Читать книгу Die Rückkehr der Dämonen, Teil 1 (Indien, 1747 n. Chr.) - Andreas Parsberg - Страница 7

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Vor Entsetzen über das Schauspiel vor ihren Augen war Chloé wie gelähmt. Sie begriff nicht, wie es möglich war, dass ihr so etwas widerfuhr. War dieser Mann wirklich nur eine mechanisch betriebene Figur, oder war er ein Schauspieler?

Die Szene erinnerte sie an ihren Alptraum. Der gleiche Mann, der versucht hatte, sie in der Aussegnungshalle zu töten. Warum wollte er das tun?

Zum Überlegen blieb ihr allerdings wenig Zeit, denn die Gestalt in der weißen Robe hatte die Bahn nun fast erreicht. Chloé stöhnte unwillkürlich auf, als der Mann nach ihr griff.

Warum schritt Henri nicht ein? War er betäubt oder bewusstlos? Er saß völlig still neben ihr, rührte keinen Muskel.

Als die fremde Gestalt ihr langes Haar berührte, setzte sich die Bahn plötzlich mit einem Ruck wieder in Bewegung. Mit einem wütenden Fauchen ließ die Gestalt ihr Haar los.

Chloé wünschte sich nichts sehnlicher, als dass diese schreckliche Fahrt bald vorüber wäre. Wenn er sie nun verfolgte?

Sie zwang sich, einen Blick zurückzuwerfen. Die Gestalt stand noch immer auf den Schienen der Geisterbahn, machte jedoch keine Anstalten, ihr zu folgen. Der Mann stand nur da und sah ihr mit offener Enttäuschung in seinem fürchterlichen Gesicht nach. Er hielt seine Hand erhoben und deutete mit den Fingern die Zahl Fünf an.

Während die Bahn ihren Weg fortsetzte, richtete sich Chloé zitternd ein wenig auf und sah zu Henri.

„Bitte, bring mich hier heraus“, flüsterte sie in der Hoffnung, er möge nun endlich reagieren.

„Wir fahren doch schon durch den Ausgang“, antwortete er grinsend. „Hat dir die Fahrt nicht gefallen?“

Während seiner Worte fuhr die Bahn durch einen schwarzen Vorhang und rollte auf die Ausstiegsstelle zu. Dann stoppte der Wagen abrupt und der Sicherheitsbügel öffnete sich.

„Ach, Henri, es war so schrecklich“, sprach sie mit zittriger Stimme und warf sich in seine Arme.

„Hey, was ist los?“, fragte Henri, und hob ihr Kinn mit seinen Fingern an.

„Hast du denn nicht die grässlichen Szenen gesehen. Es war alles real und echt!“

„Ach, Liebes, ich weiß nicht, was du da drinnen gesehen hast, aber was immer es war, es kann nur eine Halluzination gewesen sein. Es war doch nur eine harmlose Karussellfahrt. Die Pappfiguren waren eher peinlich als gruselig. Ich habe auch nichts anderes bei dieser Geisterbahn erwartet. Es kommt doch kein großer Fahrbetrieb nach Germering. Die richtigen Schausteller sind auf dem Oktoberfest und nicht hier.“

„Und die Szene mit der Eisernen Jungfrau?“

„Die sahen richtig echt aus, die Pappfiguren.“

„Hast du das Blut nicht gesehen?“, fragte Chloé schockiert.

„Ähh ... nein.“

„Aber den unheimlichen Mann in der weißen Robe hast du doch gesehen. Er hat das dunkelhaarige Mädchen auf dem Tisch in der Grabkammer getötet!“

„Ich bin mir nicht sicher, was du gesehen hast. In der Gruft stand ein Mann in schwarzer Robe, der eine blonde Frau mumifiziert hat.“

„Sie hatte lange schwarze Haare!“

„Eigentlich waren sie eher kurz und blond.“

Chloé schüttelte bockig den Kopf. „Ich ... ich weiß genau, was ich gesehen habe! Du hältst mich jetzt bestimmt für hysterisch.“

Statt einer Antwort nahm Henri ihre Hände und zog sie sanft an sich.

