ich rufe später zurück.“ Der französische Kommissar legte auf, wählte sofort die Nummer des Sicherheitsdienstes im Louvre. „Wir haben gerade eine Bombendrohung für 10.09 Uhr bekommen! Evakuieren Sie!“

„Nicht schon wieder. Seit der Sache in Amsterdam haben wir jeden Tag fast 5 Ankündigungen von Attentaten.“ Der Schichtleiter in der Zentrale des Sicherheitsdienstes im Louvre beschwichtigte.

„Das ist keine normale Drohung! Die Nummer unseres Faxgerätes ist nicht öffentlich! Sie sollten es ernst nehmen!“ Der Kommissar schrie fast durch die Leitung.

„Okay!“, war am anderen Ende der Leitung zu hören, bevor die Verbindung unterbrochen wurde.

Der Schichtleiter drückte auf einen der blauen Taste vor sich und sprach in ein Mikrofon: „Achtung! Wir haben wieder eine Bombendrohung. Seht Euch vorsichtig um und meldet alles Ungewöhnliche. Vorsichtshalber räumen wir den Mona-Lisa-Raum.“ Natürlich wurde diese Durchsage nicht von den Besuchern gehört. Nur das Wachpersonal empfing die Mitteilung per Funk direkt über einen winzigen Lautsprecher im Ohr.

Die beiden Wachmänner, die nur auf das Bild der lächelnden Mona Lisa aufpassten, bewegten sich zum Eingang ihres Raumes, vorbei an der eingeschlafenen Nonne im Rollstuhl. Sie forderten Besucher auf, die eintreten wollten, zurückzubleiben und verschlossen per Knopfdruck den Zugang mit einer automatischen massiven Schiebetür. Dann baten sie die Anwesenden wegen einer Übung den Raum zu verlassen. „Sie können gleich wieder das Lächeln genießen. Wir müssen diese Sicherheitsübungen jeden Tag durchführen. Bitte haben Sie Verständnis!“

Einem der Wachmänner fiel Madelaine auf, die friedlich in ihrem Rollstuhl schlief. Sie hatte die Augen geschlossen und das Kinn auf die Brust gesenkt. „Würden Sie bitte die Nonne im Rollstuhl mit nach draußen schieben?“, wies er einen jungen Amerikaner an. Dieser ging zum Rollstuhl, scheute sich davor die alte Frau zu berühren, sprach sie aber an. Als er keine Antwort erhielt, dachte er sich: `Einen guten Schlaf hat sie´, und legte seine Hände an die Griffe des Rollstuhls, um ihn nach draußen zu schieben.

Als es zischte, fiel der junge Amerikaner wie ein Stein zu Boden. Er hatte einen elektrischen Schlag erhalten. Sofort lösten die Wachmänner Alarm aus. Das Gemälde der Mona Lisa verschwand hinter der beschußsicheren Spezialstahlwand. Panik entstand und die noch ungefähr 15 anwesenden Menschen versuchten zum Ausgang zu gelangen, durch den das Licht des dahinter liegenden Korridors schimmerte.

Um 10.09 Uhr ereignete sich eine kleine Explosion im Rollstuhl. Kurz darauf steuerte etwas Raketenähnliches auf die Stahlwand zu. Mit einer ersten Explosion durchbohrte das Geschoss den Spezialstahl, mit einer zweiten Explosion zerbarst das Panzerglas und erzeugte eine Stichflamme. Vom Knall der Explosionen geschockt und von den umherfliegenden Splittern getroffen, sanken die Zeugen der Tat zu Boden und blieben wimmernd liegen.

Eine weitere Explosion ereignete sich im Foyer des Louvre, nahe dem Ausgang. Der laute Knall lähmte und schockte zusammen mit dem grellen Blitz der Explosion. Wenige Sekunden danach füllte orangefarbener Rauch das Foyer. Nichts war mehr zu erkennen. Menschen schrien und heulten in Panik, liefen orientierungslos durch die Halle, stießen gegen Säulen oder andere Personen. Andere wiederum flüchteten vorbei an einem hilflos und unvorbereitet wirkendem Wachpersonal durch den Ausgang nach draußen.

