Читать книгу Wiener Bagage - Andreas Pittler - Страница 11
VI.
ОглавлениеBronstein war untröstlich, dem Fräulein Doleschal nun kein Autogramm Grozavescus überreichen zu können. Vielleicht verfolgte er darum umso mehr den Fall, auch wenn er nicht an der Befragung der Frau Grozavescu beteiligt gewesen war. Drei Monate nach der Tat war formell Mordanklage gegen sie erhoben worden, einen guten Monat später begann der Prozess. Da Bronstein ohnehin nichts Besseres zu tun hatte, nahm er sich zum Zwecke der Fortbildung, wie er es nannte, eine kleine Auszeit von der Büroarbeit und setzte sich in den Schwurgerichtssaal.
Doch was er dort zu hören bekam, erstaunte ihn doch einigermaßen. In den Medien war der Fall schon abgeurteilt gewesen, selbst seine eheliche Untreue hatte man dem Sänger angesichts der Furienhaftigkeit seiner Gattin nachgesehen. Für kein Blatt Wiens war eine andere als die Höchststrafe für den kaltblütigen Mord an einer großen Künstlerseele denkbar.
Die Grozavescu erklärte rundweg, keine Reue oder Schuldgefühle zu empfinden, sie habe sich nur, durch das Verhalten ihres Gatten bis zum Äußersten gereizt, zur Wehr gesetzt, weshalb sie sich auch nicht für schuldig im Sinne der Anklage bekennen könne. Diese Verteidigung schien nicht nur Bronstein absurd. Auch das übrige Publikum gab deutliche Zeichen des Unmuts von sich, das durch sämtliche Zeugenaussagen nur noch bekräftigt wurde. Kein einziger Zeuge ließ auch nur ein gutes Haar an der Mörderin.
»Na ja«, sagte Bronstein, als er am nächsten Tag doch wieder im Amt erschien, »die kriegt den Frack, das ist sicher. Die mag niemand, alle beschreiben ihn als Helden und sie als kranke Hysterikerin mit ausgeprägtem Hang zur Erinnye. Das wird lebenslang am Felsen, wirst sehen.«
Allerdings entnahm Bronstein in den folgenden Tagen den Zeitungen doch merkwürdige Meldungen über den Prozessverlauf. So schien es mit einem Mal, als hätte die Grozavescu doch Grund zur Eifersucht gehabt, da sie ihr Mann mit einer Frau Stransky betrogen zu haben schien. Außerdem war die Grozavescu schon einmal verheiratet gewesen, mit einem Major, von dem offenbar auch die Tatwaffe stammte. Bronstein wurde wieder neugierig. Welche Rolle spielte der in diesem Drama?
Und so begab sich Bronstein doch noch einmal ins Gericht, um die Plädoyers der Anwälte zu hören. Der Staatsanwalt malte den Schrecken und die Verderblichkeit der Tat noch einmal in den düstersten Farben aus, um dann an die Laienrichter zu appellieren: »Meine Herren Geschworenen! Am Abend des 14. Februar 1927 sang Traian Grozavescu den Rigoletto. Er ahnte nicht, dass die Arie ›La donna è mobile‹ – ›Ach, wie so trügerisch sind Frauenherzen, mögen sie klagen, mögen sie scherzen …‹ sein Schwanenlied war! Nelly Grozavescu hat getötet, weil sie töten wollte! Denn als Grozavescu sie nicht nach Berlin mitnehmen wollte, hatte sie erkannt, dass dies das Ende ihrer Herrschaft über ihren Mann war! Der Mann, der bisher ein fügsamer Sklave war, hatte einen Rest von Männlichkeit in sich entdeckt. Wenn auch nur ein Funke der heiligen Flamme in Ihnen glüht, die man die Gerechtigkeit nennt, dann müssen Sie mit dem Wahrspruch herauskommen: Nelly Grozavescu, du bist schuldig und du sollst deine Tat sühnen!«
Der Verteidiger sah die Dinge freilich gänzlich anders. Er plädierte auf geistige Verwirrung seiner Mandantin, und das schien auch die einzige Möglichkeit, wie er sie noch vor der Höchststrafe retten konnte. Seine Rede war dabei so rührselig, dass Bronstein sich lange nicht entscheiden konnte, ob er nun lachen oder doch lieber weinen sollte. Er wurde von Ausdrücken wie »unglückselig«, »arm« und »tragisch« nur so bombardiert, dass er sich am Ende fragte, ob die Grozavescu nicht tatsächlich bloß ein verwirrtes Opfer der Umstände war. Er erinnerte sich an den Eindruck, den sie auf ihn gemacht hatte, und war erstmals froh, nicht über sie urteilen zu müssen.
Die Geschworenen waren sich erstaunlich rasch einig. Sie fällten einen Freispruch wegen vorübergehender Verwirrung der Sinne. Bronstein war schon bereit, sich für die Frau, die als freier Mensch das Gericht verlassen konnte, trotz allem zu freuen, als er erstarrte. Die Grozavescu stand auf, lächelte klaren Sinnes und fiel in die Arme eines Mannes, in dem Bronstein deren ersten Gatten erkannte. Arm in Arm mit dem Major entschwand sie glückselig aus dem Gebäude. »Na«, schnalzte Bronstein in die Richtung der Laienrichter, »die hat euch ja schön geleimt.«