„Nein, ich halte dich nur für ausgesprochen feinfühlig, aber das finde ich wundervoll.“

Und dann küsste er sie zärtlich. Mit rasendem Puls erwiderte Chloé den Kuss. Eine wohlige Wärme hüllte ihren ganzen Körper ein. Es machte sie ein wenig verlegen, so öffentlich auf dem Volksfest zu knutschen. Aber unbewusst drängte sie sich noch enger an Henri, sodass sie seinen schlanken, muskulösen Körper an ihrem spürte. Eine machtvolle Erregung erfasste sie. Am liebsten hätte sie ihm hier und jetzt die Kleidung von seinem Körper gerissen.

„Wir sollten öfter Geisterbahn fahren, wenn das solche Reaktionen bei dir hervorruft“, flüsterte Henri und knabberte zärtlich an ihrem Ohrläppchen.

Zu ihrer eigenen Verwunderung antworte sie frech: „Das liegt an deiner Nähe, nicht an dem Fahrgeschäft.“

Er küsste sie sanft auf ihren Mund. Nachdem sie sich voneinander gelöst hatten, ergriff er ihre Hand und schlenderte mit ihr über den Festplatz. Chloé versuchte, die Erinnerung an die Geisterbahn aus ihrem Kopf zu verdrängen. Die laute Musik am Autoscooter, die duftenden Mandeln und die lachenden Gesichter der Menschen auf dem Volksfest halfen ihr dabei.

„Der Stand ist aber neu“, meinte Henri und deutete auf ein kleines Zelt, das am äußersten Rand, direkt zwischen der Losbude und dem Bierzelt stand.

„Das habe ich auch noch nie gesehen“, stimmte Chloé ihm kopfnickend zu.

„Scheint eine Wahrsagerin zu sein.“

Mittlerweile hatten sie das kleine Zelt erreicht. Die Außenfläche war mit merkwürdigen Zeichen bemalt. Man konnte Sterne, die Sonne und den Mond erkennen, aber auch altägyptische Hieroglyphen waren abgebildet.

„Möchtest du dir aus der Hand lesen lassen?“, fragte Henri grinsend.

„An so etwas glaube ich nicht, dazu bin ich Realist genug. Ist doch nur alles Humbug und Gaunerei“, antwortete Chloé und wollte sich bereits abwenden. Das Bierzelt mit der Blasmusik und einer Radlermaß zog sie mehr an.

Plötzlich wurde die Zeltwand ein Stück zurückgeschoben und eine alte Frau mit langen grauen Haaren und hellen, blauen Augen blickte heraus. Aus dem Zelt drang ein intensives Licht. Die Frau beugte sich vor und deutete direkt auf Chloé. Ihr Blick schien Löcher in ihren Schädel zu bohren.

Chloé versteifte sich, blieb auf der gleichen Stelle stehen. Ihre Muskeln schienen nicht mehr zu gehorchen. Sie versank in den Augen der alten Frau.

„Du bist das jüngste Kind in einer Familie von zwei Kindern. Alles Mädchen“, krächzte die Frau, die wohl die Wahrsagerin sein musste. „Du hast kürzlich einen schrecklichen Verlust erlitten, auch eine Frau, die dir sehr nahestand. Deine Großmutter! Dann hast du einen seltsamen Mann in deinen Träumen gesehen, der dich verfolgt, dem du in letzter Zeit begegnet bist!“

Chloé zuckte schockiert. Ihr Gesicht war zuerst krebsrot geworden und dann schneeweiß. Sie konnte ihren Blick nicht von der Wahrsagerin abwenden, in ihren Augen bildeten sich Tränen. Henri legte einen Arm um ihre bebende Schulter und flüsterte etwas, das Chloé nicht verstehen konnte.

Der emotionale Sturm ging so schnell vorüber, wie er ausgebrochen war. Chloé ergriff ein Taschentuch und wischte sich die Tränen ab.