Drei Minuten später unterbrach der weltweit größte Nachrichtensender seine laufende Sendung: „Meine Damen und Herren! Wie ich soeben von der Regie höre, gab es eine Explosion im Pariser Louvre. Nein, es waren sogar mindestens zwei Explosionen. Bislang ist unklar, ob es Tote oder Verletzte gab. Über mögliche Schäden gibt es ebenfalls noch keine Berichte!“

Wieder unterbrachen Radio- und Fernsehsender ihre Programme, brachten Eilberichte und Sondersendungen über die neueste Freveltat. Mindestens 500 Millionen Mobilfunkgeräte in aller Welt signalisierten durch akustische oder optische Signale sowie Vibration den Abonnenten der weltweit führenden „Absolutely Important News“ an, dass es einen Anschlag auf den Louvre gab.

„Natürlich hoffen wir, dass niemanden etwas passiert ist und dass die Gemälde unbeschädigt geblieben sind. Im Louvre befindet sich eine der weltweit größten und wichtigsten Gemäldesammlungen.“

Der Amsterdamer Direktor der Abteilung Sonderaufgaben betrat ohne Anzuklopfen das Büro des Leiters der SK Van Gogh. Aufgeregt klatschte er das Fax auf dessen Schreibtisch.

Dieser las es. Ungläubig öffnete er seine oberste rechte Schreibtischschublade, entnahm ihr eine Kopie des Briefes, den man in Gustav Hasselbachs Wohnung fand. Er stellte fest, dass es der gleiche Code war.

„Wir müssen sofort nach Paris!“, sagte er im Befehlston zu dem Direktor und stürmte aus dem Büro.

Bereits um 12 Uhr Ortszeit war es sicher. Das Schreckliche, das Undenkbare war geschehen. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht in der ganzen Welt. Am treffendsten fasste eine Pariser Tageszeitung mit einer noch am gleichen Abend erschienen Sonderausgabe die Nachricht von dem grausamen Geschehen, diesem furchtbaren, unfassbaren Anschlag auf die Menschheit in eine Schlagzeile: „Mona Lisa wurde ermordet!“

Am nächsten Morgen erschienen Zeitungen in aller Welt mit ähnlichen Schlagzeilen: „Wer hat Mona Lisa getötet? Welche Unmenschen sind zu so etwas fähig? Das schönste Gesicht aller Zeiten wurde zerstört!“

Eine Pressekonferenz der Pariser Polizei wurde für 14 Uhr angesetzt. Ihr wurde mit Spannung entgegengesehen. Gerüchte von Festnahmen machten die Runde. Hatte man den Täter gefunden? Waren es die gleichen Täter wie in Amsterdam? Und die andere Frage: War es das Original-Bild?

Um 8 Uhr morgens fand zuerst die übliche Besprechung im Gebäude des für den Louvre zuständigen Pariser Überwachungsdienstes statt. Neben dem Pariser Polizeichef, dem Chef des Überwachungsdienstes, dem Leiter der wenige Stunden nach der Tat eingerichteten Sonderkommission Mona Lisa und verschiedenen Leitenden Beamten von Spezialabteilungen waren auch Vertreter der Französischen und Europäischen Regierung, sowie die beiden Polizisten aus Amsterdam gegenwärtig.

„Meine Damen und Herren!“ Damit begrüßte der Pariser Polizeichef die Anwesenden und fuhr erst fort, als die Gespräche verstummten und er sich der uneingeschränkten Aufmerksamkeit der Anwesenden sicher sein konnte. „Ich möchte Sie zuerst auf den neuesten Stand unserer Untersuchungen bringen. Es versteht sich von selbst, dass diese Informationen als vertraulich zu behandeln sind. Bitte schön, Monsieur Gaultier!"

