Читать книгу Esariel - Andreas Michels - Страница 8
2. Kapitel
ОглавлениеEin paar Tage später fällt mir zu Hause in Wilhelmsburg die Decke schier auf den Kopf. Ich habe quasi dienstfrei, denn Steffi brütet in ihrem Apartment über ihren Büchern, da einige Termine für Klausuren rasend schnell näher rücken. Ohne Recht zu wissen, was ich also tun soll, wandere ich in meiner Wohnung herum und versuche dabei nicht auf Katze zu treten, die mir beständig um die Beine streicht. Ich habe mir nie die Mühe gemacht, dem Vieh einen Namen zu geben, immerhin hat sie noch gerade mal 15 Jahre zu leben. Warum sie überhaupt meine Nähe sucht, ist mir ein Rätsel, denn normalerweise erkennen Tiere recht gut, was ich bin und meiden mich deshalb. Vor dem großen Krieg war das anders, aber inzwischen ist man als sterbliches Wesen generell gut darin beraten, sich nicht mit Himmlischen abzugeben. Zumindest, wenn man nicht wert auf eine extrem verkürzte Lebenserwartung legt. Ich habe Tiere in dieser Hinsicht schon immer für cleverer als die meisten Menschen erachtet.
Katze unterstelle ich jedoch pure Verfressenheit als Grund dafür, ihre Überlebensinstinkte zu ignorieren. Mit einem schiefen Lächeln kapituliere ich und gönne dem Vierbeiner etwas Aufmerksamkeit, bevor ich wieder ruhelos werde.
Von Walther habe ich noch keine Nachricht erhalten, was meine Gedankenmühle weiterhin auf Hochtouren arbeiten lässt. Zur Ablenkung könnte ich mich einer Schnitzarbeit widmen, oder mich auch wieder mal an der Staffelei austoben, aber für derlei kreative Dinge fehlt mir momentan einfach die Geduld.
Nach einer Weile des Herumwanderns gebe ich auf und suche mir ein paar abgetragene Klamotten heraus. Etwas Frischluft wird mir guttun, ganz sicher. Es ist kurz vor zehn Uhr, als ich die Haustür meiner mit Erinnerungsstücken an vergangene Zeitalter gespickten Wohnung hinter mir zuziehe. Außerhalb des Wohnungsblocks nicke ich den beiden Halbstarken zu, die an meinem BMW lehnen, als ob er ihnen gehören würde.
Jungs aus Anils Gang, dem lokalen Obermotz, der sich wegen etwas Grasdealerei für den Drogenkönig von Hamburg hält. Ich habe mich bei meiner Ankunft recht schnell mit ihm arrangiert: Er stellt öfter mal ein paar Gefolgsleute für kleinere Jobs ab, die ich zu vergeben habe, dafür lasse ich ihn sein 50 Cent-Ding abziehen. Die beiden Jungs machen Anstalten zu verschwinden, doch ich winke nur ab und marschiere einfach los, hinein in die heruntergekommenen Straßen von Wilhelmsburg.
Es ist kalt geworden in der letzten Woche, es würde mich kaum wundern, wenn bald der erste Schnee fällt. Tief vergrabe ich die Hände in den Jackentaschen und beschleunige meine Schritte. Einzig die Bewegung zählt, um auf andere Gedanken zu kommen. Außerdem kann ich bei dieser Gelegenheit gleich Patrouille laufen. Manchmal möchte ich einfach, um der alten Zeiten willen, um mich herum nach dem Rechten sehen. Meistens bedeutet das, ein paar Typen zu verscheuchen, die hier für Ärger sorgen wollen.
Bis ich heute meine Gedankenmühle unter Kontrolle habe, reiße ich jedoch etliches an Strecke herunter. Oswalds Tod will mir keine Ruhe lassen. Eigentlich sollte man nach Äonen des Krieges in dieser Hinsicht langsam abstumpfen, vor allem wenn man es mit fragilen Wesen wie Menschen zu tun hat.
Immerhin sterben sie nicht nur binnen kurzer Zeit, sondern betreiben oftmals immensen Aufwand, um ihre eigene und auch die Lebenserwartung ihrer Mitmenschen drastisch herabzusetzen. Trotzdem gibt mir Oswalds Tod immer noch gewaltig zu kauen.
Nach etwa einer Stunde straffen Marsches befinde ich mich ein gutes Stück weit weg von zu Hause. Nur hat sich die Gegend nicht großartig geändert, denn sie mutet genauso heruntergekommen und versifft an, wie bei mir um den Block herum. Die Gangzeichen an den Wänden sehen anders aus, das war es auch schon.