„Komm herein, Kind. Ich habe dir Wichtiges zu sagen!“, erklärte die Wahrsagerin, nahm die Hand von Chloé und zog sie hinter sich in das kleine Zelt. Henri folgte notgedrungen, obwohl er sich dabei nicht wohlfühlte.

In der Mitte des kleinen Raumes stand ein runder Tisch, der mit altertümlichen Schnitzereien verziert war. Auf einem halbhohen Schrank standen rote Kerzen, die ein flackerndes Licht abgaben. Außerdem roch der Raum nach dem typischen Duft von Räucherstäbchen. Um den Tisch standen nur drei Stühle. Als hätte sie uns erwartet, überlegte Henri.

Die Wahrsagerin drückte Chloé auf einen der Stühle, die es wie unter Hypnose mit sich geschehen ließ. Henri machte sich Sorgen, setzte sich neben sie und ergriff ihre Hand.

Die alte Frau stand neben Chloé und schloss ihre Augen. Als sie sie wieder öffnete, war ein besorgter Blick darin zu erkennen. Sie berührte mit ihrem Zeigefinger Chloés Stirn und strich sanft auf und wieder ab.

„Du hast die Gabe. Du bist auserwählt. Die seherische Kraft ist in dir, aber sie ruht noch. Du bist dir ihrer noch nicht einmal bewusst, aber sie ist da, in deinem Innern, und sie ist sehr, sehr mächtig. Meditiere, und sie wird sich entwickeln. Du wirst sie entdecken, so wie du lernen wirst, sie zu benutzen!“

Ganz plötzlich zuckte die Hellseherin zurück und riss ihre Hand weg, als hätte sie sich die Finger an einem rotglühenden Eisen verbrannt. Sie schnappte röchelnd nach Luft und stolperte fast auf den freien Stuhl.

„Du schwebst in Gefahr, schönes Mädchen. Aber ich kann dir helfen. Soll ich in einer Séance für dich nachfragen, wer dich bedroht?“

Chloé schloss ihre Augen und holte tief Luft, während sie ein ängstliches Zittern tief in ihrer Brust spürte. Sie dachte an den unheimlichen Mann in der weißen Robe, der ihr im Traum und heute in der Geisterbahn begegnet war.

„Ja! Bitte, helfen Sie mir!“, erklärte Chloé beschwörend. Henri zitterte nervös und bekam ein ganz schlechtes Gefühl. Die ganze Situation gefiel ihm nicht. Es erinnerte ihn an frühere Erlebnisse. Vor drei Jahren hatte er zwei Séancen im Haus seiner Großmutter erlebt. Danach wurde sein Bruder Cedric ein völlig anderer Mensch, er hatte sich verändert, ohne jemals den Grund hierfür zu sagen. Aber Henri spürte, dass damals etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen war. Er wollte keine Hilfe von einer Hellseherin!

„Chloé, nein! Ich habe ein schlechtes Gefühl dabei“, flüsterte er drängend.

„Bitte, Henri! Es ist wichtig für mich. Lass mich nicht allein“, antwortete sie mit einer flehenden Stimme.

„Aber ...“

Weiter kam er nicht mehr. Er wollte etwas erwidern, Chloé umstimmen, sie aus diesem Zelt fortzerren, aber die Wahrsagerin hob ihren rechten Arm. Es wurde still im Raum, man hätte eine Stecknadel fallen hören.

„Conjurationes adversus principem tenebrarum“, sprach die alte Frau mit einer magischen, rauen Stimme.

Henri spürte nach diesen Worten, wie die Kraft seinen Körper verließ. Er konnte seinen Mund nicht mehr öffnen, es war für ihn unmöglich, auch nur das leiseste Geräusch zu verursachen. Eine merkwürdige Lähmung ergriff ihn.

„Nimm seine rechte Hand“, befahl die Wahrsagerin Chloé, die unverzüglich dieser Aufforderung nachkam und Henris Hand ergriff.

