Читать книгу Young Agents New Generation - Andreas Schluter - Страница 11

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IM KNAST

Obwohl wir eine ganze Zeit lang über Tim und seine neue »Familie« gesprochen haben statt über meinen bevorstehenden Knastaufenthalt, hat mir das Gespräch mit ihm gutgetan. Vielleicht auch nur, weil es mich von meiner Angst vor dem Gefängnis abgelenkt hat.

Angst? Hab ich wirklich Angst?

Nein, eigentlich nicht.

Oder gut, vielleicht doch ein bisschen. Ist ja auch verständlich, denn ich weiß ja überhaupt nicht, was auf mich zukommt und wie gefährlich es wird.

Einerseits bin ich wohlbehütet. Der Geheimdienst kann mich jederzeit wieder rausholen, und meine Knastzeit ist ohnehin nur äußerst kurz, lediglich ein paar Tage.

Andererseits gehe ich als Spitzel ins Gefängnis. Und das wird von keinem Sträfling gern gesehen. Mit anderen Worten: Wenn das herauskommt oder auch nur der leiseste Verdacht aufkeimt, bin ich fällig. Im Gefängnis werde ich keine Möglichkeit haben, irgendwelchen Angreifern aus dem Weg zu gehen und abzuhauen. Ich wäre möglichen Täterinnen schutzlos ausgeliefert.

Für mich und meine Sicherheit sprechen hauptsächlich zwei Dinge: erstens, ich bin ein Kind. Offiziell eine Jugendliche. In Wahrheit bin ich erst 13, aber in dem Alter käme ich nicht ins Gefängnis und somit nicht zu Shiona. Der Geheimdienst hat also in meinen – ja ohnehin gefälschten – Papieren mein Alter mit 14 angegeben.

Aber auch in diesem Alter vermutet niemand einen Polizeispitzel, schon gar keine Agentin des Geheimdienstes. Das ist ja immer der Vorteil von uns YOUNG AGENTS: Niemand weiß von uns. Und niemand würde glauben, dass es uns gibt, selbst wenn wir es erzählten.

Und der zweite Vorteil: Ich bin ein Mädchen und komme in ein Gefängnis mit lauter Mädchen. Warum auch immer, es ist zumindest kriminalstatistische Tatsache, dass die meisten Gewaltverbrechen – also Schlägereien, Körperverletzung und so weiter – von Männern verübt werden. Wenn Mädchen kriminell werden, dann eher mit Diebstahl, Betrug, Raub und Einbruch. Aber nur eine kleine Minderheit wegen Prügeleien, Totschlag oder Ähnlichem. Selbst die ganz Schlimmen, die jemanden umgebracht haben, tun dies eher mit Gift als mit äußerer Gewaltanwendung. Aber das trifft dann sowieso eher die erwachsenen Frauen als jugendliche Mädchen.

Shiona also gehört als Anführerin eines mafiösen Einbruchclans schon zu den schlimmsten Kriminellen in dem Jugend-Mädchen-Knast, in den ich soeben gebracht wurde.

Persönliche Wertsachen hätte ich abgeben müssen, aber ich hatte gar keine dabei. Zwar hätte ich sicher irgendwie ein verstecktes Smartphone hereinschmuggeln können, um mit den anderen YOUNG AGENTS in Verbindung zu bleiben. Aber wenn es jemandem in die Hände fiele, könnte man meine Kontakte zu den anderen Agenten rückverfolgen. Das darf auf keinen Fall passieren. Ich gehe davon aus, dass Shiona als Tochter eines Mafiabosses hier im Gefängnis eine entsprechende Machtposition innehat. Über sie könnte ich im Notfall sicher an ein Smartphone herankommen. Denn mein einziger Auftrag liegt ja ohnehin darin, Shionas Vertrauen zu gewinnen und sie auszuspionieren. Insofern befinde ich mich in der verrückten Situation, dass die Gefährlichkeit meines Auftrags mir gleichzeitig meine Sicherheit garantiert: Ich muss mich hier im Knast mit Shiona anfreunden, einem der kriminellsten Mädchen, die hier eingesperrt sind.

