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4. Entideologisierungen seit den 1970er Jahren

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Politische Deutungen

Danach war die Zeit der wichtigen Schiller-Biografien und der geistesgeschichtlichen Methode vorüber, geistesgeschichtlich-existenzielle Deutungen wurden von dezidiert politischen abgelöst. Trotz aller Verdienste fehlten diesen mentalitätsgeschichtliche oder diskursanalytische Zugänge. Insgesamt gesehen löste nun eine Vielzahl an Sammelbänden die Monografie ab, vielleicht auch deshalb, weil in einer Monografie der heutige, zunehmend multiperspektivische Ansatz kaum möglich war.

Interpretationsindustrie und Methodenpluralismus

Koopmann spricht zwar von keinem tiefen Einschnitt in der historischen Schiller-Forschung, aber es bildeten sich Tendenzen heraus, welche die nächsten Jahre prägten. Dies geschah zunächst quantitativ, denn nun nahm die Schiller-Forschung einen Aufschwung, den man als Interpretationsindustrie bezeichnen könnte. Das kann keineswegs nur negativ bewertet werden, denn sie vergrößerte auch die Bandbreite an Perspektiven, ein Methodenpluralismus verdrängte die aufgezwungene Einheit und künstliche Eindeutigkeit bisheriger Interpretationen. Erst in dieser Multiperspektivität wurde man der Vieldeutigkeit der Schiller’schen Werke gerecht, es konnte nun von einer Entideologisierung oder gar postmodernen Vielfalt gesprochen werden.

Rezeptionsforschung und Neopositivismus

Diese Vielfalt korrelierte gut mit der Rezeptionsforschung beziehungsweise mit der Verlagerung von werkimmanenten und die Einheit des Werkes in den Vordergrund stellenden Interpretationsprojekten hin zur Aufmerksamkeit für den Interpretationsakt und die Wahrnehmung des Rezipienten. Sie war automatisch mit größerer Offenheit und Interpretationstoleranz gegenüber dem Werk verbunden (von Umberto Eco bis Wolfgang Iser). Um nicht ganz einen wissenschaftlichen Rahmen zu entbehren, hielt gleichzeitig ein gewisser Neopositivismus Einzug, wichtig wurden die Fakten und das durch historische Quellen Belegbare, auch Einflüsse des US-amerikanischen „close reading“ nahmen zu.

Von der Buchbindersynthese zu thematischen Einheiten

Insofern erstaunt es nicht, dass man sich zu Beginn der 1970er Jahre kaum mit umfassenderen Zusammenhängen beschäftigte, ganz praktisch gesehen tendierte die Schiller-Forschung zum Teil zur „Buchbindersynthese“, also zur Integration mehrerer, auch divergenter Aufsätze in Sammelbänden. Erst in den 1980er und 1990er Jahren ging es wieder mehr um thematische Einheiten, die sich um damit verbundene Tagungen gruppierten (Koopmann 1998, 845).

Gesellschaftspolitische Position Schillers

Der große neue Interpretationstrend der 1970er Jahre folgte der Zeit nach 1968 und versuchte, Schillers gesellschaftspolitische Positionen zu bestimmen. Bekannt wurde Dieter Borchmeyers Tragödie und Öffentlichkeit. Schillers Dramaturgie im Zusammenhang mit seiner ästhetisch-politischen Theorie und der rhetorischen Tradition (1973), wichtig war die Frage nach der Beziehung zwischen dem Ästhetischen und dem Politischen. Wenig bis gar nicht interessiert war man an den Medien, an der Bühne oder dem Theater bzw. den performativen Künsten, überhaupt der Anthropologie in der Schauspielkunst. Mit der Fokussierung auf das Gesellschaftspolitische wurde Schillers Lyrik vernachlässigt. Im Mittelpunkt der Deutungen und Analysen stand die Dramatik, denn diese Gattung ließ sich am besten mit gesellschaftspolitischen Erörterungen verbinden, man untersuchte Die Räuber, Kabale und Liebe, Don Karlos und Wallenstein. Dass dabei Klassenkonflikte, insbesondere zwischen Bürgertum und Adel, im Vordergrund standen, verwundert nicht. Die meisten Diskussionen hat es um Wallenstein gegeben, gerade weil das Handeln oder Nichthandeln Wallensteins nach Interpretation verlangte, vor allem auf der Grundlage der Frage nach dem Wirken und Wesen der Geschichte respektive der Geschichte als „Sinn- und Handlungszusammenhang“ und der ästhetischen Reflexion dieser Frage in der Dramatik. Koopmann zufolge galt sowohl für den Wallenstein als auch für den Don Karlos, dass die entscheidenden Diskussionen und Neuinterpretationen erst in den 1970er Jahren begannen (Koopmann 1998, 832, 851ff. und 874f.). Dass gerade Wilhelm Tell ausgiebig auf gesellschaftspolitische und geschichtsphilosophische Bezüge hin untersucht wurde, passt in diese Entwicklung.

Strukturen und Marxismus

Neu war auch, dass man sich nun mehr für Schillers Erzählungen interessierte, die bis dahin in der Forschung kaum beachtet worden waren. Gerade die Untersuchungen von Strukturen nahmen in den 1970er Jahren zu. Was Schillers ästhetische Philosophie betrifft, so ging es auch hier um die politischen Bezüge und Motive. Generell konnten die Interpretationen in dieser Zeit auch in Westdeutschland marxistische Perspektiven einnehmen, gerne wurde Schillers Fokussierung auf die Ästhetik als Flucht aus der unerträglichen politischen Wirklichkeit gedeutet.

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