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Die ökonomischen Verlierer der Corona-Rettungspakete in Deutschland

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Wie aus der Perspektive der Wachstumsmodelle – und ihrer politischen Unterstützungskoalition – nicht anders zu erwarten, lag der Schwerpunkt des Nutzens der von der Bundesregierung 2020 in der ersten Welle der Corona-Krise verabschiedeten Wirtschaftspakete (»Schutzschild« und Konjunkturprogramm) auf der Unterstützung der Industrie, insbesondere den Exportsektoren.

Es gibt im internationalen Vergleich eine innere Logik zwischen Wachstumsmodell und Fokus des Rettungspakets, so Mark Blyth. Während im konsumgetriebenen britischen Wachstumsmodell der Fokus des Rettungspakets darauf lag, die Binnennachfrage zu stabilisieren (über die allgemeine Garantie von 80 Prozent der Gehälter), lag der Fokus im deutschen Fall auf einer Stabilisierung der Exportindustrie. Das war schon in der globalen Finanzkrise 2008/09 so, bei der die »Abwrackprämie« zugunsten der Autoindustrie der Kern des Rettungspakets war.

Viele der finanziell aufwendigsten Maßnahmen können auch jetzt wieder am stärksten von den großen Unternehmen der Industrie genutzt werden, sei es der Beteiligungsfonds oder die Kreditgarantien. Auch das Kurzarbeitergeld nützt den gut bezahlten Beschäftigen in der Exportindustrie viel mehr als den mäßig bezahlten Arbeitnehmern in vielen Dienstleistungsbranchen. In schlecht bezahlten Dienstleistungsjobs bringt der mit dem Kurzarbeitergeld verbundene Einkommensausfall – ersetzt werden nur 60 beziehungsweise 67 Prozent des Nettogehalts – dagegen viel eher das Familienbudget in Schwierigkeiten.

Besonders viel Kurzarbeit findet sich zudem in den klassischen Exportbranchen Metallverarbeitung, Maschinenbau und Autoindustrie in den reichen Südländern Bayern und Baden-Württemberg, so ein Bericht des Spiegels. Ganz besonders profitieren von dieser Maßnahme allerdings die Besitzer der entsprechenden Exportunternehmen, die so die Beschäftigung flexibel der Nachfrage anpassen können, wie Thomas Sablowski argumentiert.

Kleine Unternehmen, Freiberufler und Solo-Selbständige in den Binnensektoren, die viel schneller in der Existenz bedroht sind, gehen bei vielen Hilfsprogrammen der ersten Runde leer aus, wie auch die Minijobber, sie sind die »Alleingelassenen«, so Michael Kröger und Anne Seith. Das trifft auch ganz besonders lokale Dienstleistungsbranchen, bei denen ein verlorener Umsatz nicht nachgeholt werden kann, im Gegensatz zur Industrie, die immerhin auf Halde produzieren kann.

Trotz fehlender Einnahmen blieben während der Corona-Schließung für diese Unternehmer viele laufende Kosten bestehen, etwa für Personal, Miete oder Leasing des Geschäftsautos. Die für Kleinstunternehmen in der ersten Runde zur Verfügung stehenden Zuschüsse (9 000 beziehungsweise 15 000 Euro) sind dann nur ein Tropfen auf den heißen Stein, zumal die bürokratische Abwicklung auch häufig chaotisch läuft.

Zudem fehlt dann immer noch das Geld für die tagtägliche Lebenserhaltung des Selbständigen (sein »Unternehmergehalt«), seine Krankenversicherung oder seine Altersversorgung. Die verbleibenden Alternativen, Kredite aufzunehmen, bei denen unklar ist, ob man sie jemals zurückzahlen kann, oder Hartz IV zu beantragen, sind auch nicht sonderlich attraktiv, sodass viele dieser Unternehmer ihr Geschäft eher einstellen werden.

Auch Frauen und ihre Beschäftigungsfelder gehören zu denjenigen, die in den ersten Corona-Rettungspaketen des deutschen Staats eher vernachlässigt werden (von der Belastung durch zusätzliche Sorgearbeit noch ganz abgesehen). Während die eher männlich geprägten Branchen der (Export-)Industrie relativ gut bedacht wurden, fehlt ein analoger Mitteleinsatz für die von Frauen dominierten Gesundheits- und Pflegeberufe, worauf beispielsweise ein Positionspapier des Rats für Nachhaltige Entwicklung hinweist. Hinzu kommt, dass Frauen ganz besonders von der steigenden Arbeitslosigkeit erfasst werden – vier der fünf besonders betroffenen Berufe werden überproportional von Frauen wahrgenommen (Verkauf, Reinigung, Speisenzubereitung und Sekretariat), so Andre Wolf im Wirtschaftsdienst.

Wenig bedacht sind auch die Kommunen, die nicht nur für die Finanzierung vieler solcher Dienstleistungsjobs zuständig sind, sondern auch für den Großteil der öffentlichen Infrastrukturinvestitionen, beispielsweise in Schulen, Straßen und den Klimaschutz. Diese Unterstützung der Binnennachfrage unterbleibt, obwohl solche Investitionen gerade in Krisen besonders hohe Multiplikator-Effekte sowie positive Erwartungseffekte für private Unternehmen zeigen, worauf Tom Krebs hinweist.

