Читать книгу Esariel - Andreas Michels - Страница 11
5. Kapitel
ОглавлениеUnangefochten erreichen wir den Ausgang des Hauses, wo sich Nadja bei mir einhakt und eng an mich schmiegt, ganz als ob zwei Hunderter mir ein paar Stunden ihrer Aufmerksamkeit eingebracht hätten. Bekannte, die sie sehen, werden damit hoffentlich keinen Verdacht schöpfen.
Meine Sinne laufen auf Hochtouren, als ich unsere Schritte in Richtung des Wagens lenke, der leider ein ganzes Stück weit weg steht. Dummerweise sind inzwischen bereits wieder viel zu viele Leute auf der Straße unterwegs, zumeist Pendler, die sich auf dem Weg in die Frühschicht befinden. Ich behalte jeden von ihnen im Auge, so gut es geht, doch werden wir von den meisten sowieso ignoriert.
Um den Menschen aus dem Weg zu gehen, ändere ich unsere Route und führe Nadja den restlichen Weg durch eher kleinere Nebenstraßen. »Was tue ich hier eigentlich?«, murmelt sie neben mir, bleibt aber, wo sie ist. »Was notwendig ist, um zu…« Unvermittelt breche ich ab, denn irgendetwas stimmt nicht. Nur für einen kurzen Augenblick habe ich etwas gespürt, was aber reicht, um bei mir alle inneren Alarmsirenen losgehen zu lassen. Noch bevor ich Nadja warnen kann, kehrt das Gefühl zurück.
»Sieh an, sieh an, wen haben wir denn da!«, ertönt in meinem Rücken eine krächzende Stimme. Zeitgleich tritt vor uns ein einzelner Mann in seltsam ruckartigen Bewegungen aus der Deckung eines Müllcontainers heraus und schlurft auf uns zu. Zerrissene Jeans, trotz der Kälte nur ein T-Shirt und ein kahlgeschorener Schädel. Die Augen des Kerls liegen tief in den Höhlen und sind von dunklen Rändern umgeben. Ein gehässiges Grinsen ziert sein Gesicht und wird durch einen beständigen Sabberfaden, der aus einem Mundwinkel herabläuft, nur noch weiter betont. Mit einem Schulterblick nehme ich den Ursprung der Stimme in meinem Rücken in Augenschein. Bullig, knapp unter zwei Meter groß. Ebenfalls kahlköpfig, trägt aber Bikerklamotten. Sein Gesicht ist eine schwärende Brachlandschaft aus eitrigen Pusteln, die jeden pubertierenden Teenager vor Neid erblassen lassen würden. In einer Hand führt der Hüne ein Bowiemesser, welches die Klassifizierung zum Schwert ohne weiteres erhalten könnte.
Beide kommen sie näher und mit jedem Schritt spüre ich die Verderbnis mehr, die von ihnen ausgeht. Auch Nadja scheint zu bemerken, dass es sich nicht um einfache Straßenräuber handelt. »Micha, was sind das für Freaks?«, flüstert sie und lässt meinen Arm los. Ich greife derweil betont langsam in die Jacke und umfasse den Griff der Pistole.
»Was wollt ihr?«, fahre ich den Biker an, auch wenn ich die Antwort zu kennen glaube. »Von dir nichts, du kleiner Sonnenschein!«, krächzt er mit einer Stimme, die klingt, als ob er täglich mit Reißnägeln gurgelt. »Aber dein Püppchen hat es uns angetan! Verschwinde und wir lassen dich leben!«
Diese Antwort erzählt mir mehr, als die beiden ahnen und gleichzeitig ist es alles, was ich für den Moment wissen muss. »Ich fürchte, die Dame ist besetzt!«, erwidere ich trocken und mache Anstalten die Pistole zu ziehen. Dabei gebe ich Nadja einen Stoß, um sie aus dem Weg zu bringen.
Nahezu gleichzeitig fauchen meine Kontrahenten unartikuliert auf und gehen nun mit überraschend schnellen Bewegungen zum Angriff über. Ich brauche viel zu lange, um die verdammte Waffe mit dem Schalldämpfer darauf aus dem Holster zu bekommen und muss somit der ersten Attacke mit einem schnellen Seitenschritt entgehen. Nur haarscharf verfehlt mich die Messerklinge des Bikers, dafür rauscht mir die schlagringbewehrte Faust seines Partners voll in den Bauch.