Die alte Frau ging zu dem seitlich stehenden Schrank, öffnete eine Tür, holte eine weiße Kerze hervor, die mit schwarzen Symbolen verziert war. Nachdem sie diese in die Tischmitte gestellt und angezündet hatte, ließ sie sich auf dem letzten freien Stuhl nieder. Sie ergriff links Chloés freie Hand und rechts die von Henri. Der Kreis war geschlossen!

Henri spürte, wie sein Herz raste, sich kalter Schweiß auf der Haut bildete, aber er konnte sich immer noch nicht bewegen. Wie einem inneren Befehl folgend, schlossen beide ihre Augen.

„Du großer, mächtiger Djehuti, ich beschwöre dich an diesem Tag und zu dieser Stunde hier, um dir bestimmte Angelegenheiten aufzutragen. Bevor ich aber damit fortfahren kann, ist es notwendig, dass du dich gut sichtbar vor mir zeigst. Und höre, solltest du unter irgendeinem Bann stehen oder anderswo beschäftigt sein, dich dennoch nichts befähigen wird, der Kraft meiner fürchterlichen Beschwörung zu widerstehen! Ich kommandiere dich, und solltest du meinen Worten nicht gehorchen oder unwillig sein zu kommen, dann verfluche ich dich auf die schrecklichste Art und Weise, indem ich dir deine Macht nehme und dich in einen schauerlichen Ort verbanne!“, sprach die Wahrsagerin, als wäre es ein sakrales Gebet.

Henri musste dem Zwang nachgeben. Er öffnete seine Augen! Die alte Frau vor ihm begann sich zu verändern und ein untrügliches Gefühl der Angst hüllte ihn ein, wie gigantische Glasscherben, die von allen Seiten auf ihn zeigten. Unfähig, seinen Blick vom Gesicht der Wahrsagerin abzuwenden, beobachtete er, wie sich ihre Haut kräuselte und verzog, wie sich ihre Züge verzerrten, dehnten und völlig veränderten. Während er in entsetzter Faszination zuschaute, verwandelte sich das Gesicht der alten Frau in ein heimtückisches, grinsendes, grünes Dämonengesicht. Die Erscheinung streckte eine widerliche Zunge heraus, lang, schwarz und geschuppt wie der Körper einer Schlange, und zwinkerte Henri diabolisch zu.

Nach einer kurzen Pause des Schweigens fuhr sie fort.

„Deshalb komme sofort und werde sichtbar, oh du mächtiger Djehuti, und erscheine in dem magischen Dreieck außerhalb dieses Kreises.“

Die Temperatur sank schlagartig, verwandelte das Zelt in einen Eiskeller. Voller Panik erkannte Henri, wie sein Atem kleine weiße Wölkchen in der kalten Luft bildete.

Plötzlich brach Chloé in ein hysterisches Gelächter aus. Ihr Kopf wippte nach vorne und wieder zurück. Durch ihren Körper gingen merkwürdige Zuckungen, die kurz darauf dazu führten, dass sie sich versteifte, aufrecht sitzen blieb und keine weitere Bewegung mehr machte. Es schien, als wäre sie beim lebendigen Leib zu einer Eissäule gefroren. Ihre Augen waren unverändert geschlossen.

Genau in diesem Moment spürte Henri, dass eine weitere Person im Zelt anwesend war. Er konnte niemanden sehen, aber seine Instinkte bestätigten es.

Langsam drehte er seinen Kopf, eigentlich wollte er es nicht, aber seine Muskeln wurden wie unter einem unsichtbaren Druck selbstständig bewegt. Neben sich auf dem Boden befand sich eine weiße Masse. Es sah aus wie ein hoher Haufen sich bewegender Bettdecken.

Dann bäumte sich der weiße Berg auf und nahm eine grässliche Gestalt an. Zuerst bildete sich ein scheußlicher grüner Kopf mit spitzen Hörnern. Aus der raubtierartigen Schnauze zuckte eine lange schwarze, schuppige Zunge hervor. Das Wesen stieß einen Laut aus, wie ein Tier in Todesqual. Es hob seine klauenartige Hand, holte aus und schlug nur Millimeter vor dem Gesicht von Henri durch die Luft. Dabei erwischte er Chloé, die getroffen vom Stuhl flog und auf den Boden prallte.

