Читать книгу Die Rückkehr der Dämonen, Teil 1 (Indien, 1747 n. Chr.) - Andreas Parsberg - Страница 3
Prolog
ОглавлениеOberägypthen, Stadt Theben
Königspalast von Pharao Ahmose I.
1528 v. Chr.
„Wie geht es ihr, Hem-netjer-tepi-en-Amun?“, fragte Pharao Ahmose mit seiner kräftigen Stimme. Die geschminkten Augen des Herrschers waren zu schmalen Schlitzen gezogen. Neben ihm saß seine Halbschwester Ahmose Nefertri, seine erste Gemahlin und Mutter der gemeinsamen Tochter Satamun, Prinzessin von Theben.
„Anch, Wedscha, Seneb“, antworte Djehuti, Hohepriester des Amun. „Sie wird sterben, neb-pechti-Re.“
Tief neigte er sein Haupt und nahm eine unterwürfige Haltung an. Der Hohepriester war ein stattlicher Mann mit dicken Augenbrauen, markantem Gesicht und eckigem Kinn.
Der Pharao atmete tief ein, seine erste Gemahlin stieß einen angsterfüllten Schrei aus. Der Herrscher wurde blass, seine Hand zitterte leicht.
Satamun, die wunderschöne Prinzessin, lag seit Tagen im Fieber. Der mächtige Pharao hatte bereits seinen ältesten Sohn Ahmose-anch im Kindesalter verloren. Zu seinen weiteren Söhnen, Amenophis und Saamun, konnte der Pharao keine Gefühle aufbringen. Seine einzige Tochter war sein Herz, sein Augenstern und seine Liebe.
Satamun, Prinzessin von Theben, war gerade neunzehn Jahre alt.
Jeder am Nil kannte sie. Sie war zart und schön wie eine Blume. Mit ihren langen blauschwarzen Haaren und den leuchtenden grünen Augen glich sie einer Göttin.
Nun lag sie im Sterben. Niemand fand eine Erklärung dafür. Das Fieber hatte plötzlich und stark eingesetzt. Eine gewöhnliche Infektion schlossen die Ärzte aus.
Der Pharao blinzelte eine Träne aus seinen Augen.
Er wollte keine Schwäche zeigen, nicht vor Djehuti, dem mächtigen Hohepriester des Amun. Die Priester aus Karnak hielten eine bedeutende wirtschaftliche und politische Macht in ihren Händen.
Da stürzte eine Dienerin der Prinzessin in den Thronsaal.
„Neb-pechti-Re“, stammelte die Frau und sank vor dem mächtigen Herrscher auf die Knie. „Anch, Wedscha, Seneb.“
Der Pharao neigte huldvoll seinen Kopf, als Zeichen, dass die Dienerin sprechen durfte.
„Satamun, Prinzessin von Theben, ist tot!“
Die Frauen weinten. Sie liefen aufgeregt durch den Palast in Theben.
Die Kunde vom Tod der schönen Satamun verbreitete sich wie ein Lauffeuer in der Stadt. Die Menschen rieben sich als Zeichen ihrer Trauer die Gesichter mit Erde ein.
Im Palast wurde die tote Prinzessin in ein Meer aus Blumen gebettet. Der Pharao ließ die höchsten Priester aus den Tempelanlagen Karnak kommen. Seit Stunden murmelten sie geheimnisvolle Sprüche.
Djehuti, der Hohepriester des Amun, beschwor die Geister des Jenseits, die vom Körper losgelöste Seele ungehindert auf ihrem Weg ins Reich der Götter ziehen zu lassen.
Nefertari, Halbschwester von Pharao Ahmose, war die Hohepriesterin des Gottes Month. Sie hielt die Statue eines schwarzen Falken in der Hand und flüsterte Gebete.
Chandranath, Hohepriester des Gottes Apophis, hielt eine silberne Schlange in der Hand und schlug jammernd mit dem Schmuckstück auf den Boden.
Nach den Beschwörungen wurde der Leichnam weggetragen.
Die Ärzte entfernten das Gehirn der Toten. Es wurde mit goldenen Haken aus der Nase gezogen. Mit scharfen Steinmessern öffneten sie anschließend die Bauchhöhle, entnahmen die Eingeweide und legten sie zusammen mit dem Gehirn in steinerne Krüge.
