Читать книгу Die Rückkehr der Dämonen, Teil 1 (Indien, 1747 n. Chr.) - Andreas Parsberg - Страница 8
5
ОглавлениеAls sich der dichte Nebel langsam auflöste, konnte Henri seine neue Umgebung betrachten. Er befand sich in einem unterirdischen Tempel, der Boden fühlte sich kalt und fremd an. Von seinem Standpunkt aus konnte er ein Labyrinth vieler Gänge, Hallen und Nischen erkennen, die sich über drei Ebenen erstreckten.
Henri befand sich in der untersten Ebene. Er stand in einer riesigen Halle, die sicherlich eine Fläche von über 400 Quadratmetern hatte. Die Wände und Decken waren mit ockerfarbenen Malereien, bestehend aus dekorativen, gewundenen Rankenmustern, geschmückt. An der Decke des Raumes bildete ein Kraggewölbe den Abschluss. In der Mitte der Halle stand ein Altar in der Form eines Würfels.
Er blickte sich ergriffen um, dieser Tempel strahlte etwas Erhabenes und Mächtiges aus.
„Wo bin ich hier?“, fragte er leise.
„Du befindest dich im Hypogäum, der Totenstadt von Hal Saflieni auf der Insel Malta.“
Henri zuckte erschrocken und drehte sich hastig um die eigene Achse. Direkt hinter ihm stand ein unattraktiver Mann von relativ kleiner Statur. Ein mächtiger weißer Vollbart reichte ihm fast bis zum Brustbein. Die kleinen, knopfartigen Augen zeigten eine hohe Intelligenz und viel Sinn für Humor. Er trug ein weißes Gewand, das in einem eleganten Faltenwurf seinen Körper verhüllte.
„Warum blickst du mich so erschrocken an, Henri?“, fragte der kleine Mann. „Rede, damit ich dich sehe.“
„Hä?“
„Wen das Wort nicht schlägt, den schlägt auch der Stock nicht. Du solltest dringend daran arbeiten, einen verständlichen Satz zu bilden.“
„Äh ... ja, wer sind Sie denn?“
„Es ist keine Schande, nichts zu wissen, wohl aber, nichts lernen zu wollen. Mein Name ist Σωκράτης. Ach verzeih, Sokrates klingt für dich sicher leichter. Oder sprichst du Altgriechisch?“
„Nein!“
„Klug ist, wer weiß, was er nicht weiß!“
„Sie drücken sich durch ziemlich merkwürdige Sätze aus, Herr Sokrates“, meinte Henri, musste leicht grinsen, denn der Mann machte einen sympathischen und erfrischenden Eindruck auf ihn.
„Ja, das meinte mein Weib Xanthippe auch ständig. Sie hatte sogar die unglaubliche Idee, dass ich nicht mehr auf öffentlichen Plätzen meine Gedanken mit anderen Menschen teilen dürfe, sondern stattdessen mich um meine Familie kümmern und Geld verdienen sollte!“
„Klingt aber vernünftig.“
„Jener glaubt, etwas zu wissen, weiß aber nichts, ich weiß zwar auch nichts, glaube aber auch, nichts zu wissen!“
„Oder so“, meinte Henri und musste lachen. „Sie sind ein unterhaltsamer Mann, Herr Sokrates.“
„Einfach nur Sokrates. Lass bitte dieses „Herr“ weg, ja?“
„Okay.“
Plötzlich erklang hinter ihnen eine ungeduldig wirkende Stimme. „Ich möchte euch beide Klugscheißer nur ungern unterbrechen, aber könnten wir langsam zum Zweck unseres Treffens kommen? Ich habe noch andere Aufgaben, als die blödsinnigen Sprüche von vertrottelten griechischen Philosophen anzuhören!“
Direkt hinter Henri stand der muskulöse Mann, den er als grässlichen Dämon kennengelernt hatte.
„Die alten Ägypter hatten intelligentere Thesen, nehme ich mal an“, sprach Sokrates, ohne sich umzudrehen.
„Natürlich, du weißbärtiger Zwerg“, kam als prombte Antwort.