Sterne explodieren mir vor den Augen, als es mir jede Luft aus der Lunge treibt. Ich torkle haltlos zurück und habe jetzt endlich die Pistole heraus, was aber meine Kontrahenten gänzlich unbeeindruckt lässt. Gleichzeitig gehen sie auf mich los, sodass ich nur einige Deutschüsse loswerden kann. Freund Sabberlippe fängt eine Kugel in die Schulter, die ihn offenbar nicht im Geringsten tangiert, doch den Biker erwische ich knapp unterhalb des linken Auges. Ihm reißt es das halbe Gesicht weg, woraufhin er gurgelnd zu Boden geht.
Sein Kumpan überbrückt derweil die verbliebene Distanz zwischen uns und drischt mit einem wahren Fausthagel auf mich ein, was mir nichts anderes übriglässt, als ihm das restliche Magazin in den Oberkörper zu leeren. Erst dann kippt auch er um.
Der Kampf hat nur Sekundenbruchteile gedauert. Noch während die Echos der gedämpften Schüsse in der Gasse verhallen, steige ich über die zuckenden Körper und winke Nadja heran, die einige Schritte zurückgewichen ist. Jetzt steht sie mit weit aufgerissenen Augen da und starrt mich ungläubig an. Ihr ist der Schock deutlich ins Gesicht geschrieben. »Wir müssen von hier verschwinden und das schnell!« Bei meinen Worten wechsle ich das Magazin und sehe mich gleichzeitig nach potentiellen Zeugen um. Ein schmatzendes Geräusch, begleitet von Nadjas panischem Aufschrei beendet jegliche Bemühungen in dieser Hinsicht augenblicklich. Langsam setzt sich der Biker erneut auf und greift mit linkischen Bewegungen nach dem in seiner Nähe liegenden Messer. Schwarzroter Blutschleim läuft aus der tödlichen Gesichtswunde. Jeder Atemzug des nun kieferlosen Schlägers wirft blutige Blasen auf, aber nichtsdestotrotz geht er wieder zum Angriff über, kaum dass er auf den Füßen steht.
Jetzt ist es um Nadjas Selbstbeherrschung geschehen. Panisch schreit sie auf und sucht das Weite, zurück in die Richtung, aus der wir gekommen sind. Na wunderbar! Bevor ich mich an die Verfolgung mache, muss ich aber erst diese Sauerei hier beenden. Also hebe ich erneut meine Pistole, lege an und strecke den Rockertypen mit mehreren gezielten Schüssen abermals nieder. Mindestens eines der Geschosse hat definitiv sein Herz getroffen, denn jetzt bleibt er liegen.
Augenblicklich mache ich mich an die Verfolgung Nadjas und denke erst kurz vor dem Verlassen der Gasse daran, die Pistole wieder wegzustecken. Nadja ist noch nicht allzu weit gekommen, dennoch geht mein Atem keuchend, als ich sie endlich eingeholt habe. Ungeachtet der gaffenden Leute um uns herum packe ich sie am Arm. Bin ich eben mal das Zuhälterarschloch, jetzt gerade ist es egal. »Krieg dich wieder ein, verdammt!«, herrsche ich sie hart an und ziehe sie mit mir mit. Einige der Umstehenden schütteln den Kopf, doch es ist bezeichnend für diese Gegend, dass niemand etwas unternimmt. Auch nicht, als ich Nadja mehr oder weniger mit mir mit zerre.
Ihr stehen Tränen in den Augen, aber wenigstens leistet sie keine Gegenwehr, bis wir außer Sicht in eine andere Straße verschwinden können. Uns bleibt kaum Zeit für dergleichen Spielchen, dennoch drücke ich sie zwischen zwei Müllcontainern gegen eine Mauer, um beruhigend auf sie einzureden, wie man es mit einem durchgedrehten Pferd tun würde. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis ich zu ihr ohne den Einsatz meiner Kräfte durchdringe. Dann endlich sieht sie mich wieder bewusst an, also nehme ich ihr die Hand vom Mund und trete langsam einen Schritt zurück.