Dann begann die Waschung des leeren Körpers.
Bevor die Einsalzung des Leichnams begann, kam die heilige Stunde des Hohepriesters. Er sollte die tote Prinzessin in die Arme des Gottes Amun führen. Für diese Tätigkeit verlangte Djehuti, alleine mit dem Leichnam zu sein.
Die Totenfrauen zogen sich zurück.
Der gründlich gereinigte Körper des schlanken, zartgliedrigen Mädchens lag vor ihm. Die große Bauchwunde war mit einem duftgetränkten Leinentuch abgedeckt.
Das ausdrucksvolle Gesicht war lieblich, wie der Kopf einer Porzellanpuppe. Die kleine Nase, der schöngeschwungene Mund, die hohen, etwas hervorstehenden Backenknochen, die dem Gesicht einen unverwechselbaren, typischen Ausdruck verliehen. Alles wirkte so, als hätte ein Künstler dieses Antlitz geformt.
Djehuti atmete bei diesem Anblick tief ein. Niemand hätte ihm seine Erregung angemerkt. Er war mit der Prinzessin allein. Unwillkürlich wandte Djehuti den Kopf, blickte sich im Raum um und vergewisserte sich, dass sich außer ihm niemand in der Kammer befand.
Um seine Lippen zuckte es.
Er erlebte einen ersten Triumph!
Die Öllichter waren so aufgestellt, dass sie den weißen, makellosen Leib in matten Schein tauchten. Das unruhig flackernde Licht trug mit dazu bei, den Eindruck zu erwecken, als ob die Prinzessin nur schliefe und sanft atme.
Djehuti leckte über seine trockenen Lippen. Er fühlte eine innere Anspannung und Nervosität. In seinen dunklen Augen glomm ein seltsames Licht.
Er öffnete die buntgefärbte Tasche, die er bereits sein gesamtes Leben beschützte. Hierin befand sich das Totenbuch des Gottes Seth, das er für das geheimnisvolle magische Ritual benötigte. Er holte mehrere, etwa zehn Zentimeter hohe gläserne Gefäße heraus. Hierin befanden sich zerriebene Kräuter und Harze.
Dann begann er!
Er warf das aromatisch duftende Leinentuch einfach zur Seite und fing an, den toten Körper mit einer glasklaren Essenz einzureiben. Verschiedene wohlriechende Düfte verbreiteten sich in der Kammer. Über eine Stunde rieb Djehuti den Körper von innen und außen ein, wie man ein Tier einsalzt, dem man die Eingeweide herausgenommen hat. Es roch, als ob ein Dufthändler verschiedene Parfüme mischte. Seltene Harze und Öle fanden Verwendung, die normalerweise auch bei der Einbalsamierung verwendet wurden.
Aber die genaue Zusammenstellung der Essenzen kannte nur er, denn Djehuti besaß das Totenbuch von Seth. Sonst niemand!
Sorgfältig verschloss er wieder die Fläschchen und verstaute sie tief in seiner Tasche. Er nahm ein kleines, goldblitzendes Messer aus der Tasche und klappte es auf. Neben sich legte er das Totenbuch und murmelte leise die dort geschriebenen Worte.
„Seth, Gott der Kraft und Neuordnung, leite mich auf den fünf Schritten zur Ewigkeit. Lass Satamun, Tochter des Ahmose, meine Nummer eins sein. Halte und bewahre sie für mich im Zwischenreich, bis vier weitere reine Seelen gefolgt sind.“
Dann flüsterte er fremdklingende Worte, beschwor immer wieder den Gott Seth. Seine Gestalt wurde in ein helles Licht getaucht.
Jetzt kam eine entscheidende Phase.
Er holte ein kleines Messer hervor, nahm die Hand der Toten, drehte sie herum und schnitt tief in die Haut über ihre Pulsadern. Dann ritzte er mit dem Messer die Kuppe seines Zeigefingers auf. Ein dicker, dunkler Blutstropfen quoll hervor. Er drückte den verletzten Finger auf die leere Pulsader der Prinzessin.
