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1Einordnung der Gemeindefinanzen in die Staatsverfassung 1.1STAATLICHE UND GEMEINDLICHE AUFGABENFINANZIERUNG
ОглавлениеÖffentliche Aufgaben sind vielschichtig und einem stetigen Wandel unterworfen. Die öffentliche Hand1 übernimmt zahlreiche Aufgaben, die auf dem Gedanken der Daseinsvorsorge, also der „grundlegenden Versorgung der Bevölkerung mit wesentlichen Gütern und Dienstleistungen durch den Staat und/oder von der öffentlichen Hand geförderten Organisationen“2, basiert.
In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bestand z. B. eine vordringliche öffentliche Aufgabe in der Wiederherstellung der öffentlichen Infrastruktur oder in der Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum. Aus dem Grundgedanken des Sozialstaatsprinzips entstand ein Sozialhilferecht, das sich aus der ursprünglichen „Armenfürsorge“ zu einem Recht auf menschenwürdige Existenzsicherung und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben entwickelte. Ebenso wurde z. B. das Jugendwohlfahrtsgesetz durch ein Kinder- und Jugendhilfegesetz ersetzt und fortentwickelt. In den letzten Jahrzehnten entstanden vielfach und vermehrt Hallenbäder (und sogenannte „Spaßbäder“), Sportstätten, Musikschulen oder Volkshochschulen. Die „klassischen“ Kindergärten wurden zu Kindertagesstätten ausgebaut, auch um Kinder unter drei Jahren zu betreuen. Die Anforderungen an die umweltgerechte Abwasserbeseitigung nahmen ebenso zu wie das Bedürfnis nach Kultur oder Freizeitgestaltung vor Ort.
Was sind also „öffentliche Aufgaben“ im Allgemeinen? Kennzeichnend für alle öffentlichen Aufgaben ist, dass sie entweder
•durch Bundes- oder Landesrecht vorgeschrieben sind oder
•durch den Rat in Form von Satzungen oder einfachen Beschlüssen verbindlich festgelegt werden.
Die Finanzierung der zur Aufgabenerfüllung erforderlichen Ausgaben3 erfolgt durch verschiedene Einnahmen. Diese Einnahmen sollen die Ausgaben decken (Bedarfsdeckungsprinzip).
Wie erfolgt also die staatliche und gemeindliche Aufgabenfinanzierung?
Art. 104 a GG regelt die Aufgaben- und Lastenverteilung zwischen dem Bund und den Ländern. Hier heißt es auszugsweise:
Art. 104 a GG (Ausgabenverteilung; Finanzhilfen):
(1)Der Bund und die Länder tragen gesondert die Ausgaben, die sich aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergeben, soweit das Grundgesetz nichts anderes bestimmt.
(2)Handeln die Länder im Auftrage des Bundes, trägt der Bund die sich daraus ergebenden Ausgaben.
(3)Bundesgesetze, die Geldleistungen gewähren und von den Ländern ausgeführt werden, können bestimmen, dass die Geldleistungen ganz oder zum Teil vom Bund getragen werden. Bestimmt das Gesetz, dass der Bund die Hälfte der Ausgaben oder mehr trägt, wird es im Auftrage des Bundes durchgeführt. Bestimmt das Gesetz, dass die Länder ein Viertel der Ausgaben oder mehr tragen, so bedarf es der Zustimmung des Bundesrats.
(...)
Die Aufgabenfinanzierung erfolgt zu einem hohen Anteil durch Steuern. Diese stellen Zwangsabgaben dar, die als Geldleistungen ohne direkte Gegenleistungen durch einen öffentlich-rechtlichen Hoheitsträger erhoben werden (vgl. Definition der Steuer in § 3 Abs. 1 AO).
Entscheidende Bedeutung kommt verfassungsrechtlich dem Art. 106 GG zu, der die Verteilung des Steueraufkommens und des Ertrages der Finanzmonopole beinhaltet. Hier wird unterschieden zwischen Steuern, die nur einer staatlichen Ebene (Bund, Länder, Gemeinden) zusteht („Trennsystem“), und Steuern, die auf mehrere Ebenen verteilt werden (Gemeinschaftsteuern, „Verbundsystem“).