Der Angesprochene erhob sich und stellte sich als Chef des Pariser Überwachungsdienstes vor. Es war die zweitgrößte Einzelbehörde dieser Art in Europa, nach London und vor Rom und Berlin. Der Raum verdunkelte sich, nachdem er einem Assistenten ein Zeichen gab. Ein Monitor fuhr aus der Decke des Raumes und warf seine Projektion auf eine gleichzeitig aus der Decke ausgeworfene silberne Leinwand.

„Sie sehen hier Bilder der Überwachungskameras, die wir für sie zusammengeschnitten haben. Die Zeit ist jeweils am linken oberen Bild eingeblendet. Es ist 9.28 Uhr, als die mutmaßliche Attentäterin das Zelt mit der Sicherheitsschleuse betritt. Beachten Sie bitte die Kommunikation zwischen ihr und der Nonne im Rollstuhl. Wie unsere Befragungen ergeben haben, sind die Beiden keine Unbekannten im Louvre. Isabelle Daou ist oder besser war als Pflegerin in einem Altenheim für wohlhabende Pflegefälle beschäftigt. Sie besuchte den Louvre ein bis drei Mal wöchentlich mit verschiedenen alten Damen.“

Die Anwesenden konnten an diesen Bildern nichts Ungewöhnliches feststellen. Einer fragte: „Dieser junge Wachmann, mit dem sie flirtet, ist das ein Komplize?“

„Wir haben ihn bereits verhört und sind uns ziemlich sicher, dass er nichts mit der Durchführung der Tat zu tun hat. Er hatte lediglich das übliche Interesse eines jungen Mannes an einer hübschen jungen Frau!“

„Einer Teufelin hinter einer hübschen Maske!“, kommentierte ein Regierungsvertreter.

Als die hübsche Täterin den Rollstuhl gegenüber der Mona Lisa abgestellt hatte und den Raum verließ, hielt der Film an. „Bevor ich mit den Aufzeichnungen der Überwachungskameras fortfahre, möchte ich auf den Rollstuhl und die alte Dame eingehen. Es handelt sich hier um eine Meisterleistung der Kombination von Hightech - Roboter, modernster Waffentechnik und Täuschung. Anhand dieser Skizze können Sie den Aufbau dieser `Waffe´ erkennen: Der motorisierte Rollstuhl selbst, der aussieht wie jeder andere auch. Lediglich seine Batterie wurde verstärkt, um genug Strom für den Roboter und die Abwehrvorrichtungen zu liefern. Ausgestattet ist die Figur der Nonne neben den Bewegungsapparaten für die Motorik der Arm- und Gesichtsmuskeln auch mit einem ganz gewöhnlichen digitalen Abspielgerät, um den Dialog mit Isabelle Daou aufnehmen zu können. Diese hatte am Griff des Rollstuhls verschiedene Tasten, um unterschiedliche Sätze abspielen zu lassen. Vermutlich gab es auch eine Fernsteuerung, um die Worte abzurufen.“

Er gönnte seinen Zuhörern eine kurze Pause, um die Informationen verdauen zu können. So etwas Raffiniertes hatte keiner der Besprechungsteilnehmer jemals zuvor gesehen. Außer vielleicht der Person, welche den abgedunkelten Raum jetzt betrat und aufgrund des Gegenlichts in seinem Rücken nicht zu erkennen war. Mit einem „Entschuldigung“ setzte er sich auf einen der freien Stühle an der Wand, obwohl er an dem großen Tisch selbst hätte Platz nehmen können.

„Als Mademoiselle Daou den Rollstuhl verließ, aktivierte sie mit Hilfe eines anderen Druckknopfes die elektrische Abwehrvorrichtung ihrer Kampfmaschine. Wer danach den Rollstuhl oder die Figur berührte, erhielt einen Stromstoß, der ihn für kurze Zeit lähmte und zu Boden warf.“ Er ließ die Bilder der Überwachungskamera vorspielen, die den jungen Amerikaner zeigten, wie er den Rollstuhl wegzuschieben versuchte und kurze Zeit später zuckend am Boden lag.