„Durch mein Blut entsteht ein magisches Band. Deine Seele wird mir im Zwischenreich als Sklavin dienen“, murmelte er mit dumpfer Stimme. Auf seiner hohen, glatten Stirn perlte der Schweiß. Seine großen, kräftigen Hände zitterten. Eine geheimnisvolle Spannkraft erfüllte ihn. „Du bist meine Nummer eins auf dem Weg zum ewigen Leben.“
Seine Stimme zitterte. „Dein Tod ist kein Abschluss! Über den körperlichen Tod hinaus, bis in alle Ewigkeit, wird das magische Band existieren.“
Er unterbrach sich und zuckte zusammen. War da nicht ein Geräusch gewesen? Er hielt den Atem an und lauschte. Sein Herz klopfte ihm bis zum Hals. Mit glühenden Augen blickte er sich um.
Djehuti schluckte. Er hatte sich ablenken lassen. Ein leichtes Zittern lief durch den Körper der toten Prinzessin! Das Blut des Hohepriesters in ihren Adern gab ihr neue Lebensenergie.
„Satamun? Kannst du mich hören?“
Er beugte sich über die junge Frau. Ihre fast durchscheinenden Augenlider zitterten leicht wie Schmetterlingsflügel. Djehuti nahm die tote Prinzessin in die Arme und löste seinen blutenden Finger von der Öffnung ihrer Pulsader. Ihr Körper fühlte sich weich und geschmeidig an.
„Das magische Ritual ist abgeschlossen! Deine Seele wird mir im Zwischenreich als Sklavin dienen“, flüsterte der Hohepriester.
Satamun öffnete mit einem Mal ihre Augen! Ein leichtes Lächeln spielte um ihre roten Lippen. Der Hohepriester hielt ihren Oberkörper mit einer Hand gestützt, während er mit der anderen über ihre Wange strich.
„Schau mich an, Satamun! Präg dir mein Gesicht ein, nur so kann deine Seele mich als deinen Meister anerkennen. Kannst du mich sehen?“
Sein Herz schlug wie rasend. Die dunklen, feuchtglänzenden Augen der jungen Frau musterten ihn. Die Lippen der toten Prinzessin bewegten sich leicht. Wie ein Hauch erklang die Stimme der Satamun.
„Ja, ich sehe dich.“
Er riss sie an sich, drückte sie fest in seine Arme. Das Ritual war erfolgreich gewesen! Er vergaß seine Umgebung. Alles um ihn herum versank hinter einen düsteren Nebelschleier. Sein Körper wurde in einem Trancezustand versetzt. Mit leichten rhythmischen Bewegungen begann er zu tanzen.
Er wähnte sich allein.
Aber das Geräusch vorhin, er hatte sich nicht getäuscht.
Da war jemand!
Nicht im Raum, aber in einem Geheimgang. Eine kleine Klappe öffnete sich und zwei unruhige Augen erschienen. Es war eine Dienerin der Prinzessin, die sich mit zitternder Hand übers Gesicht strich. Wie gelähmt von diesem schrecklichen Anblick, schloss sie sekundenlang die Augen.
Die junge Dienerin stieß sich förmlich von der kühlen Wand ab und verließ eilig den geheimen Schacht. Sie stieg eine schmale Stiege hoch und verschloss die Öffnung wieder.
Dann rannte sie durch den Tempel und betrat die Gemächer von Ahmose Nefertri, der Gemahlin des Pharaos. Die Mutter der Prinzessin hörte der Dienerin aufmerksam zu und brachte so den Stein ins Rollen. Sie informierte den Pharao, der daraufhin mit drei kräftigen Soldaten der Palastwache zu der Kammer eilte, in der seine Tochter aufgebahrt war.
Sie stürmten in den Raum und überraschten den Hohepriester. Aber das unheimliche Ritual war bereits abgeschlossen!
Die Seele von Satamun befand sich bereits im Zwischenreich. Der Gang durch die Nebelwand ins Jenseits blieb ihr versperrt.
Der Hohepriester wirbelte lächelnd herum.
