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3. Kapitel

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Die nächsten beiden Tage vergehen, ohne bemerkenswerte Ereignisse. Walthers mittlerweile eingetroffener Zwischenbericht hätte nichtssagender nicht sein können und somit bin ich weiter zum Warten verdammt. Wenigstens haben sich die Reporter mittlerweile auf ein anderes Thema als den getöteten Zuhälter gestürzt, also ist zumindest hier eine Entspannung absehbar.

Es ist Freitag und höchstwahrscheinlich steht mir damit wieder einmal eine lange Nacht ins Haus. Kritisch kontrolliere ich meinen Schädel auf Haare, die der Drei-Millimeter Einstellung des Rasiergeräts entkommen sind, bevor ich das Bad verlasse, um die restlichen Vorbereitungen anzugehen. Steffi will gegen acht Uhr abgeholt werden, also muss ich mich langsam beeilen und fahre keine zwanzig Minuten später los.

Die Hamburger Straßen sind bereits voll von Nachtschwärmern, die es gar nicht erwarten können, sich ins Nachtleben zu stürzen. Ich mache während der Fahrt ausgiebig von meiner Hupe gebrauch und schaffe es um Haaresbreite, pünktlich zu sein. Kaum angekommen, greife ich mir den Schirm, steige aus und eile nach einem sichernden Rundumblick zur Tür. Es gießt wie aus Kübeln, was aber die Laune der gutsituierten Partypeople hier in Eppendorf erfahrungsgemäß kaum schmälert.

Nachdem ich geklingelt habe, lässt Steffi mich eine ganze Weile warten, jedoch nicht lange genug, um bei mir Unruhe aufkommen zu lassen. Schließlich öffnet sie ihre Apartmenttür und strahlt mich an. Sie sieht zum Anbeißen aus, wie ich mit einem inneren Seufzen zugeben muss. Eine Kombination von blondem Haar mit Strähnen, ein Top mit tiefem Ausschnitt und Minirock samt High-Heels schreien geradezu nach einer harten Nacht für den Bodyguard. Dennoch ringe ich mir ein Lächeln ab. »Guten Abend, Frau Dressler! Gut sehen Sie aus!« Zur Antwort werde ich mit einem koketten Augenaufschlag bedacht. »Hi, Micha!« Sie schließt in aller Ruhe ihren Mantel und zieht die Tür zu. »Dann auf ins Getümmel!«

Schweigend geleite ich sie nach draußen und verhindere mit dem Regenschirm, dass Steffi allzu nass wird. Wie ein verdammter Butler komme ich mir dabei vor, aber egal. Ihr Dad drückt genug Kohle ab, um mich über vieles hinwegsehen zu lassen. Außerdem bin ich gerade zu sehr damit beschäftigt, die Umgebung im Auge zu behalten, als das ich mir Gedanken um meinen Stolz machen könnte. Innerlich atme ich auf, als ich gleich darauf ebenfalls einsteige und losfahren kann.

Der Abend beginnt mit der üblichen Routine. Zunächst trifft sich Steffi mit ihren aktuellen Freundinnen in einer Cocktailbar. Ich sitze zwei Tische weiter, habe ein Mineralwasser vor mir stehen und übe mich in Selbstbeherrschung, derweil ich das Geschnatter der Mädels ertragen muss. Dabei mache ich keinen Hehl aus meinem Job und behalte die anderen Anwesenden im Auge. Einigen Gästen scheint das eher weniger in den Kram zu passen, was mir aber wiederum rechtschaffen egal ist.

Nach etwa einer Stunde gibt es eine Überraschung für mich, denn Steffi kommt herüber und eröffnet mir den nächsten Punkt des heutigen Abendprogramms. »Micha, es spricht doch nichts dagegen, dass wir Tine, Anne und Sophie mitnehmen, oder? Ich möchte gern ins Ramses!«

Ich verkneife mir die auf der Zunge liegende Antwort und leere stattdessen das Wasserglas. Kurz sehe ich sie an, dann lächle ich, wenn auch etwas gezwungen ob der Befürchtung, wie die restliche Nacht laufen wird. »Klar«, erwidere ich dennoch. Steffi lächelt und wendet sich vom Tisch ab, um die frohe Botschaft zu verkünden, währenddessen ich nur mit Mühe den Impuls, meine Stirn auf die Tischplatte zu hämmern, unterdrücken kann.