Kurz bleibe ich stehen, um mir eine Kippe anzuzünden, doch verharre ich mitten in der Bewegung. Langsam senke ich den Kopf, bis mein Kinn fast die Brust berührt und lausche, bis es gewiss ist: In einiger Entfernung schreien sich Menschen an, genauer gesagt eine Frau und mindestens zwei Männer. Ich höre aus den Stimmen eine ganze Bandbreite an Emotionen heraus, wenn ich auch ihre Worte ob des Hintergrundlärms nicht verstehen kann. Wut. Gehässigkeit. Und Angst, sehr viel davon sogar!
Langsam atme ich aus und balle die Hände zu Fäusten. Mit Schreien an sich komme ich klar. Während des Krieges war ich selbst nur allzu oft der Grund, warum Menschen geschrien haben, gelegentlich in durchaus berechtigter Todesangst.
Ich sollte einfach weitergehen. Nicht mehr mein Gebiet, keine Leute, die ich beschütze! Unwillig setze ich mich wieder in Bewegung, um möglichst schnell dem Gebrüll zu entgehen. Dummerweise kommen in meiner Marschrichtung die Stimmen eher näher und leider verstehe ich bald sogar, um was es geht. Eine Nutte und ihr Zuhälter. Vom Dialekt her kommt sie wohl irgendwoher aus den slawischen Gebieten. Russland, Ukraine, Polen, so was in etwa. Ihr Lude scheint nicht zufrieden mit ihren nächtlichen Einkünften zu sein. Szenen, wie sie hier ständig passieren.
Nein, kein Grund zum Eingreifen, sage ich mir einem Mantra gleich. Dann komme ich auf Höhe der schmalen Nebenstraße, in der sich die ganze Sache abspielt. Nur kurz werfe ich im Vorbeigehen einen Blick hinein, bevor ich wieder auf den Weg vor mir sehe und weitergehe. Alles andere könnte zu Komplikationen führen. Mein Kiefer mahlt und immer noch halte ich die Hände in den Jackentaschen zu Fäusten geballt.
Es sind insgesamt sechs Typen, die um das Mädel herumstehen. Von ihr dagegen ist kaum etwas zu erkennen. Langsam setze ich einen Fuß vor den anderen und freue mich über jede Nuance an Lautstärke, die der Streit hinter mir verliert. Fast habe ich es geschafft und werde bald nicht mehr verstehen, was dort geschrien wird, als auf einmal ein lautes Klatschen ertönt, gefolgt vom hämischen Gelächter aus etlichen Kehlen.
Ich bleibe stehen. Schließe die Augen. Bitte nicht…
Dann höre ich es. Ein, für einen Menschen auf diese Entfernung kaum wahrnehmbares Geräusch, das mir aber durch Mark und Bein geht: Leises Schluchzen.
Nervös lecke ich mir über die Lippen. Sie ist nicht mein Schützling! Hier ist nicht mein Gebiet! Es wird nur Ärger bringen! Doch unterlegt von den vor Hohn triefenden Stimmen höre ich weiterhin das Mädchen weinen. Ein Geräusch, das für meinesgleichen wie das Kratzen von Fingernägeln auf einer Schiefertafel ist. Ich will einen weiteren Schritt tun, aber mein Fuß ist wie am Boden festgenagelt. Als es dann nochmals klatscht und der nächste Schrei nur noch von Angst und Schmerzen erfüllt ist, geht unvermittelt ein Ruck durch mich.
Ohne nachzudenken, kehre ich um und erreiche in Rekordzeit die mit Mülltonnen zugestellte Gasse. Niemand nimmt zunächst von mir Notiz, da fünf der Schläger gerade sichtlich amüsiert dabei zusehen, wie ihr Boss ein weiteres Mal ausholt. Sein Opfer sitzt inzwischen auf dem Boden und hält beide Arme um den Kopf geschlungen, um sich vor den nächsten Schlägen zu schützen.
»Lasst sie in Ruhe!«, höre ich mich selbst in müdem Tonfall sagen und mache einen Schritt auf die Männer zu. Dabei setze ich ein ungefährliches Quäntchen meiner Kräfte ein, um sie meine Worte auch auf die Entfernung verstehen zu lassen. Das Lachen vor mir erstirbt, als sich die Schläger und auch der Lude höchstpersönlich mir zuwenden. Kurz wirken die Kerle verwirrt, bevor einer von ihnen einen herausfordernden Schritt auf mich zu macht. »Verpiss dich oder es gibt was aufs Maul!«, knurrt er, während er in seine Jackentasche greift.
