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Оглавление10 Nicht lustig
Ende der 90er, Anfang der 2000er gab es im Deutschen Fernsehen einen regelrechten Boom an Sketch-Shows. Ob „Die Dreisten Drei“, „Mensch Markus“, „Sechserpack“, „Ladykracher“, „Weibsbilder“ undsoweiter, undsoweiter … Jeder Sender versuchte, mehr oder weniger erfolgreich, an die gute, alte Tradition von Didi Hallervordens „Nonstop Nonsens“ oder „Sketchup“ mit Diether Krebs und Beatrice Richter anzuknüpfen. Eine anfangs noch überschaubare Zahl an Comedy-Autoren versorgte oftmals gleich mehrere Formate mit Pointen. Doch schon bald überschwemmten Text-Einsendungen von Jedem, der sich für halbwegs witzig hielt, die Briefkästen der TVProduktionen. Die Producer, Produzenten und Headwriter hatten alle Hände voll zu tun, die Unmenge an Spreu vom guten Weizen zu trennen. So überfordert nahmen die Auswahlkriterien für Sketche oft sehr skurrile Formen an.
(siehe unten)
Irgendwann konnten die Verantwortlichen selbst kaum noch beurteilen, was denn nun lustig ist, und was nicht. Naja, über Humor lässt sich bekanntlich streiten, und wenn nur Einer lacht, dann ist es doch schon lustig, oder? Jedenfalls kamen auf diesem Wege oftmals Sketche in die Shows, über die wirklich nur „Einer“ lachen konnte. Und im Gegenzug blieben Texte unverfilmt und ungesendet, die es eigentlich verdient hätten, über die Mattscheibe zu flimmern…
Im Folgenden beobachten wir zunächst einen dieser Auswahlprozesse im Büro eines TV-Produzenten.
PRODUZENTEN-BÜRO INNEN / TAG
Der Producer sitzt an seinem Schreibtisch und telefoniert. Die Einrichtung und Deko des Raumes lässt unschwer auf einen TVProduzenten schließen. Ein Fernsehgerät steht auf einem Tischchen an der Seite. Der Producer trinkt Kaffee und isst Kuchen. Vor ihm liegt ein ganzer Stapel Sketch-Texte.
Producer
(ins Telefon) Aber er hat doch ganz gut gearbeitet. (…) Ja, Schatz. Natürlich… Wenn Du den neuen Regisseur nicht magst, dann schmeiß ich ihn halt raus. (…) Kein Thema. Ich bin schließlich der Produzent. Und: Immer noch besser so, als ob ich wieder auf dem Sofa schlafen muss. (…) So. Ich muss jetzt Schluß machen. Ich hab da noch eine Menge Texte für diese neue Sketch-Show zu beurteilen. (…) Ich dich auch. Tschüßiiii!
Der Producer legt den Telefonhörer auf und will sich ein paar Texte vornehmen. Er schaut auf das obere Blatt des Stapels.
Producer
So. Was haben wir denn hier? (liest) Der Zauberer… ein Sketch von Andreas Gaw. (überlegt laut) Der Gaw?!… Die Sau hat mich vor 6 Wochen mal nicht gegrüßt.
Der Producer wirft den Sketch ungelesen in einen Mülleimer.
Producer
In die Tonne. (nimmt den nächsten Text) So… weiter geht’s… (bemerkt, dass es fünf Seiten sind) Viel zu lang! Wer soll denn das alles lesen?
Der Producer wirft den Text in den Mülleimer.
Producer
Adieu! (der nächste Text) So… (überfliegt) „…ein Clown kommt rein“. Ich mag keine Clowns. Weg damit.
Der Producer wirft den Text weg und will einen Schluck Kaffee trinken. Dabei wirft er aus Versehen die Kaffeetasse um. Der ganze Kaffee überschwemmt die Texte.
Producer
So eine Scheiße…
Der Producer wischt den Kaffee beiseite und wirft den ganzen Stapel Texte in den Mülleimer. In dem Moment klopft es an seiner Tür.
