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Deutschlands Gesundheitssystem in der Corona-Krise
ОглавлениеAber fangen wir in der Gegenwart an: Ein Vergleich zwischen der gesundheitlichen und der ökonomischen Auswirkung der Corona-Krise verdeutlicht exemplarisch, wie stark die Exportlastigkeit der deutschen Wirtschaft für deren aktuelle Krise verantwortlich ist.
Die Exportlastigkeit ist kein neues Phänomen und sie ist auch nicht nur im Kontext der Corona-Krise ein gravierendes Problem, sondern seit einigen Jahrzehnten. Aber die Entwicklung während der Corona-Krise zeigt die Probleme der deutschen Wirtschaft besonders anschaulich und aktuell.
Im Vergleich zu den europäischen Nachbarländern waren die gesundheitlichen Folgen der Corona-Krise – während deren ersten Welle (Frühjahr 2020) – in Deutschland relativ milde. Die Anzahl der Infizierten in Relation zur Bevölkerung war im europäischen Vergleich gering. Noch geringer fielen die Todeszahlen in Relation zur Bevölkerung im Vergleich zu anderen europäischen Ländern aus. Deutschland ist nach diesen Indikatoren in der ersten Welle weitaus weniger von der Krise getroffen worden als beispielsweise Belgien, Großbritannien, Spanien, Italien, Schweden, Frankreich oder die Niederlande, so eine Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der Privaten Krankenversicherungen (WIP) aus dem Juli 2020.
Erreicht wurden die geringeren Fallzahlen vor allem – neben dem Glück einer Vorwarnung durch den früheren Ausbruch in Ländern wie China, Italien und Spanien – mittels eines vergleichsweise gut finanzierten Gesundheitssystems, nicht durch einen härteren Lockdown als in den Nachbarländern. Das deutsche Gesundheitssystem ist im europäischen Vergleich relativ solide ausgestattet, auch wenn selbst in Deutschland bereits vor der Corona-Krise große Teile des Pflegepersonals und der Ärzte am Rande ihrer Kapazität arbeiteten.
Nach Indikatoren wie der Anzahl der Krankenhaus- oder der Intensivbetten auf 100 000 Einwohner liegt Deutschland nach der WIP-Studie europaweit vorne, in Bezug auf die personellen Kapazitäten immer noch über dem Durchschnitt. Gerade in Ländern wie Griechenland, Italien und Spanien hatte die von den europäischen Institutionen seit der Eurokrise vorgegebene Sparpolitik zu erheblichen Kürzungen geführt. Nur in Bezug auf die Arbeitsbelastung ist die Situation in Deutschland im europäischen Vergleich ausgesprochen kritisch – aber hier konnten in der Corona-Krise durch Verschiebung nicht akuter Operationen erhebliche Kapazitäten freigesetzt werden.
Der Lockdown war (zumindest in der ersten Welle der Krise bis Mai 2020) in vielen Nachbarländern härter als in Deutschland, so die WIP-Studie. Belgien, Frankreich, Italien und Spanien beispielsweise hatten wesentlich gravierendere Einschränkungen. Der Lockdown begann in den Nachbarländern auch früher, insbesondere in Italien. Dort wurde am 21. März 2020 die Stilllegung aller nicht direkt lebensnotwendigen Betriebe verordnet, während in Deutschland nur Teile des Einzelhandels, die Gastronomie und einige Dienstleistungssparten betroffen waren; die deutsche Industrie hingegen durfte weiter produzieren.