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2. Theaterinszenierungen und Lektüren

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Inszenierungen des Regietheaters

Aktuell bleibt Schiller in den Inszenierungen des Regietheaters, etwa in der Produktion des Wallenstein durch Rimini Protokoll oder durch postdramatische Inszenierungen der Räuber von Nicolas Stemann. Trotz oder gerade wegen der Abkehr von Schiller als führendem Autor in den 1960er Jahren beginnt das Regietheater der Gegenwart mit einer prominenten Schilleraufführung, mit den Räubern, inszeniert von Peter Zadek 1966 auf der Bühne des Bremer Theaters mit dem prägnanten Pop-Art-Bühnenbild von Wilfried Minks. Diese Inszenierung markierte im deutschsprachigen Raum den Eingang in die Zeit der Popästhetik und zugleich in die der Postmoderne, in der nach Leslie Fiedler die Grenzen zwischen E- und U-Kultur programmatisch durchlässig oder vor dem Hintergrund einer nun herrschenden Popular Culture zum Verschwinden gebracht wurden (Popular Culture, 34). Auch Schiller war zu Lebzeiten, zumindest in seiner ersten Schaffensperiode, Teil einer Popular Culture, die mehr oder weniger subversiv gegen die herrschende Kultur des Adels gerichtet war. Dies änderte sich in Weimar, vor allem in der Zusammenarbeit mit Goethe, dennoch verlor Schiller nie seine Lust auf das formal und inhaltlich Neue sowie seinen Mut zum Experiment. Dass er schnell zum Klassiker und zum führenden deutschen Schriftsteller des 19. Jahrhunderts avancierte, hat vielleicht auch etwas mit einem grundlegenden Missverständnis und durchaus beabsichtigten Fehlinterpretationen seiner Werke und Person zu tun.

Inszenierungen des Klassikers

Schullektüre und aktuelle Bühneninszenierungen stützen sich zu einem großen Teil auf einen Kanon an überlieferten Theatertexten, von denen einige heute als Klassiker bezeichnet werden. Mit dem Begriff der Klassik – auf einen Zeitraum kultureller Höchstleistung bezogen – assoziiert man einen so konstruierten wie normativen Gehalt. An sich scheint der Wortgebrauch des Begriffs Klassik vage und diffus zu sein. Dies liegt an der historischen und inhaltlichen Bedeutungsvielfalt und letztlich daran, dass er nicht ein Begriff der ästhetischen Produktion, sondern der Wirkung, Rezeption und Erfahrung ist (Erken 2003).

Dass die Klassiker in der heutigen Zeit wieder wichtiger zu werden scheinen, liegt nicht zuletzt auch an den zunehmenden Diskussionen über die Historisierung der Postmoderne, welche den erkenntnistheoretischen Skeptizismus der Moderne durch einen ontologischen Skeptizismus ersetzte. Die dialektische Reaktion ist die aktuelle Diskussion eines Kanons, die auch die Frage nach den Klassikern wieder auf die Tagesordnung bringt.

Popästhetische und postdramatische Einflüsse

Generell werden auch heute noch Klassikerinszenierungen gerne gegen die Einfälle des Regietheaters in Schutz genommen, obwohl die Toleranz seit den 1960er Jahren sukzessive größer geworden ist. Noch um 1970 war das Verhältnis von Regietheater und Klassiker „nur als Gegensatz denkbar und in mehrfacher Hinsicht ein Ärgernis“ (Erken 2003, 309). Mit Peter Zadeks Maß für Maß und Peter Steins Inszenierung des Torquato Tasso, neben Zadeks Räubern ebenfalls in Bremen, öffnete sich das deutsche Theater der Klassiker popästhetischen und postdramatischen Einflüssen. Das Regietheater galt zur damaligen Zeit als Leitbegriff der Progressiven, während sich die Konservativen unter dem Banner der Werktreue um die Klassiker scharten. Diese gaben für die „modernen ,Regiebarbaren‘“ (Erken 2003, 309) ein dankbares Ziel ab, im avancierten Theater machte man sich an das ,Umfunktionieren‘ der Klassiker. Der Streit um das Regietheater ging mitten durch das Publikum, brach jedoch auch unter den Theatermachern selbst aus. Heute, 35 Jahre später, ist das Regietheater kein Anlass mehr zur Hysterie. Allerdings hält die Diskussion an und verstärkt sich in der letzten Zeit wieder. Unlängst hat sich sogar Peter Zadek kritisch gegenüber dem Theater der jüngeren Generation geäußert, deren „Konzepttheater“ sei „so eins zu eins und plump und stilisiert“, er sähe nur noch den „Einfall“, dem sich alles unterzuordnen habe und er vermisse die „Geschichtenerzähler“. Das, „was eigentlich der Sinn von Theater ist, nämlich über den Menschen etwas zu erzählen, das finde [er] nicht mehr“ (Zadek 2005). Diese Aussage ist schon deshalb bemerkenswert, weil Zadek einer der Begründer des deutschen Regietheaters im engeren Sinn ist.