Sokrates schüttelte nachgiebig mit dem Kopf, sodass sein langer Bart hin und her schaukelte. „Ich bin weder Athener noch Grieche oder Ägypter, sondern ein Bürger der Welt.“
„Ist dir blödem Griechen bereits aufgefallen, dass du kein Bürger der Welt mehr bist, sondern ein Geist aus dem Jenseits?“
„In jedem Wesen ist Sonne, man muss sie nur zum Leuchten bringen. Aber bei dir, Djehuti, habe ich ernstliche Bedenken.“
„Schieb dir deine leuchtende Sonne in den Arsch und komm endlich zum Punkt, alter Mann!“
„Ihr kennt ihn?“, fragte Henri und blickte zu Sokrates.
„Natürlich, mein Junge“, antwortete der alte Philosoph. „Das ist Djehuti, ehemaliger Hohepriester des Amun, getötet 1528 v. Chr. in Theben.“
„Der Typ erzählte etwas von einem Spiel. Hat der nur eine Schraube locker oder ist da etwas Wahres dran?“
„Ich würde sagen: Beides!“, erklärte Sokrates und musste leise lachen. „Aber du hast das heilige Band der Capitis Damnare mit Djehuti geschlossen und dich anschließend zum „Ludus Daemon“ verpflichtet.“
„Klingt aus Ihrem Mund nicht besonders gut.“
„Was du auch tust, du wirst es bereuen.“
„Vielen Dank, aber ich verstehe immer noch nicht, was das Ganze hier werden soll“, erklärte Henri leicht missmutig.
„Das gute Gelingen ist zwar nichts Kleines, fängt aber mit Kleinigkeiten an. Ich bin der Àrbitro, werde dir die Regeln erklären und anschließend den ordnungsgemäßen Ablauf überwachen.“
„Kommst du nun endlich mal zum Punkt, alter Mann?“, fauchte Djehuti genervt.
„Natürlich, Geißel des Pharao“, antwortete Sokrates, wandte sich aber wieder Henri zu. „Du musst gegen Djehuti im Spiel der Dämonen antreten. Dieses besteht aus drei Runden, die in unterschiedlichen Zeitepochen ausgetragen werden.“
„Was wird denn dort gespielt?“
„Das Wort Spiel passt eigentlich nicht richtig. Du wirst in jeder Spielrunde gegen deinen Gegner antreten, der versuchen wird, so viel Schaden wie möglich anzurichten. Du musst ihn stoppen und seinen Frevel beenden. Aber er hat das Recht, dich zu töten. In diesem Fall hast du eine Spielrunde verloren, also solltest du versuchen, am Leben zu bleiben.“
„Wie kann ich ihn stoppen?“
„Am besten tötest du ihn, das hilft bei einem Duell meistens.“
„Ich dachte, er ist ein Dämon. Das hieße doch, er ist bereits tot. Wie kann ich einen Toten umbringen?“
„Der Beginn der Weisheit ist die Definition der Begriffe. Ein Problem zu erkennen und zu lösen, besteht in einem Erinnern von Informationen, die bereits seit Generationen in der Seele des Menschen wohnen. Hole dir die Hilfe aus dir selbst. Sollte dir das nicht gelingen, dann suche dir Unterstützung.“
„Ich darf mir helfen lassen?“, fragte Henri neugierig nach.
„Natürlich! Dein Gegner wird sich auch Unterstützung holen, von der du sicher nicht wissen möchtest, was dies alles sein kann. Diese schwarzmagischen Jünger können da recht kreativ sein.“
„Um welche Spielorte handelt es sich?“
„Es sind Zeitepochen. Du darfst aus der heiligen Lade eine Tafel ziehen, die deinen Zielort angibt.“
„Ich reise also durch die Zeit?“
„Ja. Klingt spannend, kann es aber nur bedingt für dich sein.“
„Wenn ich gewinne, wird dieses merkwürdige Band zwischen mir und diesem Typen gelöst?“
„Ja.“
„Auch die Verbindung von Chloé und ihm?“
„Ja, auch.“
„Was geschieht, wenn ich verliere?“
„Dann verwandelst du dich langsam in ein schwarzmagisches Wesen. Der Fürst der Finsternis freut sich über einen weiteren Gefolgsmann.“
„Das wird nicht geschehen!“, erklärte Henri tapfer.