Die Leibgarde des Pharao stoppte schockiert, als sie erkannten, was vor ihnen geschah. Die Prinzessin saß mit aufgerichtetem Oberkörper auf dem altarähnlichen Aufbau. Es war ein seltsames und gespenstisches Bild.
Satamun hatte die Augen geöffnet. Ihr langes blauschwarzes Haar schmiegte sich an ihr Gesicht, die Haarspitzen berührten die kleinen festen Brüste.
„Ahmose-Sat-Amun, Sitamun“, stammelte der Pharao mit belegter Stimme.
Eine Verstorbene, der bereits die Eingeweide zur Vorbereitung der Einbalsamierung herausgenommen waren, saß mit offenen und glänzenden Augen auf dem Totenplatz. Die Bauchöffnung klaffte weit auseinander. Das mit aromatischen Düften getränkte Leinentuch lag quer über den Schenkeln der Prinzessin.
Im Aufspringen ließ der Hohepriester die junge Frau los. Unsicher wankte sie nach hinten, fiel dann zurück und schlug schwer auf den Altartisch.
„Ihr seid zu spät, das Ritual ist vollzogen!“, rief der Hohepriester triumphierend. Seine Augen schossen glühende Blitze auf die Eindringlinge.
„Wie kannst du es wagen, dich an meiner Tochter zu vergreifen, du Sohn einer stinkenden Ziege?“
Die Stimme des Pharaos donnerte durch die Kammer. Satamun lag ausgestreckt auf dem Vorbereitungsaltar. Sie rührte sich nicht mehr.
„Du hast ihre Seele zerstört, ihre Reise ins Jenseits zum Totengericht ist gefährdet“, fauchte der Pharao hasserfüllt. „Möge Osiris deine Waagschale zerstören, Ammit dein Herz verschlingen. Mögest du für immer den Flammenstrahl der großen Feurigen verspüren. Haltet ihn fest, ich werde ihn selbst richten!“
Der Herrscher ließ seine Soldaten nach vorne stürmen. Djehuti ergriff seine wertvolle Tasche und sprang zur Seite. Die Dinge entwickelten sich genau in die Richtung, die er geplant hatte!
Er musste gewaltsam sterben, dann wurde er ein Diener des schwarzen Fürsten. Aus seiner Tasche holte er ein kleines Tongefäß. Der Hohepriester hatte aus alter Überlieferung eine Mixtur der heiligen Öle Setji-heb, Nekhenem und Tjehenu hergestellt. Er schüttete die Flüssigkeit über seine Hände und verwandelte sie in schwarzmagische Werkzeuge.
„Ergreift den Frevler!“, befahl der Pharao mit unerbittlicher Stimme.
Die drei Palastwachen umringten Djehuti. Sie erhoben die langen Schwerter und griffen ihn an. Blitzschnell tauchte der Hohepriester unter dem Schwert des ersten Soldaten durch und stieß den Mann zur Seite. Der Wächter schrie laut auf und flog zurück, als hätte ihn die Faust eines Titanen getroffen. Unter seinem ledernen Wams quoll in Höhe der Hüfte, dort wo ihn der Hohepriester mit seiner Hand getroffen hatte, dunkles Blut hervor. Die Mixtur aus dem Tongefäß verlieh den Händen von Djehuti übermenschliche Kräfte.
Der zweite Wächter griff blitzschnell an. Seine Schwertspitze bohrte sich in den rechten Oberschenkel des Hohepriesters. Der Getroffene wankte zurück. Der Soldat zog sein Schwert aus dem stark blutenden Bein, stand dann mit unbewegtem Gesicht vor ihm, die Waffe locker in der Hand haltend.
Plötzlich grinste ihn Djehuti mit einer grässlich verzogenen Fratze an. Seine rechte Hand schnellte nach vorne und krachte gegen den Brustkorb des Soldaten. Problemlos drangen seine Finger in den Körper des Mannes ein und suchten das schlagende Herz. Es knirschte und krachte, als er die Rippenknochen zerbrach. Alle standen wie erstarrt und wurden Zeugen eines ungeheuerlichen Vorgangs.
Der attackierte Wächter taumelte zurück. Ein Gurgeln drang aus seinem Mund! Der Pharao glaubte seinen Augen nicht zu trauen.
