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Chloé kam früher als geplant am Germeringer Volksfest an. Es war bereits kurz nach sechs, als sie vom Fahrrad sprang. Sie fühlte sich von dem Gespräch mit der Nachbarin und ihren tristen Gedanken nervös und unruhig. Das Wetter war auch nicht gerade dazu angetan, ihren Zustand zu verbessern. Es war immer schwüler und drückender geworden. Inzwischen lag die Luft wie eine heiße feuchte Decke über Germering. Offenbar braute sich ein Gewitter zusammen.

Chloé wischte sich den Schweiß von der Stirn. Sie betrat den Festplatz und blickte sich um. Es befanden sich sehr viele Menschen auf den Wegen und vor den Buden.

Sie fand Henri vor der Geisterbahn. Er stand am Eingang und blickte an der Fassade hinauf. Chloé trat hinter ihn, umfasste seinen Körper und küsste seinen Hals.

„Hallo, mein Held“, begrüßte sie ihn zärtlich. „Überlegst du, wie du die Gespenster bekämpfen möchtest?“

Henri drehte sich um und blickte ihr tief in die Augen. „Ich habe schon auf dich gewartet.“

„Entschuldige meine Verspätung“, erwiderte Chloé.

„Als Entschädigung musst du mit mir die Geisterbahn fahren“, erklärte Henri grinsend, da er erkannte, dass ihr das Fahrgeschäft nicht gefiel.

„Muss das denn sein?“

„Natürlich, ich bestehe darauf“, meinte Henri. „Aber ich werde dich gegen jeden Geisterangriff tapfer verteidigen.“

„Hm, nett“, sagte sie. „Eine Höllenfahrt sozusagen.“

Henri ergriff ihre Hand, zog sie zum Kassenhaus und bezahlte den Eintritt. Ehe sie sich versah, saß sie bereits neben Henri in einem mit rotem Leder überzogenen Sitz. Die Geisterbahn startete.

Sie hätte gerne vorher gewusst, was den Besucher auf dieser Fahrt erwartete. Eine Geisterbahn in Germering hatte sie noch nicht erlebt. Das Fahrgeschäft war dieses Jahr zum ersten Mal anwesend. Ihre letzte Fahrt in einer Geisterbahn war vor vier Jahren auf dem Münchner Oktoberfest gewesen. Sie hatte das damalige Erlebnis eher komisch als gruselig in Erinnerung. Trotzdem überfiel sie plötzlich ein leichtes Unbehagen und sie überlegte, ob sie wieder aussteigen sollte. Aber der Sicherheitsbügel war bereits heruntergepresst und Henri hielt ihre Hand.

Sie fühlte sich auf einmal unheimlich schwer, konnte sich kaum bewegen. Eine Schlaffheit und Gleichgültigkeit breitete sich in ihr aus, als hätte sie ein starkes Beruhigungsmittel geschluckt.

Während die Fahrt begann, wurde ihr immer wärmer. Die Luft schien sich aufzuheizen. Gibt es in einer Geisterbahn keine Klimaanlage?, überlegte sie. Im nächsten Moment glitt die Bahn einen leichten Abhang hinunter, schaukelte kurz, fuhr dann von der Mechanik angetrieben in die Finsternis.

Ohne ersichtlichen Grund verspürte sie Angst.

Sie entspannte sich ein wenig, als die Bahn um eine Kurve bog und in einen langen, von künstlichen Fackeln beleuchteten Tunnel hineinglitt. Es herrschte ein trübes, rotes Licht.

Henri drückte aufmunternd ihre Hand, als würde er ihre Unruhe selbst spüren. Alles könnte so schön sein, dachte sie, wenn nur das dumpfe Gefühl in ihrem Kopf verschwinden würde! Es kam ihr vor, als betrachtete sie alles durch einen dichten, roten Nebel.