Somit verkommt der BMW endgültig zum Hühnertransport, wie ich ein paar Minuten später feststelle. Steffi sitzt jetzt neben mir, derweil ihre drei Fangirls hinten sitzen und in einer Tour, ohne Punkt und Komma, vor sich hin quatschen.

Glücklicherweise dauert die Fahrt nicht allzu lange. Dabei sollte ich noch erwähnen, dass das Ramses genau zu der Sorte Schuppen gehört, in den Dressler Senior seine Tochter nicht sehen möchte.

Auch heute steht der Schotterparkplatz halb unter Wasser, wie ich mit diebischer Schadenfreude feststelle, als die vier Damen dort über Pfützen hinweg aussteigen und von mir zum Eingang eskortiert werden. Drinnen ist um diese Uhrzeit noch nicht allzu viel los, was sich aber bald ändern wird. Wegen mir könnte es so bleiben, was jedoch an einem Freitagabend nur Wunschdenken ist.

Einstweilen besetzt Steffi mit ihrer Entourage eine Sitzgruppe und ordert die nächste Cocktailrunde des Tages. Ich dagegen lehne in einiger Entfernung an der Wand und lasse langsam den Blick schweifen, um dabei die Auren der Partygänger, die an mir vorbeikommen, zu betrachten. Viele beäugen mich verwundert, oder stecken mit ihren Kumpels die Köpfe zusammen, was wohl ein Typ im Anzug hier treibt. Meist in etwa so lange, bis sie mir in die Augen sehen und sie es auf einmal eilig haben, weiterzugehen.

Die Stunden kriechen geradezu auf Knien und Ellenbogen für mich dahin, ohne dass ich mir auch nur einen Augenblick der Ruhe gönnen kann. Steffi genießt es heute sichtlich, mit Gesellschaft unterwegs zu sein. Vielleicht schon etwas zu viel, möchte ich meinen, so wie sie eben mit Anne am Herumknutschen ist. Papa Dressler würde aus der Haut fahren, was mir, ehrlich gesagt, in diesem Fall scheißegal ist. Kurzzeitig verirren sich drei Kerle in die Sitzgruppe, doch geben mir weder ihr Gebaren noch ihre Auren einen Grund zum Eingreifen. Ich bemerke Steffis halbpanische Blicke in meine Richtung, rühre mich aber nicht, sondern zwinkere ihr nur zu. Als die Möchtegern-Casanovas bald darauf wieder abziehen, scheinbar eingeschüchtert von Mädels, die nicht sofort auf ihr Macho Gehabe anspringen, möchte ich am liebsten den Kopf schütteln. Keinen Arsch in der Hose, die Jungs! Auch Steffi wirkt etwas angefressen, was jedoch nur fünf Minuten anhält.

Mitternacht ist lange vorbei, als mein Schützling und Anne aufstehen, ihre Handtaschen greifen und zu mir herüberkommen. Automatisch gehe ich ihnen entgegen, glaube aber schon zu wissen, wohin der Weg führen wird. »Wir müssen mal für kleine Mädchen!«, dringt mir auch gleich die erwartungsgemäße Ankündigung Steffis ans Ohr. Ich nicke und setze mich als Pflug durch die inzwischen dichtgedrängte Menschenmenge in Richtung der Toiletten in Bewegung.

Innerlich schmunzle ich. Anne wirkt nicht, als ob ich ihr geheuer wäre. Was für eine kluge Dame sie doch ist! Dennoch folgt sie mir zusammen mit Steffi, als ich für sie rigoros den Weg freimache. Da die Beiden aber bald darauf wieder heftigst am Schäkern sind, scheint ihr Unbehagen bald vergessen zu sein.

Anschließend heißt es für mich warten, was geraume Zeit in Anspruch nimmt. Eben sehe ich zum ersten Mal auf die Uhr und erwäge, nervös zu werden, da öffnet sich die Klotür und Anne kommt heraus. Als ich erkenne, dass sie allein ist, schlagen bei mir alle Warnsirenen an, auch wenn sie keinesfalls beunruhigt aussieht.