Welche Mächte waren hier am Wirken?
Woher nahm der Hohepriester diese unheimliche Kraft?
Der Herrscher konnte nichts von der schwarzmagischen Mixtur aus dem Tongefäß wissen.
Der dritte Soldat wurde im gleichen Moment aktiv. Sein Schwert bohrte sich in Djehutis anderes Bein. Der Hohepriester knickte ein und sank auf den Boden. Die Tasche entglitt seinen Fingern. Ein Grinsen erschien auf seinen Lippen. Er hatte mit schwarzer Magie das Herz eines anderen Menschen zerquetscht. Dem Opfer wurde der Weg ins Jenseits verwehrt bleiben! Der Fürst der Finsternis hatte einen neuen Diener erhalten.
Djehuti lächelte glücklich. Jetzt konnten sie ihn töten! Er war bereit. Sein neuer Meister würde ihn mit offenen Armen empfangen.
Der dritte Soldat schlug mit der flachen Seite seiner Schwertklinge gegen die Stirn des Hohepriesters, der sofort bewusstlos auf den Boden kippte. Der Pharao trat näher und starrte auf den reglosen Körper.
In der Zwischenzeit betraten weitere Priester die Totenkammer. Sie verbeugten sich vor ihrem Herrscher. Der Pharao blickte die Geistlichen streng an, er traute keinem mehr.
„Gebt mit einen Dolch“, befahl Ahmose und streckte fordernd seine Hand aus. „Seine sterbliche Hülle darf die Zeit nicht überdauern.“
Ein alter Mann trat hervor und verbeugte sich tief. „Anch, Wedscha, Seneb“, stammelte er und reichte dem Herrscher einen kleinen silbernen Dolch. Der Pharao nahm die Waffe, schloss seine Augen und sprach Gebete. Während seiner Worte öffnete er mit der scharfen Klinge die Halsschlagader von Djehuti. Der Hohepriester lebte noch, sein starkes Herz pumpte gleichmäßig das Blut durch die Halswunde aus seinem Körper. Sein Körper erzitterte ein letztes Mal, bevor er starb.
„Gebt mir den heiligen Stein!“, befahl der Pharao.
Ein Priester öffnete eine kleine Holztruhe und holte einen goldgestreiften Mineralstein hervor. Der Pharao legte das Tigerauge, den magischen Stein der Ahmosiden, auf die Stirn des toten Hohepriesters.
„Dein Ba soll niemals den Weg zurück in deinen Körper finden! Der Weg zum Totengericht des Osiris soll dir verwehrt bleiben. Du sollst ziellos durch die Finsternis wandern!“
Während der heiligen Worte des Pharaos leuchtete der Mineralstein hell auf, erzeugte Hitze und brannte ein Loch in die Stirn des toten Hohepriesters.
Wortlos stand der Herrscher auf und gab das Tigerauge dem Priester zurück, der den Mineralstein zurück in die Holztruhe legte.
„Verbrennt seinen Körper und zerstreut die Asche in der Wüste“, befahl der Pharao. Die Priester verneigten sich unterwürfig.
Als der nächste Morgen graute, war der Leichnam des Hohepriesters verschwunden. Was genau geschehen war, konnte keiner berichten.
Man hatte seinen toten Körper geraubt!
Der Pharao tobte vor Zorn und warf drei Priester seinen hungrigen Krokodilen zum Fraß vor. Aber die wahren Schuldigen konnten nicht gefunden werden. Der Leichnam von Djehuti blieb verschwunden.
Ungeachtet dieser Dinge kümmerten sich die Priester um die tote Prinzessin. Was bei der Mumifizierung begonnen hatte, musste nun beim Bestattungsritual zu Ende geführt werden: Die Seelen Ka und Ba sollten in den Körper der Verstorbenen zurückkehren, damit sie ihre Reise in die Unterwelt antreten konnte. Mit einem Schiff brachten die Angehörigen die Mumie nach Deir el-Bahari. Die altägyptische Grabanlage lag nördlich von Theben. Einer Legende nach wurde hier der Totengott Osiris begraben. Durch die Nähe des Gottes sollte sich die Verstorbene mit ihm identifizieren und, wie Osiris, wieder von den Toten auferstehen.
