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2.2. – 28.09.1986

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Montag

Beim Reiseantritt in Manchester herrschten minus 2 Grad und starker Wind. Ich musste meinem Vater beim Enteisen des Autos helfen. Meine Mutter machte sich Sorgen, ob ich warm genug angezogen war, in München wäre es wegen der Nähe zu den Alpen sicherlich kälter, vielleicht gäbe es dort sogar Schnee. Ein langärmliges Unterhemd, Rollkragenpulli, Fleecejacke, Wintermantel, Schal, Handschuhe und Mütze müssten aber sicher reichen, wie sie meinte.

Mein Hab und Gut hatte ich am Vorabend gepackt. Mein Vater schenkte mir den Koffer seines Vaters, einen riesigen Hartschalenkoffer, der mittlerweile etwas deformiert war. Er hatte zwei Klappverschlüsse, die sich nur schließen ließen, wenn sie millimetergenau aufeinander abgestimmt waren. Drinnen steckten Bücher, Kleidung und ein Carepaket aus englischen Teebeuteln, ferner hausgemachte Orangenmarmelade, Coleman's Senfpulver usw. (alles das, was ich vermutlich in München nicht würde kaufen können). Der Koffer war extrem schwer und wurde mit zwei bunten Sicherheitsbändern zusammengeschnürt. Ich sah ein bisschen aus wie auf der ersten Etappe einer Polarexpedition in den 30er Jahren.

Der Abschied am Flughafen war sehr emotional. Als ich durch die Gepäckkontrolle verschwand, flossen viele Tränen.

Ich fliege bis heute nicht gern und hatte also ein sehr mulmiges Gefühl, als das Flugzeug durch die Luft wackelte, als ich die frostbedeckten Hügel und Wälder hinter mir ließ und den Veränderungen entgegeneilte. Ein Flug dauert lange, wenn man beim jedem Luftloch einen Absturz erwartet, und er dauert noch länger, wenn man nicht sicher ist, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.

Als wir München anflogen, sah ich für einen kurzen Moment die schneebedeckten Alpen, aber um den Flughafen war alles grün und die Sonne strahlte. Beim Aussteigen herrschten 23 Grad, ich war wohl etwas zu dick angezogen. Ich zog zwei meiner Jacken aus und ging zum Bus. Er fuhr zu einem Gebäude, das mich an Kriegsfilme erinnerte.

Ich lief dann zur Gepäckannahme und suchte nach einem Wagen für meinen schweren Koffer. Ein etwas unfreundlicher Mann stand neben den Tragwagen und schaute mich seltsam an, als ich versuchte, einen Wagen von dem nächsten zu lösen. Irgendwie waren die Dinger in- und miteinander verbunden. Man musste gleichzeitig den Griff zusammendrücken und die Wagen auseinanderziehen. Es dauerte eine Weile, bis ich überhaupt begriff, was zu drücken und was zu ziehen war; als ich sie endlich befreit hatte, war ich ziemlich verschwitzt.

Als ich mich auf dem Weg zum Gepäck machen wollte, hielt mich der Mann auf und verlangte Geld. Vorsichtshalber hatte ich Geld in Manchester gewechselt und hatte mehrere 10-DM-Scheine. Leider wollte er aber keine Scheine, er zeigte mir Münzen, von denen er viele hatte, und wiederholte immer wieder: „Ich kann nicht wechseln!“ Ich versuchte zu erklären, dass er so viel Kleingeld hätte, dass dies doch eigentlich kein Problem sein dürfte, aber er war nicht zu überzeugen und war auch nicht sonderlich freundlich. Hinter mir zogen alle anderen nach müheloser Trennung der Wagen und mit passendem Kleingeld vorbei. Mittlerweile musste der Mann doch so viel Münzen haben, dass er sogar ein 100-DM-Schein hätte wechseln können, aber nicht für mich.

Ich gab auf, stellte mich an das Gepäckband und wartete auf meinen Koffer. Immer wieder wurde ich von anderen Passagieren, die ihre Gepäckstücke über meine Füße oder an meinem Schienbein entlangzogen, weggeschubst. Ich sprang hin und her und versuchte die Kofferschlacht zu überleben.

