Читать книгу Bock auf Lernen (E-Book) - Felicia, Andreas Müller - Страница 8
Für später
ОглавлениеWenn Jugendliche gefragt werden, weshalb sie in die Schule gehen, dann gibt es meistens zwei Antworten. Erstens: Um zu lernen. Zweitens: Um gute Noten zu erhalten. Und beides hat sehr direkt damit zu tun, weshalb es nicht so funktioniert, wie es sollte. Denn der Motivationsfaktor »gute Noten« oder »guter Schulabschluss« korrumpiert das Lernen als Tätigkeit. Das heißt: Wenn man die guten Noten kriegen würde ohne das, was als »Lernen« bezeichnet wird, würde man es glattweg überspringen. Was heißt »würde«? Abschreiben, kopieren und einfügen, Dinge nur tun, wenn es Noten gibt, sind bereits gängige Formen dafür. Und damit umgeht man genau das, worum es eigentlich ginge: das Lernen nämlich.
Das hängt direkt damit zusammen, dass die meisten Beteiligten sich wenig bis keine Gedanken darüber machen, was »Lernen« überhaupt ist, wie es funktioniert, wer es wie beeinflussen kann. Was bei anderen Aktivitäten selbstverständlich ist, wird beim Lernen der Einfachheit halber ausgeblendet. Die als Lernen bezeichnete Aktivität in der Schule beschränkt sich auf die Ergebnisse. Nein, das ist eigentlich zu unpräzis. Es geht nicht in erster Linie um die Ergebnisse. Es ist die Beurteilung dieser Ergebnisse, um die sich (fast) alles dreht. Und die Verbindung mit dem Temporaladverb »später«. Das heißt: Die Motivation schöpft sich aus abstrakten Beurteilungen, die später einmal irgendwie nützlich sein sollen. Sagt man.
Damit wird das ganze Geschehen auf der Ebene des »Lernens« auf eine fatale Weise beziehungslos. Es geht sehr häufig um Dinge, die mit der Lebenswirklichkeit wenig zu tun haben, um flüchtige Wissensfetzen von geringer Halbwertzeit, die irgendwie fremd und unwirklich die Luft im Unterricht belasten und das Atmen erschweren.
Daraus entwickeln sich Unterrichtssituationen nach dem Muster verbaler Lückentexte. Die Aufgabe der Lernenden beschränkt sich darauf, erraten zu können, was der Lehrer hören oder sehen will, um stante pede eine Antwort aus dem Hut zaubern zu können, wenn man gefragt wird. Das ist denn auch eine der schulischen Kernkompetenzen: sich in den schulischen Abfrageritualen clever zu verhalten und nicht in die Fallen zu tappen.
Um diesem Anforderungsprofil an schulisches »Lernen« gerecht zu werden, haben die Schüler eine Menge Strategien entwickelt, die sich unter dem Sammelbegriff »So-tun-als-ob« zusammenfassen lassen. Interesse heucheln, das passt zum Beispiel gut ins Kalkül, am besten nonverbal, damit man sich nicht zu sehr aufs Glatteis begeben muss. Mit einem interessierten Blick kommt man schon ziemlich weit. Und was sich auch immer sehr bewährt: so aussehen, als würde man nachdenken. Als besonders hilfreich hat sich erwiesen, die Augenbrauen leicht anzuheben, die Stirn leicht in Falten zu werfen und vielleicht den Kopf auf die Finger der linken Hand leicht aufzustützen. Das Schlüsselwort heißt: leicht. Nicht übertreiben, das ist wichtig. Sonst besteht die Gefahr, von einer hilfsbereiten Lehrerseele angesprochen zu werden. Und genau das gilt es ja tunlichst zu vermeiden.
Flucht vor dem Schreckgespenst: In die Schule geht man gerne – wenn das Lernen nicht wäre
So entwickelt sich schulisches Lernen mit zunehmender Schuldauer zu einer Art Vermeidungsverhalten, zu einem Optimierungsprozess, bei dem es gilt, Kontakte mit den Themen und Inhalten auf ein Minimum zu beschränken, so als seien sie kontaminiert.
Das verbindet sich auf unheilvolle Weise mit der Vorstellung, Lernen sei eine temporäre Aktivität. Hirnschalter auf ON: »Ich lerne jetzt«. Hirnschalter OFF: »Fertig gelernt.« Da manifestiert sich ein Verständnis von Lernen, das an Schlichtheit kaum zu überbieten ist. Eigentlich logisch deshalb, dass dabei Sinn und Spaß nachhaltig auf der Strecke bleiben.