Читать книгу Bock auf Lernen (E-Book) - Felicia, Andreas Müller - Страница 6
1. Illusion Schulen sind gedacht als Orte, wo Schüler lernen.
ОглавлениеEigentlich versteht sich die Schule als ein Ort des Lernens. Zumindest hat sie sich dieses Begriffs bemächtigt. Und sie verwendet ihn synonym. Schule gleich Ort des Lernens. Ort des Lernens gleich Schule. Das ist mal die eine Seite.
Eine andere: Die allgemeine Schulpflicht beordert Kinder und Jugendliche in unseren Breitengraden während zwölf- bis fünfzehntausend Stunden zu einer Tätigkeit, die unter der Bezeichnung »Lernen« in Schulhäusern und Klassenzimmern inszeniert wird. Sollte es dann nicht so sein, dass sich dem Nachwuchs in kognitiver und emotionaler Hinsicht Gewinne eröffnen, wenn er schon so viel Lebenszeit in schulisches Lernen investieren muss? Er muss etwas davon haben, einen gefühlten Return on Investment. Bock am Lernen also und an dem, was dabei entsteht. Und damit Bock auf Lernen.
Ein Team der Universität Wien hat über viertausend Schüler befragt. Es wollte unter anderem wissen, wo das Lernen Spaß macht. Die Antwort kann eigentlich nur lauten: in der Schule. Lautete sie auch: allerdings nur von Kindern in der vierten Schulstufe. Von da an ging’s bergab – im freien Fall. In der 11. Schulstufe konnte gerade noch jeder Fünfte der Jugendlichen dem schulischen Lernen so etwas wie Freude abgewinnen.
Freude auf Talfahrt: Die Lust am Lernen nimmt mit zunehmender Schuldauer rapide ab
Na gut, kann man dem entgegenhalten, in den ersten Schuljahren wird halt noch gespielt und gebastelt. Aber irgendeinmal kommt dann der Ernst des Lebens – auch in der Schule. Dann ist fertig lustig. Dann wird es Zeit, richtig zu lernen.
Das ist absoluter Quatsch. Menschliche Gehirne lernen bloß zu ihren eigenen Bedingungen. Und eine dieser Bedingungen heißt: Es braucht eine emotionale Beziehung zu dem, was man tut. Ob in der Schule, am Arbeitsplatz, in der Freizeit, in der Partnerschaft – wer nicht ist, wo er sein möchte, der leidet. Wer tun muss, was er nicht einsieht, leidet. Und dementsprechend ist das, was dabei rauskommt.
Dabei geht es keineswegs um eine Lebensgestaltung, die frei ist von allen Anforderungen. Ganz im Gegenteil: Was Menschen zufrieden macht – auch beim schulischen Lernen – sind nicht Hängematte, Sandstrand und Palmen – jedenfalls nicht auf Dauer. Es ist nicht das vergnügliche Leben (life of pleasure). Das ist zu inflationär. Ein besonderes Erlebnis ist nicht mehr besonders, wenn es immer ohne Anstrengung zu haben ist. Um den gleichen Lustgewinn zu erzielen, muss das Vergnügen gesteigert werden.
Zwar kommt dem Nichtstun als anzustrebender Zustand in der heutigen Gesellschaft durchaus eine Bedeutung zu. Es ist eine Bedeutung, die in den Medien und mit den Medien eifrig gefördert wird, aus purem Eigeninteresse. So sind heutzutage viele Menschen eine Art Pendler, Pendler zwischen zwei Extremen. Einerseits fühlen sie sich überfordert von zahllosen – echten oder vermeintlichen – Stressquellen des Alltags. Deshalb tun sie andererseits in der Freizeit oft Dinge, die sie unterfordern, weil sie weder Engagement noch Anstrengung abverlangen. So sind sie ausgelaugt und zugleich gelangweilt, werden zunehmend unzufrieden und suchen vergeblich Erfüllung in noch mehr Konsum und noch mehr Zerstreuung auf einem Logenplatz für die flüchtigen Spektakel der Welt.