Zu den bundeseigenen Steuern (Abs. 1) gehören:
•die Zölle (= Steuern, die der Staat für die Wareneinfuhr aus dem Ausland erhebt). Sie werden über die Bundeskasse an die EU weitergeleitet;
•die Finanzmonopol(e): nur noch das Branntweinmonopol; die Einnahmeerzielung erfolgte ursprünglich im Wesentlichen durch eine Lizenzvergabe („Brennrecht“) an produzierende Unternehmen. Seit vielen Jahren wurde nur noch Agraralkoholseitens des Staates übernommen und vermarktet und wurde daher seitens der EU als Subvention kritisiert. Das Branntweinmonopol wurde Ende 2017 abgeschafft;
•die Verbrauchsteuern, soweit sie nicht anderen Gebietskörperschaften zustehen oder Gemeinschaftsteuern sind; Verbrauchsteuern setzen beim Übergang verbrauchbarer Güter an den Verbraucher an; bundeseigen sind u. a.: Mineralölsteuer, Tabaksteuer, Kaffeesteuer, Schaumweinsteuer, Stromsteuer;
•die Verkehrsteuern, soweit sie nicht den Ländern zustehen oder Gemeinschaftsteuern sind; Verkehrsteuern knüpfen an Vorgänge des Rechtsverkehrs (Rechtsgeschäfte) an. Bundeseigene Verkehrsteuern sind: die Versicherungsteuer; die Kapitalverkehrsteuern (Börsenumsatzsteuer, Wechselsteuer und Gesellschaftsteuer durch das Finanzmarktförderungsgesetz 1990 abgeschafft); zu den Verkehrsteuern gehören seit dem 01.07.2009 auch die Kraftfahrzeugsteuer und sonstige auf motorisierte Verkehrsmittel bezogene Steuern. Die Zuordnung zu den Verkehrsteuern ist mit Blick auf die ursprüngliche Definition (s. o.) umstritten. Sinnvoller wäre die Klassifizierung als Aufwandsteuer, da der Steuergegenstand – das Halten eines Kraftfahrzeuges – an die Einkommensverwendung anknüpft;
•die Vermögens- und Ausgleichsabgaben zur Durchführung des Lastenausgleichs; der Bund trägt gem. Art. 120 GG die Kriegsfolgelasten.
•die Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und Körperschaftsteuer; aus konjunktur- bzw. umverteilungspolitischer Sicht eingeführter Zuschlag („Solidaritätszuschlag“); ab 01.01.1995 7,5 %, ab 01.01.1998 5,5 % der jeweiligen Bemessungsgrundlage;
•die Abgaben im Rahmen der europäischen Gemeinschaften; sogenannte Abschöpfungen (= Preisausgleiche in der EU, die an die EU-Kasse weitergeleitet werden).
Ländereigene Steuern (Abs. 2) sind:
•die Vermögensteuer (bis 31.12.1996);
•die Erbschaftsteuer; Besteuerungsgrundlage: Wert eines Erbes sowie Schenkungen unter Lebenden (die Schenkungsteuer ist mit der Erbschaftsteuer im selben Gesetz geregelt);
•die Verkehrsteuern, soweit sie nicht dem Bund zustehen, z. B. Grunderwerbsteuer (zzt. in NRW: 6,5 % auf den Kaufpreis), Feuerschutzsteuer (die Gemeinden erhalten eine pauschale investive Zuweisung aus dem Aufkommen), Rennwettsteuer und Lotteriesteuer;
•die Biersteuer; Steuergegenstand ist die Produktion von Bier;
•die Spielbankabgabe; Teile werden nach Landesrecht an die entsprechenden Gemeinden weitergeleitet, da Spielbanken von der Einkommen- und Umsatzsteuer befreit sind.
Zu den gemeindeeigenen Steuern (Abs. 6) zählen:
•die Grundsteuern;
•die Gewerbesteuer;
•die örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern, z. B. Hundesteuer, Vergnügungsteuer, Zweitwohnungsteuer; diese Steuern knüpfen an die Einkommensverwendung an bzw. haben eine Ordnungs- oder Lenkungsfunktion (z. B. bei der Hundesteuer: Verringerung des Hundebestandes; Vergnügungsteuer: Eindämmung der Spielsucht an Spielautomaten).
Gemeinschaftsteuern (nach dem Verbundsystem) sind:
•die Körperschaftsteuer (Abs. 3); diese steht nur dem Bund und den Ländern zu;
•die Einkommensteuer (Abs. 3 und 5); diese steht dem Bund, den Ländern und den Gemeinden zu;
•die Umsatzsteuer (Abs. 3 und 5 a); ein Anteil fließt ab dem 01.01.1998 an die Gemeinden als Ausgleich für den Wegfall der Gewerbekapitalsteuer.
