Читать книгу Young Agents New Generation - Andreas Schluter - Страница 8
POLIZEI! POLIZEI!
ОглавлениеHier oben in Sophies Zimmer dürften die Abhörwanzen wenig Sinn ergeben. Besser, wir bringen sie irgendwo unten im Wohnzimmer oder in einem Arbeitszimmer an, das es hier im Haus bestimmt auch gibt.
Ich stecke die Chips wieder ein und gehe voran zur Zimmertür, bleibe dort stehen und horche erst einmal. Von außen wirkte das ganze Haus dunkel. Der Richter und seine Frau scheinen also zu schlafen. Es ist ja auch schon kurz vor halb eins in der Nacht. Aber sicher ist das eben nicht. Ich öffne leise die Zimmertür und spähe hinaus in den Flur. Die Zimmeraufteilung des Hauses kennen wir nicht beziehungsweise nicht genau. Wo Sophies Zimmer liegt, hatte Balu uns erzählt, der es irgendwie übers Hausnetzwerk herausbekommen hat. Aber das Schlafzimmer der Eltern? Ich befürchte, es ist gleich das Zimmer gegenüber. In der Mitte des Flurs hier im oberen Stockwerk dürfte das Badezimmer sein. Aber es gehen noch zwei Türen vom oberen Flur ab. Gästezimmer? Arbeitszimmer? Unten befinden sich dann wohl Wohnzimmer, Küche, vielleicht auch dort ein Arbeitszimmer?
Ich schleiche voran zur Treppe. Abena bleibt zunächst noch in der Tür von Sophies Zimmer stehen. Zum Glück können wir durch unsere Nachsichtgeräte sehr gut sehen.
An der obersten Stufe halte ich inne und schaue hinunter, wo die Treppe in einem kleinen Foyer endet. An der Ecke des Treppenabsatzes steht eine Zimmerpflanze. Wäre ein guter Ort für eine Abhörwanze.
Ich winke Abena zu mir.
Sie bleibt zunächst hier oben stehen, ich schleiche mich vorsichtig auf Zehenspitzen die Treppe hinunter. Doch es nützt nichts. Die vierte Stufe von oben gibt trotzdem ein lautes, hässliches Knarzen von sich. Ich erstarre mitten in der Bewegung. Auch Abena stockt der Atem. Ich schaue hoch zu ihr. Sie sieht sich um. Horcht. Gibt mir dann das Zeichen, dass oben noch alles ruhig ist. Ein Glück. Was, wenn dort oben plötzlich aus einer der Türen der Richter herausgeschossen kommt? Keine Ahnung, was wir dann tun sollten.
Wir sind zwar mit dem Auftrag hier, seine Tochter zu retten. Aber erstens würde der Richter uns das nicht glauben, und zweitens dürften wir es ihm nicht einmal erzählen. Denn wir sind YOUNG AGENTS. Uns gibt’s eigentlich gar nicht. Niemand weiß von unserer Existenz, außer einer äußerst kleinen Gruppe leitender Angestellter im Geheimdienst – und unseren Eltern natürlich. Und selbst diese wenigen Mitwisser würden unsere Existenz jederzeit sofort und vehement abstreiten. Was für uns als oberstes Gebot heißt: Wir dürfen uns nicht erwischen lassen. NIEMALS!
Abena gibt mir ein Zeichen, dass ich weitergehen soll.
Ich hebe langsam und behutsam meinen Fuß von der Treppe wie eine Katze, die entsetzt feststellt, dass sie gerade so etwas Widerwärtiges wie eine Pfütze mit der Pfote berührt hat. Ich gehe also weiter die Treppe hinunter, schaue mich um. Nach wie vor ist alles ruhig. Ich sehe hinauf zu Abena. Die nickt mir abermals zu: Alles in Ordnung. Also kann ich jetzt die erste Wanze hier in der Zimmerpalme platzieren. Ich pule eine aus meiner Hosentasche, will gerade schauen, wo an der Palme ich sie wohl am besten verstecke, da schreit es mit einem Mal durchs Foyer: »POLIZEI! POLIZEI!«
Ich schrecke zurück. Mein Puls explodiert. Instinktiv werfe ich mich zu Boden, mache eine Rückwärtsrolle, robbe unter die Treppe. Hektisch sehe ich mich um, kann aber niemanden sehen. Es bleibt auch alles dunkel. Was um Himmels willen war das?