Die ewige Frage nach der Werktreue

Mit seiner Schillerinterpretation, in der nicht nur theatralisierte Signale der Pop Art vorherrschten, sondern das Verhaltensrepertoire der Figuren aus dem populären Hollywoodfilm und den Comics übernommen wurde, stellte er die Kategorie der Werktreue infrage, verdeutlichte er doch, dass Schillers Stück zu seiner Zeit populär und nicht ohne erfolgssuchende Trivialitäten war – es sorgte ja nicht von ungefähr bei seiner Uraufführung 1782 in Mannheim für einen riesigen Theaterskandal. Heute polemisiert Zadek dezidiert nicht gegen das Regietheater, sondern gegen das von ihm so genannte „stilisierte Theater“. Regietheater, wie er es seit seiner Bremer Zeit in den 1960er Jahren gemacht hatte, sei für ihn „zwar ausgefallen, aber ganz realistisch“ gewesen (Zadek 2005). Am Gegensatz zwischen „stilisiertem“ und „realistischem“ Theater entzündet sich auch die Frage nach dem Politischen des Theaters. Der Verdacht besteht, dass das Regietheater paradoxerweise vielleicht wieder den Weg zurück zum apolitischen Theater der 1950er Jahre geht, in dem Gustaf Gründgens die Historisierung seiner Klassiker verweigerte und gesellschaftliche Faktoren vernachlässigte, während er das geistig Wesentliche in der „Überformung, Abstraktion und Stilisierung“ (Erken 2002, 322f.) suchte.

Das Theater als moralische Anstalt

Mit Schiller hat das Theater die Aufgabe als moralische Anstalt zugewiesen bekommen, auch wenn die Überlieferung den Begriff der Moral, bei Schiller mit der Vernunft verbunden, verengte. Die Frage lautet bereits seit einiger Zeit, ob das Theater der Gegenwart seine historische und gesellschaftspolitische Relevanz in einer globalisierten Medienwelt noch für sich behaupten kann. Oder anders gesagt: Hat nicht das Fernsehen die Funktion des Theaters als moralische Anstalt, als bürgerliches Identitätsmedium, beinahe in Gänze übernommen? Und gelingt es dem Theatertext noch, wie es Schiller in seiner Vorrede zu den Räubern als Anspruch formulierte, dass es ein „Vorteil der dramatischen Methode“ sei, die „Seele gleichsam bei ihren geheimsten Operationen zu ertappen“ (NA 3, 5)? Figuren im Theater, aber auch in Erzählungen und Romanen scheinen heute wieder eine Identifikation zu erlauben, obwohl sie der bewussten Dezision nicht entkommen; das Mit-Leiden und die Erkenntnis von Ähnlichkeiten bleiben möglich, da die Lebenswelten der Figuren bekannt erscheinen, wiewohl sie verfremdet werden. Die Anwesenheit der Figuren wird glaubhaft dargestellt, während ihre De-Konstruktion nicht generell verhindert wird, zum neu entdeckten Anthropologischen gesellt sich das konventionell (Neo-)Strukturelle, obgleich dies in den Hintergrund getreten ist. Die Substanz der Figuren bleibt glaubhaft, während ihre Konstruiertheit nicht geleugnet wird. Sie halten die Waage zwischen fremd und vertraut, zwischen Stereotyp und Andersartigkeit. In der Anerkennung des Anderen geht es auch wieder um Aufklärung. Man nimmt sich heraus, so Lukas Bärfuss, der die Absurdität des Daseins und die Suche nach Transzendenz in seinem bekannten Stück Der Bus thematisiert, wie einstmals Schiller das Theater wieder als moralische Anstalt zu verstehen. „Mein Anspruch ist nicht ohne Pathos. Der Zuschauer soll den Appell spüren: Ändere dein Leben! Ich will, dass das Theater wieder Fragen stellt. Wozu dient Freiheit? Wie gehen wir miteinander um?“ Und was den Dialog betrifft, meint er: „Der Mensch ist keine Insel. Wir können uns nicht selbst erlösen oder auch nur für uns selbst das Glück finden. Das gelingt nur durch das Du.“ (Bärfuß 2005) Insofern wäre Schiller auch als gegenwärtig hochaktueller Vertreter einer neuen Aufklärung zu interpretieren, zu lesen und aufzuführen.

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