Читать книгу Young Agents New Generation - Andreas Schluter - Страница 9

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EIN KÜHNER PLAN

Als wir uns etwas später und weit genug vom Richterhaus entfernt wieder mit Naomi und Billy treffen, frage ich Tim, was es mit dieser Puppe auf sich hatte.

»Das war eine Cayla«, antwortet er.

Ich hab keine Ahnung, was er damit meint. Auch Billy schaut ihn ratlos an.

Naomi hingegen wird hellhörig.

»Du meinst die My friend Cayla-Cayla? Die so funktioniert wie die Hello Barbie?«

Tim nickt.

Billy und ich verstehen kein Wort.

»Seit wann interessierst du dich noch für Puppen?«, fragt Billy Naomi.

Naomi schmunzelt, bevor sie antwortet: »Ehrlich gesagt habe ich mich nie so richtig für Puppen interessiert. Schon als kleines Mädchen nicht. Aber schon immer für Technik. Und deshalb auch für diese beiden Puppen, die es erst seit wenigen Jahren auf dem Markt gibt. Es handelt sich um sogenanntes intelligentes Spielzeug. Über eine App und Bluetooth-Verbindung können die Kinder ihrer Puppe Fragen stellen. Die werden in Text umgewandelt und an die Internetseite der Spielzeugfirma gesendet, die eine Antwort zurückschickt, die die Puppe dem Kind dann mitteilt. Das Kind kann also mit seiner eigenen Puppe sprechen.«

»Nicht schlecht«, kommentiert Billy. »Wenn mein Black Panther das gekonnt hätte, das hätte ich super gefunden.«

»Black Panther?«, frage ich nach.

»Ja, ich hatte einen schwarzen Leoparden als Plüschtier«, antwortet Billy und fügt grinsend hinzu: »Der wohnt immer noch unter meinem Bett.«

»Aber es ist nicht nur toll«, erläutert Naomi weiter. »Dadurch, dass die Puppe alles aufnimmt, was das Kind ihr sagt, ist sie gewissermaßen ein Abhörgerät.«

»Genau«, ergänzt Tim. »Daher kenne ich die Puppe überhaupt. Bei uns im Heim wollte mal ein Erzieher eine von uns Kindergruppen aushorchen. Hat aber nicht geklappt, und der Erzieher wurde entlassen.«

Langsam begreife ich, weshalb Tim die Puppe so wichtig war und ich alles von Sophies Smartphone kopieren sollte.

»Du meinst also«, frage ich nach, »mit etwas Glück haben wir eine Audio-Aufzeichnung von der Entführung auf der App, vielleicht sogar die Stimme des Entführers?«

»Ganz genau«, bestätigt Tim. »Wenn wir Glück haben, ja.«

Noch in derselben Nacht übergebe ich Balu in der Agentenwohnung mein Smartphone mit den Kopien von Sophies Daten und vor allem der Puppen-App.

Tatsächlich haben wir Glück. Damit Balu nicht stundenlang alle möglichen Fragen, die Sophie ihrer Puppe gestellt hat, abhören muss, versucht er es direkt mit dem vermutlichen Entführungszeitpunkt, den wir dem Schreibprogramm auf Sophies Computer entnommen haben: Montag, 17:52 Uhr.

»Hier!«, ruft Balu aufgeregt. »Hört ihr?«

Naomi, Charles und ich sitzen um ihn herum und hören genau hin. Billy und Tim sind zu Billy nach Hause gefahren. Wir werden sie morgen über unsere Ergebnisse informieren.

»Sophie schreckt auf«, erklärt Balu die Geräusche. »Doch dann wird sie gleich ruhig. Hört zu!«

Wir hören, wie eine männliche Stimme sagt: »Ich hab dir etwas mitgebracht. Ein Geschenk!«

»Ein Geschenk?« Sophie klingt überrascht, aber auch freudig neugierig. »Von wem?«

»Von der Schule. Du darfst es aber noch niemandem verraten«, betont die Männerstimme.

»Wieso nicht?« Sophies Neugier und Freude scheinen wachsender Skepsis zu weichen.

»Weil …«, setzt die männliche Stimme an.

Dann hört man Gepolter. Gegenstände fallen vom Tisch. Kurze, gurgelnde Laute von Sophie.