„Zurück zur Skizze. Das Herzstück dieses Apparates ist diese moderne Rakete, dem Prinzip nach eine Panzerfaust. Sie wurde vor ein paar Jahren für den Einsatz in Gebäuden zum Aufsprengen von Stahltüren und Bunkerwänden entwickelt. Das Besondere an ihr ist die kurze Reichweite und die hohe Sprengkraft. Sie ist absolut rückstossfrei und.....“ Er machte eine kurze Pause, um die Dramatik der Information zu erhören: „... wird nur von Sondereinsatzkräften der Europäischen Polizei verwendet. Nicht vom Militär. Und wurde auch nicht an andere Staaten verkauft!“

„Weitere Besonderheiten an dem Apparat: Im rechten Auge befand sich ein Sensor, welcher das Ziel, also das Rechteck des Gemäldes genau ins Visier nahm. Außerdem wurden die Räder des Rollstuhls automatisch blockiert, so dass er sich nicht mehr bewegen oder verschieben ließ.“

„Wie wurde die Panzerfaust ausgelöst?“ Die Frage unterbrach den Vortrag.

„Mit Hilfe einer hoch präzisen Digitaluhr. Genau um 10.09 Uhr, wie auf dem Fax angekündigt, löste der Mechanismus die Zündung aus.“ Auf der Leinwand konnten die Experten und Vertreter der Politik verfolgen, wie Panik in dem Museumssaal ausbrach, die Stahlwand vor das bedeutendste Gemälde der Welt stürzte, um Sekunden darauf aufgesprengt zu werden.

„Was ist mit der Attentäterin?“, wollte einer der Regierungsvertreter wissen.

„Dazu kommen wir jetzt,“ erwiderte der Chef des Überwachungsdienstes. „Sie sehen hier die Aufnahmen, wie sie das Museum verlässt. Achten Sie bitte auf die blaue Handtasche! Zuerst dachten wir, sie hat sie von einem Komplizen im Museum erhalten. Als wir die Bilder aber genauer auswerteten, entdeckten wir, dass sie die Handtasche aus einem Fach an der Rollstuhlseite herausgezogen hatte, als sie die Roboter-Nonne vor die Mona Lisa schob. Sie schob die Handtasche so geschickt unter die weiten Ärmel ihres Kleides, dass es keinem auffiel.“ Die Bilder aus dem Ausstellungsraum der Mona Lisa wurden nochmals eingeblendet und angehalten, als die Handtasche für kurze Zeit zu sehen war.

„Als sie das Foyer betrat, entnimmt sie diesen kleinen Beutel, der wie ein zusammengeknülltes Papiertaschentuch aussieht, der Handtasche, wirft einen Blick auf die Uhr und schleudert das Päckchen in einen Mülleimer. Wie Sie sehen, ist es 10 Uhr, 8 Minuten und 55 Sekunden. Wie Sie erkennen können, ist das ganze absolut präzise geplant worden!“

Wieder wurde Monsieur Gaultier durch eine Frage unterbrochen: „Wurde sie gefasst?“

„Nein! Als sich der Rauch des Nebelkörpers verzogen hatte, fanden wir ihr Kleid und die Handtasche. Wie Sie hier sehen, verließ sie den Louvre in Jeans und T-Shirt und einem Taschentuch vor dem Gesicht, das geschickt ihre Augen verbarg. Aufgrund dieser Täuschung suchten unsere Männer mindestens zwei Stunden mit einer falschen Personenbeschreibung. Auch die Fahndung mit Hilfe des Eyescannings blieb erfolglos.“

Der Chef des Überwachungsdienstes gab seinem Assistenten wieder ein Zeichen, worauf dieser das Licht wieder einschaltete. Leinwand und Monitor verschwanden geräuschlos in der Decke. „Damit bin ich am Ende meiner Ausführungen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!“

Der ranghöchste Vertreter der französischen Regierung meldete sich zu Wort, ohne auf die Ausführungen der nächsten Spezialabteilung zu warten: „War es das Original?“