Exkurs: Die Schreibung mit Doppel-s:
Vielfach liest man folgende Schreibungen: Vermögen ss teuer, Einkommen ss teuer, Verbrauch ss teuer, Vergnügung ss teuer u. dgl. Hierbei handelt es sich um das sogenannte Fugen-s bzw. Binde-s, das unter bestimmten Voraussetzungen bei zusammengesetzten Wörtern verwendet wird. In den jeweiligen Rechtsvorschriften werden die Steuerarten dagegen nur mit einem s geschrieben, z. B. Einkommensteuergesetz, Vermögensteuer, Verbrauchsteuern (Art. 106 GG). Interessanterweise wird die Vergnügungssteuer in § 3 Abs. 2 KAG mit Doppel-s geschrieben. Die neue Rechtschreibung ermöglicht beide Schreibweisen.
Der Autor plädiert aufgrund des Bezugs zur jeweiligen Steuerart (z. B. Einkommen, Umsatz, Zweitwohnung) für die Schreibung mit einem s.
Die gemeindliche Aufgabenfinanzierung ist verfassungsrechtlich auch über Art. 28 GG gewährleistet. Nach Abs. 2 muss den Gemeinden das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Auch die Gemeindeverbände haben im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereiches nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung. Die Gewährleistung der Selbstverwaltung umfasst auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung; zu diesen Grundlagen gehört eine den Gemeinden mit Hebesatzrecht zustehende wirtschaftsbezogene Steuerquelle.
Die Finanzhoheit des Bundes und der Länder ist in Art. 109 Abs. 1 GG normiert. Danach sind sie in ihrer Haushaltswirtschaft selbstständig und unabhängig voneinander.
Aus der gemeindlichen Selbstverwaltungsgarantie wird die Finanzhoheit abgeleitet. In NRW wird die Selbstverwaltungsgarantie (und die gemeindliche Bestandsgarantie) landesrechtlich in den Art. 1 und 78 Abs. 1 und 2 Verf NRW4 sowie in den §§ 1, 2 GO geregelt:
Art. 1 Abs. 1 Verf NRW:
Nordrhein-Westfalen ist ein Gliedstaat der Bundesrepublik Deutschland. Das Land gliedert sich in Gemeinden und Gemeindeverbände.
Diese Vorschrift beinhaltet die Bestandsgarantie für Gemeinden/GV (ohne allerdings den Bestand jeder konkreten Gemeinde zu garantieren!).
Art. 78 Abs. 1 Verf NRW:
Die Gemeinden und Gemeindeverbände sind Gebietskörperschaften mit dem Recht der Selbstverwaltung durch ihre gewählten Organe.
Art. 78 Abs. 2 Verf NRW:
Die Gemeinden und Gemeindeverbände sind in ihrem Gebiet die alleinigen Träger der öffentlichen Verwaltung, soweit die Gesetze nichts anderes vorschreiben.
§ 1 GO (Wesen der Gemeinden):
(1)Die Gemeinden sind die Grundlage des demokratischen Staatsaufbaues. Sie fördern das Wohl der Einwohner in freier Selbstverwaltung durch ihre von der Bürgerschaft gewählten Organe.
(2)Die Gemeinden sind Gebietskörperschaften.
§ 2 GO (Wirkungskreis):
Die Gemeinden sind in ihrem Gebiet, soweit die Gesetze nichts anderes bestimmen, ausschließliche und eigenverantwortliche Träger der öffentlichen Verwaltung.
Aus diesen Normen könnte ein hohes Maß an gemeindlicher, eigenständiger Finanzhoheit hergeleitet werden. Tatsächlich weist das Grundgesetz den Gemeinden das Aufkommen der Grund- und Gewerbesteuern, der örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern und Anteile an der Einkommen- und Umsatzsteuer zu (s. o.), des Weiteren das Recht, Abgaben zu erheben (vgl. Kapitel 1.2). In Bezug auf das jeweilige Ertragsvolumen ist die Finanzhoheit praktisch eingeschränkt. Der maßgebliche Gestaltungsspielraum wird überwiegend über die Hebesätze der Grundsteuer B, der Gewerbesteuer und im deutlich geringeren Umfang bei den sonstigen Gemeindesteuern umgesetzt.