Dann kam mein Koffer in Sicht. Ich versuchte, mich nach vorn zu bewegen und rief: „Excuse me, excuse me“, aber ohne Reaktion. Am Ende stürzte ich mich zwischen der Menschenmenge auf meinen Riesenkoffer, wurde zwei Meter mitgeschleppt und zog ihn dann ohne Rücksicht auf Verluste kurzerhand durch die wartenden Menschen. Es schien niemanden zu stören.

Die nächste Schlange war die vor der Passkontrolle. Dies war aber eigentlich keine Schlange, eher so etwas wie ein Trichter. Leute zogen an mir auf beiden Seiten Richtung Schalter vorbei, und ich trat auf der Stelle, als ich versuchte, mich einzureihen. Endlich, als Vorletzter, kam ich an die Reihe. Es gab keinen Augenkontakt, ich lächelte freundlich, mein Pass wurde mir aus dem Hand gerissen und minutenlang überprüft, dann endlich wurde er ohne Kommentar über die Theke wieder zurückgeschoben - die Einreise wurde genehmigt. Mein erster Schritt zur Integration.

Am Zoll war ich der Einzige, dessen Koffer kontrolliert wurde, was ich jetzt wirklich nicht gebrauchen konnte. Außer der Zweihundert-Teebeutelpackung in meinem Carepaket (vermutlich hatten sie noch nie so viele Teebeutel auf einmal gesehen) war nichts auffällig. Dieses Mal brauchte ich 30 Minuten, um allein den verdammten Koffer zuzumachen. Natürlich kam mir keiner zu Hilfe.

Ich war froh, mich endlich zum Taxi schleppen zu können. Es war ziemlich weit und viel zu heiß – ich hätte den Gepäckwagen und zehn Kleidungsstücke weniger gebraucht. Ich musste auch den Koffer allein verstauen, nachdem der Taxifahrer (für meinen Geschmack etwas zu schlecht gelaunt) einige Decken und einen Bierkasten weggeräumt hatte. Ich zeigte ihm meinen Zettel mit der Firmenadresse und los ging’s, mit 170 km/h in einem Mercedes, für mich Deutschland pur.

Die Firma

An der Pforte stellte ich mich vor. Mich verstanden sie zwar nicht, meinen Zettel aber schon, und auch sie wollten in meinen Koffer schauen. Ich bereute, überhaupt mit Gepäck angereist zu sein. Komisch auch, dass hier niemand Englisch sprach oder zumindest ein bisschen hilfsbereit erschien.

Mit einer Handbewegung wurde ich in Richtung Gebäude 5 dirigiert, und zwar zur Personalabteilung, zu einer Frau Lott in WIG WD SIM PA EXT 34 – das war nicht etwa die Postleitzahl, sondern ihre Abteilungsbezeichnung.

Frau Lott stellte sich als meine Personalbetreuerin vor. Sie war sehr nett, konnte aber auch nicht so viel Englisch, was das Ausfüllen der endlosen Formulare erschwerte.

Ich musste viele Information angeben. Meine zwei Vornamen wurden fälschlicherweise mit Bindestrich eingetragen, ich konnte sie nicht davon überzeugen, dass mein Name anders geschrieben wurde. Bei der Kirchenangehörigkeit versuchte ich ihr zu erklären, dass ich keinem Glauben angehörte, aber sie verstand mich nicht und wiederholte ständig „Tex, Tex“. Nach langen, missverständlichen Diskussion über „Protestants“ und „Church of England“ trug sie “evangelisch“ ein. Sie hätten genauso gut „texanisch“ schreiben können.

Ich musste dann mit meinem Koffer zur ärztlichen Untersuchung bei einem Prof. Dr. Holzapfel. Hier wartete ich allein im Wartesaal, ungefähr zwei Stunden lang. Immer wieder kam eine Krankenschwester vorbei, ohne mich wahrzunehmen. Ich war der Einzige, aber es gab nicht mal einen Blick oder eine Erklärung, warum ich so lange warten musste.

An den Wänden hingen viele Poster mit Werbung für sogenannte „Betriebliche Krankenkassen“, und zu meinem Erstaunen auch Warnungen über Alkohol am Arbeitsplatz, noch dazu mit schockierenden Bildern von Fingern oder Armen in Schleifgeräten. Ich verstand nicht, wie man überhaupt Alkohol hereinschmuggeln konnte, wenn doch jeder einzelne Koffer überprüft wurde.