Alle Augen wanderten vom Fragesteller den Tisch entlang zu einem gross gewachsenen Mann, der jetzt seltsam klein und verloren auf seinem Stuhl in der Runde saß: „Ja!“, antwortete er und gab jeglicher Hoffnung den Todesstoß. „Ja! Es war das Original!“

Um 14 Uhr wurde die Pressekonferenz pünktlich eröffnet. Obwohl im Gegensatz zu Amsterdam nur ein Bild zerstört wurde, waren doppelt so viele Journalisten anwesend. Und zehn Mal so viele Fernsehsender übertrugen die Pressekonferenz live.

Der Chef der Pariser Polizei eröffnete die Konferenz und ließ wie bereits am Morgen, nur in gekürzter Fassung, den Chef des Überwachungsdienstes ausgewählte Bilder der Überwachungskameras kommentieren. Danach stellte er sich den Fragen der Presse aus aller Welt.

„Gab es Verletzte oder Tote?“

„Keine Toten. Es wurden neun Menschen verletzt, die alle noch im Krankenhaus behandelt werden. Es befindet sich niemand in Lebensgefahr. Aller Voraussicht nach wird es keine bleibenden Schäden geben!“

„Gab es eine Warnung vor dem Attentat?“

„Es ging eine Ankündigung ein. Alle Vorsichtsmaßnahmen wurden sofort eingeleitet. Und ich betone, dass sich die Sicherheitsvorkehrungen auf einem außergewöhnlich hohen Niveau befanden!“

„Wer steckt hinter diesem Anschlag? Sind es die gleichen Täter wie in Amsterdam?“

„Verschiedene Indizien weisen auf die gleichen Täter hin. Wer es ist, wissen wir noch nicht!“

„Was für Indizien?“

„Aus polizeitaktischen Gründen kann ich dazu noch keine Stellung beziehen. Ich bitte um ihr Verständnis.“

„Was wird getan, um die weitere Vernichtung unseres Kulturgutes zu verhindern?“ Mit der Verminderung der Lautstärke nach dieser Frage erhöhte sich die Spannung im Saal. Der französische Minister für Kultur gab ein Zeichen, dass er die Frage zu beantworten wünschte: „Ab morgen bleiben alle wichtigen Museen in Europa geschlossen. Wir haben bereits mit der Erarbeitung eines umfangreichen und wirkungsvollen Sicherheitskonzeptes begonnen.“

In der Niederlassung Frankreich des European Security Service, etwas außerhalb von Paris, wurde zeitgleich zur Pressekonferenz eine verdeckte Operation eines Ermittlungsteams verfolgt. Via Satellit wurde das Eindringen von zehn Männern und drei Frauen in ein heruntergekommenes Bürohochhaus in Lagos, Nigeria, verfolgt.

Das Team war in der Nacht von Europa aus kommend auf einem amerikanischen Flugzeugträger im Golf von Guinea gelandet, dort mit Hubschraubern bei drei Fischerbooten vor der Küste Nigerias abgesetzt worden. Mit den Booten landeten sie in einem verschlafenen Fischer- und Schmugglerdorf fünfzig Kilometer östlich von Lagos. Weiterhin unbemerkt gelangten sie mit zwei alten, angerosteten LKW´s nach Lagos zu dem Gebäude, in welchem sich der Telefaxanschluss befand.

Von Europa aus konnte der Anschluss ermittelt werden. Die Firma, welche die Räumlichkeiten und den Telefaxanschluss mieteten, war nicht bekannt. Auch die Kontaktleute des ESS in Nigeria konnten nichts in Erfahrung bringen.

Während drei Mann bei den LKW blieben, eine Frau und ein Mann den Eingang sicherten, drang der Rest der Crew in die Büroräume der verdächtigen Firma ein. Zwei Männer sicherten Zugang und Flur zum Büro, der Rest durchforstete die Firma.