Producer Ja?!
Die Tür öffnet sich und ein verschüchterter Headwriter kommt herein.
Producer
Ach… der Herr Chefautor. Was gibt’s?
Ich hab wenig Zeit.
Headwriter
Ähm… ich wollte nur mal Fragen, ob
Sie sich die Texte für die neue SketchShow schon mal angesehen haben…?!
Producer
Jau… Das hab ich!
Headwriter
Und?
Producer
Das will ich Dir sagen… Das sind keine Sketche… das sind Zumutungen.
Hab noch nie soviel Scheiße gelesen. Die muss man noch 10mal umschreiben, bevor man sie endgültig wegwirft. Für den ganzen Ramsch gibt’s nur zwei Worte: NICHT LUSTIG !!!!
Headwriter
Und jetzt?
Producer
(ungehalten) Was weiß denn ich?
Schreiben Sie irgendwas über einen Mann, der auf dem Sofa schlafen muss. Und: nicht länger als eine Seite. Kapiert!!!!
**********
So, oder ähnlich, mag es sich zugetragen haben. Fakt ist jedenfalls: viele Sketche blieben auf der Strecke. Es folgen ein paar Beispiele von Texten, die es nicht geschafft haben… und das, obwohl es mindesten Einen gab, der sie lustig fand….
GESCHRIEBEN FÜR FÜR: MARCO RIMA SH OW
Titel: Marcos Wörterbuch - Wasser lassen
Ort: Kneipe
Personen: Marco / Kumpel
VORSPANN + JINGLE
Grafik eines Wörterbuchs mit dem Titel: Marcos Wörterbuch. Texteinblendung: Wasser lassen
Off Sprecher
Marcos Wörterbuch. Heute: Wasser lassen.
KNEIPE
Marco sitzt mit seinem Kumpel am Tresen. Sie haben beide je ein Bier vor sich stehen. Der Kumpel blättert in einer Zeitung.
Kumpel
Hier steht: Urinieren in der Öffentlichkeit ist eine Ordnungswidrigkeit. Das kann mit einem Bußgeld bis zu 50 Euro geahndet werden.
Marco schüttelt den Kopf.
Marco
Nee, nee, nee „was erlassen“ (Texteinblendung Wasserlassen) die bloß immer für dämliche Gesetze.
Beide greifen sich ihr Bier, prosten sich zu und trinken auf Ex aus.
Ende
Für: Veronas Welt
TITEL: DER GRÜNE PUNKT
ORT: Strasse
PERSONEN: Müllmann, Mann
STRASSE
Ein Müllmann wühlt in einer Mülltonne, fingert ein leeres Gurkenglas heraus und stellt es auf den Deckel der Tonne. Ein Mann, Plastiktüte in der Hand, kommt hinzu.
Müllmann
Das nehm´ ich nicht mit!
Der Müllmann drückt dem Mann das Gurkenglas in die Hand.
Mann
Wieso das denn nicht?
Müllmann
Das hat ´nen grünen Punkt. Das kommt in den gelben Sack.
Mann
Gelber Sack? Ich hab keinen gelben Sack.
Müllmann
Na, wir sind ja auch kein Chinese, nicht wahr? Hahaha.
Mann
Sehr witzig. Nehmen Sie das blöde Gurkenglas jetzt mit oder nicht?
Müllmann
Warum sollte ich? Es ist leer.
Mann
Natürlich ist das leer. Sonst würde ich es ja nicht wegwerfen.
Müllmann
Aber das Glas ist doch noch gut. Man könnte…Dinge hinein tun.
Mann
Ach.
Müllmann
Ja! Gummibänder, zum Beispiel. Oder Schrauben. Oder Gurken. Paßt auch sehr schön zu dem Etikett.
Mann
Passen Sie auf. Dann schenke ich es Ihnen. Dann können Sie ja Gurken hineintun.
Der Müllmann nimmt es erst freudig entgegen, gibt es dann aber wieder zurück.
Müllmann
Das kann ich nicht annehmen.