„Oh Gott!“, schrie Henri, selbst darüber erstaunt, dass aus seinem Mund wieder Töne kamen. Jedoch brachte er vor Entsetzen keine weiteren Worte heraus. Er blickte zu Chloé, die flach auf dem Boden lag, ihre Augen waren immer noch geschlossen. Ihre Haut war kalkweiß, ihre Finger verkrampft. Sie sah aus wie ein Leichnam kurz vor der Bestattung.

Die unheimliche Bestie stürzte sich auf Chloé, umklammerte mit beiden Klauen ihren Hals und warf brüllend den Kopf zurück.

Der Raum wurde plötzlich dunkel und begann sich um Henri zu drehen, erst langsam, dann immer schneller. Er fühlte, wie seine Sinne schwanden. Während er sich mit aller Macht gegen das Gefühl drohender Ohnmacht sträubte, verzweifelt versuchte vom Stuhl auf die Füße zu kommen, sah er ein gelbes Band.

Es wirkte harmonisch, weich und warm, völlig gegensätzlich zu dem Monster, aus dessen Brust es heraustrat. Das gelbe Band drang auf Chloé ein, umhüllte ihren Körper und tauchte in ihren Mund ein. Sie stöhnte laut auf, ein erstes Zeichen für Henri, dass sie noch am Leben war. Aber ihre röchelnden Laute ließen Böses erahnen. Henri spürte, dass Chloé nur noch wenige Augenblicke zu leben hatte. Er konnte es wieder mit einer untrüglichen Sicherheit sagen.

Chloé öffnete voller Entsetzen ihre Augen, die hervortraten, als würden sie gleich explodieren. Ihre Haut wurde krebsrot, während die Bestie weiter ihren Hals zudrückte.

„Lass sie los!“, krächzte Henri. Seine Stimme hörte sich fremd und eigenartig an. Merkwürdigerweise reagierte das Wesen auf seinen Befehl. Es öffnete seine Klauen, ließ Chloés Kopf nach hinten fallen und drehte sich wutschnaubend zu Henri herum. Die Bestie packte eine Handvoll seiner Haare und zerrte ihn daran hoch. Er schrie entsetzt auf, als die grässliche Kreatur die riesige, klauenartige Hand auf sein Gesicht legte und zudrückte.

Hilflos und verzweifelt schlug Henri um sich, trat mit den Füßen nach dem Monster. Der Griff der Klauen verstärkte sich und schien Henris Schädel zu zerquetschen. Er bekam keine Luft mehr und der Schmerz in seinem Kopf wurde mit jeder Sekunde unerträglicher.

„Bitte nicht“, stöhnte Henri. „Ich tue alles, aber töte uns nicht!“

Der Druck um seinen Kopf ließ etwas nach. Zum ersten Mal konnte Henri in die gelben, stechenden Spaltaugen der Bestie blicken. Er glaubte, darin leichten Triumph erkennen zu können, wunderte sich außerdem, dass die Augen einen intelligenten Ausdruck hatten.

„Du hast zum dritten Mal einen Dämon gerufen“, sprach das Wesen mit einer fauchenden, bösartigen Stimme.

„Hä?“, kam als einzige Antwort von Henri. Er war mit der Situation völlig überfordert, hatte Angst vor einem erneuten Zudrücken der Klauen. Sein dringendstes Bedürfnis war frische Luft und eine Verlängerung seines Lebens.

„Erinnere dich, Sterblicher!“

Henri atmete tief ein und wieder aus, als die Bestie den Druck seiner klauenartigen Hand lockerte. An was soll ich mich erinnern? dachte er verwirrt und blickte die Bestie mit ratlosen, furchtsamen Augen an.

