Читать книгу Asphalt im Kopf - Andreas Schütte - Страница 13
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ОглавлениеEs war der zweite Weihnachtsfeiertag des Jahres 1995, genau eine Woche vor Verenas fünfzehntem Geburtstag, als Hans-Jürgen Lorke das erste Mal seine neue Liebe mit nach Hause brachte. Sie hieß Sonja und arbeitete als Fremdsprachenkorrespondentin, die Sprache seiner Tochter sollte sie jedoch niemals erlernen. Fairerweise musste man sagen, dass Sonja selbst daran die geringste Schuld trug, gab sie sich doch von Anfang an die allergrößte Mühe, ein freundschaftliches Verhältnis zu Verena aufzubauen. Denn natürlich hatte sie keine Ahnung von der besonderen Vater-Tochter Beziehung. Jedenfalls anfangs nicht.
Für Verena war sie einfach eine Konkurrentin mit großen Brüsten und einem Dauerlächeln, und es wurde schnell zu einer Art Sport für sie, diesem Dauergrinsen Risse zuzufügen.
An diesem ersten gemeinsamen Abend am Wohnzimmertisch der Lorkes, beim Entenbraten, den Verena im Ofen absichtlich hatte anbrennen lassen, damit die Laune der beiden frisch Verliebten jedoch keineswegs verderben konnte, an diesem Weihnachtsabend wurden die Weichen für die Zukunft gestellt, das Rad des Schicksals hatte Fahrt aufgenommen und drehte sich mit rasch zunehmender Geschwindigkeit. Hans-Jürgen Lorke selbst hatte ihm den letzten Schwung gegeben.
„Fickt sie gut?“, fragte Verena ihren Vater in der Küche, als Sonja kurz im Badezimmer verschwunden war.
„Spinnst du, nicht so laut!“, zischte der Akademiker, schon leicht angetrunken. „Du gehst jetzt gleich auf dein Zimmer!“
„Ich werde ihr alles erzählen!“, drohte die Tochter.
„Wenn du das auch nur versuchen solltest, kannst du sofort deine Sachen packen und wirst danach nie mehr einen Fuß in dieses Haus setzen!“ Und: „Benimm dich gefälligst wie ein normaler Mensch!“
Verena warf ihm das Geschirrtuch ins Gesicht und lief aus der Küche. Später, in der Nacht, hörte sie das Gekicher der beiden, und dann, wie die Frau stöhnte, rhythmisch zum Knarren des Bettes - dem Bett, in dem der Vater sie an ihrem elften Geburtstag entjungfert hatte.
Ein normaler Mensch? Was tat ein normaler Mensch? Was war ein normaler Mensch?
Sie hegte in dieser Nacht Mordgedanken.