»Die beiden wollten dich umbringen, bitte glaube mir das. Und es waren keine Menschen. Nicht mehr! Wir verschwinden von hier, und zwar Pronto! Die Polizei ist definitiv schon unterwegs, also müssen wir so schnell es geht weg von hier.« Sie nickt langsam und wischt sich über das tränennasse Gesicht, bevor sie mir aus der Gasse heraus folgt. Hartes Mädchen!
Ohne weitere Zwischenfälle erreichen wir den Wagen, den wahrscheinlich bislang nur niemand geklaut hat, weil er in der Nähe der Hauptstraße steht. Nadja bedenkt mich mit einem verwunderten Seitenblick, denn der BMW will wohl momentan kaum zu meinem Äußeren passen. Wortlos halte ich ihr die Beifahrertür auf, um dann selbst einzusteigen. Innerlich atme ich tief durch, als ich die Zündung betätige und wir alsbald in der Sicherheit des Straßenverkehrs untertauchen. »Das hätte wirklich dumm ausgehen können!«, breche ich das andauernde Schweigen ein paar Minuten später. Nadja bleibt mir die Antwort schuldig.
Ihre Aura ist ein einziges Durcheinander aus Angst, Verwirrung, Unglauben und noch mehr Angst. Man kann es ihr kaum verdenken, dennoch darf sie sich nicht weiter zurückziehen. »Hast du Verwandtschaft?«, frage ich deswegen. »Irgendjemand, der nach dir suchen würde?« Ich muss etwas warten, bis ich eine einsilbige Antwort erhalte. »Mein Bruder vielleicht!« Verärgert beiße ich mir auf die Lippen. Noch ein loses Ende. »Gut, dann schick ihm eine Nachricht. Schreib ihm, dass du dich für eine Weile von der Bildfläche verabschiedest. Er soll keinesfalls nach dir suchen und dich auch nicht kontaktieren!« Ein Seufzen begleitet meine nächsten Worte. »Danach machst du bitte dein Handy aus und schaltest es bis auf weiteres auch nicht wieder an!«
Ich kassiere zwar einen trotzigen Seitenblick, doch tut sie scheinbar genau, was ich ihr gesagt habe. Anschließend macht sich erneut eisiges Schweigen zwischen uns breit, bis ich auf den umzäunten Parkplatz meines Hotels fahre. Nadja folgt mir widerspruchslos ins Innere, wo im hoteleigenen Restaurant bereits das Frühstück in vollem Gange ist.
In einem unbeobachteten Moment schlüpfen wir am Portier vorbei nach oben, wo ich die Tür außen mit dem »Bitte nicht stören!« – Schild versehe und abschließe. Nadja fällt augenblicklich aufs Bett, um anschließend nur noch reglos ins Leere zu starren, was mir die Zeit lässt, sie zum ersten Mal bewusst zu mustern. Jetzt, in besserem Licht betrachtet, hat sie hübsche, relativ scharf geschnittene Züge, welche eine slawische Herkunft kaum verleugnen können. Schwarze Haare umrahmen ihr Gesicht und betonen ihre blauen Augen ungemein, die allerdings momentan bar jeder Emotion sind.
Wahrscheinlich ist sie müde bis zum Umfallen, aber was sie eben gesehen hat, wird sie noch zusätzlich eine Weile beschäftigt halten. Um die Zeit zu überbrücken, trete ich ans Fenster, um einmal mehr die Umgebung von hier oben in Augenschein zu nehmen. Trister Beton, einfach wunderbar!
So stehe ich und warte, bis schließlich Nadjas Stimme leise hinter mir ertönt. »Was… waren das für Typen?«, fragt sie in zittrigem Tonfall.