Mein Herz pocht bis zum Anschlag. Abena habe ich aus dem Blickfeld verloren. Meine Nachtsichtbrille ist verrutscht, ich rücke sie wieder gerade und horche erneut in den Raum hinein. Alles still.
Nicht einmal Abenas Atem höre ich. Wo hat sie sich wohl verkrochen?
Da hat doch eindeutig jemand die Polizei gerufen.
Ich warte noch ein wenig ab. Als auch nach zwei Minuten nichts geschieht, robbe ich bäuchlings wieder ein wenig vor, schaue mich im Foyer um. Aber da ist nichts … Halt!
Blick zurück. Was ist das für ein Ständer? Ich rutsche noch ein bisschen vor und traue meinen Augen und meinem Nachtsichtgerät nicht. Auf einer Stange in der Ecke schräg gegenüber der Treppe hockt ein – Papagei! Ein Graupapagei, wenn ich es durch das unklare Bild des Nachtsichtgeräts richtig erkenne.
Ich glaub es nicht! Natürlich haben wir uns vor unserem Eindringen versichert, dass der Richter keinen Hund besitzt. Eine Katze wäre egal gewesen, aber auch die hat er nicht. Doch wer denkt schon an einen Papagei?
Langsam stehe ich auf, vermeide jede zu schnelle Bewegung. Unter keinen Umständen will ich den Vogel erneut erschrecken, sodass er wieder so einen Höllenlärm veranstaltet. Vermutlich macht er das aber öfter. Denn ansonsten rührt sich nichts im Haus. Weder der Richter noch seine Frau kommen zum Vorschein, um nach dem Rechten zu sehen. Entweder haben sie den Papagei nicht gehört, dann haben sie allerdings einen sehr festen Schlaf. Oder sie kennen es schon, dass er nachts manchmal grundlos herumkrakeelt, und kümmern sich nicht mehr darum. Aber jetzt, zu einer Zeit, da die Tochter entführt wurde und draußen mehrere Polizisten Personenschutz leisten? Ich denke, der Richter dürfte im Augenblick äußerst unruhig schlafen. Bisher verhält er sich allerdings ruhig.
Ich schaue hoch und sehe, wie Abena langsam die Treppe herunterkommt, wobei sie wohlweislich die knarrende Stufe übergeht.
Als sie bei mir ankommt, zeige ich stumm auf den Papagei. Abena nickt. Sie hat ihn auch schon entdeckt.
Mit einer Geste frage ich: Und jetzt?
Abena zeigt auf meine Hosentasche, in der ich die Abhörwanzen verstaut habe.
Gut, platzieren wir sie weiter. Ich zeige Abena, wo ich die erste versteckt habe.
Doch Abena schüttelt den Kopf und zeigt auf den Papagei.
Okay, ich weiß, was sie meint. Beim Abhören würden wir womöglich ständig nur das Gekrächze des Vogels im Ohr haben. Das kann natürlich extrem nerven. Aber wohin dann mit den Wanzen?
Abena meint allerdings etwas anderes.
Wir YOUNG AGENTS sind gerade dabei, die Gebärdensprache zu lernen, um uns im Einsatz stumm unterhalten zu können. Abena, dieses Sprachgenie, beherrscht sie natürlich schon fast perfekt, ich aber tue mich damit extrem schwer. Noch schwerer als Charles mit Deutsch. Trotzdem schafft Abena es, mir zu verdeutlichen, was sie meint: Ich soll eine der Abhörwanzen direkt am Papagei verstecken.