Sie hält lächelnd direkt auf mich zu und will mir etwas über den ohrenbetäubenden Radau hinweg zurufen, den sie hier Musik nennen, da geht die Welt in die Brüche. Ich werde emporgerissen und krache gegen etliche andere Körper, die mit mir zusammen zu Boden stürzen. Erst jetzt dringt mir der laute Knall in den Verstand, der die Ursache für diese kurze Luftreise gewesen ist. Anschließend folgen Schreie, die ohne Weiteres die Musik übertönen. Ein hastiger Versuch, wieder auf die Füße zu kommen, schlägt fehl, da mein Gleichgewichtssinn noch rebelliert.

Die nächsten Bemühungen werden von panischen Menschen unterbunden, die in wilder Flucht auf mir herumtrampeln. Ich rieche Rauch, was letztlich ausreicht, um mich zur Aktion zu zwingen: Steffi muss hier heraus, und zwar sofort!

Mit zusammengebissenen Zähnen gelingt es mir endlich hochzukommen, auch wenn ich damit andere Flüchtende zu Fall bringe. Im Saal herrscht die reine Panik. Ich versuche, in all dem Durcheinander zur Damentoilette zu gelangen, doch rutsche ich schon nach wenigen Schritten wieder aus und falle der Länge nach hin. Mein Sturz wird durch einen weichen Körper gedämpft, aus dem bereits jedes Leben gewichen ist.

Nur noch die Agonie des Todeskampfes kann ich spüren, als ich mich hochdrücke und in Annes Gesicht blicke. Ihr kompletter Rücken hat die Wucht der Explosion abbekommen. Es ist ihr Blut, auf dem ich ausgerutscht bin. Mit einem Aufschrei springe ich wieder auf die Füße und versuche Steffi in all dem Durcheinander zu finden, rufe gleichzeitig ihren Namen, doch geht er in dem panischen Gebrüll hunderter fliehender Menschen unter. Rücksichtslos kämpfe ich mich in Richtung Damenklo vor, brauche jedoch viel zu lange dafür ob der Menschenflut, gegen die ich ankommen muss.

Endlich reiße ich die Tür auf, kann Steffi aber nirgends finden, egal wie sehr ich meine Sinne auch anstrenge. Also wirble ich auf dem Fuß herum und kehre in den Hauptsaal zurück, wo der fettige Rauch mir Hustenreiz in der Kehle aufsteigen lässt. Wieder und wieder rufe ich Steffis Namen und zwinge mich, auch die vielen gefallenen Leiber auf dem Boden zu überprüfen, über die von den anderen rücksichtslos hinweggetrampelt wird. Jetzt endlich legt die Sprinkleranlage los und löscht die teilweise in Flammen stehende Beleuchtungsanlage an der Decke binnen Augenblicken.

Immer noch ist nichts von Steffi zu sehen, also gehe ich aufs Ganze und dehne meine Sinne weit über die Möglichkeiten eines Sterblichen hinweg aus. Doch es sind zu viele Menschen mit zu viel Angst auf zu wenig Raum. Keine Spur von Steffis Aura, egal wie sehr ich auch versuche, sie auszumachen. Dafür fühle ich aber etwas anderes, was Panik in mir aufsteigen lässt: Ganz schwach ist da die schwindende, faulige Präsenz des Gefallenen, der mich in der Gasse vor ein paar Tagen fast erwischt hätte. Hat er…? Mit einem wütenden Aufschrei beschleunige ich, pflüge durch die zusammengedrängte Menschenmenge am Ausgang und schiebe, wen auch immer mir in die Quere kommt, achtlos zur Seite.

Endlich gelange ich ins Freie, woraufhin meine Rufe über den Parkplatz hallen. Aber Steffi ist fort, wie ich mir nach langen Minuten ergebnisloser Suche eingestehen muss. Kraftlos kippe ich gegen einen Wagen und rutsche daran herunter, während ich versuche zu begreifen, was eben geschehen ist.

Wie durch einen Schleier bemerke ich später den Mann, der auf mich einredet. Es ist ein Sanitäter, der offenkundig versucht, ein vermeintliches Opfer in Richtung eines bereitstehenden Krankenwagens zu lotsen.

Ein Blick an mir herunter macht auch klar warum. »Mir geht’s gut, das ist nicht mein Blut! Kümmern sie sich um jemand anderen!«, erwidere ich, bevor ich mich hochrapple, ihn stehenlasse und weitersuche, obwohl ich mir sicher bin, sie nicht mehr zu finden. Steffi ist weg, ich konnte es nicht verhindern!

