Читать книгу Das Erbe der Macht - Band 24: Schattenkrieg - Andreas Suchanek - Страница 10
ОглавлениеAuf das erste Chaos, aufflammende Schutzsphären und sogar Kraftschläge folgte Leonardos donnernde Stimme. Magisch verstärkt berichtete er, dass Chloe nicht länger auf Merlins Seite stand und die Angriffe eingestellt werden sollten.
Für Alex – der bereits wusste, dass das Ritual gelungen war – war es eine Überraschung, dass die Freundin noch lebte. Sie hatten von den Zinnen beobachtet, wie Merlin sie in die Schlucht warf.
Es war Teresa, die alle weiteren Diskussionen erstickte. Es klirrte, als sie den Koffer abstellte und öffnete. Darin befanden sich Flakons, die mit einer klaren Flüssigkeit gefüllt waren.
»Ein Heiltrank«, erklärte sie. »Drei Tropfen in den Mund, nicht mehr. Damit werden die schlimmsten Verletzungen geheilt. Alles weitere muss durch Nachbehandlung erfolgen.«
Sie nahm Tilda beiseite und gab dieser genaue Anweisungen, wie noch mehr von der Heilflüssigkeit hergestellt werden konnte. Wer sich auf den Beinen halten konnte, bekam einen Flakon in die Hand gedrückt. Die Schmerzenslaute nahmen ab, nach zwei weiteren Stunden hatten sie jeden gerettet, der noch zu retten war.
Teresa eilte zwischen den Betten herum, untersuchte jeden und ließ jeweils eine wohl bemessene Dosis Essenz einsickern. Aus irgendeinem Grund benötigte sie dafür keinen Essenzstab.
»Wieso heilst du sie nicht vollständig?«, fragte Alex.
Jen hatte sich zu ihnen gesellt. Sie sah so müde aus, wie er sich fühlte.
»Die Kraft muss für alle reichen«, erklärte sie. »Auch meine ist nicht unbegrenzt. Wir werden jedem Verwundeten täglich ein wenig Heilmagie zukommen lassen, dazu ein paar Tropfen des Tranks. In ein bis zwei Wochen sind sie alle wieder wohlauf.«
»Aber haben wir diese Zeit?«, fragte Annora, die zu ihnen getreten war. »Und warum habe ich plötzlich die Erinnerung an eine Heilmagierin namens Teresa und an eine zweite?«
»Es ist an der Zeit für einen Kriegsrat«, sagte Teresa daraufhin.
»Musst du nicht hier …?«
»Es ist notwendig, dass wir jetzt sprechen«, unterbrach sie Annora. »Leben wurden gerettet, Leben gingen verloren. Doch Merlin ist aktiv und muss aufgehalten werden. Andernfalls geschieht Schreckliches. Vor wenigen Minuten hat er in die Unendlichkeit gegriffen und die Särge geholt. Wir müssen uns beeilen.«
»So fängt es immer an«, sagte Alex trocken.
Jen verzog den Mund und gab ihm einen Klaps auf den Hinterkopf.
»Und so hört es immer auf«, ergänzte er grinsend.
Annora führte sie zum Konferenzzimmer, wo sie an der runden Tafel Platz nahmen. Teresa, Alex, Jen, Max, Artus, Tomoe, Leonardo, Einstein, Chloe und Clara. Auf dem Weg dahin hatte er die Freundinnen umarmt, was bei Chloe noch ein seltsames Gefühl gewesen war.
Andererseits hatte es auch bei Clara gedauert, bis er damals in ihr nicht mehr die Schattenfrau gesehen hatte.
Leonardo fasste in wenigen Sätzen zusammen, was er gemeinsam mit Clara und später auch mit Grace, Tomoe und Anne erlebt hatte. Dadurch erfuhren sie vom Bruder Merlins, der in einem Splitterreich gefangen gewesen war, und dem magischen Stab von Maginus. Der dunkle Magier war Merlins Vater gewesen, der Stab konnte Sigile aufnehmen. Auf diese Art wurde deren Rückkehr in einen neuen Magier unterbrochen. »Der Stab ist beim Monolith, wir haben entschieden, ihn erst einmal dort zu lassen.«
Einstein ergänzte ein paar Worte über seine Zeit in der Bühne, wo er gemütlich in einem Boot gelegen hatte. Eine Flussfahrt, während der die Archivarin aufgetaucht war, um ihn zu warnen. Doch sie hatte auch davon gesprochen, dass sie ihm Hilfe schicken würde. Das war in Form der Monolith-Reisenden geschehen.
»Es fügt sich zu einem Bild«, sagte Annora leise.
Teresa berichtete von ihrem Kampf gegen Merlin hinter den Kulissen und enthüllte allen ihre Identität. Die Enthüllung kam überraschend, doch kaum schockierend. Zu viel war in den letzten Wochen und Monaten auf sie eingeprasselt.
