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2. Aneignungen und Exilforschung in der Zeit des Nationalsozialismus

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Weimarer Republik

Schon in der Weimarer Republik, also vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten, wurde zum einen von den Schiller-Interpreten so viel Achtung gegenüber Schillers Texten abverlangt, dass Claudia Albert von Unterwerfung als Haltung spricht, zum anderen wurden diese zur Projektionsfläche beliebiger Ideen und Ideologien, sodass die Interpretationsarbeit kaum mehr etwas mit den Texten zu tun hatte. Nach 1933 setzte sich daher zunächst ein bereits begonnener Trend der Schiller-Interpretation fort (Albert 1998, 788).

Unterschiedliche Interpretationen nach 1933

Dabei kann man, wie die neuere Forschung zu den Kulturwissenschaften im Dritten Reich feststellt, nicht von einer absolut gleichgerichteten Interpretationspraxis ausgehen. Insbesondere der Streit zwischen Gerhard Fricke, der für eine penible Interpretation eintrat, die das Verhältnis zwischen Religion und Dichtung betonte, und Herbert Cysarz mit seiner Aneignung Schillers im expressionistischen, ekstatischen Stil spiegelte den generellen Konflikt zwischen verschiedenen Persönlichkeiten und Abteilungen im nationalsozialistischen Universitätssystem, der durchaus politisch erwünscht war, auch im Sinn einer Machterhaltung von oben (Albert 1998, 790).

Aneignungen durch das NS-System

Leider boten die ästhetischen Offenheiten der Klassiker, die man auch als Qualitätsmerkmal deuten konnte, Möglichkeiten, den Freiheitsdichter für eine Diktatur in den Dienst zu nehmen. So erkannte Ernst Bertram 1934 in Schiller den „Führermenschen“ und empfahl ihn als „überdauernde Vorgestalt“, in ihr bündele sich der Anspruch „starker Ordnung“, „staatlicher Zucht“ und „metaphysisch-sittlicher Freiheit“. Neben Josef Nadler als weiteren Vertreter einer NS-affinen Neudeutung unter völkischen Gesichtspunkten drängte sich Heinz Kindermann in den Vordergrund, der erst Germanist war und dann die Theaterwissenschaft in Wien begründete (Englhart 2008); er sah, wie er am 10. November 1934 im Völkischen Beobachter schrieb, in Schiller den „Dichter der heldischen Lebensform“. 1934 veröffentlichte Cysarz sein Buch Schiller, das methodisch der geistesgeschichtlichen Literaturwissenschaft zuzuzählen ist. Darüber hinaus fällt der expressionistische Stil Cysarz’ auf: „An der Drei-Länder-Ecke von Kunst, Philosophie und Religion ragt einer der kühnsten Leuchttürme, die die christliche Menschheit erblickt hat. Nie haben flammendere Garben ins Tiefste des Menschen hinein, ins Fernste des Weltalls hinaus geleuchtet.“ Bei Schiller gehe es „nicht nur um Dichtung als Dichtwerk; hier gilt es die Grenzen der Dichtung, ihr Sakrament, ihr Schicksal“ zu beachten (Oellers 1976, XLVII). Weimar war für Cysarz der „größte Herd jenes ästhetischen Staats, den dann Richard Wagner und Stefan George suchen“, dort wurde die „Kunst zur Mutter der Kultur, wie dies nachmals am lautesten Nietzsche fordert“, es ging „um das Größte: um Sein oder Nichtsein des Menschen im Weltall“. Schon 1927 erschien Frickes Der religiöse Sinn der Klassik Schillers, worin der Idealismus in seinem besonderen Verhältnis zum Christentum erörtert wurde, sodass die Verbindung in der „Polarität von Sollen und Sein“ zutage trat, eine Interpretation entgegen der Intention Schillers, diese Polarität durch die Ästhetik aufzuheben (Zeller 1983, 32ff.). Schiller und Kleist als politische Dichter folgte 1934, Fricke schreibt aus „nationalsozialistische[r] Überzeugung heraus“: die „Wirklichkeit und die Werte, aus denen und für die wir leben, sind weithin andere als die des deutschen Humanismus und Idealismus, die Goethezeit ist für uns endgültig Geschichte geworden“. So würden Schillers Dramen dessen „reine Gesinnung“ aufzeigen, was sie jedoch von der „Wirklichkeit menschlichen und völkischen Lebens“ abtrenne. Hermann Pongs untersuchte Schiller auf der Grundlage einer „existenziellen Literaturwissenschaft“ auf dessen „innere Urbilder“ in der Verbindung der Freiheit zu dem „existenziellen Untergrund“, wobei dessen „Volksbindung“ wichtig sei (Albert 1998, 791).

Kriegsjahre

Benno von Wiese, der sich von Pongs und Cysarz distanzierte, orientierte sich 1938 in seinem Werk über Schiller an den Begriffspolaritäten Politik und Tragödie sowie Realität und Idealität. Diesen Ansatz konnte er als Hochschullehrer ohne große Schwierigkeiten nach 1945 weiter verfolgen, während Pongs und Cysarz zwangsemeritiert wurden (Ruppelt 1979, 59ff.). Noch während des Krieges begann man 1943 mit der Nationalausgabe der Werke Schillers im Auftrag des Goethe- und Schillerarchivs, des Schiller-Nationalmuseums und der Deutschen Akademie. Verantwortlich für dieses in dieser Zeit eigentlich unwahrscheinliche Projekt waren Julius Petersen und Gerhard Fricke. Norbert Oellers zufolge stand im NS-Staat keineswegs Schiller im Zentrum der literaturwissenschaftlichen Forschung. Was die Dramatik betraf, so war Kleist der wichtigere, und in der Lyrik rangierte Schiller hinter Hölderlin. Auf den Bühnen hingegen wurde zumindest am Anfang des Dritten Reichs Schiller immer noch häufiger als Kleist und Goethe gespielt. Diese Popularität schützte die Stücke, etwa den Wilhelm Tell, nicht davor, zensiert oder gar verboten zu werden.

Exilforschung

Die Exilforschung zu Schiller versuchte, dessen demokratische und revolutionäre Seiten gegen Hitler anzubringen. Georg Lukács’ Schillers Theorie der modernen Literatur aus dem Jahr 1935 verfolgte eine die Widersprüche nicht unterschlagende Interpretation (Albert 1998, 782f.). Im Exil betonte man generell Schillers revolutionäre und komplexe Seite, während die im Land verbliebenen Schiller-Forscher die Texte eher einseitig interpretierten, wenn nicht gar ideologiekonform lasen. Dokumentiert sind jedoch Publikumsreaktionen in den deutschen Theatern, die als subversiv gedeutet werden konnten, etwa Applaus zu einer Szene aus Don Karlos, in der Posa seine berühmte Forderung nach Gedankenfreiheit stellt (Ruppelt 1979, 46ff.).

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