Eine Stunde später habe ich Gewissheit. Mein Schützling ist weder unter den Toten und Verletzten im Club, noch befindet sie sich hier auf dem Parkplatz. Hastig ziehe ich das Handy hervor und brauche zwei Anläufe, bis ich, ob zitternder Finger, Walthers Nummer zu wählen imstande bin. Ich verfluche jeden einzelnen Klingelton, bis er schließlich abnimmt. »Michael, es ist … ziemlich spät!«, werde ich begrüßt. »Was ist los?«

Ich hole tief Luft und kann nur mit Mühe verhindern, ihn durch das Handy hindurch anzuschreien. Trotzdem verhasple ich mich mehrfach beim Sprechen. »Du musst sie tracen! Sofort! Steffi!« Nun herrscht Stille in der Leitung. Bei seiner Antwort klingt Walther nun hellwach. »Das hört sich jetzt irgendwie nicht an, als ob sie dir nur schon wieder ausgebüxt ist!« Nein, es ist nicht das erste Mal, dass ich sie über meinen BND Kontakt ausfindig machen lasse. Aber bisher waren es nur Fluchtversuche vor der väterlichen Allmacht.

Wütend dresche ich mit der Hand gegen die nächste erreichbare Fläche und bemerke zu spät, dass es das Seitenfenster eines Wagens ist, welches sofort mit einem Spinnennetzmuster überzogen ist. Eilends gehe ich weiter, um Walther trotz der aufheulenden Alarmanlage verstehen zu können. »Nein, verdammt noch mal! Jemand hat sie entführt, vor meinen Augen! Ein Gefallener!«

Nochmals wird es still, bevor ich ein geflüstertes »Oh Scheiße!« höre. Er weiß genau, wovon ich rede, schließlich habe ich ihn vor einer halben Ewigkeit vor einem Solchen gerettet. »Gib mir fünf Minuten!«, kommt es dann aus dem Telefon.

Immer noch kommen weitere Rettungskräfte am Ramses an, während ich wie ein Tiger im Käfig herumwandere und über die Handyverbindung Walthers Tastatur klackern höre. Langsam wird mir mittlerweile das ganze Ausmaß der Explosion klar. Überall sind Verletzte zu erkennen, wobei die meisten sich nur fliegende Glassplitter oder Blessuren durch rücksichtslos Fliehende eingefangen haben. Etliche davon dürften auf mein Konto gehen. Es heitert mich zudem auch eher wenig auf, zumindest die verbliebenen beiden Begleiterinnen von Steffi in der Obhut von Sanitätern zu sehen.

Als Walthers Stimme wieder ertönt, atme ich erleichtert aus. »Micha, wenn diese Koordinaten hier korrekt sind, muss sie sich irgendwo auf dem Parkplatz befinden. Etwa mittig, würde ich sagen!« So viel zur Hoffnung auf gute Nachrichten! Ich beiße die Zähne zusammen, bis es schmerzt. »Nein! Wäre sie noch hier, dann wüsste ich das! Glaub mir!« Walther seufzt leise. »Nun ja, zumindest ihr Handy müsste da sein!« Ich nicke, obwohl er mich nicht sehen kann. »Alles klar! Danke!«

»Gern geschehen! Ich hol mir einen Kaffee und strecke die Fühler aus. Falls hier so ein Teufel unterwegs ist, hinterlässt er ganz sicher Spuren! Bis später!«, meint Walther und unterbricht die Verbindung.

Ich richte meinen Blick derweilen schon auf den Boden vor mir und schreite langsam und methodisch den Parkplatz ab, ohne dabei dem dort herrschenden Durcheinander weiter Beachtung zu schenken. Wenn ich richtig bezüglich des Gefallenen liege, macht es jetzt keinen Unterschied mehr, ob für die Suche Engelskräfte zum Einsatz kommen oder nicht. Und tatsächlich findet sich Steffis ramponierte Handtasche bald unter einem Wagen, wo sie im Begriff ist in einer Schlammpfütze zu versinken.