„Schönthal, August 2012, im Haus deiner Großmutter“, fauchte das Wesen.

Plötzlich verstand Henri. Vor drei Jahren war er bei zwei Séancen anwesend gewesen, bei denen merkwürdige Dinge geschahen. Aber dass Dämonen gerufen wurden, war ihm unbekannt. Er dachte damals, sie hätten eine harmlose Geisterbeschwörung durchgeführt. Aber an Details konnte er sich nicht mehr erinnern. Cedric hatte sich geweigert, ihm ausführlich darüber zu erzählen.

„Du erinnerst dich also, Sterblicher?“

Henri konnte nur kraftlos mit dem Kopf nicken. Wahrscheinlich hätte er alles bestätigt, wenn nur diese hässliche Kreatur verschwunden wäre.

„Hast du das gelbe Band gesehen, Mensch?“

„Ähh ... ja.“

„Ich bin eine unsichtbare Verbindung mit der Seele deiner Freundin eingegangen und kann sie jederzeit töten. Im Zwischenreich wird sie bereits erwartet!“

„Nein, bitte nicht, lieber Dämon.“

„Ich bin nicht lieb! Beleidigst du mich noch ein einziges Mal, dann zerquetsche ich deinen dürren Hals, verstanden?!“

„Ja.“

Der Dämon grinste grässlich. Aus seiner Schnauze drang ein fauliger Atem, der Henri würgen ließ.

„Zwischen uns besteht nun auch ein Band, nicht so stark wie mit deiner Freundin, aber stark genug, damit ich künftig dein Leben nach meinen Vorstellungen beeinflussen kann.“

„Ich will aber so ein Band nicht. Auch das von Chloé sollten Sie bitte wieder lösen. Könnten Sie nicht einfach dorthin zurückkehren, wo Sie hergekommen sind? Dort ist es sicher viel wärmer als hier in Germering.“

Der grässliche Dämon kicherte, als hätte Henri einen großartigen Witz erzählt.

„Weder du noch ich, können das heilige Band der Capitis Damnare wieder lösen. Nur dem Àrbitro ist dies erlaubt, wenn wir gespielt haben.“

„Dann sollte er das doch mal schnell tun, und Sie können zurück in die Hölle und mit heißen Steinen spielen.“

„Du bist witzig.“

„Danke, sehr freundlich, aber mir gefällt es jetzt hier nicht mehr. Dürfen Chloé und ich gehen?“

„Nein!“

„Nein?“

„Entweder töte ich zuerst deine süße Freundin und anschließend dich oder du spielst mit mir!“

„Sind keine tollen Alternativen. Was wollen Sie denn spielen, werter Dämon?“

„Das >Ludus Daemon<“!

„Okay, und was wäre das?“

„Die Regeln erklärt der Àrbitro!“

„Also, das klingt ja spannend, mir hat unsere Unterhaltung auch viel Freude gemacht, aber ich muss leider absagen. Mir gefällt es nicht, mit einem Dämon etwas zu spielen.“

Die hässliche Bestie grinste bösartig. Er drehte sich halb herum und streckte seinen Arm aus. Das gelbe Band drang aus seinen Fingern und umhüllte den Körper von Chloé. Sie begann zu zittern und zu stöhnen. Ihr Kopf wurde dunkelrot und Schweiß perlte auf ihrer Stirn.

„Sie hat noch genau 30 Sekunden zu leben. Gib deine Zustimmung zum Ludus Daemon oder du beobachtest ihren Tod!“

„Nein, bitte nicht!“

„Ich warte!“, fauchte die Kreatur und funkelte ihn mit den bösartigen Spaltaugen an.

Henri nickte zustimmend mit dem Kopf. Er würde alles tun, um das Leben von Chloé zu retten.

„Du musst laut und deutlich deine Zustimmung kundtun, sonst gilt es nicht!“

„Ich ... ähh, bin einverstanden, dieses Spiel mit Ihnen zu spielen“, erklärte Henri. Es klang wie ein heiliger Schwur.