Noch könnte ich genau das tun. Einfach umdrehen, weggehen, die Ohren verschließen…
Doch stattdessen schüttle ich den Kopf. »Gegenvorschlag: Ihr lasst sie gehen und verzieht euch, dann haben wir alle einen schönen Tag! Wie klingt das?«
Dass es um den geistigen Horizont dieser Dreschflegel kaum allzu gut bestellt ist, wird spätestens in dem Moment klar, in dem mich die Hälfte von ihnen sichtlich irritiert angafft. Offenkundig passt mein Verhalten nicht zu den lange in ihrem Verstand etablierten Verhaltensmustern ihrer Mitmenschen. Und natürlich reagieren sie auf etwas Unbekanntes mit ihrem Universalmittel zur Konfliktlösung, nämlich Gewalt! Drohend kommen mir alle Sechs entgegen und bringen jetzt allerlei Schlagwaffen zum Vorschein.
Im Hintergrund rappelt sich das Mädel derweil wieder hoch, um mit weit aufgerissenen Augen die Geschehnisse zu verfolgen. Abgesehen von einer blutigen Lippe und ein paar Schrammen scheint sie in Ordnung zu sein, doch bleibt mir keine Zeit für eine eingehende Musterung, denn schon werde ich von sechs Mann eingekreist.
»Jungs, ich rate euch…«, setze ich kühl an, doch unterbricht mich eine Faust, die auf mein Gesicht zuschießt. Eine instinktive Ausweichbewegung bringt mich dummerweise auf Kollisionskurs mit dem Hieb eines anderen Gegners, der mir die Luft aus den Lungen treibt. Und das ist erst der Anfang, da es jetzt von allen Seiten Schläge und Tritte hagelt.
»Lauf, Kleine, bitte lauf!«, will ich ihr zuschreien, denn sie steht einfach erstarrt da wie ein Kaninchen im Scheinwerferlicht und sieht zu, wie ich verdroschen werde. Sie ist ziemlich hübsch, wie ich zwischen zwei Treffern realisiere, ziehe aber von meiner Alterseinschätzung nochmal drei Jahre ab und ordne sie jetzt bei etwa Zwanzig ein.
Auf sie zu achten war ein Fehler, wie mir gleich darauf schmerzhaft klar wird, denn einer dieser kleinen Bastarde erwischt mich mit seinem Schlagring voll am linken Jochbein. Ich werde zurückgeschleudert, höre Knochen knirschen und sehe auf einmal nichts mehr, weil mir Tränen in die Augen treten. Während ich mir mit dem Arm übers Gesicht wische, torkle ich rückwärts und versuche, Distanz zu meinem Peiniger herzustellen, doch das Aas setzt siegessicher grinsend nach, genau wie seine Kumpane.
Als er erneut ausholt, komme ich ihm reflexhaft zuvor und erwische ihn mittels eines Ausfallschritts mit einem wohl etwas zu kräftigem Kinnhaken. Er wird von der Wucht des Schlages zurückgeschleudert, stößt zwei seiner Kumpane zur Seite, um spastisch zuckend zu Boden zu gehen.
Ich stecke somit in echten Schwierigkeiten, denn so wie sein Kopf haltlos auf den Schultern herumrollt, hat er nicht mehr allzu lang zu leben! Erneut sehe ich zu dem Mädchen und brülle sie jetzt wirklich an. »Lauf, verdammt nochmal!«, bevor mir ein Messer in den Rücken fährt, dessen Klinge sengenden Schmerz durch meinen Oberkörper jagt.
Was zu viel ist, ist zu viel! Mit einem wütenden Knurren greife ich mir den erstbesten der Angreifer und ziehe Kraft aus einer Quelle, die ich nur noch ungern anzapfe. Mit einem Mal wiegt der Kerl weniger als ein Handtuch und genau wie ein solches dresche ich ihn in schneller Folge mehrmals auf den Boden, bevor ich ihn einem seiner Kumpane wortwörtlich ins Gesicht schleudere.
Noch immer steckt mir die Messerklinge im Rücken, aber jetzt fachen die Schmerzen meine Wut nur noch weiter an.
Rasch wechsle ich seitwärts, um mich, nur einen Lidschlag später, wieder aus unserer Domäne heraus in der Welt zu manifestieren, und zwar hinter den verbliebenen Schlägern. Unfähig zu realisieren, was eben geschehen ist, stehen die Drei einfach nur gaffend da.