Ohne die Tasche näher zu untersuchen, greife ich sie mir und wende mich ab, um wie betäubt zurück zu meinem etwas abseits geparkten BMW zu gehen. Im Inneren knalle ich beide Hände aufs Lenkrad und die Stirn direkt hinterher. Wie hat er mir nur so lange unbemerkt folgen können? Und warum macht er sich die Mühe, Steffi zu entführen, wenn er doch höchstwahrscheinlich nur mich haben will? Als Köder? Ohne eine Antwort zu finden, starte ich schließlich den Wagen, um in einem Kiesregen vom Platz zu fegen, sobald mir niemand mehr den Weg versperrt.

Mein Kopf ist wie leergefegt. Zum ersten Mal seit verdammt langer Zeit weiß ich nicht einmal im Ansatz, was ich tun soll. Da er Steffi mit durch die Anderswelt genommen hat, kann sich der Gefallene jetzt sonst wo befinden.

Er scheint über beträchtliche Macht zu verfügen, wenn er seine Ausstrahlung so vor mir hat verbergen können. Nicht in der Disco, dort ist es mit Hilfe der vielen Auren der Sterblichen kinderleicht, aber vorher hätte ich ihn spüren müssen. Gut, auf der anderen Seite ist nahezu jeder Gefallene, der heutzutage noch existiert, ein verdammt krasser Motherfucker, wie Anils Gefolgsleute wohl sagen würden. Und ich gehöre, mit Verlaub gesagt, eher zu den schwächeren Vertretern der himmlischen Heerscharen. Schutzengel brauchten nun mal für ihre Aufgabe nur einen Bruchteil der Macht, die Mitglieder der höheren Chöre innehaben.

Meine Kiefer mahlen in hilfloser Wut, als ich blindlings durch die Straßen Hamburgs rase. Ein Wunder, dass mich keine Streife abfängt, doch die haben jetzt anderweitig zu tun.

Ein Tastendruck aktiviert das Radio. Die Explosion ist weniger als eine halbe Stunde her, was heutzutage aber eine Menge Zeit ist, sofern es um Nachrichten und ihre Verbreitungsgeschwindigkeit geht. Und tatsächlich gibt es, just in dem Moment, in dem ich auf meinen Parkplatz rolle, eine Sondermeldung. Gemäß des etwas hastig eingesprochen klingenden Beitrags gab es eine Explosion im Ramses, ansonsten wird aber wenig Neues berichtet.

Fünf Tote und über sechzig Verletzte sind eine erste Bilanz, die von den Rettungskräften gezogen wird. Noch legen die Behörden sich nicht auf einen Anschlag fest, doch möglicherweise ist technisches Versagen der Grund für die Explosion. Ich schnaube nur, greife mir eine Kippe und starre ins Leere.

Was soll das Ganze? Gefallene verhalten sich gemeinhin nicht derartig subtil. Vor Sorge um Steffi fällt es mir schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Irgendwie muss ich mich an seine Fährte klemmen, auch wenn ich mir damit höchstwahrscheinlich das eigene Grab schaufle, denn vermutlich will mein unbekannter Gegenspieler genau das erreichen. Warum er mir nicht einfach den Hals umdreht, ist mir allerdings ein Rätsel.

Mit einem Seufzen steige ich nach dem Ende der Eilmeldung aus und laufe los. Glücklicherweise hat der Regen vorhin bereits einen Großteil des Bluts abgewaschen. Somit erkennen die beiden, mir im Halbdunkeln entgegenkommenden Typen nicht, wie es um mich bestellt ist. Einer von ihnen grinst frech zu mir herüber, um anschließend eine Kippe davon zu schnippen, dann sind sie vorbei.

Eben krame ich in der Tasche nach dem Haustürschlüssel, als ich zum zweiten Mal an diesem Tage von den Beinen gefegt werde. Die Druckwelle schleudert mich meterweit zurück und lässt mir die Trommelfelle platzen. Wie eine Spielzeugpuppe klatsche ich gegen eine niedrige Mauer, wo ich benommen liegenbleibe, während in der Umgebung ein Trümmerregen niedergeht.