Am Tag der Bestattung legte man den Sarkophag der Prinzessin auf einen großen Schlitten, der von Ochsen gezogen wurde. Hinter dem Schlitten folgte der Zug der trauernden Angehörigen. Die Priester von Karnak begleiteten den Sarkophag mit Gesängen und Gebeten. Ein weiterer Schlitten mit einem großen Kasten, in dem die Eingeweide in ihren Kanopen lagen, folgte den Trauernden. Zum Schluss kamen die Träger mit den Totenbeigaben.
Am Grab angekommen, stellte man die Mumie in eine senkrechte Position. Es folgten Reinigungen, Räucherungen und Opferungen. Mit einem Stab berührte der Pharao den Mund seiner Tochter, damit diese wieder sprechen, essen und trinken konnte. Mit seinen Fingern streichelte er über Augen, Nase und Ohren, damit sie wieder sehen, hören und riechen konnte.
Ein anschließendes Stieropfer sollte für das leibliche Wohl der Prinzessin sorgen. Duftende Salböle, mit denen die Priester die Mumie einrieben, sollten ihr Herz erfreuen, und Weihrauchopfer sie näher zu den Göttern bringen.
Den Sarkophag mit der Mumie, und die persönlichen Gegenstände der Verstorbenen, trug man nun ins Grab, das anschließend verschlossen und versiegelt wurde.
Keiner ahnte, dass der gestohlene Leichnam von Djehuti nur wenige Meter von der Prinzessin, ebenfalls in Deir el-Bahari, vergraben lag.
Die Seele von Satamun befand sich bereits im Zwischenreich, der von Zeit und Raum unabhängigen Welt. Hier musste sie warten, bis sie Gnade vor den Göttern fand.
Der mächtige Gott Seth hatte im Buch der Toten den Weg beschrieben, wie eine Seele das Zwischenreich ohne Zustimmung der Götter wieder verlassen kann.
Djehuti, ehemaliger Hohepriester des Amun, wollte diesen Weg gehen. Durch fünf Schritte konnte er das ewige Leben erhalten!
Generationen kamen und gingen.
Neue Herrscher und Reiche etablierten sich, Weltreiche gingen unter.
Niemand sprach mehr von den Vorgängen der Vergangenheit.
Es war eine Epoche gewesen, die kaum Aufmerksamkeit in den Geschichtsbüchern gefunden hatte.
Eine neue Zeitrechnung begann.
Es vergingen 3466 Jahre!
Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe e. V
Deutsches Reich, Berlin
September 1938
Hans Schleif, SS-Obersturmbannführer und Leiter der Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe e. V. blickte von seinem Schreibtisch hoch, als an seine Tür geklopft wurde.
Ein kräftiger Soldat der Waffen-SS betrat das Büro.
„Heil Hitler“, grüßte der Soldat, während er seine Hacken zusammenschlug.
„Ähh, ja, Heil auch“, antwortete Schleif.
„Die angeforderte Lieferung aus Wien ist eingetroffen!“
„Danke, Soldat. Weggetreten!“
Hans Schleif spürte, wie sich sein Herzschlag beschleunigte. Seine Hände wurden feucht und seine Augenlider zuckten nervös.
„Endlich“, hauchte er und stand auf.
Hans Schleif war ein bedeutender deutscher Architekt, Bauforscher und klassischer Archäologe. Er war der erste Inhaber des für Bauforscher vergebenen Reisestipendiums des Deutschen Archäologischen Instituts. Er hat an mehreren Ausgrabungen teilgenommen, darunter im Heraion von Samos unter der Leitung von Ernst Buschor, an der er bis 1936 mitwirkte.
Fasziniert haben ihn jedoch die Ausgrabungen bei Theben, die er gemeinsam mit Herman Grapow durchführte.
Unter der Schirmherrschaft von Heinrich Himmler standen ihm erhebliche Geldmittel zur Verfügung. So konnte er von der ägyptischen Regierung einen unbedeutenden Sarkophag erwerben.
Er musste dem Reichsführer der SS Ergebnisse präsentieren!
