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ABENAS VORBEREITUNG

Oh Mann, ich weiß, wie Abena zumute sein muss. Ich bin in einem Jugendheim aufgewachsen und fand es dort so schrecklich, dass ich mehrfach abgehauen bin. Auf diesem Wege bin ich überhaupt erst zu den YOUNG AGENTS gekommen. Immer wieder wurde ich von der Polizei aufgegriffen und ins Heim zurückgebracht. So wurde der Geheimdienst auf mich aufmerksam und hat mich angeworben. Offiziell bin ich immer noch flüchtig und werde bundesweit von der Polizei gesucht. Es wird Zeit, dass der Geheimdienst sich darum kümmert und mir eine »Familie« besorgt, bei der ich offiziell unterkommen kann. Bis das nicht geregelt ist, laufe ich bei jedem Schritt vor die Haustür Gefahr, wieder aufgegriffen und zurück nach München ins Heim geschickt zu werden. Bei unserem letzten Fall ist mir das passiert, und ich konnte erst in letzter Minute spektakulär aus dem ICE fliehen, der mich unter Bewachung nach München bringen sollte. Nun gibt es natürlich einen Unterschied zwischen Heim und Jugendgefängnis, in dem Abena undercover als angebliche Straftäterin einsitzen soll. Aber trotzdem bin ich wohl derjenige von uns sechs, der am ehesten nachfühlen kann, was ihr bevorsteht.

Abena scheint das genauso zu sehen. Nach unserer Besprechung jedenfalls bat sie mich um ein Treffen unter vier Augen, damit sie mich alles Mögliche fragen kann, was ihr die Mission erleichtern könnte. Erschwerend kommt hinzu, dass sie eigentlich gar keine Zeit hat, sich vorzubereiten. Schon morgen früh kommt sie ins Gefängnis, wo der Geheimdienst dafür sorgen wird – über welche Kanäle auch immer –, dass Abena sofort Kontakt zu Shiona bekommt.

Jetzt sitzen wir zu zweit bei Abena zu Hause, um die Sache zu besprechen. Ich bin zum ersten Mal bei ihr. Auch von den anderen YOUNG AGENTS war außer Billy noch nie jemand bei Abena zu Besuch.

Als ich bei ihr ankam, hab ich erst einmal Bauklötze gestaunt. So eine große, helle, geräumige und vor allem auch ordentliche Wohnung für eine einzelne Familie habe ich noch nie gesehen. Ich selbst bin mit meiner überforderten Mutter in einer winzigen, dunklen Zweizimmerwohnung aufgewachsen, die eigentlich immer ziemlich zugemüllt war. Weswegen ich ja auch irgendwann ins Heim kam. Derzeit wohne ich bei Billy, wo es auch nicht viel besser aussieht. Zwar ist die Wohnung größer, und Billy hat sogar ein eigenes Zimmer. Aber irgendwie ist dort alles sehr rumpelig, eng und zugestellt. Den Möbeln sieht man an, dass sie Sonderangebote in irgendwelchen Möbeldiscountern waren. Manche Schranktüren sind wackelig und drohen, aus den Scharnieren zu brechen, der Boden ist abgeschubbert, die Sessel sind durchgesessen und so weiter.

Aber hier, bei Abena, komme ich mir vor wie in der Ausstellung eines edlen Möbelhändlers, der vielleicht gerade seine »Afrikanischen Wochen« oder so ausgerufen hat.

Das Wohnzimmer ist hell und geräumig. An den strahlend weißen, sauberen Wänden hängen große, fantastische Gemälde in knallbunten Farben. Ausschließlich von ghanaischen Künstlern gemalt, wie Abena mir erläutert. Das heißt: Jedes Gemälde ist ein signiertes Original! Unter den Gemälden stehen ein gigantisches schwarzes Ledersofa und ein Glastisch, der so sauber ist, dass man die Platte fast gar nicht sieht. Dazu noch zwei weitere, passende Ledersessel. Gegenüber besteht die gesamte Wand aus einem einzigen Regal, das bis auf den letzten Zentimeter mit Büchern vollgestellt ist. Bestimmt tausend Stück, schätze ich mal.