Ich verstehe! Billy hat mir mal erzählt, dass sie eine Abhörwanze im Halsband von Maffeis Hund versteckt hatten. Dadurch haben sie viel über den Gangsterboss erfahren. Kein Gangster misstraut seinem Haustier, und ein ehrbarer Richter schon gar nicht. Der Papagei ist den ganzen Tag im Haus. Und weil Papageien Geselligkeit brauchen und schon deshalb als Haustiere eigentlich völlig ungeeignet sind, werden der Richter und seine Frau dem Vogel hoffentlich wenigstens ihre Gesellschaft anbieten. Sprich: Er ist vermutlich ständig in ihrer Nähe, wenn sie im Hause sind.
Wie aber soll ich dem Papagei eine Wanze anheften, ohne dass er losschreit?
Abena liest mir meine Bedenken von den Lippen ab und streckt mir die Hand entgegen. Ich lege ihr eine Abhörwanze darauf.
Abena geht langsam auf den Papagei zu, der zur Begrüßung heftig den Kopf auf und ab bewegt. Verdammt, gleich krächzt der los, da bin ich mir sicher. Ich will Abena schon warnen, doch da ist sie schon dabei, den Vogel unterm Kopf zu kraulen, worauf der Papagei erst anfängt, leise zu schnurren wie eine Katze, und dann plötzlich eine Frauenstimme – vermutlich die von Frau Kämmerer – nachahmt und flüstert: »Jaaaaa. Kiki ist ein Braver. Jaaaaaa. Ganz ein Braver.«
Das ist eine gute Gelegenheit, ins Wohnzimmer zu schleichen, solange Abena den Vogel ruhig hält.
Im Wohnzimmer entdecke ich ein schnurloses Telefon, in dessen Aufladeschale ich eine Wanze platziere. Nun fehlt nur noch eine im Arbeitszimmer, falls es hier so etwas gibt. Ich kehre vom Wohnzimmer zurück und öffne die nächste Tür, die vom Foyer abgeht, in der Überzeugung, jetzt in ein Büro zu kommen.
Stattdessen fällt mir ein Besenstiel entgegen, als ich die Tür öffne. Der Besen reißt beim Umfallen noch das Saugrohr eines Staubsaugers mit, das krachend auf einen metallenen Putzeimer scheppert. Der Papagei schreckt auf, kreischt, flattert los und landet oben auf dem Treppengeländer. Kurz darauf geht oben eine der Türen auf.
»Was ist denn hier los?«, brummt der Richter.
Verflucht! Wir müssen uns verstecken!
Abena hechtet ins Wohnzimmer, ich folge ihr.
Hinter der geschlossenen Wohnzimmertür harren wir aus und lauschen.
Wir hören, wie Frau Kämmerer von der ersten Etage herunter fragt, was passiert sei. Der Richter ruft hinauf, dass in der Abstellkammer der Staubsauger umgekippt sei, und gibt dafür dem Papagei die Schuld.
Das war’s.
Wir hören, wie der Richter die Treppe wieder hinaufgeht.
Da haben wir noch mal Glück gehabt.
Jetzt müssen wir nur noch von hier fort. Das wird schwierig, denn durch die Terrassentür im Wohnzimmer sehen wir draußen den Lichtschein einer Taschenlampe. Einer der Polizisten dreht bereits wieder seine Runde. Durch den Aufstand des Papageis haben wir mehr Zeit verloren als geplant. Jetzt müssen wir improvisieren.
Abena und ich legen uns bäuchlings auf den Boden. Denn es kann jederzeit passieren, dass der Polizist hier ins Zimmer hineinleuchtet.
Jetzt, da wir wissen, dass der Richter und seine Frau wieder oben im Schlafzimmer sind, können wir hier unten im Wohnzimmer bei geschlossener Tür in Ruhe miteinander flüstern.
»Wir müssen Naomi und Billy Bescheid geben. Sie sollen die Polizisten ablenken«, schlage ich vor.