Die scheußliche Kreatur ließ den Jungen los, stand auf und streckte beide Arme nach oben. Henri kippte kraftlos nach hinten.

„Habt ihr es gehört?“, fauchte die Bestie. „Er hat zugestimmt! Schickt den Àrbitro!“

Das Zelt begann zu vibrieren, die Kerze erlosch. Die Luft veränderte sich, wurde zu einem schwarzen Nebel, dann zu einer grauen Wolke. Merkwürde Stimmen erklangen. Henri hörte den hellen Ton einer Fanfare. Plötzlich wurde alles still! Die Kerze ging wie von Geisterhand an und erzeugte ein flackerndes Licht.

„Es wurde angenommen“, sagte der Dämon mit seiner fauchenden Stimme. „Der Àrbitro ist unterwegs!“

„Ist doch prima, Djehuti“, meinte die Wahrsagerin. „Aber jetzt nimm deine normale Gestalt an. Du brauchst niemanden mehr zu erschrecken, außerdem stinkst du fürchterlich. Du beleidigst meine Nase!“

Henri hatte bereits die Anwesenheit der Wahrsagerin vergessen, sie saß noch immer auf dem Stuhl. Ihr Äußeres hatte sich jedoch völlig verändert. Aus einer runzligen, alten Frau war eine wunderschöne Gestalt mit langen, tiefschwarzen Haaren geworden. Ihr markantes Gesicht war an den Wangen geschminkt. Die grünen Augen funkelten wie Edelsteine. Sie trug ein langes, weißes Kleid mit einer roten Schärpe um den Bauch.

„Dein Wunsch ist mir Befehl, verehrte Nefertari“, antwortete der scheußliche Dämon. Plötzlich begann sich seine Gestalt zu verändern. Aus dem grässlichen Wesen wurde ein stattlicher Mann mit dicken Augenbrauen, markantem Gesicht und eckigem Kinn. Seine langen schwarzen Haare waren kunstvoll geflochten. Er trug einen roten Lendenschurz und einen schwarzen Fellumhang. Sein durchtrainierter Körper zeigte ausgeprägte Muskeln.

„So besser?“, fragte er mit einem hochnäsigen Ton.

„Viel besser, Hohepriester“, antwortete die attraktive Frau.

Henri blickte verwirrt die beiden fremdwirkenden Gestalten an. Sie erinnerten ihn an den Monumentalfilm Cleopatra mit Elizabeth Taylor in der Hauptrolle.

„Wer ... ähh, sind Sie?“, fragte Henri in einem unsicheren Ton.

Die attraktive Frau blickte ihn abschätzend, dann überheblich an. „Der Wurm spricht mit mir!“

„Er weiß es nicht besser“, antwortete der Mann, der eben noch ein grässlicher Dämon war. Er drehte sich zu Henri und funkelte ihn mit seinen schwarzen Augen an. „Das ist die mächtige Nefertari, Hohepriesterin des Gottes Month und Halbschwester des Pharao Ahmose!“

„Angenehm, muss ich mich jetzt irgendwie verbeugen oder so?“, fragte Henri, mit leichter Ironie in seiner Stimme.

„Du solltest mit dem Sohn eines Schweins verschwinden, sonst steche ich ihm die Augen aus“, fauchte Nefertari bösartig.

Henri spürte eine Gänsehaut und ahnte, dass die hübsche Frau jedes Wort so meinte, wie sie es gesagt hatte.

„Du hast Recht, Hohepriesterin. Jede unnötige Sekunde mit einem Sterblichen kränkt unseren guten Geschmack. Wir bleiben in Verbindung“, antwortete der Mann. Er nickte der Frau freundlich zu, drehte sich um und ergriff die rechte Hand von Henri.

Plötzlich begann sich alles zu drehen, die Konturen verschwammen. Henri konnte alles nur noch wie in einer dichten Nebelwand erkennen, bevor der Boden unter seinen Füßen verschwand.

Die Rückkehr der Dämonen, Teil 1 (Indien, 1747 n. Chr.)

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