Daher war Hans Schleif stark erregt, als endlich dieser Sarkophag in Berlin eingetroffen war. Unverzüglich eilte er in den Keller und blieb vor einem mächtigen, steinernen Koloss stehen.
Die Wachmannschaft der SS schickte er aus dem Raum. Er blieb nur mit seinem engsten Mitarbeiter, Friedrich Wilhelm von Bissing, zurück.
Sie schritten neugierig um die Lieferung und betrachteten die seltsamen Zeichen und alten Symbole. Hans Schleif klopfte an den kastenähnlichen, länglichen Gegenstand. Es klang dumpf und hohl. Die äußere Hülle war von einer dicken Staubschicht bedeckt.
„Lass uns beginnen“, bestimmte Hans Schleif. Sein Mitarbeiter nickte zustimmend. Gemeinsam befreiten sie den Sarkophag von Schmutz und Dreck. Sie fanden eine Stelle, an der sie den Flaschenzug befestigen konnten. So wurde der oberste Deckel emporgehoben.
Der Blick war frei auf den inneren Sarg. Mit einer kleinen Bürste fegten sie die Aufschrift frei. In altägypthischen Hieroglyphen stand geschrieben:
Djehuti Ḏḥwty Neb-pechti-Re
„Er ist es!“, rief Hans Schleif erregt.
„Ja! Das muss Djehuti sein“, antwortete Bissing. „Die Überlieferungen sind wahr, er wurde in der Cachette von Deir el-Bahari beigesetzt.“
Hans Schleif zog einen Schraubenzieher und Hammer hervor und legte seine Staublampe auf einen Kistenstapel zu seiner Linken. Er machte sich an die Arbeit und versuchte von mehreren Seiten den schweren Deckel zu heben. Doch vergebens.
Als Bissing sich bückte, um den Flaschenzug an den Deckelkanten zu befestigen, stieß er plötzlich gegen den schräggestellten Sarkophag.
Er begann zu rutschen! Dann gab es einen Schlag, als wäre eine Bombe explodiert. Der unterirdische Kellerraum dröhnte. Ein Zittern lief durch den Boden. Eine gewaltige Staubwolke wurde aufgewirbelt. Die beiden Männer mussten husten.
Hans Schleif war wie von einer Peitsche getroffen zur Seite gesprungen. Das war sein Glück gewesen. Es hätte nicht viel gefehlt und der schwere Sarkophag wäre auf seine Füße gefallen. Der Staub setzte sich auf ihren Uniformen fest.
Plötzlich erklangen merkwürdige Geräusche!
Es schepperte im Sarkophag. Der Deckel bewegte sich.
Durch die Seitenwand lief ein langer, dünner Riss, aber der Komplex blieb erhalten. Der Staub senkte sich, die Luft wurde wieder klarer.
Wilhelm von Bissing zuckte bedauernd die Achseln und wollte etwas sagen, unterließ es aber dann. Er schob und drückte an dem Deckel herum. Hans Schleif schob seinen Schraubenzieher in einen Schlitz.
Er konnte den Deckel jetzt bequem fassen und anheben.
Diesen stellte er nun in seiner ganzen Länge hinter den Sarkophag. Auf der Innenseite des Deckels waren verschiedene Zeichen und Symbole noch deutlicher zu erkennen. In der Mitte des inneren Deckels war eine rätselhafte Gestalt abgebildet. Es war ein dämonenfratziges Ungetüm mit acht Armen. Je zwei Arme auf jeder Seite wuchsen ihm aus der Brust, zwei andere links und rechts aus dem Hals und auch die langen, spitzgezogenen Ohren waren Arme, gierigen Krallen gleich, die nach allen Seiten hin greifen konnten. Das Gesicht des Ungeheuers zeigte lange, dolchartige Zähne und grässliche Augen, deren Blick starr auf dem Betrachter ruhte.
Die Darstellung war so intensiv gelungen, dass Hans Schleif ein eisiger Schauer über den Rücken lief.
Aber jetzt erkannten sie den wahren Inhalt. Im Sarg lag eine Mumie!
Sie sah dunkelbraun und ausgedörrt aus. Bis zu den Schultern war sie mit breiten, knochentrockenen Leinenbinden eingewickelt. Der Kopf lag seltsamerweise frei.