Prof. Dr. Holzapfel konnte zwar Englisch, war aber recht kurz angebunden. Er fragte, ob ich Fieber hätte, und ich versuchte zu erklären, dass ich Schnee erwartete, was er nicht verstand.

Nach drei Minuten wurde ich, versehen mit mehreren Broschüren über Krankenkassen, entlassen.

Das Büro

Mit den losen Broschüren, meinem Riesenkoffer und den Jacken wurde ich zu meinem zukünftigen Büro und Chef geschickt. Gebäude 24 Flur 4 Raum 53. Gebäude 24 lag 1,5 Kilometer entfernt auf der gegenüberliegenden Seite des Geländes.

Der Standort bestand aus vielen langen grauen Betongebäuden, die Nummerierung schien willkürlich, die Außenseite war teilweise mit einer dunkelrosa Verkleidung geschmückt und sonst aber ziemlich eintönig. Dazwischen breite Straßen und gelegentlich ein Stück Rasen.

Immer wieder musste ich wegen meines zu schweren Koffers anhalten. Zweimal fuhren Radfahrer direkt auf mich zu und klingelten, obwohl der Bürgersteig breit genug für sie war und eigentlich sie auf die Straße gehörten, sie beschimpften mich, „Fix!“ und „Geh weg!“ riefen sie. Ich nahm an, dass diese Straße repariert werden musste, aber sie erklärten mir nicht, wohin ich weggehen sollte.

In Gebäude 24 gab es keine Aufzüge für Menschen, nur für etwas, das „Last“ hieß, trotzdem fuhr ich zum 4. Stock. Es musste Probleme mit dem Aufzug gegeben haben, denn beim Aussteigen befand ich mich im Flur 5 und ging dann zu Fuß eine Etage wieder nach unten.

Die Gänge und das Treppenhaus waren leer und kühl, getrennt durch sehr schwere Brandschutztüren, am Boden eine graue Steinoberfläche mit dunklem Muster. Alles roch nach Chemielabor, einer Mischung aus Staub und irgendeinem billigen Reinigungsmittel.

Angekommen, klopfte ich höflich an und wurde von meinem Chef, Herrn Dr. Schmidt, empfangen, einem kleinen grauhaarigen Mann, der sehr freundlich war, aber auch sehr formell. Mein Kollege Herr Ploss wurde mir auch vorgestellt, sonst war das Büro leer und außerdem viel zu warm. Ich schwitzte wieder; Herr Ploss bot mir ein Glas Wasser an. Aus eine Glasflasche bekam ich Sprudelwasser, das viel zu salzig, aber zumindest kalt war.

In den ersten Minuten kam ich mir vor wie an meinem ersten Schultag. Ich wurde ausgefragt und bekam viel zu viele Information auf einmal. Unter anderem erklärte Herr Dr. Schmidt, dass er zu einen Generation gehöre, die lieber die „Sie-Form“ benutzt, und lachte dann über den Spruch You can call me you.

Ich bekam einen Schlüssel für meinen Rollschrank, ein paar leere Ordner, ein Notizbuch, auf das ich meinen Namen und die neue Dienstellenbezeichnung „WIG WD SIM PD LOG FA 05“ schrieb, ferner ein paar Stifte und einen Taschenrechner.

Die Arbeitszeitregeln wurden erklärt, waren aber sehr kompliziert. Ich verstand zumindest, dass ich jeden Tag um 7:30 Uhr erscheinen musste.

Danach musste ich wegen meiner Übergangswohnung zurück zur Pforte. Dort angelangt, traf ich jemanden von der Hausverwaltung, um erneut viele Formulare ausfüllen zu müssen und um einen Schlüssel und eine Wegbeschreibung zu bekommen.

Ich musste mit der U-Bahn zu meiner neuen Wohnung fahren und meinen Koffer zunächst 1 Kilometer zur Haltestelle schleppen. Der U-Bahnhof war leer und die Ticket-Ausgabe völlig unverständlich. Ich kaufte eine Karte für 3 DM 20 und bekam kein Wechselgeld zurück, obwohl ich aus Frust ein paar Mal gegen das Gerät trat. Der Zug war ziemlich voll, es gab kaum Platz für mich und meinen Koffer. Keiner bewegte sich, keiner machte Platz, und so wie am Flughafen drängelte ich mich dann einfach hinein.