Ich wende mich von dem deprimierenden Anblick ab und sehe stattdessen sie an. »Wir nennen sie Verderbte.« Auf ihren verständnislosen Blick hin schüttle ich den Kopf, durchsuche die kleine Zimmerbar und reiche Nadja daraufhin ein Fläschchen Wodka. »Hier! Kannst es vermutlich brauchen!« Doch zu meiner Verwunderung lehnt sie ab. »Ich trinke keinen Alkohol, danke!« Dann eben nicht! Bevor ich mich ihr gegenüber auf den Stuhl im Raum setze, wird der Schnaps auf dem Nachtkästchen neben dem Bett zwischengeparkt. Unsicherheit flackert in Nadjas Blick, als sie schließlich nachfragt: »Verderbte? Was meinst du damit?«
Was jetzt kommt, habe ich im Laufe der Jahrhunderte schon ein paarmal durchexerziert und nie war das Ergebnis vorher absehbar. »Menschen, die unter den Einfluss eines Gefallenen geraten sind. Man könnte sie als seine Diener bezeichnen! So eine Art Renfield!« Nadja rollt auf meinen Versuch hin, einen Witz zu reißen, mit den Augen. »Und was ist jetzt wieder ein Gefallener?«
Unwillkürlich wandert mein Blick zu dem kleinen Silberkruzifix, welches im Ausschnitt ihres Oberteils zu erkennen ist. »Kurz gesagt, ein Engel, der Gefallen an Mord und Grausamkeit gefunden hat!« Sie erkennt, wohin ich sehe, und greift reflexhaft nach dem Kreuz. »Du verarschst mich!«, schnappt sie hastig, aber ohne jede Schärfe. Wider Willen muss ich traurig lächeln. »Nein, leider nicht! Dieser spezielle Gefallene, dem wir diesen Besuch zu verdanken haben, heißt Agahaz und hat es auf dich abgesehen, weil ich dir geholfen habe!«
»Weil du mir geholfen hast?«, echot Nadja. »Wieso das denn?« Sie steht hastig auf, fährt sich durchs Gesicht und lacht auf, bevor sie ziellos in dem winzigen Raum herumzuwandern beginnt. Der leichte Hauch von Hysterie in ihrer Stimme alarmiert mich, aber noch bleibe ich sitzen. »Ich fasse das einfach nicht! Ich sitze im Zimmer mit einem Typen, der mal eben so mehrere Leute getötet hat und lasse mir die Geschichte vom schwarzen Mann erzählen! Das waren doch bloß zugedröhnte Freaks, die beiden! Und du hast sie abgeknallt!«
Ah, die Zweifelsphase, wie erwartet! Weiterhin bleibe ich sitzen und sehe sie an. »Du kannst mir durchaus glauben!«, setze ich dann langsam an. »Engel existieren, auch wenn viele von uns mittlerweile relativ unangenehme Zeitgenossen sind, oder sich einfach nur einen Scheiß um Menschen scheren!« Nadja lacht auf, nun mit deutlich überschlagender Stimme. »Du willst mir erzählen, dass du…?«
Ich nicke bedächtig und lege den Kopf ein Stück zur Seite. »Du hast es vorhin beim Blick in meine Augen selbst gesehen! Abgesehen davon, kannst du dich sicherlich noch sehr gut an den Kampf erinnern, bei dem ich leider das Interesse von Agahaz erweckt habe!«
Nadja sperrt den Mund auf, doch sie bleibt stumm. Mehrere Emotionen ringen in ihrem Gesicht miteinander, als sie stehenbleibt, dann auflacht und beide Hände in den Haaren vergräbt. Ich dagegen verfolge das ganze Ballett mit erzwungener Geduld. Normalerweise müsste nun…
»Beweis es!«, meint sie unvermittelt, was mich schmunzelnd den Kopf schütteln lässt, denn genau damit habe ich gerechnet. »Das ist leider nicht so einfach, da Agahaz jede Anwendung himmlischer Kräfte bemerken könnte!« Sie will schon triumphierend auffahren, als ich eine Hand hebe. »Zumindest ist es mir deswegen verwehrt, meine wahre Gestalt zu offenbaren, oder dir einen der anderen Taschenspielertricks zu zeigen. Du hast mich bei unserem ersten Treffen in der Gasse gesehen, wie ich die die Schöpfung verändert habe.« Gemäß des verständnislosen Gesichtsausdrucks Nadjas hat sie kein Wort verstanden, also versuche ich es auf die direkte Methode: »Ich bin seitwärts gewechselt und hinter deinem Ex-Boss und seinen Schlägern wieder aufgetaucht. Wenn dir das noch nicht als Beweis genügt, dann vielleicht das hier:« Ohne auf eine Antwort zu warten, stehe ich auf, reiße das Kabel aus der Nachttischlampe und greife an die funkensprühenden Drähte…
Ereignisreiche zwei Minuten später hat das Hotelpersonal die Sicherungen für das Stockwerk wieder eingelegt und mein Kopf raucht nicht mehr. Nadja kauert in einem Eck des Zimmers und sieht mich ungläubig an. »Heilige Scheiße!«, kommentiert sie schließlich, als ich den Draht mit einem kleinen Schraubendreher aus dem Notfallkoffer wieder in der Lampe anbringe. Ich lache leise, sehe aber erst zu ihr, als der von mir verursachte Schaden gänzlich behoben ist.