Schon als ich wieder auf die Füße komme, beginnen meine gebrochenen Knochen zusammenzuwachsen, jedoch krampft sich mir gleichzeitig eine eisige Faust im Magen zusammen. Mit weit aufgerissen Augen starre ich nach oben, doch kann und will ich nicht begreifen, was ich dort sehe. Die beiden obersten Stockwerke des Gebäudes bestehen nurmehr aus brennenden Trümmern! Auch jetzt noch regnen Bruchstücke der Explosion auf den Boden herab und richten zusätzlichen Kollateralschaden an. Mehrere kleine Detonationen folgen alsbald, wobei es sich nur um meine eingelagerte Munitionsvorräte, die verdammte Whiskeysammlung oder die Gasleitung handeln kann. Als krönender Abschluss schießt ein Feuerball in den Himmel, um die Szenerie blutrot zu beleuchten. Erst nachdem ein brennender Balken in weniger als fünf Metern Entfernung auf den Boden kracht, genügt das, um mich aus der Starre zu reißen.

Ich schalte auf Autopilot und hetze zurück zum Wagen, der jetzt ein paar Beulen mehr hat. Aber wenigstens haben die gepanzerten Scheiben gehalten, ganz im Gegensatz zu all denen der anderen hier geparkten Autos. Die Wucht der Detonation hat selbst bei den Nachbarshäusern nicht wenige der Fenster zu Bruch gehen lassen.

Hastig werfe ich die Tür hinter mir zu, um ebenfalls zum zweiten Mal heute Abend das Weite zu suchen. Es wird hier deutlich länger dauern, bis Feuerwehr und Rettungswagen vor Ort sind, was mir einen leichten Vorsprung einräumt. Ganz offensichtlich galt auch diese kleine Aufmerksamkeit mir. Wäre ich vorhin direkt nach oben gegangen, müsste ich jetzt bestenfalls meine verstreuten Einzelteile zusammensuchen, wenn die Detonation mich nicht gleich gänzlich vernichtet hätte.

Wie die folgende Stunde vergeht, kann ich nicht genau sagen. Ich kurve wie wild durch die Stadt und finde mich irgendwann am Hafen wieder, wo ich endlich den Motor abstelle und das Gesicht in den Händen vergrabe.

Der Verlust meines Refugiums fühlt sich wie ein abgetrenntes Körperteil an, auch wenn man das meiste an weltlichen Gütern darin ersetzen kann. Doch so viele Erinnerungsstücke sind dahin, die ich mir im Laufe der Jahrhunderte zusammengesammelt habe. Ein Archäologe würde höchstwahrscheinlich entweder einen feuchten Fleck im Schritt oder aber gleich einen Herzanfall beim Anblick dieser jetzt vernichteten Sammlung bekommen haben.

Erst nach einer Weile bin ich wieder zu vernünftigen Gedankengängen fähig. Dummerweise sind meine vorhandenen Notfallpläne für die aktuelle Situation nur bedingt geeignet: Ginge es nur um mich, tja, die Karibik soll zu dieser Jahreszeit wunderschön sein! Aber ein gewisser Drecksack, dessen Namen ich noch nicht einmal kenne, hat Steffi. Und damit bin ich am Arsch, denn es steht außer Frage abzuhauen, solange sie in Gefahr ist.

Nach einem sichernden Blick in die Umgebung steige ich aus und beginne auf und ab zu wandern, bis sich langsam das weitere Vorgehen vor meinem inneren Auge zu manifestieren beginnt. Zumindest die ersten Schritte, die es für mich jetzt zu ergreifen gilt, stehen bald fest: Ich werde Walther anrufen müssen und danach jemandem einen Besuch abstatten, den ich eigentlich nie wieder sehen wollte. Glücklicherweise lebt sie nicht weit von hier, aber allein der Gedanke an ein Wiedersehen mit Aya lässt mich schaudern. Darüber sollte ich mir allerdings später den Kopf zerbrechen. Als Allererstes brauche ich weltliche Waffen! Es gibt in Hamburg einige fragwürdige Adressen, woher man entsprechendes Material beziehen kann, zumindest wenn man bekannt ist und über die nötigen Mittel verfügt.

Gerade als ich erwäge, ob beides bei mir zutrifft, klingelt mein Handy. Ich runzle die Stirn, als mir keine Rufnummer angezeigt wird und halte das Gerät ans Ohr. »Hallo Esariel!«, begrüßt mich eine Stimme, die wie uraltes Pergament klingt und vor Boshaftigkeit nur so trieft. »Na, vermisst du dein kleines Kätzchen?«

Esariel

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