»Wer soll das alles lesen?«, frage ich ehrfurchtsvoll.

Bei uns zu Hause – also als ich noch mit meiner Mutter in der kleinen Wohnung lebte – gab es nur ein einziges »Buch«. Das war das sogenannte »Haushaltsbuch«, in das meine Mutter sporadisch ein paar monatliche Ausgaben eintrug.

Zugegeben, ich selbst habe noch drei Bücher besessen, die meine Mutter mir mal auf einem Flohmarkt der Stadtbücherei gekauft hat. Alle drei waren »Agentengeschichten« für Kinder. Fällt mir jetzt gerade ein. Ha, wenn ich damals geahnt hätte, dass ich tatsächlich mal ein echter Agent werden würde …

»Meine Eltern haben die meisten gelesen«, erläutert mir Abena. »Wollen wir?«

Die meisten gelesen? Tausend Bücher oder mehr? Wie soll das gehen? Für mich ist das ein komplett anderes Universum. Aber trotzdem nicke ich Abena brav zu.

Sie führt mich in ihr Zimmer, das ebenfalls an ihr Geburtsland Ghana erinnert. Was man aber erst auf dem zweiten Blick erkennt. Gut, die rot-gelb-grüne Nationalflagge mit dem schwarzen Stern in der Mitte fällt einem natürlich sofort ins Auge. Aber die bunten Tücher, sogenannte Kente-Stoffe, und die handgeschnitzten Tiere und religiösen Figuren erkenne ich nur als ghanaisches Kunsthandwerk, weil Billy mir davon schon erzählt hatte, nachdem er einmal hier war. Neu sind einige Keramiken auf der Fensterbank, die Abena mir jetzt zeigt. Sie stammen allesamt aus Ghana und sind ihr erst vor Kurzem von ihrer Großmutter zugeschickt worden: zwei bunte Vasen und ein Gefäß mit Deckel, das ein bisschen aussieht wie eine Zuckerdose.

»Was ist da drin?«, frage ich.

»Mach ruhig auf«, antwortet Abena lachend.

Ich schaue nach und sehe: Schokolade!

»In Ghana und an der Elfenbeinküste werden 60 % der weltweiten Kakao-Ernte angebaut«, erklärt Abena mir.

»Wow!«, sage ich anerkennend. »Dann seid ihr sozusagen die Weltmeister der Schokoladenherstellung? Super!«

Ich nehme ein Stück, lasse es auf meiner Zunge zergehen. Es schmeckt himmlisch, weich, sahnig und schokoladig.

»Leider nicht«, räumt Abena ein. »Ghana liefert nur den Rohstoff Kakao. Veredelt und zu Schokolade verarbeitet wird fast nur im Ausland. Dort wird dann auch das dicke Geld mit unserem Kakao verdient. Diese Schokolade hier kommt aus der Schweiz.«

»Darf ich noch ein Stück?«, frage ich.

Abena nickt mir zu.

Obwohl ein Lesesessel und ein Schreibtischstuhl in ihrem Zimmer stehen, setzen wir uns im Schneidersitz einander gegenüber auf den Boden. Mir wird klar: Wer so schön wohnt, dem wird es im Jugendgefängnis doppelt schwerfallen.

»Du musst keine Angst haben«, versuch ich also gleich, Abena Mut zuzusprechen. »Dein Knastaufenthalt ist ja nur kurz. Und der Geheimdienst kann dich jederzeit wieder da rausholen.«

Abena nickt. »Ich weiß. Es ist dennoch ein komisches Gefühl. Weißt du, die Gangster der Einbruchsmafia in ihrer Villa aufzusuchen, das war für mich kein Problem. Da kam ich ja schnell wieder weg. Aber wenn ich mir vorstelle, ich solle mit einem wie ›Vize‹ zusammen in einer Zelle wohnen! Meine Güte!«

Ich muss lachen. Und kann sie sofort beruhigen.