Von der Haltestelle war die Wohnung mithilfe der Wegbeschreibung leicht zu finden. Im 8. Stock - zum Glück mit Aufzug - konnte ich endlich meine Tasche abstellen.

Die Wohnung hatte 5 Zimmer – eine Wohngemeinschaft, wie es schien – mit einem Bad und einer Küche. Alles in Dunkelbraun (sogar die Fliesen im Bad und der Herd!), die Wände weiß. In meinem Zimmer gab es ein Sofabett, einen Kleiderschrank und ein Fenster. Die Vorhänge waren braun. Ich war so erledigt, dass ich mich hinlegte, ohne meine Mitbewohner zu treffen, ohne auszupacken und ohne Mittag oder Abendessen. Was für ein Tag!

Dienstag

Ich stand früh auf, um mögliche Warteschlangen vor dem Bad zu vermeiden, aber niemand war wach. Es war schön, dass es sofort heißes Wasser gab und dass Bad und Dusche getrennt waren. England kam mir so altmodisch vor, mit der Dusche als Anhängsel in der Badewanne und getrenntem Heiß- und Kaltwasserhahn. Auch hatte jedes Haus sein eigenes, heimtückisches Wassersystem. Bei uns beispielsweise gab es so wenig Wasserdruck, dass man, wenn jemand anderer im Haus ebenfalls Heißwasser brauchte, unversehens unter einer kalten Dusche stand. An diesem Morgen duschte ich sehr lange und ausgiebig und genoss den Luxus des heißen Wassers.

Ich hatte kein Frühstück und keine Milch für einen Tee und ging deshalb direkt zur Arbeit. Wieder musste ich dem Ticketautomat Geld schenken und die unglücklichen Mienen der Pförtner ertragen und war recht früh an meinem Arbeitplatz.

Das Büro bestand aus einer Glaskabine für meinen Chef, einem Besprechungstisch, zwei Schreibtischen, ein paar großen Rollschränken und einem kleinen. Auf diesem stand eine Kaffeemaschine auf einer Art Kachel, darüber war eine Pinwand angebracht. Alles war in Braun, allerdings in unterschiedlichen Tönen. Mein Stuhl war unbequem.

Herr Dr. Schmidt war leider ziemlich beschäftigt, und nach einem kurzen „Guten Morgen“ und einem Händedruck musste Herr Ploss, der eigentlich genug zu tun hatte, mich unterhalten, zunächst mit einer Einführung in die Organisation.

Ich widmete mich einem Stapel Organisationsplänen, bis Herr Dr. Schmidt Zeit für mich erübrigen konnte. Die Organisation schien mir sehr kompliziert zu sein, mit Hunderten von Blättern, die alle gleich ausschauten, nur mit unterschiedlichen Namen. Kollege P. bestätigte, dass jeder Abteilungsleiter versuche, die Aufgaben für sich zu beanspruchen, deswegen säßen mehrere Leute aus unterschiedlichen Abteilungen oder Dienstellen vor den gleichen Aufgaben oder sogar an den Fertigungsgeräten und kämpften um die Zeit, Experimente durchzuführen. Sehr ineffizient, wie ich fand, nicht unbedingt das, was man als „typisch deutsch“ bezeichnen würde.

Dann durfte ich in die Glaskabine, um etwas über die Gehaltsstrukturen zu erfahren. Als einer derjenigen im Dienst ohne Titel bin ich im Tarif. Das heißt, es gibt einen Preis auf meinen Kopf, und soweit ich das beurteilen konnte, war ich ein Sonderangebot. Dann sagte Herr Dr. Schmidt, dass ich Fachhochschul-Absolvent sei. Ich versuchte zu erklären, dass ich einen Uni-Abschluss in Chemie hätte. Dabei wurden mir zwei Sachen klar: Die englischen Universitäten sind zweitklassig, und um Chemie zu studieren, muss man mindestens 30 Jahre alt sein und muss auch promoviert haben.

