Читать книгу Wiener Bagage - Andreas Pittler - Страница 8
III.
ОглавлениеDie Operngasse 14, so fand er heraus, lag schief gegenüber des Café ›Museum‹ an der Ecke zur Elisabethstraße, in welcher wiederum das ›Smutny‹ beheimatet war, in dem er besonders gerne verkehrte. Allerdings wusste er deswegen noch nicht, ob das Fräulein Doleschal dort alleine wohnte! Sollte er Blumen mitbringen? Für die Frau Mama zum Beispiel, falls sie mit ihren 25 Jahren noch bei den Eltern wohnte. Oder würde das schon wieder genau jene Nähe insinuieren, die es ja eigentlich zu vermeiden galt? Und was, wenn sie doch alleine wohnte? Dann waren die Blumen ohnehin ein Fehlgriff. Ach, wenn er bloß jemanden hätte, den er in solchen Angelegenheiten um Rat fragen könnte.
Wenige Minuten vor 18 Uhr fühlte sich Bronstein, als hätte er im Casino gewonnen. Am Weg durch die Margaretenstraße war er doch glatt an diesem Grammophon-Geschäft vorbeigekommen, wo man ausgerechnet eine Schellackpressung von ›La Donna e mobile‹, gesungen vom großen Meister Caruso persönlich, für wenige Schilling angeboten hatte. Mit einem solchen Geschenk, so befand er, lag er in jedem Fall richtig.
Er legte die wenigen Meter zu Doleschals Wohnhaus fast im Laufschritt zurück, besah sich das Parteienverzeichnis und klopfte schließlich an die entsprechende Tür. Als hätte sie hinter selbiger gewartet, öffnete Doleschal die Pforte, noch ehe Bronstein seine Hand wieder an der Hosennaht hatte. »Guten Abend, gnädiges Fräulein. Äh, das wäre nachher für Sie. Quasi als Erinnerung für den heutigen Abend.« Mit einer ungelenken Bewegung drückte er ihr die Platte in die Hand. Die Doleschal strahlte. »Caruso ist halt doch der Beste. Obwohl der Grozavescu wirklich ganz große Klasse sein soll. Na, davon werden wir uns ja in Kürze persönlich ein Bild machen können. Wollen wir?«
»Unbedingt.«
Die wenigen Meter zur Oper legte Bronstein schweigend zurück. Die Doleschal redete dafür umso mehr. Sie erklärte ihm, dass Rigoletto der Hofnarr des Herzogs von Mantua sei, der wiederum Rigolettos Tochter verführe und entehre, woraufhin Rigoletto die Ermordung des Herzogs plane. Rigolettos Tochter aber verliebe sich in den Herzog und opfere sich für diesen, sodass Rigoletto am Ende statt des toten Herzogs die sterbende Tochter vor sich habe. »Womit sich Rigolettos Fluch auf grausige Art erfüllt«, schloss sie ihre Erzählung.
»Danke, gnädiges Fräulein. Jetzt weiß ich wenigstens, worum es da geht. Ich kann ja kein Italienisch, da hätt’ ich kein Wort verstanden. Jetzt aber bin ich im Bilde.« Dabei lächelte er sphingenhaft, was der Doleschal nicht entging.
»Was denken S’ denn g’rad?«, fragte sie.
»Na ja, der Rigoletto ist schuldig nach Paragraph 5 in Verbindung mit den Paragraphen 134 und 135 StG, Anstiftung zum Mord, und der Herzog ist schuldig nach Paragraph 128 StG, Schändung einer Minderjährigen. Jetzt ist das Ganze für mich auch dienstliche Fortbildung und nicht nur kultureller Genuss.«
Doleschal sah geradeaus und sagte nichts. Der Scherz, so musste er sich eingestehen, war ein Rohrkrepierer gewesen. Aber das passte vielleicht durchaus zum bevorstehenden Abend. ›Rigoletto‹ war ja offensichtlich auch eine Tragödie, und die Architekten des Opernhauses hatten gleichfalls kein gutes Ende genommen. Soweit Bronstein sich entsann, war der eine dem Wahnsinn verfallen, während sich der andere selbst entleibt hatte.
Doch all das zählte nicht mehr, als er den schüchternen jungen Rumänen erblickte, der den Rigoletto spielte. Bronstein hätte niemals geglaubt, dass ihn eine Stimme, zumal eine männliche, so zu fesseln vermochte. Er wurde von einer tiefen Traurigkeit umfangen, als die Vorstellung zu Ende war. Und er beschloss, künftighin öfter in die Oper zu gehen, insbesondere, wenn dieser Grozavescu auf der Bühne stand. Dass die Doleschal seine Ansicht am Heimweg teilte, fand er dabei durchaus erfreulich, denn sie hatte sich als überaus charmante Begleitung entpuppt. Wer weiß, dachte Bronstein, als er seiner Wohnung zustrebte, vielleicht bahnte sich da ja etwas an. Gleich darauf schalt er sich selbst für seinen völlig unbegründeten Optimismus. Und während er die Treppe emporstieg, ertappte er sich dabei, wie er »Oh wie so trügerisch, sind Frauenherzen« trällerte.