Mann
Verstehe. Wie wär´s dann mit …10 Mark? Oder sagen wir 15. Es hat ja den grünen Punkt.
Müllmann
Das ist fair. Da wär ich ja blöd, wenn ich nein sage.
Das Glas wechselt für 15 Mark den Besitzer. Der Müllmann will stolz davongehen, wird aber vom Mann zurückgehalten. Der Mann fischt aus seiner Plastiktüte noch eine leere Fantaflasche und ein Senfglas.
Mann
He, warten Sie. Zufällig hab ich noch was, wo Sie echt prima Fanta einfüllen könnten und dann noch das hier. Beides für 50.
Müllmann nimmt erst die Flasche und dann das Senfglas entgegen und zahlt freudig.
Müllmann
Super, da könnt ich ja meinen Senf dazugeben. Sagen Sie, haben Sie vielleicht noch mehr davon?
Der Mann schaut erst zur Seite und nickt dann konspirativ.
Mann Wird aber nicht billig.
Schwenk auf einen übervollen Altglascontainer.
Für: Die Dreisten Drei
Titel: Ehrlicher Telefonsex 1
ORT: Küche, Schlafzimmer
PERSONEN: Mirja, Markus
SCHLAFZIMMER
Markus liegt im Bademantel auf seinem Bett. Er hat eine Zeitung vor sich, mit Anzeigen von Erotik Hotlines. Markus sucht eine heraus, greift zum Telefon und wählt die Nummer.
Markus
(ins Telefon) Nun mach schon. Natürlich will ich direkt verbunden werden.... die eins…
Markus drückt auf seinem Telefon die eins.
KÜCHE
Mirja steht in der Küche am Herd und kocht. Sie sieht ziemlich fertig aus, überhaupt nicht erotisch. Ihr Telefon klingelt. Sie geht ran.
Mirja
Hallo. Hier ist Chantal, stets bereit für eine heiße Nummer…
SCHLAFZIMMER
Markus macht es sich bequem.
Markus
So so. Chantal. Wie siehst du aus?
SPLITSCREEN (Küche und Schlafzimmer)
Mirja
Ich habe rote Haare, einen geilen…
Markus unterbricht sie.
Markus
Mal ganz sachte. Ich hab mal so einen Bericht im Fernsehen gesehen, über euch. Also… ich will nicht belogen werden.
Mirja
Schon klar. Also sag mir, wie möchtest du, dass ich aussehe?
Markus
Nein, nein. So geht das nicht, Chantal… (zögert) heißt du überhaupt Chantal?
Mirja
Nein. Ulla.
Markus
Schon besser, Ulla. Und was machst Du?
Mirja
Ich liege auf…
Markus
(streng) Ulla. Verarsch mich nicht.
Während Mirja telefoniert kocht sie weiter.
Mirja
Na schön. Ich… ich stehe am Herd und koche.
Markus
Echt? Was gibt’s denn?
Mirja
Linsensuppe.
Markus
Geil. Mit Würstchen?
Mirja
Sicher.
Markus
(erregt) Oh Mann. Wie sehen die aus die Würstchen?
Mirja
Zart. In Naturdarm. Ich lasse gerade eines langsam in die Brühe gleiten.
Markus
Oh ja, jaa. Laß es reingleiten…
Markus hat sichtlich Spaß an dem Telefonat.
Ende
FÜR: DIE WOCHENSHOW
Titel: Der aserbaidschanische Kalender
ORT: Flur
PERSONEN: Reporter / Mann
FLUR
Reporter interviewt einen, auf den ersten Blick recht seriös wirkenden Mann.
Reporter
Neben mir steht Dr. Holtschke. Er hat die praktische Nutzbarkeit des antiken aserbaid-schanischen Kalenders auf unsere heutige Zeit untersucht.
Mann
Richtig. Der aserbaidschanische Kalender bietet erstaunliche Vorteile gegenüber allen von uns bis dato genutzten Kalendarien. Er hat zum Beispiel sage und schreibe 12 Monate.
Reporter
Ach. Aber das hat doch … unser Kalender auch.
