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Die deutsche Wirtschaft in der Corona-Krise: viel härter getroffen als erwartet

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Ausgehend von den Gesundheitsdaten, dem im internationalen Vergleich relativ späten und milden Lockdown und dem besonders ­umfangreichen Konjunkturpaket sollte man annehmen, dass Deutschlands Wirtschaft weitaus besser durch die erste Welle der Corona-Krise gekommen ist als jene der Nachbarländer. Dem ist aber nicht so.

Der Einbruch der Wirtschaftsleistung im zweiten Quartal 2020 – dem Kernquartal der ersten Corona-Welle – betrug nach Eurostat-Angaben 9,7 Prozent, das ist höher als in den Niederlanden (8,5 Prozent) und nur unwesentlich geringer als in Belgien (12,1 Prozent), Italien (12,8 Prozent) und Frankreich (13,8 Prozent); nur in Spanien (18,5 Prozent) und Großbritannien (20,4 Prozent) fällt der Einbruch deutlich stärker aus. Die meisten Wirtschaftsbeobachter hatten einen solch starken Einbruch nicht erwartet und mussten ihre Prognosen mehrfach korrigieren.

Außerdem ist der Zeitpunkt der wirklichen Abrechnung noch lange nicht gekommen, zumal die erste Welle nicht die einzige Welle blieb. In vielerlei Hinsicht ist die deutsche Wirtschaft quasi »eingefroren« worden, um sie durch die Corona-Krise zu bringen. Das gilt besonders für das Kurzarbeitergeld und die Aussetzung der Insolvenzregelungen. Beide Maßnahmen sind inzwischen bis Ende 2021 verlängert worden. Erst danach kann man sehen, wie tief die Schäden in der Wirtschaft wirklich sind – sowohl eine große Insolvenzwelle als auch ein sprunghaftes Ansteigen der Arbeitslosigkeit sind immer noch möglich.

Die Ursache für den starken Einbruch der deutschen Wirtschaft in der ersten Welle der Corona-Krise liegt eindeutig in der Krise des Exportsektors.

Die stärkere Belastung der deutschen Wirtschaft durch das Ausland im Vergleich zum Inland während der ersten Corona-Welle wird bei der Analyse der Komponenten der volkswirtschaftlichen Nachfrage deutlich. Laut Statistischen Bundesamt brachen die Exporte im zweiten Quartal im Vorjahresvergleich um rund 22 Prozent ein und die (vor allem in der Exportindustrie wichtigen) Investitionen in Ausrüstungen – insbesondere Maschinen und Fahrzeuge – sogar um 28 Prozent, während die privaten Konsumausgaben nur um 13 Prozent zurückgingen und jene des Bausektors (1,4 Prozent) und des Staates sogar leicht stiegen (3,8 Prozent).

Außenwirtschaftliche Probleme gab es zunächst durch eine Unterbrechung der Lieferketten der deutschen Industrie, etwa durch das Fehlen von Vorprodukten aus China oder Italien. Viel gravierender allerdings waren die Einbrüche bei den Exporten, im April 2020 etwa um 30 Prozent im Vergleich zum April 2019, die stärkste Reduktion seit Beginn der Außenhandelsstatistik 1950, so das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). Der Anteil des verarbeitenden Gewerbes an der Wertschöpfung in Deutschland fiel um ein Viertel, in der Automobilindustrie wurde im April 2020 die Produktion sogar um 75 Prozent gedrosselt.

Mit den USA, Großbritannien, Frankreich, Spanien und Italien sind die meisten der wichtigen deutschen Exportmärkte ganz besonders stark von der Pandemie betroffen; nur China bietet durch die relativ schnelle Erholung etwas Hoffnung. Eine systematische Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) schätzt, dass Exporte in Höhe von gut 160 Milliarden Euro in Hochrisikoländer und weitere 490 Milliarden in Länder mit einem mittleren Risiko – einem deutlich höheren Risiko als in Deutschland – gehen, also ein erheblicher Teil der deutschen Exporte (1 200 Milliarden Euro in 2019). Besonders relevant sind Risiko- und Hochrisikoländer als Exportmärkte für die Automobil-, Maschinenbau- und Elektroindustrie.

Neben den Corona-Krankheitsfällen ist auch die generelle wirtschaftliche Situation in den Exportländern wichtig für eine Einschätzung der Folgen für die deutsche Wirtschaft. Auf der Basis der im April 2020 veröffentlichten – und noch relativ optimistischen – Wachstumsprognose des Internationalen Währungsfonds (IWF) schätzt das IW, dass 52,3 Prozent der deutschen Exporte in Länder gehen, die 2020 einen Einbruch der Wirtschaftsleistung von mehr als 6 Prozent erwarten, 34 Prozent in Länder mit einer Schrumpfung zwischen 3 und 6 Prozent und nur 13,3 Prozent in Länder mit einer geringen oder gar keiner Schrumpfung.

Für den Einbruch der deutschen Exporte in (und nach) der Corona-Krise gibt es aber noch viel mehr Gründe als die Gesundheitsfolgen und die unmittelbare wirtschaftliche Krise, wie Heiner Flassbeck verdeutlicht. Die Währungen von Entwicklungs- und Schwellenländern (und selbst der US-Dollar gegenüber dem Euro) werden deutlich abgewertet, sodass deren Kaufkraft in Bezug auf deutsche Güter deutlich reduziert ist. Diese Länder werden nun auch wieder mehr auf ihre Auslandsverschuldung achten müssen, was ihre Optionen zum Erwerb deutscher Produkte verringert.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Preise für Rohstoffe – die wichtigsten Exportgüter vieler Entwicklungs- und Schwellenländer – in der Wirtschaftskrise sinken. Zudem verkauft die deutsche Industrie vorzugsweise Güter, deren Anschaffung in den nächsten (Krisen-)Jahren eher nicht prioritär ist, etwa Oberklasse-Automobile oder neue Maschinen (schon die existierenden werden nicht ausgelastet sein). Das sind sehr schlechte Aussichten für die deutsche Exportindustrie.

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