Die beiden Archäologen traten einen Schritt nach vorne. Sie starrten in ein lederartiges, eingeschrumpftes Gesicht, dessen Haut matt und hart wirkte.
Etwas Beklemmendes, Furchterregendes stieg aus dem Inneren des Sarkophags empor. Hans Schleif fühlte es beinahe körperlich. Er spürte eine Berührung und zuckte zusammen.
„Er ist es wirklich“, flüsterte Bissing.
Hans Schleif beugte sich über den Sarkophag. Er wollte sich die gesuchte Mumie näher betrachten.
Dann geschah es!
Plötzlich und unvermutet.
Eine eiskalte Hand bohrte sich in seinen Brustkorb und griff nach seinem Herzen. Ihm wurde schwindelig.
Irrte er sich? War es die Wirklichkeit?
Alles vor seinen Augen drehte sich. Ein Schleier zog vor seine Pupillen. Er presste seine Augen mehrmals zusammen. Alles raste, kreiste und geriet in wirbelnde Bewegung. Wie ein Sog packte es ihn.
Er wollte schreien. Ein furchtbarer Schmerz schien seine Brust zu zerreißen. Ein großes Gesicht kam auf ihn zu. Dunkelrot! Wie Blut!
Alles in diesem schrecklichen, eingeschrumpften Gesicht schien zu einer einzigen breiigen Masse geworden zu sein. Die dunklen Augenhöhlen waren dicht vor seinem Gesicht.
Hans Schleif hatte das Gefühl, als hätte er diese grässliche Vision schon seit einer Ewigkeit. Dabei dauerte sie erst den Bruchteil eines Augenblicks.
Dann spürte er einen Schmerz, als würde jemand mit einer glühenden Zange in sein Gehirn fahren. Er warf die Arme in die Höhe. Seine Knie wurden weich und er brach auf der Stelle zusammen, wo er gerade stand. Bevor sein Körper den Boden berührte, war er bereits tot.
Die Mumie im Sarkophag erhob sich, saß aufrecht und stellte sich auf, als hätte ein geheimnisvoller Zauber sie zum Leben erweckt.
Friedrich Wilhelm von Bissing stand da, wie aus Stein gemeißelt. Seine Augen waren weit aufgerissen. Was er sah, konnte nicht sein!
Die Mumie im Sarg lebte!
Dieses schrecklich aussehende, verdorrte Wesen stand hochaufgerichtet in dem steinernen Sarkophag. Die mumifizierte Gestalt streifte die breiten Leinwandbinden ab, als schlüpfte sie aus ihrer Haut wie eine Schlange.
Dann trat sie einen Schritt nach vorn.
Ich muss hier weg, hämmerte es im Kopf von Bissing. Er riss seinen Mund auf und wollte schreien. Aber es kam kein Ton aus seiner Kehle hervor. Dann verlor er das Bewusstsein und krachte auf den Boden.
Die Mumie beugte sich über den bewusstlosen Mann, drehte ihn auf den Rücken und suchte die Stelle, unter der das Herz schlug. Langsam und voller Grausamkeit schob er seine klauenartigen Finger durch den Brustkorb, erfasste das schlagende Herz, presste es fest zusammen und saugte alles Leben aus seinem Opfer.
Djehuti, Hohepriester des Amun, war aus seinem Gefängnis befreit worden!
Er stand neben den beiden toten Männern und streifte sich die alten, muffig riechenden Leinentücher vom Körper. Über seine schmalen, dunklen Lippen kamen seltsame Laute und fremdartige Worte, die so schrecklich klangen, dass einem Sterblichen die Knie erzittern würden.
Der Hohepriester verließ die Kellerräume und tauchte in Berlin unter. Djehuti hatte lange warten müssen. Den ersten Schritt zur Ewigkeit hatte er durch das Ritual an Satamun bereits beschritten. Sie war in der Zwischenwelt seine Sklavin. Es fehlten nur noch vier reine Seelen!
Sein Plan stand fest!
Nun musste er nur noch den Stein ins Rollen bringen. Dazu brauchte er einen bestimmten jungen Mann, der in Germering lebte.
Seine Jagd hatte begonnen!