Das heißt, dass ich mich nach dem Fachhochschulabschluss und zwei Jahren Arbeitserfahrung in Tarifkreis 5 und Tarifgruppe 5.3 befand. Ich protestierte - ohne Erfolg. Nachdem ich hier doppelt so viel verdienen würde wie in England und sowieso keine Verhandlungsposition hatte, ließ ich es dabei bewenden, glaubte aber, meinen Chef irritiert zu haben, weil er dann erzählte, dass ich eine sechsmonatige Probezeit hätte. Es klang wie eine ernste Sache.

Zu Mittag zeigte mir Herr Ploss, wie ich mein Essen zu kaufen hatte. Wie alles hier hat auch das Mittagessen seine Ordnung. Es gab Essensmarken für Essen 1, 2 und 3. Jedes Essen besteht aus einer Hauptspeise mit Beilage (außer Süßspeisen, die mit Apfelmus oder Pflaumenkompott ergänzt werden mussten) und einem Nachtisch. Die Essensauswahl bestand aus Menüs, die wöchentlich mit der Hauspost geliefert und auf der Pinwand über der Kaffeemaschine aufgehängt wurden.

Um die Marken zu kaufen, musste man in der Kantine ins Untergeschoss und in einer ewig langen Schlange stehen. Ich hatte nur genug Geld, um jeweils 2 Marken für Essen 1 und 2 zu kaufen. Das Essen sah furchtbar aus. Das Gemüse war zu lange gekocht, der Salat schwamm im Wasser, und die zwei Nachspeisen waren entweder Schokopudding mit Klumpen, die wie Mehlstärke aussahen, oder Quark mit Obststückchen. Quark gab es in England nicht, wir hatten nur Joghurt, und so probierte ich ihn also. Er schmeckte wie Kalkstaub in Sahne untergerührt. Als Hauptspeise gab es Rinderroulade mit Kartoffeln.

In der Kantine gab es viele Menschen in Lederhosen und Dirndl, was die These meiner Mutter über die Alpennähe bestätigte, aber Herr Ploss erklärte mir, dies sei nur wegen des Oktoberfests. An unserem Tisch kam ich mir vor wie beim Mittagessen mit Heidi. Die Männer mit rotem Halstuch schauten alle irgendwie schwul aus, und die Frauen trugen Kleider, die alles nach oben drängten, um to have wood in front of the hut...

Am Nachbartisch saß ein älterer Herr in roter Arbeitskleidung mit einem Riesenbauch. Herr Ploss sagte, dass dieser Mann für einen Umzugsfirma arbeite, und nachdem so oft umorganisiert wurde, habe dessen Firma ein eigenes Büro am Standort. Der Mann hatte einen weißen Bart, der vom Nikotin gelb gefärbt war, dasselbe galt für seine Finger.

Vor ihm standen drei Gläser mit Apfelsaft, wie ich annahm. Ich fragte, wo der Apfelsaft zu finden wäre, und Herr Ploss erklärte mir, dass dies kein Saft sei, sondern Bier. Er zeigte mir auch die Zapfsäulen. Ich war baff; jetzt verstand ich zumindest die Warnungen in der Arztpraxis.

Danach gingen wir das Geschäft am Standort besuchen. Man konnte hier auch Bier, Wein und Schnaps kaufen. Ich war erstaunt - wann tranken sie bloß so viel während der Arbeit?

Nach einem Verdauungsrundgang um das Gelände tranken wir Kaffee und ich fragte nach wegen der Fahrkarten und der geldfressenden Automaten in der U-Bahn. Dr. Schmidt erklärte, dass es unterschiedliche Tickets gäbe, um mit der U-Bahn, dem Bus und der Tram zu fahren und so wie der Wagenhüter am Flughafen waren sie voller Münzen, gaben aber keine zurück. Ich sollte keine Einzelfahrkarte kaufen und auch keine Streifenkarte, sondern eine Wochen- oder Monatsmarke, die für unterschiedliche Zonen gelten würden. Damit würde es billiger, außerdem dürfe ich mit der Streifenkarte meine Fahrt nur um eine bestimmte Zeit unterbrechen, falls ich unterwegs schnell einkaufen wollte.

Die Monatsmarken könne man in bestimmte Läden kaufen, der Automat sei nur für den Einzel- oder Streifen-Kartenkauf da; der Wagenaufpasser am Flughafen gäbe kein Wechselgeld aus, die Leute hier müssten mit einem Sack voller Münzen herumlaufen.