Mann
Soso. Hat er also?! Aber die Monate im aserbaidschanischen Kalender sind alle unterschiedlich lang. Jaha!
Reporter
Das, lieber Dr. Holtschke, trifft auf die Monate in unserem Kalender auch zu.
Mann
So. Tut es das? Sie haben sich wohl … auf dieses Gespräch vorbereitet, wie?
Der Reporter nickt.
Mann
Gut, gut. Dann fragen sie mich doch mal nach den revolutionären Vorteilen in puncto Meeresfrüchte, die der aserbaidschanische Kalender zu bieten hat.
Reporter
Vorteile in puncto Meeresfrüchte?
Mann
Ich freue mich, daß Sie mir genau diese Frage gerade jetzt stellen. Die
Monate im aserbaidschanischen Kalender fangen alle mit „R“ an. Rapril, Rai, Runi, Ruli, Raugust usw.
Reporter
Und … und das freut die Fische?
Mann
Tztztztz. Wohl nicht besonders weit her, mit ihrer Vorbereitung, was? In Monaten mit „R“ darf man Muscheln essen. Ergo: nach dem aserbaidschanischen Kalender darf man das ganze Jahr über Muscheln essen. Toll was?!
Reporter
Aber im Mai sind die Muscheln nunmal mies. Miesmuscheln halt. Selbst wenn Mai Rai heißt.
Mann
Schnickschnack. Dann essen sie die Muscheln halt im Rocktober. Der hat zwei „R“ Da sind sie doppelt gut!
Reporter
War's das? Oder hat ihr Kalender noch andere die Welt revolutionierende Vorteile?
Mann
In der Tat. Die hat er. Wenn man ihn geschickt zu falten versteht kann man einen lustigen Hut daraus machen. Wie diesen.
Der Mann reicht dem Reporter einen gefalteten Papierhut.
Reporter
Herr Dr. Holtschke, mit Verlaub, sie ticken nicht ganz richtig.
Mann
Nach ihrem Kalender vielleicht. Aber in Aserbaidschan bin ich der ganz große King Shit. Ich muß los. Mein Kutter wartet.
Mann geht ab. Reporter schaut ihm nach und setzt sich den Hut auf.
ENDE
Fazit:
Ich bin sicher, dass in den Schreibtischschubladen oder auf den Festplatten unzähliger Autoren Texte vergammeln, die es eigentlich verdient hätten, gelesen, gehört oder gesehen zu werden. Oft höre ich von Schauspielern den Satz: „Es gibt ja leider so wenig gute Drehbücher“. Das glaube ich nicht. Nur hat nicht jeder die Möglichkeit, sein Werk zu präsentieren. Und wenn doch, dann sitzen an den entscheidenden Stellen oft Menschen, die Qualität und Potential nicht, oder nur bedingt beurteilen können. (Ausnahmen bestätigen die Regel)
Ich erinnere mich an eine Redaktionssitzung in der TV Movie Abteilung von RTL. Ein schlechtgelaunter Redakteur betrat den Raum und polterte sofort los: „Ich hatte letzte Woche wieder 100 Manuskripte zum durchschauen. Alles nur Schrott. Nach der Hälfte habe ich aufgehört. Wann kommt endlich mal wieder so ein genialer Stoff wie Haialarm vor Mallorca?!
Noch Fragen?
Und ein letzter Gedanke: Viele schwärmen von der Genialität der Autorenfilme. Auch renommierte Produzenten und Redakteure. Aber warum sind die Meisten dieser Filme so gut?
Vielleicht, weil dem Autor/Regisseur niemand in seine Arbeit reingeredet hat? Weil keiner das Projekt von vorn herein schon abgelehnt hat? Maybe. Aber auch ein guter Autorenfilm muss finanziert werden. Selbst „low budget“ Produktionen. Und wer die Kohle nicht zusammen bekommt, dessen Stoff verrottet weiter im Hades der vergessenen Ideen…
Hat mal wer 'nen Euro für 'nen echt tollen Film?