»Das wird sowieso nicht vorkommen«, versichere ich ihr. »Für Jungs und Mädchen gibt es getrennte Gefängnisse.«

»Ich weiß«, antwortet Abena. »Aber ehrlich: Das finde ich fast noch schlimmer.«

»Du wirst mit Shiona in eine Zelle kommen. Und hast sowieso nur extrem wenig Zeit. Wir müssen Sophie ja in nicht einmal 48 Stunden gefunden haben.«

Wie auf ein Stichwort läuten im selben Moment unsere beiden Agenten-Smartphones.

»Was ist denn jetzt passiert?«, fragt Abena und sieht nach, während ich gleichzeitig ebenfalls mein Smartphone zücke.

Achtung: News

schreibt uns Charles.

Prozess verschoben.

Wir haben zwei Tage mehr Zeit.

»Oh!«, sage ich und will gerade jubeln. Denn eigentlich ist das eine sehr gute Nachricht für uns.

Doch sofort fällt mir das ein, was Abena jetzt auch ausspricht: »Vermutlich muss ich doch länger im Knast bleiben, als ich bis eben dachte.«

Genau das könnte natürlich passieren.

»Wir sollten uns trotzdem beeilen. Je schneller wir Sophie finden, desto besser für sie«, sage ich, um Abena erneut zu beschwichtigen.

Sie nickt mir hoffnungsvoll zu. »Das finde ich auch.«

Und wieder piept mein Smartphone. Aber dieses Mal nur meines.

Ich muss gestehen, mit der Nachricht, die ich nun lese, habe ich am allerwenigsten gerechnet. Und sie haut mich geradezu um.

»Was ist passiert?«, fragt Abena.

»Ich … Ich bekomme ein neues Zuhause!«, antworte ich und kann es in dem Augenblick, in dem ich es ausspreche, selbst kaum glauben. Ich weiß nicht einmal, ob ich mich freuen soll, auch wenn ich weiß, dass eine neue Familie für meine Tarnung unerlässlich ist. Aber trotzdem habe ich ja schon eine Mutter; eine echte. Auch wenn sie total überfordert ist und mich deshalb ins Heim abgegeben hat, ist und bleibt sie meine Mutter. Ich bin ihr auch nicht böse. Wirklich nicht. Denn ich weiß, dass sie mich nur aus der Angst heraus fortgegeben hat, nicht für mich sorgen zu können. Ich sollte es gut haben, mit einer vernünftigen Schlafstätte, regelmäßigem warmem Essen, einer möglichst guten Schulbildung und so weiter. Das alles konnte meine Mutter mir nicht bieten. Das war uns beiden klar. Dass mir das Heim so sehr zu schaffen machen würde, konnten wir damals ja beide nicht ahnen.

Jetzt, da ich etwas älter, vor allem aber durch die Agentenausbildung enorm reifer geworden bin, sehe ich es noch klarer: Wäre ich damals bei meiner Mutter geblieben, dann würde ich Abena jetzt keine Tipps als Undercover-Agentin für den Knast geben. Nein, ich wäre längst selbst ein krimineller Problemfall. Insofern war alles richtig so.

Und dennoch: Jetzt zu einer neuen Familie zu kommen, ist ein merkwürdiges Gefühl.

Zumal ich noch nicht einmal weiß, ob es nur eine Tarnfamilie ist, die über meine Agententätigkeit Bescheid weiß, oder ob es eine echte Pflegefamilie sein wird, vor der ich die YOUNG AGENTS geheim halten muss. Was die ganze Sache noch erheblich komplizierter machen würde, als sie ohnehin schon ist.

Meine Hände zittern.

Ich versuche, es zu verbergen, als ich mein Smartphone wegstecke, doch Abena ist es natürlich nicht entgangen.

Sie rutscht ein bisschen näher, legt mir ihre warme, weiche Hand auf die Wange und sagt: »Okay. Dann reden wir jetzt erst mal über dich.«

Young Agents New Generation

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