„König ist nur, wer seine eigenen Leidenschaften beherrscht. Bedenke immer deine Handlungen, Henri, dann kannst du gewinnen.“
„Wer entscheidet, wann eine Spielrunde vorbei und gewonnen ist?“
„Ich! Diese Verantwortung habe ich als Àrbitro übernommen. Ich lasse es dich wissen, wenn ein Spiel beendet ist. Außerdem hole ich dich rechtzeitig zur nächsten Spielrunde. Dies werde ich alles organisieren. Wichtig ist Folgendes: Du darfst niemandem von diesem Spiel erzählen, sonst hast du automatisch verloren!“
„Ich vertraue Ihnen und bin einverstanden“, erklärte Henri sachlich.
„Vielen Dank“, erwiderte Sokrates. „Aber ich werde neutral entscheiden.“
„Können wir jetzt endlich beginnen, ihr Witzfiguren“, meldete sich erneut Djehuti zu Wort.
„Hast du noch Fragen, Henri?“
„Nein.“
„Haben Sie noch Fragen, werter Hohepriester?“
„Nein, ich will endlich anfangen. Ihr beide beginnt mir auf die Nerven zu gehen!“
Sokrates nickte. „Das Spiel möge hiermit beginnen.“
Er schritt gemächlich zu dem in der Mitte stehenden Altar, auf dem eine mit Gold überzogene Truhe aus Akazienholz stand.
„Das ist die heilige Lade, sie dient als Behälter für die Steintafeln. Nicht besonders respektvoll, aber im Jenseits scheint es nicht viele Truhen zu geben, die diesen Zweck erfüllen würden.“
„Ich finde sie sehr schön“, sprach Henri, tief ergriffen von der mächtigen Ausstrahlung der Holztruhe.
„Ich werde es Joseph sagen, der sie vor zweitausend Jahren aus dem Baum der Akazie gefertigt hat. Hier musst du eine Steintafel ziehen, Henri.“
Sokrates deutete auf eine schmale Öffnung am Deckel der Truhe. Henri schob unsicher seine Hand hinein. Er spürte ein Gefühl von Wärme durch seinen Körper fließen.
Seine Finger ertasteten eine große Anzahl kleiner, kalter Steintafeln. Er wühlte etwas, mischte sie von oben nach unten und zog dann wahllos eine hervor. Diese reichte er Sokrates, der die Schriftzüge darauf laut vorlas:
Golf von Bengalen,
Lady Lovibond,
August 1747
Djehuti, ehemaliger Hohepriester des Amun, nickte grinsend mit dem Kopf, wedelte kurz mit seinen Armen und verschwand in einer dichten Nebelwolke.
„Hast du verstanden, Henri?“, fragte Sokrates.
„Ich treffe eine Frau ... äh, Lady Lovi oder so, und spiele dann Golf in Bengalen“, meinte Henri.
„Kann sein. Ich habe mein Leben in Griechenland verbracht, bin nicht weit gereist. Bist du bereit?“
„Wie? Bereit?“
„Das erste Spiel hat begonnen.“
„Jetzt schon? Ich dachte, Sie holen mich in den nächsten Tagen.“
„Nein, Henri. Jetzt! Sofort!“
„Oh je, ich habe Angst.“
„Mach einfach deine Augen zu.“
Plötzlich spürte Henri ein irrsinniges Glücksgefühl durch seinen Körper rasen. Er fühlte sich voller Energie und Euphorie.
Dann konnte er gar nichts mehr denken. Er hatte das Gefühl, von einem gewaltigen Wirbel erfasst zu werden, der seinen Geist und seinen Körper mit unwiderstehlicher Kraft in sich hineinzog.
Anschließend schien er in einen niemals enden wollenden Abgrund zu stürzen, in dem es schwärzer war als in der absoluten Lichtlosigkeit des Weltraums.
Henri hatte die Reise durch die Dimensionen angetreten.
Schneller und immer schneller.
Intensiver und noch intensiver.
Er flog durch die Zeit, bevor er mit einem unerwartet harten Aufprall in einem schaukelnden Ruderboot landete, das ziellos durch den Golf von Bengalen trieb.