»Ich verstehe dein Misstrauen, würde mir wahrscheinlich genauso gehen. Und wenn es hilft, du bist in dieser Hinsicht sogar noch ein leichter Fall!« Ihre Aura stabilisiert sich inzwischen. Glücklicherweise kein Anzeichen von Wahnsinn. Zögernd kommt sie aus ihrem Eck und fährt verlegen mit den Fingern durch ihr Haar. »Muss ich mich jetzt hinknien oder so? Ich meine… hey… fuck…! Ein verdammter Engel steht vor mir!« Kurz schürze ich die Lippen. »Deine Wortwahl ist interessant, Nadja! Sehr viel mehr, als du selbst ahnen magst. Aber nein, es ist sicherlich nicht notwendig, vor mir zu knien!«
Mein Lächeln steckt wohl an, denn alsbald wird es von ihr erwidert, zumindest eine Zeitlang. »Und dieser Agahaz ist ein Gefallener, ja? Also einer aus der Hölle?« Ihr Blick wandert nun doch zu dem Wodkafläschchen, sie rührt sich aber nicht vom Fleck. Mir stellt sich derweil die Frage, wie viel ich ihr erzählen kann… oder soll.
»Das ist ein wenig komplizierter!«, erwidere ich gedehnt und überlege dabei immer noch. Nadja ist keinesfalls als tiefgläubig zu bezeichnen. Ihre Mutter hat sie während ihrer Kindheit ein paar Mal mit in die Kirche genommen, aber das war es dann auch schon. Nein, hier gibt es nichts, was ich nachhaltig zerstören könnte.
Seit ich Arm in Arm mit ihr gelaufen bin, weiß ich nahezu alles über sie. Vater Deutscher, Mutter Tschechin. Ihr Bruder ist der einzige Verwandte, zu dem sie noch Kontakt hat. Beide Eltern Alkoholiker, die sich einen Scheiß um Nadja gekümmert haben. Bewundernswert, dass sie dennoch die Schule fertigbekommen hat. Keine Lehrstelle gefunden, anschließend schnell auf den Straßenstrich abgerutscht, Ende der Geschichte!
Und jetzt sitzt sie wieder vor mir auf dem Bett und sieht mich wissbegierig mit ihren großen Augen an. »Geh einfach davon aus, dass die Dinge nicht unbedingt so sind, wie sie in der Bibel stehen!«, schleiche ich verbal immer noch um den heißen Brei herum. »Dachte ich mir fast!«, erwidert sie. »Das Teil wurde von zu vielen Typen gleichzeitig geschrieben!«
Gut, jetzt hat sie mich! Besser hätte sie eine klingende Saite kaum treffen können. Dennoch versuche ich weiterhin, Zeit zu schinden. »Du hast eine lange Nacht hinter dir. Willst du nicht erst schlafen? Ich passe auf dich auf!« Aber, wie befürchtet, schüttelt Nadja den Kopf. »Nein, glaubst du wirklich, dass ich jetzt ein Auge zubekommen würde?« Im Anschluss setzt sie sich auf und rutscht auf der Bettkante so nahe an mich heran, wie möglich. »Ich höre!«
Ich sehe sie lange an und ringe mich zu einer Entscheidung durch. Was kann es schon schaden, ihr davon zu erzählen? Wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, wird Agahaz uns wahrscheinlich eher früher als später erwischen. Eine Weile massiere ich mir noch die Schläfen und beginne dann zu sprechen.