Er zeigte mir auch einen Plan mit den Zonen, der sehr unübersichtlich war. Es gäbe, so meinte er, auch eine grüne Karte, mit der man überall fahren könne, die aber nur nützlich sei, wenn man zu zweit unterwegs ist und weit außerhalb des Zentrums wohnt. Es gäbe außerdem rosafarbene Streifenkarten für Kinder oder sogar Hunde.

Für eine Monatskarte war es zu spät und ich entschied, eine Wochenkarte zu kaufen. Mann, war das kompliziert!

Am Abend traf ich meine Mitbewohner - Mike, einen Waliser, Conor aus Irland und einen Amerikaner namens Paul, der lange Zeit in England gelebt hatte. Sie schienen alle dieselben Probleme in der Arbeit zu haben wie ich. Wenig Englisch, viel Bürokratie und eigentlich nichts zu tun, obwohl die Kollegen ausgelastet waren.

Wir gingen dann zu einem Italiener in der Nähe. Bei Pizza und Bier lästerten wir über die Firma und die Deutschen.

Mittwoch

Ein neuer Kollege traf ein, wir waren jetzt also zu viert. Er war promovierter Chemiker, das hieß, er musste alt sein. Er war auch etwas, das „AT“ hieß – gab es nicht sogar einen Spielberg-Film über ihn?

Seine Promotion hatte den Titel „Ionenstrahlinduzierte Durchmischung von zweikomponentigen Metallproben als Diffusionsvorgang mit konzentrationsabhängigen usw. usw.“. Anscheinend war sein Doktortitel wertvoller für die Firma als meine zwei Jahre Berufserfahrung. Auf meine Nachfrage erfuhr ich, was „AT“ eigentlich heißt - Astronomischer Tarif.

Mir wurde erzählt, dass ich Schritt für Schritt in Richtung AT käme, sofern die Leistung stimme. Bei einer Spitzenleistung würde ich 9 Jahren brauche, bis ich dort ankäme. Mit der Bewertung meines Diploms war ich diesem Kollegen also 9 Jahren im Rückstand, obwohl ich alle Arbeitsaufträge sofort bearbeiten und erledigen konnte. Jetzt verstand ich, dass das Gehalt aus dem Universitätsabschluss, Titel und Alter zusammenzurechnen war. Ungerecht und sehr frustrierend.

Es gab nur einen kleinen Lichtblick - ich glaubte nämlich, jetzt meine Probleme mit dem Aufzug verstanden zu haben: In jedem Gebäude gab es Flure, Stockwerke, etwas, das sich als „Earth Missile“ übersetzen ließ, und Keller und Tiefgaragen. Bei uns in der Firma gab es immer einen Keller, deswegen ist der „Earth Missile“ der zweite Flur, damit ist der vierte Flur der dritte Stock usw.. Die Büronummern beziehen sich auf die Flurnummer und dadurch schienen sie immer einen Stock höher zu sein als sie tatsächlich waren. Ich fühlte mich jetzt besser, nachdem ich dieses Rätsel gelöst zu haben schien.

Am Abend diskutierte ich die Neuigkeiten mit meinen Mitbewohnern, um zu erfahren, dass sie alle ein Problem mit dem promoviertem Kollegen hatten, insbesondere mit den herablassenden „Doctors“ ohne jegliche praktische Erfahrung. Wir verglichen Gehälter und Ausbildung und fühlten uns ziemlich verarscht.

Donnerstag

Ich fragte meinen Chef wegen einer Beschäftigung. Bisher hatte ich den Kollegen P. beim Versuch, mein Umfeld zu verstehen, nur von der Arbeit abgehalten. Ich bekam viele technische Artikel zu lesen, außerdem erwähnte er einen baldigen Deutschkurs. Er verbrachte die meiste Zeit mit dem neuen Arzt, weil er trotz seines AT keine blasse Ahnung hatte, worum es eigentlich in der Firma ging und eingearbeitet werden musste. Ich hätte im Gegensatz dazu sofort arbeiten können, durfte aber nicht, wahrscheinlich weil ich kein Deutsch konnte. Die Artikel waren langweilig, und ich war froh, als wir zum Mittagessen gingen.

