Читать книгу Einführung in das Werk Friedrich Schillers - Andreas Englhart - Страница 6

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I. Der Autor Schiller: Präsenz und Aktualität

1. Der Klassiker heute

Seit einiger Zeit interessiert man sich wieder mehr für das Werk und die Person von Friedrich Schiller. Als Klassiker, Dichter der Freiheit und Vertreter des Idealismus bekommt seine Stimme in einer Zeit, in der die Postmoderne in die Jahre kommt, mehr Gewicht. Bemerkt wird, dass sein populäres Bild weit weniger Ambivalenzen und Entwicklungsstadien sehen lässt als – bei genauerer Betrachtung – sein Werk. Das Interesse an Schiller war stets gemischt, sein Status als Klassiker schwankte zwischen Ent- und Reaktualisierung. Auch das Theater, insbesondere das deutschsprachige Regietheater, trug bis vor Kurzem nicht unbedingt dazu bei, Schiller zugänglicher zu machen. Er ist vom 19. Jahrhundert bis heute einer der meistaufgeführten Dramatiker und gerade die umstrittenen Inszenierungen bezeugen die anhaltende Aktualität. Auch die Jubiläen 2005 und 2009 steigerten die Aufmerksamkeit für den oft einseitig angeeigneten Autor. Man registriert, dass sein in vielen Fällen erneut idealisierter Idealismus, seine Zitier- und ideologische Verwendungsfähigkeit, das Pathos und das Erhabene nicht nur seine Vieldeutigkeit und Dialektik, sondern auch sein immenses Interesse an den avancierten Diskursen seiner Zeit, u. a. an Naturwissenschaft, Politik, Medizin, Philosophie, Anthropologie, Psychologie, Ästhetik und Recht, überdeckt hatten. Übersehen wurde zudem oft die kritische, wenn nicht gar subversive Einstellung des exemplarischen Intellektuellen der ,Sattelzeit‘ gegenüber den Verhältnissen seiner Epoche. Auf seine Bedeutung für die ,anthropologische Wende‘ am Beginn der Moderne und eine erstaunlich pessimistische, gar realistische Weltsicht des Idealisten wurde man erst in letzter Zeit aufmerksam. Heiner Müller brachte die Verharmlosung des Dichters auf den Punkt: „Die Verwandlung von Sprengsätzen in TEEKANNENSPRÜCHE ist die Leistung der deutschen Misere in der Philologie.“ (Müller 1990, 103).

Umfassender Blick auf das Werk

Dementsprechend werden in dieser Einführung Schillers Werk, Rezeption und die Forschung über ihn möglichst umfassend in den Blick genommen, sodass sich eine Vielzahl an Zugängen eröffnet. Verfolgt wird ein multiperspektivischer Ansatz, der dem komplexen Phänomen durch die Vorstellung und Diskussion der wichtigsten methodischen Ansätze und historischen Sichtweisen begegnet.

Schiller in seiner heutigen Präsenz

Ausgangspunkt sind der Autor und dessen Werk in ihrer heutigen Präsenz, Aktualität, Lebendigkeit und Relevanz. Angesprochen werden Schillers Status als Klassiker, die Inszenierung seiner Stücke im Gegenwartstheater und die aktuelle Lektüre sowie Interpretationen seiner Texte, insbesondere im schulischen und universitären Kontext. Da Schiller immer auch ein bevorzugtes Objekt wissenschaftlicher Forschung war, wobei diese oft nicht ohne ideologischen Hintergrund und spezifisches Interesse funktionierte, wird die Forschungsgeschichte des 19. Jahrhunderts referiert. Der Bogen reicht von der Verehrung Schillers im Kontext der Nationenbildung über die Aneignungen des Autors durch den Nationalsozialismus und die Exilforschung, die verschiedenen, systembedingten Wege zu Schiller nach 1945 zwischen werkimmanenter Interpretation und marxistischer Perspektive bis hin zu den Entideologisierungen und interdisziplinären Neuinterpretationen der Gegenwart.

Wiederentdeckungen Schillers

Die Schillerverehrung in Deutschland im 19. und zum Teil auch noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist kaum mehr zu verstehen, zumal Schiller spätestens in den 1960er Jahren seine Position als vorbildlicher Dichter verlor. Dass er seit einiger Zeit stetig, aber nachhaltig wiederentdeckt wird, hat auch etwas mit dem momentan zu beobachtenden „Ethical turn“ zu tun. Bis heute wird unterschätzt, dass Schiller eigentlich ein Autor der Zerrissenheit und der inneren wie äußeren Opposition zu Beginn des bürgerlichen Zeitalters war. Insbesondere seine Standpunkte in den Fragen zu Religion und Politik sind keineswegs eindeutig zu bestimmen, seine Ansichten zu diesen Themen bleiben bei genauerem Hinsehen widersprüchlich. Lange erschien der Dichter auch unzeitgemäß, weil er als Identifikationsfigur für die nationale Einigung Deutschlands fungierte und von verschiedenen Seiten in Dienst genommen wurde, was immer mit einem vereinfachten und damit verfälschten Schillerbild einherging.