Kommunale Gewerbesteuereinnahmen werden zudem in den nächsten Jahren drastisch einbrechen, wie ein Gutachten für den Deutschen Städtetag zeigt, auch wenn sie für 2020 noch im Paket abgesichert sind. In der Folge – und wegen des Einbruchs bei Gewerbeimmobilien – droht die Baubranche ebenfalls in die Krise zu geraten, auch wenn diese derzeit noch insbesondere von der guten privaten Immobilienkonjunktur zehren kann.

Zu den klaren Verlierern der ersten beiden Corona-Pakete gehören also die binnenorientierten Wirtschaftssektoren. Für die Binnennachfrage relevant ist im Rahmen der Rettungspakete vor allem die Mehrwertsteuersenkung. Letztere umfasst mit 20 Milliarden Euro weniger als zehn Prozent der im Frühjahr/Sommer 2020 beschlossenen fiskalischen Maßnahmen für die deutsche Ökonomie (wenn man Bürgschaften und Steuerstundungen einbezieht sogar weniger als 1,5 Prozent), obwohl drei Viertel der Deutschen im Binnensektor arbeiten.

Die Wirksamkeit der Mehrwertsteuersenkung in Bezug auf die Kaufkraft ist zudem ungewiss, da die Steuersenkung von den Unternehmen nur teilweise weitergegeben wird. Zudem ist fraglich, ob sie als Kaufreiz ausreicht. Erste Befragungen durch das IMK verweisen darauf, dass nur ein Viertel der Haushalte darauf mit Mehrkonsum reagieren wird. Schließlich kommt sie zu einem nicht geringen Teil auch ausländischen Unternehmen zugute, beispielsweise Amazon.

Bei vielen Menschen sind aufgrund der Krise die Einkommen gesunken, sie können im täglichen Leben nun deutlich weniger Geld ausgeben. Hinzu kommt das »Angstsparen«: Die Menschen verzichten auf einen kleinen Luxus im Alltag, weil sie nicht wissen, ob sie in ein paar Monaten noch über eine Stelle verfügen. In der Folge droht die weitere Verödung der Innenstädte. Wenn Gastronomie, Clubs und Kultureinrichtungen dauerhaft schließen müssen, geht ein großer Teil an Lebensqualität verloren. Gleiches gilt für den stationären Einzelhandel, der zudem immer stärker durch den Onlinehandel abgelöst wird.

Wenn die deutsche Politik in der ersten Welle der Corona-Krise in ihrer Perspektive nicht so stark durch die Exportsektoren dominiert gewesen wäre, hätte sie schon lange viel größere Unterstützungsmaßnahmen für die Binnensektoren aufgelegt. Möglichkeiten gab es viele. In vielen anderen Ländern werden die Gastronomie und der Einzelhandel durch vom Staat (oder der Kommune) ausgegebene Konsumgutscheine unterstützt, die nur vor Ort eingelöst werden können. Diese könnten zudem mit einem im Zeitablauf sinkenden Wert (Schwundgeld) versehen werden, um einen Anreiz für eine zügige Einlösung vorzugeben, wie es Michael Hüther, der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, 2020 vorgeschlagen hat.

Andere von Hüther zur Belebung der Binnennachfrage vorgeschlagene – und bisher nicht realisierte – Maßnahmen wären etwa eine befristete Absenkung der Sozialversicherungsbeiträge für Arbeitnehmer (jene sind bisher nur gedeckelt) oder Steuergutschriften als Kopfpauschale wie in den USA (»Trump-Schecks«). Die Befragungen des IMK zur Konsumwirksamkeit des Kinderbonus im Konjunkturpaket – gerade einmal vier Milliarden Euro – verweisen darauf, dass solche Maßnahmen recht gezielt die Binnennachfrage stimulieren.

Das IMK selbst regt weitere Maßnahmen an, die in einem Konjunkturpaket die Binnennachfrage stimulieren könnten, etwa eine Aufstockung des Kurzarbeitergelds für kleinere Einkommen, ein höheres und längeres Arbeitslosengeld I und Hilfen für Minijobber, zumal jene beim Kurzarbeitergeld leer ausgehen.

Musikclubs, Konzerthallen und Diskotheken, die aus gesundheitlichen Gründen vollkommen geschlossen bleiben müssen, benötigen eine pauschale Unterstützung, bis sie wieder öffnen können. Im November 2020 eingeführt wurde endlich ein Zuschuss in Anlehnung an ihren früheren Umsatz. Gleiches gilt für Unternehmen in Bereichen wie Kultur, Sport, Tourismus und anderen Unterhaltungssparten, die in der Corona-Krise nur mit einem Bruchteil ihrer Kapazitäten operieren können. Hier hätte viel energischer und früher gegengesteuert werden können, damit unsere Gesellschaft nach der Gesundheitskrise nicht wesentlich ärmer dasteht als vorher.

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