Ich greife mir die ersten Beiden, um sie im Anschluss kräftig gegen die nächstbeste Backsteinmauer zu schleudern. Dabei kann ich die grimmige Befriedigung nicht leugnen, die mir das Geräusch ihrer berstenden Knochen verschafft. Bleibt nur noch einer.
Dabei handelt es sich um den Luden selbst, wie ich erheitert feststelle. Flucht ist für ihn keine Option mehr, also ziehe ich zunächst das Messer aus meinem Rücken, bevor ich mich wieder ihm zuwende.
Der Zuhälter zieht eben eine Pistole aus dem Hosenbund. Wahrscheinlich eine Makarov, irgendein billiger Nachbau aus China oder so.
Ungerührt gehe ich auf ihn zu und werde auch dann nur wenig langsamer, als er den Abzug betätigt und das Geschoss durch meinen Arm zupft. Schon bin ich bei ihm, greife nach der Waffe und erhöhe den Druck dermaßen, bis ich Fingerknochen brechen hört. Noch bevor sein Schrei verhallt ist, drücke ich die Hand des Kerls nach oben, bis der Lauf der Pistole von unten gegen sein Kinn stößt. Ungerührt blicke ich ihm in die Augen. Was ich in seiner Seele erkennen kann, reicht aus, um mich anschließend den Abzug durchziehen zu lassen.
Glücklicherweise sprengt ihm das Geschoss lediglich die hintere Hälfte seines Schädels ab, was mein Gesicht von Blut und Gewebe verschont. Fast vergesse ich, den Toten loszulassen, der daraufhin wie ein nasser Sack umkippt.
»Na wunderbar!«, knurre ich und betrachte die Leiche vor mir. Ich muss so schnell wie möglich verschwinden, denn abgesehen davon, dass ich eben sechs Menschen getötet habe, wird es nur wenige Augenblicke dauern, bis Gefallene hier sind. Schnell schaue ich mich nach dem Mädchen um und finde sie nicht mehr. »Noch besser!«, murmle ich, um anschließend mit etwas Konzentration meine Verletzungen zu heilen.
Kaum damit fertig, greife ich mir das blutige Messer sowie die Pistole, lasse beides in einer Beintasche verschwinden und schlage den Kragen der Jacke hoch. Es besteht immerhin zumindest eine theoretische Chance, nicht erkannt zu werden. Aber um die weltliche Polizei mache ich mir auch eher weniger Sorgen, also verlasse ich eilends die Gasse.
Keine zweihundert Meter bin ich gekommen, als mir ein Schauer über den Rücken läuft. Nur zu gut kann ich die Anwesenheit einer boshaften Präsenz in der Anderswelt spüren, wie meinesgleichen die Domäne der Engel nennt, und beschleunige, bis ich fast schon zu rennen beginne. Der Gefallene eilt zeitgleich höchstwahrscheinlich zu dem Punkt, an dem ich die Schöpfung gebeugt habe.
Nichts passiert, aber erst ein paar Straßen weiter werden sowohl meine Schritte als auch mein Herzschlag langsamer. Wie knapp die Sache war, zeigt mir nur wenig später der Streifenwagen, der an mir mit heulendem Martinshorn in die Richtung vorbeidonnert, aus der ich eben gekommen bin. Es fällt mir schwer, dieselbe, nichtssagende Miene aufrecht zu erhalten, die nahezu jeder der mir entgegenkommenden Passanten zur Schau stellt. Schon will ich wieder in einen nicht enden wollenden Sumpf von Selbstvorwürfen versinken, doch trample ich die entsprechenden Gedanken energisch nieder.
Denn zunächst habe ich ganz andere Sorgen: Zwar ist es Meinesgleichen in der Anderswelt möglich, sehr schnell zu reisen. Um mich zu bemerken, muss mein Häscher jedoch relativ dicht in der Nähe weilen. Ich kann nur auf einen Zufall und damit auf ein kleines Wunder hoffen, während ich mir gleichzeitig Mühe gebe, meine himmlische Ausstrahlung noch mehr als üblich zu verbergen!
Mit betont gelangweiltem Gesicht spiele ich an dem Einschusslos im Ärmel herum und arrangiere den Stoff dort neu, um es zu verdecken. Allzu sehr geblutet haben beide Wunden nicht, aber sicher ist sicher. Das Letzte, was ich jetzt brauchen kann, ist auch noch Ärger mit der Polizei.
Bange Minuten vergehen, während ich zügig aus der Umgebung verschwinde und das Wunder tritt ein: Nach einer Weile verliert sich das übelkeitserregende Gefühl des Gefallenen. Dennoch verbringe ich die kommenden drei Stunden damit, ziellos durch die Gegend zu wandern, bevor ich nach Hause zurückkehre.