Doch Abena schüttelt den Kopf. »Das ist zu aufwendig. Beim Reinkommen mit den Hunden war’s okay, das hatten wir geplant. Aber jetzt ein zweites Mal? Sie müssten sich etwas Neues ausdenken und richtig Rabatz machen, um alle Polizisten von uns abzulenken.«
Das leuchtet mir ein. Aber was dann?
»Hast du eine Idee, wie wir hier wegkommen?«, frage ich sie.
»Ja«, antwortet Abena. »Ein anderer Helfer wird die Polizisten ablenken.«
»Wen meinst du?«, frage ich.
»Warte hier«, antwortet Abena. Sie erhebt sich, eilt leichtfüßig zur Wohnzimmertür und geht zurück ins Foyer.
Was hat sie vor?
Wenige Minuten später ist sie zurück – mit dem Papagei auf dem Arm! Mit der freien Hand krault sie ihn wieder vorn an der Brust.
»Jaaaaa. Kiki ist ein Braver. Jaaaaaa. Ganz ein Braver«, schnurrt der Vogel wieder mit Frau Kämmerers Stimme.
Ich liege nur da, noch immer auf dem Wohnzimmerteppich, und starre Abena an. Wie hat sie es geschafft, so geräuschlos den Papagei einzufangen?
Abena scheint die Frage aus meinen Gedanken abzulesen.
»Papageien sind Gesellschaftstiere«, flüstert Abena mir zu. »Der lässt sich doch die Gelegenheit nicht entgehen, dass sich jemand um ihn kümmert.«
»Und was hast du mit ihm vor?«, frage ich.
Abena schaut hinaus durch die Terrassentür. Der Lichtkegel der Taschenlampe entfernt sich gerade.
Abena geht zur Terrassentür, öffnet sie, tritt mit dem Vogel auf dem Arm auf die Terrasse hinaus und setzt den Papagei auf der Lehne eines Gartenstuhls ab.
Dann klatscht sie urplötzlich einmal laut in die Hände.
Erschreckt kreischt der Vogel auf und flattert los bis zum Apfelbaum, wo er sich auf einem Ast niederlässt und krächzend vor sich hin schimpft. Unter anderem, indem er laut krächzt: »POLIZEI! POLIZEI!«
Abena saust zurück ins Wohnzimmer, schließt hastig die Terrassentür und zischt mir zu: »Hinten raus. Durch die Küche!«
Und rast los.
Mir ist klar: Jeden Moment kann wieder der Richter die Treppe hinunterkommen, obwohl er wohl zunächst von oben aus dem Fenster schauen wird, was im Garten los ist. Dennoch laufe ich Abena hinterher.
Ein kurzer Blick durchs Foyer genügt, und wir sehen, wo die Küche ist, denn die Küchentür steht offen.
Wir laufen hinein, öffnen das Fenster, das sich leider direkt über der Spüle befindet. Wir müssen also über die Spüle klettern, um aus dem Fenster hinauszukommen.
Doch das gelingt uns beiden schnell.
Draußen landen wir in einem Blumenbeet.
Während Abena schon nach hinten rennt, zum Gartenzaun, verwische ich noch schnell unsere Fußspuren im Beet. Anschließend laufe auch ich über den gefliesten Weg ums Haus herum, dann weiter Abena hinterher, die hinter dem Zaun auf der anderen Seite schon auf mich wartet.
Dann weiter zur Seitenstraße, wo wir weiterrennen bis zu unseren E-Bikes, die wir um die Ecke abgestellt haben und die Billy jetzt für uns bereithält.
»Auftrag erledigt!«, ruft Abena ihm und gleichzeitig allen anderen in der Funkverbindung zu.
Wir schwingen uns auf die Räder und düsen los.
Im Hintergrund höre ich noch Frau Kämmerer entsetzt rufen: »Wie kommt denn Kiki nach draußen?«
Die Antwort gibt Kiki selbst.
»POLIZEI! POLIZEI!«, krächzt er durch die Nacht.