Damit ich überhaupt etwas abgeben konnte, habe ich ein paar Münzen, eine Halskette und Ohrringe mitgebracht, die ich normalerweise gar nicht trage. Ich habe Waschzeug, Handtücher und Bettwäsche bekommen, außerdem Anstaltskleidung, die wir aber nicht anziehen müssen. Sie dient eher zur Arbeit, wenn wir zum Beispiel in der Wäscherei helfen oder – wie manche es machen – innerhalb des Gefängnisses eine Lehre beginnen, als Schneiderin oder Tischlerin oder so etwas. Das kommt für mich natürlich nicht infrage, aber das weiß hier niemand. Offiziell habe ich angeblich ein Jahr Gefängnisstrafe aufgebrummt bekommen. Unter anderem wegen Beteiligung an Shionas Clan und Einbrüchen mit »Vizes« Clan. Das stimmt zwar in Wahrheit nicht, ist aber meine Legende. Ein weiterer Grund – hoffe ich –, dass mich Shiona sofort als Verbündete betrachtet.

Nach der Aufnahme werde ich zur Zelle 61 geführt, in der mich Shiona empfängt. Allerdings nicht sehr freundlich. Natürlich hat sie im Vorweg erfahren, dass sie eine neue Zellengenossin bekommt. Jetzt hört sie, dass wir kommen. Und noch bevor sie uns sieht, blökt sie los: »Was soll das? Ich will allein in meiner Zelle bleiben. Es ist eng genug hier drin. Das hab ich ja wohl deutlich genug klargemacht!«

Aber der Einfluss, den sie vermutlich bei den anderen Insassen hat, wirkt bei der Gefängnisleitung und dem Wachpersonal natürlich nicht. Ich werde zu Shiona in die Zelle gesteckt.

In Wahrheit natürlich, weil unser Geheimdienst das so will. Wie der Prof das hinbekommen hat, ohne etwas über die Existenz der YOUNG AGENTS zu verraten, ist mir zwar immer noch ein Rätsel. Aber es hat ja wohl geklappt.

Ich muss an einigen anderen Zellen vorbei, die alle offen stehen. In manchen sitzen gleich mehrere Mädchen, andere sind leer. Entweder nicht belegt, oder die Bewohnerinnen sind gerade irgendwo zur Arbeit, zum Sport oder zum Ausgang auf dem Hof.

Von denen, die da sind, treten einige an ihre Tür und beobachten mich, die Neue, mit neugierigen Blicken. Und schon höre ich hier und da Getuschel über meine dunkle Hautfarbe.

Dass es besonders im Knast rassistisch zugeht, war mir schon klar. Auch das Gerede überrascht mich nicht. Selbst im 21. Jahrhundert treffen mich in der U-Bahn, im Bus, in Geschäften immer mal wieder seltsame Blicke, die ausdrücken sollen, dass ich »hierhin«, also nach Deutschland, eigentlich nicht gehöre. Sogar in Hamburg erlebe ich das, einer im Vergleich zu vielen anderen Regionen äußerst weltoffenen Stadt.

Das Getuschel könnte mich fast kaltlassen, denn bei mir stimmt es ja sogar. Ich »gehöre« hier wirklich nicht hin, denn ich habe überhaupt nicht vor, mich in Deutschland anzusiedeln. Ich bin aus rein beruflichen Gründen hier: einmal wegen der Berufe meiner Eltern, die nun mal hier im Konsulat arbeiten, aber sicher eines Tages auch wieder woanders eingesetzt werden. Und dann wegen meines »Berufs« als YOUNG AGENT. Aber das können all jene, die mich auch draußen so schräg ansehen, natürlich gar nicht wissen. Aus der Schule weiß ich aber, dass es vielen ebenso ergeht, obwohl sie selbst hier geboren wurden und deutsche Staatsbürger sind. Nur weil ihre Eltern oder Großeltern aus anderen Ländern gekommen sind und ihre Hautfarbe nicht so käsig ist.

Nun gut, ich gehe also am Getuschel vorbei, das interessanterweise auch von jenen kommt, die selbst erkennbar keinen Stammbaum haben, der in Deutschland wurzelt.

Doch dann sehe ich zum Glück auch schon Shiona!

Erst als ich in der Tür stehe, sieht und erkennt sie mich.

»Abena!«, ruft sie erstaunt aus. »Was machst du denn hier?«

Das finde ich im Gefängnis eine fast schon lustige Frage.

