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Information, Instruktion und Legitimation im Vorfeld der Reise

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Reiseplanung

Das zeitliche Vorfeld einer Reise ist von großer Bedeutung. Nicht nur die Frage, was ein Individuum motiviert („Beweggrund“), eine Reise freiwillig (Erholung, Unterhaltung, Abwechslung), dienstlich (Wirtschaft, Wissenschaft, Politik, Kunst), genötigt (Lebensstandard, Einkommenssicherung) oder erzwungen (Vertreibung, Flucht) anzutreten, sondern auch welche Maßnahmen man prophylaktisch ergreift, um den Verlauf zu bestimmen und dem Zweck der Reise gerecht zu werden. Die Handlesekunst (Chiromantie) oder die Sterndeutung (Astrologie) stellen das Unternehmen etwa in eine günstig oder ungünstig erscheinende Konstellation, was seitens des Reisewilligen Berücksichtigung finden könnte. Im Zeitalter eines globalen Terrorismus treten dagegen amtliche Hinweise oder Warnungen entsprechend zuständiger Stellen hervor, die in sachlicher Kürze Verbreitung finden und zu respektieren sind. Schließlich aber geht es in der Planungsphase auch um ganz praktische Empfehlungen im Bereich der Materialität: was ist auf Reisen mitzuführen an Werkzeug und Ausrüstung, an Medikamenten und Nahrungsmitteln. Schon die Frühe Neuzeit kennt ein breites Spektrum von ärztlichen Reiseempfehlungen für die Ernährung und Körperertüchtigung vor der Abfahrt (Regimina).

Itinerare und Reiseführer

Frühe Reisen konnten sich zunächst nur auf bereits vorliegende Reisebeschreibungen oder undeutliche Karten als Vorbild(ung) des eigenen Unternehmens stützen. Mit den Wanderungen zu den heiligen Stätten entstanden dann jedoch bald auch konkretere Instrumente, die etwa dem Prinzip der Auflistung folgten. Schon im 9. Jahrhundert bot das handschriftliche Itinerarium Einsidlense eine Orientierung in Rom in Form verschiedener Routenbeschreibungen mit christlichen, aber auch heidnischen Baudenkmälern. Die mit diversen Vorläufern aus dem 8. dann aber auf das 12. Jahrhundert zurückgehenden Mirabilia Urbis Romae können schon als der erste Reiseführer gelten, der nun Sehenswürdigkeiten verzeichnet, die ein Pilger in Rom aufzusuchen hätte. Teilweise bot man dazu sogar die jeweils zugehörigen Legenden (Paratexte). Genau besehen handelt es sich um die (zu Hause zu studierende) Beschreibung eines idealtypischen Roms, die fiktive und faktische Topoi mischt. Eine praktische Verwendung der großformatigen Handschrift war dagegen eher sekundär. Das Vademecum wiederum (wörtl. „geh mit mir“) war ein Handbuch für unterwegs mit den unterschiedlichsten Ratschlägen, Lehrsätzen und Lebensweisheiten, nicht nur pragmatischer, sondern vor allem auch seelsorgerischer Natur: das Missale Itinerantium (1510) etwa bot eine Zusammenstellung liturgischer Texte für die Erbauung unterwegs.


Abb. 1 Britische Touristen im Kölner Dom, mit Reiseführern in der Hand. Satirische Zeichnung.

Die Apodemik (griech. „auf Reisen sein“) ist dagegen eine theoretische Reiseinstruktion, die recht detailliert über Umgangsformen, historische Fakten oder politische Umstände, aber auch über den richtigen Umgang mit Reisevorkommnissen aller Art informiert (Stagl 2002). Zunehmend wurden bereits vorliegende Reiseberichte ausgewertet und systematisch eingearbeitet. Später ermittelten die Verfasser dann ganz gezielt die jeweiligen Publikumsbedürfnisse, um populäre und wirtschaftlich erfolgreiche Reiseführer (Baedeker seit 1832) zu erstellen (Müller 2012). Als jüngste Variante erweist sich der „Audioguide“, eine vor Ort isoliert zu hörende Erläuterung des zu Sehenden. Seit der Jahrtausendwende bieten sich als digitale Hilfe auch Online-Routenplaner an, die auf der Basis von Algorithmen verschiedene Varianten zur Auswahl vorgeben, meist auch unmittelbar vor Ort. Zudem mindern aussagekräftige Websites, Webcams oder hilfreiche Apps die Ungewissheiten, die Virtual-Reality-Brille etwa gestattet eine Vorbesichtigung des gewünschten Hotels. Der lose Kontakt zur „Schwarmintelligenz“ offeriert Tipps und Bewertungen, das social travelling relativiert die Abhängigkeit von Reiseveranstaltern und Pauschalorganisatoren. Die Forschung hat in diesem Zusammenhang aber immer wieder darauf verwiesen, dass das Reisen durchweg in mental bereits vorgebahnten Strukturen verläuft, selbst die „Reise ins Blaue“ folgt in Negation oder Verdrängung bestimmten kulturgeschichtlichen Mustern.

Vermarktung und Reiselenkung

Im 20. Jahrhundert verlagert sich die faktische Reise immer stärker in den Bereich der prospektiven Vorwegnahme, vor allem durch die wachsende Informationsqualität seitens der Wissenschaft (Geografie, Ethnologie, Technik) und die profitorientierte Differenzierung der Wirtschaft. Reisende sind schon „vor Reiseantritt in einen massenmedial vermittelten Diskurs eingebunden, der zwischen Eigenem und Fremden, Selbst und Anderem, Nähe und Ferne, images und mirages angesiedelt ist“ (Biernat 2004, 11). Die Vertriebsabteilungen großer Reiseführerverlage werben bis heute gerne mit dem sinngemäßen Goethe-Zitat als Slogan: „Man sieht nur was man weiß!“ (Goethe an Friedrich von Müller, 24. April 1819). Die Zielvermarktung erfolgt durch eine vorweg versprochene Reiseerfahrung (event, shopping, amusement) als einem kommerziellen Produkt: Beispielsweise erscheinen komplexe Urbanitäten (Metropolen) in Form von Stadt-Advertising für kurzreisende Billigflieger als reduktive Stereotypen in den Werbeanzeigen – hier begegnet der Reiseführer in seiner Schwundstufe mit der Verschlagwortung von Reiseziel, Reiseerlebnis und Reisedurchführung (Paris = Eiffelturm plus Liebespaar plus Niedrigpreis).

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