»Jetzt hat er sie gepackt«, erläutert Balu.

Aber das haben wir anderen auch schon herausgehört.

»Ich frage mich nur, wieso die Puppe das aufgenommen hat«, sage ich. »Sophie hat eindeutig an ihrem Computer gesessen, als der Entführer ins Zimmer eindrang. Die Puppe lag aber auf dem Bett. Sophie wird sie in dem Moment ja wohl kaum in der Hand gehabt haben.«

»Das brauchte sie auch gar nicht«, erläutert Balu. »Man kann die Puppe so einstellen, dass sie Stimmen aus etwas größerer Entfernung aufzeichnet und nicht nur, wenn man direkt mit ihr spricht. So lässt sie sich als Abhörwanze fürs Kinderzimmer missbrauchen. Deshalb hat es damals, als die ersten Puppen dieser Art auf den Markt kamen, auch einige Proteste gegen das Spielzeug gegeben.«

»So wie Tim aus seinem Heim erzählt hat«, ergänze ich.

Naomi nickt mir zu und spricht vor sich hin: »Dann haben Sophies Eltern ihre Tochter überwacht, indem sie abgehört haben, was sie ihrer Puppe so erzählt?«

»Sieht so aus«, bestätigt Balu. »Das finde ich von den Eltern zwar total bescheuert, für uns aber ist es ein Glück. Wir haben die Stimme des Entführers.«

»Aber kennen wir die? Wissen wir, wer es ist?«, fragt Naomi.

Balu schüttelt den Kopf. »Ich hab’s schon mit unserer Datenbank abgeglichen. Ich kann nur sagen: Es ist nicht der Gorilla. Und dass es nicht Shiona sein kann, ist eh klar. Die war zu dem Zeitpunkt im Gefängnis, und außerdem: Männerstimme.«

»Wirklich weiter hilft uns das also nicht, oder?«, frage ich.

Balu schüttelt den Kopf. »Nein. Zumindest noch nicht. Aber wer weiß …«

Am nächsten Vormittag sitzen wir sechs YOUNG AGENTS bei einem Meeting mit unserem Chef, dem Prof, zusammen, um die nächsten Schritte zu planen. Oder besser ausgedrückt: Der Prof teilt uns mit, was wir als Nächstes zu tun haben. Die Zeit drängt. In zwei Tagen soll das Urteil im Prozess verkündet werden. Für außenstehende Beobachter wie zum Beispiel die Presseleute ist es eigentlich sonnenklar: Sowohl Maffei als auch den »Boss« erwarten lebenslange Haftstrafen. Doch beide Gangster verhalten sich im Prozess trotz erdrückender Beweise gegen sie völlig entspannt. Sie wissen, sie haben die Tochter des Richters in ihrer Gewalt, und deshalb wird es einen Freispruch geben.

Um das zu verhindern, haben wir YOUNG AGENTS also 48 Stunden, um das Mädchen zu finden. Denn dass sie entführt wurde, steht nach unserem »Besuch« beim Richter völlig außer Zweifel.

Billy und ich müssen somit heute wieder mal die Schule schwänzen. Der Auftrag des Geheimdienstes hat Vorrang. Und wir treffen uns das erste Mal an einem neuen Ort. Der geheime Bunker unterhalb der Tankstelle wurde zu riskant. Wenn regelmäßig sechs Kinder die Tankstelle aufsuchen und dort ständig aufs Klo gehen (der geheime Zugang führte durch eine Toilettenkabine), fällt das auf.

Unser neuer Treffpunkt ist ebenfalls ein Bunker. Ein Überbleibsel aus uralten Kriegszeiten, das jahrelang stillgelegt war. Dann hatte man ihn in den 1980er-Jahren umgebaut und als Schutzraum für den Fall eines Atomkriegs wieder nutzbar gemacht. Zwanzig Jahre später wurde er erneut stillgelegt. Und nun dient er eben als geheimer Treffpunkt für uns YOUNG AGENTS. Er liegt mitten in einem Stadtteil in der Nähe des Stadtparks. Über den Eingang hat der Geheimdienst einfach eine kleine Imbissbude gestellt, durch deren Hinterzimmer wir in den Bunker gelangen. Das ist auch der Grund, weshalb niemand von uns mehr mit leerem Magen in der Versammlung sitzen muss. Stattdessen lassen wir uns Pommes mit Ketchup und Mayo, Brat- und Currywürste schmecken. Morgens um neun Uhr. Na und?