Schiller und die Neuen Medien

Ein weiterer Grund für seine heute wieder zunehmende Aktualität ist der oft zitierte Bezug seiner ästhetischen Theorie zur Ästhetik der Neuen Medien. Ausgehend von Johan Huizingas Überlegungen gilt der „homo ludens“ als wichtige Basis in der Entwicklung der Kultur. Das Spiel mit seinen Regeln wird zu einer Grundlage für die gegenwärtige Beobachtung, dass sich Schillers Utopie in der heutigen Medien- und Inszenierungsgesellschaft weitgehend verwirklicht zu haben scheint, obwohl er selbst seine Utopie im strengen Sinn so nicht einrichten wollte. Zudem ist eine mehr oder weniger auffällige Strukturäquivalenz von Schillers ästhetischer Theorie zu den medialen Spezifizitäten des Computerspiels festzustellen. In den vor allem im angelsächsischen Bereich reüssierenden Games Studies gelten Schillers theoretische Positionen als unverzichtbare Voraussetzung, wenn es um die Analyse der Dramaturgie des Computerspiels geht.

Theorie und ästhetische Praxis

Attraktiv ist Schiller, weil es ihm wie sonst fast keinem Schriftsteller gelingt, Theorie und ästhetische Praxis auf annähernd gleichem Niveau zu halten. Man interessiert sich für seine Ästhetik, weil die Ästhetik die Leitphilosophie der Postmoderne war und man in der heutigen gesellschaftlichen Praxis eine durchgehende Ästhetisierung der Umwelt feststellen kann. Zunehmend scheint die Gegenwartskultur den Regeln eines Spiels zu folgen, insbesondere was die ästhetischen Oberflächen als Auswirkungen der allgemeinen Medialisierung und der wachsenden Herrschaft des Internets betrifft. Ästhetik und Kunst werden für das menschliche Zusammenleben immer wichtiger. Hierzu sind Schillers Überlegungen, vor allem in den Briefen Über die ästhetische Erziehung des Menschen, auch heute noch wegweisend. Das Spiel bekommt eine anthropologische Dimension, es macht den Menschen zum Menschen. In der postindustriellen Kultur der Gegenwart mit ihrer Abhängigkeit von Kreativität ist das Spiel aufgrund seiner Möglichkeiten besonders relevant.

Pathos und Historisierung der Postmoderne

Zugleich scheint Schillers Pathos im Sinn einer Historisierung der Postmoderne wieder ein mehr oder weniger akzeptiertes mediales Mittel zu sein, obwohl oder gerade weil es – durch den rhetorischen Stil der Nationalsozialisten diskreditiert – seit den 1960er Jahren das grundlegende Problem in der Interpretation Schillers war. Daher konzentrierte man sich seit Ende der 1960er Jahre im Theater weniger auf das gute, sondern mehr auf das authentische Sprechen (Meyer-Kalkus 1989). Ausgehend vom Schiller’schen Pathos im engeren Sinn, dem Pathetisch-Erhabenen in der Überwindung des Leidens, bemerkt man jedoch mit einem Blick in die populären Medien, dass dies etwa im Film durchaus akzeptiert wird (Schmitt 2009). Auch das avancierte Theater der Gegenwart hat neuerdings keine Berührungsängste mehr gegenüber dem Pathos.

Schiller und Nietzsche

Mit der Historisierung der Postmoderne und der damit verbundenen Renaissance Schillers könnte auch die Frage nach dem Erbe Friedrich Nietzsches verbunden werden. Wie bekannt, war der Dichter für den Philosophen der „Moraltrompeter von Säckingen“. Weshalb polemisierte Nietzsche derart gegen Schiller, der doch ebenfalls als Psychologe der Menschennatur mit der menschlichen Fehlbarkeit und den Trieben rechnete? Die Differenz scheint nicht in der anthropologischen Diagnose, sondern vielmehr in der Therapie zu liegen. Während Nietzsche die Kluft zwischen Ideal und Realität durch die unbedingte Hinwendung zum Leben tilgen wollte, suchte Schiller sein Heil im Idealismus. Beides bildet die Grundlage der Moderne und unserer heutigen Vorstellungswelt. Während Nietzsche in den letzten Jahren der Unübersichtlichkeit viel zitiert wurde, weil das Leben neben der Ästhetik das Einzige war, was blieb, wären Schillers Modernität und Aktualität in einer Zeit, die wieder mit der Möglichkeit von Haltungen und Grenzen rechnet, neu zu entdecken. Leibniz’ Formel von der besten aller möglichen Welten wollte die Aufklärung nicht akzeptieren, aber sie hat sich auch nicht darüber lustig gemacht, sondern als utopische, jedoch zu verwirklichende Vorstellung akzeptiert. Für Schiller war die beste aller möglichen Welten eine Aufgabe für mehr als ein Jahrhundert, weil er den Menschen und das krumme Holz, aus dem dieser gemacht ist, kannte. Schiller war nicht naiv, aber er rechnete mit der Verbesserungsfähigkeit des Menschen, in dieser Hinsicht war er nie aktueller als heutzutage.

Einführung in das Werk Friedrich Schillers

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