Die Bahn setzte ihre langsame Fahrt fort. Chloé erkannte rechts in einer Nische einen geflügelten Dämon, der auf den Hinterbeinen hockte. Als sie näher kamen, drehte er plötzlich seinen Kopf und starrte Chloé mit gelben, stechenden Augen an. Die Bewegung verlief so flüssig und natürlich, dass das Ding geradezu lebendig wirkte. Chloé hätte schwören können, dass sie sogar einen unangenehmen Raubtiergeruch wahrnahm, als sie an dem Dämon vorbeifuhr.

Wenig später passierte die Bahn einen geraden Abschnitt des Tunnels. Hier waren die Wände zu beiden Seiten mit Bildern aus der ägyptischen Mythologie bemalt.

Obwohl das Licht im Tunnel nach wie vor trübe war, erkannte sie Schlangen, Schakale, Ratten und bösartig wirkende Raubvögel. Die im Grunde harmlosen Szenen weckten eine bösartige Vorahnung in Chloé, als lauerten böse, dunkle Mächte hinter der unschuldigen Fassade.

Ein Stück weiter vorn sah Chloé eine Öffnung in der Tunnelwand. Als die Bahn langsam daran vorüberglitt, erkannte sie einen großen Alkoven, in dem eine Folterkammer eingerichtet war.

Offenbar stellte die Kammer einen unterirdischen Raum in einem mittelalterlichen Schloss dar, denn es gab keine Fenster, nur grob behauene Steinwände. An diesen Wänden waren Eisenringe, Ketten und Peitschen angebracht, während in der Mitte eine echt wirkende Guillotine stand. Als sie näher fuhren, konnte sie an einer Wandseite eine „Eiserne Jungfrau“ erkennen.

Aus dem Geschichtsunterricht kannte Chloé die Bezeichnung für dieses Foltergerät. Es bestand aus Eisen und sah aus wie ein großer, aufrecht stehender Mumiensarg. Doch damit endete bereits jede Ähnlichkeit. Denn es handelte sich nicht um einen Sarg für einen Toten, sondern es war dazu bestimmt, lebende Menschen einzuschließen und auf höchst grausame Weise zu töten.

Die Tür der Eisernen Jungfrau stand offen und Chloé sah die vielen scharfen Eisendorne im Inneren. Sie wusste, dass ein Opfer in dem Gerät festgebunden wurde. Dann schloss man langsam die Tür, damit sich die Eisendorne unheimlich schmerzhaft immer tiefer in den Körper bohrten.

Zu ihrem Entsetzen erkannte sie jetzt, dass sich in der Eisernen Jungfrau tatsächlich ein Gefangener befand. Seine Augen waren vor Entsetzen aufgerissen, sein nackter Körper glänzte vor Schweiß. Offenbar handelte es sich um eine Wachsfigur, doch sie wirkte so naturgetreu, dass Chloé beinahe übel wurde vor Grauen.

Auch ein Henker stand vor dem Folterinstrument. Er hatte seinen muskulösen, schweißglänzenden Oberkörper entblößt, trug eine Kapuze über dem Kopf. Die Figur stand still an einem Fleck neben der Eisernen Jungfrau, doch der Oberkörper neigte sich mit erstaunlich fließenden Bewegungen.

Während Chloé auf die Szene starrte, begann der Henker langsam die Tür des Foltergerätes zu schließen. Sie hätte schwören können, dass das armselige Opfer im Inneren die Augen noch weiter aufriss.

Eine weitere Figur, die Chloé den Rücken zukehrte, vervollständigte die Szene. Während sie die Gestalt betrachtete, regte sich etwas in ihrem Unterbewusstsein. Es handelte sich um einen großen Mann mit schwarzen Haaren und einer weißen Robe. Sie konnte das Gesicht nicht sehen, trotzdem schauderte sie vor Angst. Der unheimliche Mann hob seinen rechten Arm und symbolisierte mit seiner Hand die Zahl Fünf.

Als sie an der Szene langsam vorbeifuhren, konnte Chloé durch einen Spalt in die halb geschlossene Tür der Eisernen Jungfrau blicken. Sie sah, wie sich die Eisendorne langsam in den Körper des Opfers bohrten.

Chloé glaubte ihren Augen nicht zu trauen!