»Ich muss wohl froh sein, dass ich bei alldem nicht anwesend war«, sagte Einstein. »Merlin hätte mich kurzerhand auch in den Immortalis-Kerker geworfen. Ein wirklich interessantes Konstrukt übrigens. Zeit hat mich schon immer fasziniert und ich habe vor einigen Jahren eine genaue Analyse über die Struktur des Kerkers angest…«
»Ein anderes Mal«, unterbrach ihn Leonardo. »Sei mir nicht böse, Albert, aber wenn ich das richtig verstanden habe, ist Merlin unterwegs, um seine vier Helfer zu bergen. Einer davon ist mein Sohn!«
Die Herrin vom See deutete ein Nicken an.
»Aber bei den Aquarianern haben wir die alten Piktogramme in der Wand studiert«, meldete Jen sich zu Wort. »Wir konnten sie nicht richtig deuten, aber jetzt ergibt das langsam Sinn. Durch die Befreiung der vier Wesen entsteht ein fünftes Bild.«
»Das Symbol für den Anbeginn, nehme ich an.« Teresa nickte gedankenverloren. »Die Unterwasserwesen waren die Hüter des Artefaktes, ihr Reich eines der versiegelten.«
»Genau wie jenes der El-O-Hym«, ergänzte Tomoe. »Aber das der Aquarianer war nicht an die Brücke angeschlossen.«
»Zu Pfeilern werden nur jene Schlüsselreiche, in denen der Krieg geendet hat, in denen unsere Seite siegreich war. Bei den El-O-Hym ist es Shairi gelungen, den Anbeginn vollständig zu vertreiben. Bei den Aquarianern leider nicht.«
Das Reich war mittlerweile kollabiert, alle Wesen vom Anbeginn waren vernichtet worden. Die Unterwasserwesen hatten gerettet werden können und lebten nun mit Nemo tief am Meeresgrund.
»Aber die Piktogramme haben auch enthüllt, dass sich im Artefakt etwas befindet«, zog Jen die Aufmerksamkeit wieder auf sich. »Die Seele der vier.«
»Piero«, hauchte Leonardo.
Sie gingen längst davon aus, dass der Sohn von Leonardo und Johanna gerettet werden konnte, weil sein Ich sich noch im Seelenmosaik befand. Nagi Tanka – der Geist eines uralten bösen Schamanen – hatte den Körper des Kindes übernommen, doch der Geist war nur beiseitegedrängt worden. Später hatte Merlin ihn vermutlich in das Artefakt gezogen.
»Aber das Seelenmosaik ist bei Merlin«, sagte Chloe müde. »Ich selbst habe es dort hingebracht. Es war ihm wichtiger als alles andere.«
Was im Zuge der Enthüllungen Sinn ergab.
Er benötigte das Mosaik, um seine vier Reiter aufzuwecken und mit ihnen irgendwie den Anbeginn zu stärken. Oder zurückzuholen. So genau verstand Alex es noch nicht.
»Die Zeit drängt, doch auch ich sehe nicht über das hinaus, was direkt vor uns liegt«, erklärte Teresa. »Er will die Särge öffnen. Einen nach dem anderen. Damit ich nicht aufmerksam werde, hat er eine Kette gebildet. Jede Öffnung eines Sarkophags führt zum nächsten. Doch was danach kommt, ist mir verschlossen.«
»Wir sollten aufhören, darüber zu diskutieren!«, mischte Leonardo sich ein. »Wochenlang habe ich meinen Sohn gesucht. Dafür habe ich das Castillo verlassen, Splitterreiche durchsucht und alles aufs Spiel gesetzt. Wohin müssen wir reisen?«
»So einfach ist das nicht. Es wird ein Rennen gegen Merlin, doch das ist nicht genug.« Sie atmete langsam ein, ließ ihren Blick schweifen und atmete wieder aus. »So vieles habe ich gesehen, so viele Kämpfe. Die Jahrhunderte sind im Rückblick ein nicht greifbares Etwas aus verschwommenen Leben.«
»Wie metaphorisch«, sagte Leonardo trocken.
»Es geht mir um etwas Bestimmtes. Auch Merlin hat eine Ewigkeit gelebt. Außerhalb wie auch innerhalb des Onyxquaders. Seine Pläne reichen weit voraus.«
Clara lachte bitter auf. »Das kann ich bestätigen. Als Schattenfrau hat mein dunkles Ich ähnlich gehandelt.«
»Wir müssen herausfinden, was er vorhat, nachdem die vier erweckt sind«, schloss Alex. »Auf diese Art bleiben uns zwei Angriffspunkte.«
»Ich werde meinen Sohn suchen gehen!«, bekräftigte Leonardo. »In einem dieser … Särge liegt er. Ich werde Nagi Tanka herausreißen und diesen elenden Schamanen ein für alle Mal vernichten.«
»Vergiss nicht, was er trägt.« Annoras Stimme war leise, aber eindringlich. »Die Macht Nagi Tankas beruhte auf einem Blutstein.«
Annora hatte ihren Mann, den Großvater von Kevin, an eines dieser Artefakte verloren. Es waren mächtige Instrumente von grausamer Brutalität.
»Glaub mir, Annora«, Leonardos Stimme war rau wie Gestein, der von den Jahren der Herausforderung geformt worden war: »Niemals werde ich das vergessen.«