Ich muss gestehen, mir schmeckt das Essen, mit dem ich zu Hause in Accra bei meinen Eltern und Großeltern aufgewachsen bin, deutlich besser. Zur Sättigung essen wir statt Kartoffeln lieber Reis, Fufu, Gries, Yams, Kochbananen oder Banku. Und wenn schon Kartoffel, dann Süßkartoffel. Aber an Pommes frites habe ich mich hier in Deutschland schnell gewöhnt. Normalerweise natürlich nicht zu dieser Tageszeit. Dennoch: Mir schmeckt’s, und wir alle genießen unsere außergewöhnliche Mahlzeit.

Als wir alle unsere Portionen halb aufgegessen haben, kommt der Prof hereingerauscht. Wie immer setzt er sich ohne Begrüßung an seinen überdimensionierten Schreibtisch, den er von der Tankstelle hat herbringen lassen. Hier im Imbissbunker wundere ich mich noch mehr darüber, wie sie den hineingewuchtet haben, als ich es an der Tankstelle ohnehin schon tat.

Auch sein dicker Ledersessel ist da, in den er sich jetzt sachte niederlässt. Das Neue an diesem Ort ist, dass wir Agenten nun endlich auch alle eigene Stühle haben, auf denen wir rund um einen schwarzen Konferenztisch sitzen. Unter der Tankstelle mussten die meisten von uns auf dem Boden hocken.

In einer kurzen Einleitung stellt der Prof noch mal klar, unter welchem Zeitdruck wir stehen, und verkündet: »Wir wissen nun, dass der Richter nicht die Wahrheit gesagt hat und seine Tochter tatsächlich entführt worden ist. Da habt ihr gestern gute Arbeit geleistet.«

Billy, Naomi, Charles und Balu schauen Tim und mich an und spenden uns einen kurzen, herzlichen Beifall. Naomi applaudiert sogar ausdrücklich Tim, weil sie ihn bisher sonst immer sehr skeptisch betrachtet hat.

»Wir wissen außerdem, dass Maffei und der ›Boss‹ hinter der Entführung stecken«, führt der Prof weiter aus. »Die beiden wissen also, wo das Mädchen versteckt ist. Aber nicht nur sie. Sondern natürlich auch ihre Komplizen und Helfer. Denn irgendjemand muss das Mädchen ja entführt haben und es jetzt verstecken, bewachen, verpflegen und so weiter.«

»Wir müssen also die Komplizen observieren«, schlägt Billy vor. »Zum Beispiel den Gorilla. Der kümmert sich doch nicht nur um Maffeis Haus, wenn der nicht da ist, sondern sehr wahrscheinlich auch mit um seine Geschäfte.«

Doch der Prof schüttelt den Kopf.

»Das stimmt zwar«, bestätigt er. »Aber das allein reicht nicht, weil uns die Zeit davonläuft. Wir müssen näher heran, brauchen einen direkten Kontakt zu Maffei und dem ›Boss‹.«

»Wie soll dies sein?«, fragt Charles in seinem üblichen gebrochenen Deutsch. »Wir haben nicht die Möglichkeit, zu sehen eine von diese beiden.«

»Natürlich nicht«, stellt der Prof klar. »Aber zu jemand anderem können wir Kontakt aufnehmen: seiner Tochter!«

»SHIONA????« Ich glaube, wir alle sechs haben gleichzeitig den Namen mit großem Fragezeichen ausgerufen.

»Auch die ist in die Gefängnis. Ist sie nicht?«, fragt Charles.

»Ja, ist sie«, bestätigt der Prof.

»Wir kommen nicht hinein in diese jailhouse«, beharrt Charles.

»Doch«, widerspricht der Prof. »Nicht ihr alle, aber eine von euch: Abena!«

Ich? Wie das?

Dazu kommt der Prof jetzt; schneller, als mir lieb ist: »Als jugendliche Straftäterin.«

»WAS?«, entfährt es mir. »Ich soll ins Gefängnis? Als Strafgefangene?«

Ich hoffe, ich habe da etwas falsch verstanden!

Doch leider nicht. Genauso hat der Prof es gemeint.

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