Während die Eisendorne in den Körper eindrangen, spritzte Blut aus den Wunden. Chloé blieb fast das Herz stehen, als sie den lebensechten, durchdringenden Schrei aus dem Inneren der Eisernen Jungfrau hörte. Aus dem Kasten lief am Boden rotes Blut heraus.

Ihr war klar, dass die Stimme vom Band gespielt wurde, die Figur nur aus Wachs und die rote Flüssigkeit kein echtes Blut war. Aber alles wirkte so real und echt. Dazu kam der unheimliche Mann in der weißen Robe!

Als sie glaubte, die grausame Szene keine Sekunde länger zu ertragen, war die Bahn auch schon vorbeigefahren und befand sich erneut in einem finsteren Tunnel. Doch der Schrei des Opfers klang noch in ihren Ohren.

Chloé kam sich in der Bahn vor wie ein Tier im Käfig. Sie wollte nur noch raus, war aber durch den Sicherheitsbügel gefesselt. Henri streichelte beruhigend ihre Hand und grinste überheblich. Am liebsten hätte sie ihn an den Haaren gezogen, aber er konnte ja für ihre Ängstlichkeit nichts.

Aber alles wirkte so wahrheitsgetreu. Leichte Übelkeit stieg in ihr hoch. Wie lange mochte die schauderhafte Fahrt noch dauern?

Die Bahn stieß gelegentlich gegen die Seiten der engen Wände und schaukelte durch den Tunnel. Chloé sagte sich immer wieder, dass dies nur eine Illusion wäre, eine Geisterbahn auf dem Germeringer Volksfest. Doch ihre Angst wuchs, als die Bahn in einen noch dunkleren Abschnitt hineintauchte. Sie verlor langsam die Orientierung, konnte nur noch schwer atmen. Ein seltsamer, widerlicher Geruch hing in der Luft, als läge irgendwo ein verwesendes Tier.

Chloé versuchte einen klaren Kopf zu bekommen, und schon sah sie einen weiteren Alkoven vor sich. Mit schweißnassen Händen umklammerte sie die Finger von Henri, als sie sich der nachgestellten Szene näherten. Ein Schild mit verschnörkelter Schrift kündigte die „Grabkammer des Hohepriesters“ an.

Auch diese Szene wirkte unglaublich realistisch. Es schien sich um eine enge Gruft zu handeln, denn die Wände bestanden aus quadratischen Steinquadern.

In der Mitte stand ein gewaltiger Sarkophag, daneben ein Korb, aus dem Früchte, Weintrauben und Oliven hervorblickten. Die leicht schrägen Wände waren mit Bildern und Hieroglyphen bedeckt.

Doch schon bald zog der grauenhafteste Teil der Szene ihre Aufmerksamkeit auf sich. Mitten in der Grabkammer stand ein langer, niedriger Holztisch auf dicken, eckigen Beinen, von der Form und Größe eines Operationstisches. Und wie eine Parodie auf einen modernen Arzt stand eine große Gestalt in weißer Robe, die Chloé den Rücken zukehrte, neben dem Tisch. Irgendwie wusste sie, dass es derselbe Mann war, den sie schon in der Folterkammer gesehen hatte. War denn der Folterer aus dem mittelalterlichen Schlosskeller jetzt ein ägyptischer Hohepriester?

Die Gestalt in der weißen Robe beugte sich über ein junges Mädchen, das auf den Tisch festgebunden war. Wie alle anderen Figuren in dieser Geisterbahn bewegte sich die Figur mit Hilfe eines unsichtbaren Mechanismus´. Sie schien sich am Oberkörper des Mädchens zu schaffen zu machen. Von ihrem Blickwinkel aus konnte Chloé den Kopf des Mädchens nicht sehen, doch als die Bahn langsam weiterfuhr, bekam sie schließlich das Gesicht zu sehen.

Das Mädchen hatte lange blauschwarze Haare. Die glänzenden grünen Augen waren weit aufgerissen. Sie trug eine Kette um den Hals, an dem ein gelb gestreifter Kristallstein hing. Chloé hätte schwören können, dass sie die Augenlider zucken sah. Und als sie das Mädchen in grauenvoller Faszination betrachtete, machte sie eine furchtbare Entdeckung!