»Öh«, antworte ich. »Das Gleiche wie du, denke ich mal.«

Shiona lacht.

»Du hast recht«, gesteht sie. »Das war eine blöde Frage. Aber wieso haben sie dich …«

Sie bricht ab, schaut zum Vollzugsbeamten, der noch in der Tür steht, wedelt ihn mit einer Handbewegung fort und ruft ihm zu: »Danke! Sie können uns jetzt allein lassen.«

Als ob der Wachmann ihr persönlicher Butler wäre!

Der schüttelt auch nur fassungslos den Kopf und geht dann, was er vermutlich aber auch ohne Shionas Anweisung getan hätte.

Auf mich soll das Gehabe wohl trotzdem den Eindruck machen, dass Shiona hier drinnen alles im Griff und die Macht hätte. Wie auch das folgende Angebot: »Fürs Erste kannst du hier bei mir schlafen.«

Als ob ich sie zu Hause in ihrer Villa besucht hätte.

Ich weiß natürlich, dass Shiona überhaupt kein Mitspracherecht hat und die Gefängnisleitung mich hierhingeschickt hat, ob es Shiona passt oder nicht.

»Wie viel haben sie dir aufgebrummt?«

»Ein Jahr«, antworte ich gemäß meiner Legende.

»Was?« Shiona ist ehrlich empört. »Du hast doch überhaupt nichts gemacht! Außer mir ein paar Infos zu geben. Wofür ich dir natürlich dankbar bin. Auch wenn sie letztlich scheiße waren, weil Vize offenbar einen Spitzel in der Truppe hatte.«

Ich sage nichts dazu, sondern beginne, mein Bett zu beziehen.

»Weißt du etwas darüber?«, hakt Shiona nach.

»Worüber?«, frage ich betont naiv.

»Über den Spitzel bei Vize. Es muss ja einen gegeben haben. Woher sonst wussten die Bullen von unserem Einbruch ins Museum?«

»Ich war ein Spitzel bei Vize. Dein Spitzel!«, antworte ich, um Shiona möglichst abzulenken von der Suche nach jenen, die damals die Polizei eingeschaltet haben. Denn das waren ja wir: die YOUNG AGENTS.

Shiona lacht. »Ja, das stimmt natürlich. Es muss noch eine Ratte gegeben haben, die mit der Polizei zusammengearbeitet hat. Aber die finden wir. Spätestens wenn wir hier raus sind.«

Ich hab mein Bett fertig bezogen. Bevor ich jetzt aber meine Waschsachen und meine Handtücher in meinem Regal deponiere, unterbreche ich meine Tätigkeit und schaue Shiona an.

»Hier raus?«, frage ich nach. »Wieso? Wirst du bald entlassen?«

Wieder lacht Shiona. »Nein. Sicher nicht.«

»Wie viel haben sie dir denn aufgebrummt?«, hake ich nach.

»Noch gar nichts«, antwortet Shiona. »Ich bin erst einmal in Untersuchungshaft. Mein richtiger Prozess kommt erst noch.«

Wieso aber geht Shiona dann davon aus, hier bald herauszukommen? Das kann eigentlich nur eines bedeuten: Bei der Erpressung des Richters durch die Entführung seiner Tochter fordert Maffei auch, nicht nur ihn und den »Boss« freizusprechen, sondern auch Shiona.

Aber wie soll das gehen? Es ist doch noch gar nicht gesagt, dass zufällig derselbe Richter Shionas Prozess leiten wird. Im Gegenteil: Dafür wird vermutlich ein spezieller Jugendrichter eingesetzt, oder nicht? Ich bin etwas verwirrt. Wie soll das funktionieren? Aber wenn das Maffeis Plan ist, dann wird die Tochter des Richters noch länger entführt bleiben und nicht unmittelbar nach dem Freispruch von Maffei und dem »Boss« freigegeben werden. Nein, das Mädchen wird so lange festgehalten, bis auch Shiona ihren Prozess hat. Das kann Wochen dauern!

Shiona sieht mir meine Verwirrung offenbar an.

Denn ohne dass ich nachgefragt hätte, deutet sie freimütig an: »Ich habe meine eigenen Mittel und Wege, hier bald herauszukommen.«

»Was? Wie?«, frage ich nun doch nach.

»Wart’s ab!«, sagt Shiona nur.

Young Agents New Generation

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