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V.
ОглавлениеDoch irgendwie kam er von der Vorstellung, Doleschal just den authentischen Schriftzug des Rumänen zu besorgen, nicht los. Bis zur Mittagspause und auch noch danach saß er an seinem Schreibtisch und starrte dieselbe Berichtsseite an, ohne deren Inhalt in sich aufnehmen zu können. Er blickte auf die Uhr. Es ging auf zwei zu. Wenn er jetzt losmarschierte, so dachte er, könnte er Grozavescu beim Packen überraschen, ihm das Autogramm abluchsen und im Amt zurücksein, bevor die Doleschal Dienstschluss hatte.
Gesagt, getan. »Pokorny, ich muss noch einmal weg. Ich weiß nicht, wann ich zurück bin. Halt die Stellung, ja!« Der Alte nickte nur, setzte dann zu einer Replik an, die Bronstein durch ein rasches Schließen der Zimmertür unterband. Diesmal lief er den Ring in entgegengesetzter Richtung entlang, ehe er beim Parlament rechts abbog. Erneut verschaffte er sich Zugang zu Grozavescus Wohnhaus, vermied diesmal aber, sich bemerkbar zu machen, sondern lauschte erst einmal an der Tür, ob er Stimmen vernahm. Doch drinnen war alles ruhig. Der Sänger befand sich also noch nicht wieder in den eigenen vier Wänden. Bronstein verließ das Haus und setzte sich in das benachbarte Café, von wo aus er einen direkten Blick auf das Haustor hatte. Egal, von welcher Seite Grozavescu kam – und dass er kommen musste, schien ja angesichts der geplanten Berlin-Reise außer Zweifel zu stehen –, Bronstein würde ihn sehen und ihm danach folgen können.
Zwei Schalen Gold und sieben Zigaretten später wurde Bronstein aus seinem Grübeln gerissen. Deutlich und unverkennbar schritt der Orpheusjünger die Straße herauf und verschwand Augenblicke später in seinem Haustor. Bronstein zahlte eilig, überquerte die Fahrbahn und heftete sich an Grozavescus Fersen. Kurz überlegte er, den Rumänen noch im Stiegenhaus anzusprechen, doch dieser Plan wurde vom Sänger vereitelt, der seine Wohnung zu schnell für Bronstein erreicht hatte, der nun abermals vor der verschlossenen Tür stand. Und neuerlich lauschte.
Was drang da für ein merkwürdiger Lärm an sein Ohr? Spitze, schrille Schreie der Dame des Hauses! Doch sie klangen nicht verängstigt. Nein, viel eher vorwurfsvoll. Keine Frage, die Dame war tatsächlich eifersüchtig! Bronstein konnte nicht verstehen, was genau gesagt wurde, doch es bestand kein Zweifel daran, dass die Gattin dem Ehemann bittere Vorhaltungen machte und der sich rechtfertigte.
Streitereien in den eigenen vier Wänden waren die denkbar schlechteste Voraussetzung, jemandem ein Autogramm zu entlocken. Bronstein seufzte kurz und drehte sich um. Zumindest vorerst musste das Fräulein Doleschal auf die kostbare Signatur verzichten. Nun ja, ein andermal vielleicht, tröstete sich Bronstein und setzte sich in Bewegung. Er war am Treppenabsatz angelangt, als er einen lauten Knall hörte. Er war zu erfahren, um sich einreden zu können, da sei irgendwo eine Tür zugefallen oder eine Fehlzündung eines Motors erfolgt. Nein, das war eindeutig ein Schuss gewesen! Und seine Erkenntnis wurde durch ein dumpfes Geräusch verstärkt. Der Körper eines getroffenen Menschen, der zu Boden gefallen war.
Ohne zu zögern, eilte er zurück zur Wohnungstür. Die wurde auch schon aufgerissen, und die Ehefrau stand mit irrem Blick vor ihm. Überraschenderweise erkannte sie in ihm sofort den Polizisten vom Vormittag. »Verurteilen Sie mich, ich habe ihn erschossen«, sagte sie tonlos.
Bronstein drängte die Frau zurück in die Wohnung und eilte, sie am Arm festhaltend, in den Salon. Dort lag Grozavescu mit seltsam überraschtem Gesichtsausdruck am Perserteppich, der sich immer mehr mit Blut vollsaugte. Die Frau immer noch festhaltend, eilte er zu der reglosen Gestalt, ging dort in die Knie, was dazu führte, dass die Schützin beinahe umgefallen wäre, und fühlte mit der freien Hand den Puls. Nichts!
»Um Gottes willen, was ist denn da los?« Unbemerkt von Bronstein war die Hausbesorgerin in die Wohnung gekommen und schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Wissen Sie, ob es im Haus einen Arzt gibt?«, schrie Bronstein mehrmals, da es eine Weile dauerte, bis sich die Frau wieder gefangen hatte. Endlich nickte sie. »Einen Stock drüber!«
»Dann holen Sie ihn, und zwar schnell.«
Doch der Arzt hatte nicht mehr viel zu tun. Er sah Bronstein traurig an und schüttelte den Kopf.
»Tja, gnä’ Frau«, sagte Bronstein fast ein wenig bedauernd, »dann werden wir Sie wohl mitnehmen müssen.«