Die Gefesselte drehte langsam ihren Kopf und blickte direkt in die Augen von Chloé, die entsetzt erkannte, dass es ihr eigenes Gesicht war!

Sie unterdrückte einen Schrei, als sie das Messer auf dem Oberkörper des Mädchens sah. In diesem Augenblick verlor Chloé vollends den Bezug zur Wirklichkeit. Ihr war, als befände sie sich nicht in einer Geisterbahn auf dem Germeringer Volksfest, sondern im wirklichen Leben. Und vor ihren Augen spielte sich etwas Furchtbares ab!

Mit wild klopfendem Herzen sah sie, wie sich die Gestalt in der weißen Robe über das Mädchen beugte. Die Bewegungen waren flüssig wie die eines lebendigen Menschen. Chloé fragte sich flüchtig, ob in dieser Geisterbahn vielleicht Schauspieler beschäftigt waren, die diese makabren Szenen darstellten. Doch ihr blieb keine Zeit, länger darüber nachzudenken, denn plötzlich stand die Bahn still.

Mit großen Augen schaute sich Chloé um. Was ging hier vor? War der Strom ausgefallen? Verzweifelt wartete sie darauf, dass die Fahrt weiterging, aber nichts rührte sich. Chloé schaute nach vorn.

Die Gestalt in der weißen Robe drehte sich zu ihr um! Sie wollte schreien, brachte keinen Ton hervor und krallte sich in der Hand von Henri fest. Warum sagte ihr Freund nichts! Er saß völlig still und gleichgültig neben ihr. War mit ihm etwas geschehen? Warum bemerkte er ihre furchtbare Angst denn nicht?

Das Gesicht der Gestalt lag noch im Dunkeln. Trotzdem erkannte sie das höhnische Grinsen auf den halb verborgenen Zügen.

Nein, dachte sie, er sieht aus, als wäre er lebendig! Im düsteren roten Dämmerlicht kam die Gestalt auf Chloé zu. Sie krallte sich noch fester an Henri fest, wollte etwas zu ihm sagen, ihn anschreien, aber sie brachte keinen Ton hervor.

Chloé konnte sich vor Angst nicht rühren. Sie war wie gelähmt und brachte keinen klaren Gedanken zustande. Ihr Verstand war benebelt, ihr Körper gehorchte ihr nicht mehr. Jetzt sah sie, dass das lange Messer in der Hand des Mannes von Blut troff. Sie drehte sich hastig nach dem Mädchen um. Von einer Schnittwunde am Oberkörper floss Blut auf den Tisch. Als Chloé genauer hinsah, erkannte sie, dass der Brustkorb des Mädchens geöffnet war und ihr zuckendes Herz hervorblickte. Die Augen der Gefesselten waren jetzt starr und leblos.

Chloé wimmerte leise, als die Figur in der weißen Robe näher kam. Der Teil von ihr, der noch vernünftig denken konnte, fragte sich, wie es möglich war, dass die Figur sich so lebensecht bewegen und sogar ihren Platz verlassen konnte.

Warum sagte Henri kein Wort? Er saß völlig still neben ihr und reagierte auf keinen Druck ihrer Hand.

Mit erhobenem Messer näherte sich der Mann der Bahn. Er öffnete den Mund und sprach mit einer seltsam klingenden Stimme: „Du bist meine Nummer fünf!“

Und als er das sagte, sah sie sein Gesicht.

Chloé glaubte fast den Verstand zu verlieren. Sie reagierte wie ein panisches Tier und hörte ein dumpfes Stöhnen, das aus ihrer eigenen Kehle kam. Die Figur war jetzt ganz nahe, eine neuerliche Woge der Angst überrollte sie, als das Licht auf das Gesicht des Mannes fiel.

Es war der unheimliche Fremde aus ihrem Alptraum!

„Du bist meine Nummer Fünf“, erklang seine bösartige Stimme.

Die Rückkehr der Dämonen, Teil 1 (Indien, 1747 n. Chr.)

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