Die Aktion wurde direkt nach Europa übertragen. Die Tür war leicht zu öffnen. In den Büros war es angenehm kühl, die Klimaanlage lief. Die Räume selbst waren leer. Keine Möbel, keine Schriftstücke, kein Müll. Lediglich das Telefaxgerät befand sich auf dem Boden direkt neben dem Anschluss in der Wand. Das Team packte seine Ausrüstung aus, begann mit der Suche und Sicherstellung von Spuren. Der Boden wurde mit Spezialstaubsaugern abgesaugt, Ritzen in Wänden und Böden wurden mit Pinseln nach Haaren, Schuppen, allem, was auf die Täter hinweisen konnte, gesäubert. Selbst die Abflussrohre in den Waschräumen wurden untersucht.

Zwei Stunden später verließ das Team wieder das Bürogebäude. Die Kontaktleute hatten während der „Säuberungsaktion“ Befragungen durchgeführt. Obwohl sie auch mit Geld nachhalfen, bekamen sie nur heraus, dass ein Mann telefonisch das Büro gemietet hatte, telefonisch den Telefaxanschluss beantragt hatte. Die Miete und andere Kosten wurden bar bezahlt, durch einen Kurier überbracht. Und: In diesem Teil der Erde gab es keine Überwachung wie in den europäischen Städten.

„Was bedeutet dieser Code auf der Warnung vor dem Attentat?“ Die Frage stellte der Pariser Polizeichef dem Leiter der Sonderkommission Van Gogh.

In dem Büro des Polizeichefs waren nur wenige hochrangige Polizisten und Ermittler anwesend, sowie der Agent des ESS, Anthony Brown.

„Es scheint ein Gewährleistungscode zu sein, den wir auf einem Brief des Van-Gogh-Attentäters gefunden haben.“ Die Stimme des Amsterdamer SK-Leiters war ruhig, aber monoton. Im Gegensatz zu seinen Gedanken. Es war keine Unterhaltung mehr, es war ein Verhör.

Anthony Brown schaltete sich ein: „Warum haben Sie die Sache mit dem Code für sich behalten?“

„Weil ich dadurch den Täter, die Hintermänner, verunsichern wollte. Damit sie einen weiteren Brief schicken würden, damit sie Fehler machen würden.“ Die Aussage grenzte schon fast an ein Stammeln.

Kühl und sich der Macht seiner Schlussfolgerungen bewusst fuhr der ESS-Agent fort: „Der Code stellt so etwas wie ein Authentizitätsmerkmal dar, der die echten Attentatswarnungen von den Trittbrettfahrern unterscheiden soll. Vielleicht sollte das Gemälde gar nicht zerstört werden. Vielleicht sollten auch die Menschen gar nicht verletzt werden! Haben Sie daran schon einmal gedacht?“ Anthony Brown blickte den SK-Leiter an wie eine Schlange, die ihr Opfer kurz vor dem Giftbiss hypnotisiert.

„Wir haben sofort nach Eingang des Fax in Paris angerufen!“, verteidigte sich die in Lebensgefahr schwebende Maus.

„Wissen Sie wie viele Drohanrufe jeden Tag seit den Anschlägen in Amsterdam für Museen, Gemäldesammlungen und Ausstellung weltweit eingehen? Dieser Code, den Sie für sich behalten haben, dessen Existenz Sie für sich behalten haben, hätte den Unterschied zwischen echt und unecht ausgemacht!“

Noch am Abend des gleichen Tages wurde ein Ermittlungsverfahren gegen den Leiter der Sonderkommission Van Gogh eingeleitet. Wenige Tage später wurde er aus dem Polizeidienst entlassen. Aufgrund „persönlicher Gründe“ wie der Presse gegenüber verlautbart wurde. Immerhin hatte es in seiner Hand gelegen, das bedeutendste Gemälde der Welt vor einer barbarischen Tat zu retten. Jetzt war es unwiederbringlich verloren. Zerstört für alle Zeiten. Nie wieder würde ihr Lächeln die Menschen verzaubern. Nie wieder!

Am Ende

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