Kaum ist die Tür hinter mir zugefallen, lehne ich mich dagegen und atme tief aus. Die Jacke und das ruinierte Shirt darunter werfe ich achtlos in ein Eck und hole mir ein Neues. Katze kommt maunzend an und streicht mir um die Beine, wird aber von mir ignoriert. Stattdessen marschiere ich als Nächstes schnurstracks in das hinterste Zimmer der Wohnung, wo sich meine Waffen und Erinnerungstücke an vergangene Zeiten befinden.
Einer Eingebung folgend nehme ich ein englisches Breitschwert von der Wand und betrachte es gedankenverloren. Es ist ein Erinnerungsstück, inzwischen unbezahlbar, doch ist dieser Umstand für mich kaum von Belang. Es gehörte einst einem Schützling, der sehr zu meinem Leidwesen glaubte, damit den christlichen Glauben verbreiten zu müssen. Der Schwertgriff liegt schwer in der Hand und vermittelt ein trügerisches Gefühl der Sicherheit.
Nein, ich habe keine Angst vor der Vernichtung. Aber was bei einem Zweikampf zwischen mir und diesem unbekannten Gegner alles in einer dicht bewohnten Gegend hätte passieren können, will ich mir nicht einmal im Traum ausmalen. Und darüber hinaus ist das Ende meiner Existenz wohl kaum das Schlimmste, was ein Gefallener mir antun könnte.
Den Gedanken verdrängend, begebe ich mich in die Mitte des Raums, nehme Grundstellung ein und führe eine minutenlange Abfolge von Schlägen, Stichen und imaginären Paraden aus. Bald beginnt das Gewicht des Schwerts an meinen, nun wieder nur mit menschlicher Kraft versehenen Armen zu zerren, bis sie letztlich vor Schmerzen schier schreien. Schwer atmend hänge ich die Klinge im Anschluss zurück an ihren Platz und gehe duschen. Das heiße Wasser brennt auf der frischen Haut an den ehemals verletzten Stellen und erinnert mich einmal mehr daran, wie dämlich die Aktion eben gewesen ist.
Wenig später sitze ich in meinem Arbeitszimmer und betreibe das, was ich den großen Mediencheck nenne. Wahllos zappe ich durch diverse Fernsehsender, habe nebenbei das Radio laufen und sichte online etliche Newsgroups aus dem Hamburger Raum auf einem Laptop. National finde ich glücklicherweise nichts, aber in den Onlinenews für die Stadt selbst gibt es kaum noch ein anderes Thema. Sechs Männer ermordet aufgefunden, einer davon ist ein polizeibekannter Zuhälter… Die Ermittler gehen von Bandenkriminalität als Tathintergrund aus… Zeugen gesucht…, überfliege ich eine der Meldungen und lasse den unbewusst angehaltenen Atem entweichen. Um Fingerabdrücke brauche ich mir keine Gedanken zu machen, also könnte ich tatsächlich ungeschoren aus der Angelegenheit rauskommen.
Zumindest sofern nicht irgendein Freak die ganze Festivität gefilmt hat und jetzt erst mal auf das höchste Gebot diverser Fernsehsender geiert.
Eine Weile surfe ich noch weiter, bevor mein Handy brummt und den Empfang einer neuen Nachricht verkündet. Sie stammt von Steffi und besagt kurz und knapp, dass sie heute Abend bei einer Kommilitonin zum Essen eingeladen ist. Sicherlich wäre es eine bessere Idee, jetzt erst mal den Kopf unten zu behalten, aber inzwischen wüsste ich nur zu genau, wenn der Gefallene meine Fährte gefunden hätte. Nach einem kurzen Blick auf die Uhr lege ich passende Klamotten heraus. Es mag noch genügend Zeit sein, doch ich plane lieber etwas mehr Puffer für die Anfahrt ein, denn mit dem Elbtunnel ist nachmittags mitunter nicht zu spaßen.
Bald schon verlasse ich abermals die Wohnung. Es regnet, was mir irgendwie ganz recht ist. Mit missmutiger Miene korrigiere ich den Sitz des Holsters unter der Achsel und nicke den beiden Wachen am Wagen kurz zu, bevor ich mich auf den Weg mache.
Dabei strecke ich immer wieder meine Sinne nach einem möglichen Verfolger in der Anderswelt aus, doch scheine ich keinen Schatten zu haben. Dies ändert jedoch nichts daran, dass ich nicht aufhören kann, mich umzusehen…