Zur viert standen wir in der Schlange, suchten einen Sitzplatz, aßen und machten einen Rundgang. Andere Gruppen kamen uns entgegen, die die Zeit zwischen 12 und 13 Uhr ebenso totzuschlagen versuchten.

Unser Büro wurde von der Sonne, die direkt hineinschien, recht warm und ich brauchte die frische Luft, um wach zu werden. Nachmittags war es besonders schlimm, und sobald die Wirkung des Mittagskaffees nachließ, fielen meine Augen zu.

Kollege P. war sehr nett und hilfsbereit und ich konnte gut mit ihm ratschen. Heute sprach ich mit ihm über meine Integration und darüber, dass ich eine Wohnung suchen müsse. Er erklärte mir, dass die Mietwohnungen in der Zeitung annonciert würden und dass die guten Angebote schwer umkämpft seien. Ich müsse die Süddeutsche Zeitung Dienstag- und Donnerstagnachts kaufen, um die Mittwoch- und Freitagsausgaben so früh wie möglich zu bekommen und um mich so als einer der ersten bei dem Makler zu melden.

Wir redeten dann über die verschiedenen Zeitungen in England. Im Vergleich ist The Sun wie die Bild in Deutschland, man ist sich zu fein, das Blatt zu kaufen, liest aber immer mit über die Schulter des Nachbarn in der U-Bahn. Er empfahl die Abendzeitung, um Deutsch-Lesen zu üben und gleichzeitig den neuesten Klatsch zu erfahren.

Trotz Langeweile in der Arbeit war ich abends müde. Ich fühlte mich gestresst, obwohl ich nichts Dringendes zu tun hatte. Wahrscheinlich war es nur die Anstrengung, so viel Neues zu verarbeiten, und die Unsicherheit, allein zu sein.

Endlich Freitag

Um viertel vor acht wurde mir mein erster Arbeitsauftrag erteilt. Ich musste zum Würstlstand, um das gemeinsame Dienststellenfrühstück zu kaufen. Der Stand war eine Holzhütte mit zwei älteren Damen und verschiedenen Kochtöpfen und Heizplatten. Hier standen die Assistenzkräfte und ein Fachhochschulabsolvent brav in derselben Schlange.

Etwas wenig technisch, aber trotzdem eine Herausforderung – mein erstes Gespräch in der Arbeit in Deutsch: „Ein paar Debretziner, bitte!“

Alles wurde verstanden: Weißwurst, ein paar Wiener, die unterschiedlichsten Senf-Kombinationen. Nur Leberkäse-Semmel, was hier „Laberkassemmi“ hieß, hatte ich nicht ganz richtig ausgesprochen.

Der Auftrag war erledigt, ich ging zurück ins Büro, und wir setzten uns an den Besprechungstisch. Jeder hatte ein großes Glas und einen Teller mit einer Brezel, die mit Zucker zerstreut war. Mein Chef holte Weißbier aus dem Kühlschrank. Es schien ganz normal, jeden Freitag bereits in der Früh mit dem Saufen zu beginnen, es war unglaublich. Das Weißbier schmeckte mir nicht, und die Brezeln waren „Brezn“, der Zucker war Salz. Irgendwie war in Deutschland nicht alles so, wie es auf den ersten Blick schien.

Der neue Oberarzt sprach dann über das Bier aus dem Norden, und es wurde detailliert über die verschiedenen Brau-Arten und Traditionen gesprochen, und auch über ein Reinheitsgebot, das mir hinsichtlich der Politik der späten 30er Jahre etwas suspekt schien, sich aber nur auf das Bier bezog. In England sei das Bier warm und habe keinen Schaum, wurde erzählt (wahrscheinlich war es auch nicht rein).

Es entwickelt sich ein Zweiergespräch zwischen den Doktoren über Studiengänge, unter anderem über deren Väter – anscheinend gibt es keine Doktormuttern. Die Promotion schien mir eine Art unbefleckte Empfängnis zu sein.

Es wurde wieder über den englischen Bachelor hergezogen und dann weiter über das schlechtes Essen und das miese Wetter in Großbritannien. Ich lernte einiges dazu, unter anderem, dass es wegen des Golfstroms in England nie Frost oder Schnee gibt. Ich protestierte mehrmals, hatte aber als Zeitzeuge leider nichts zu melden. Die Herren waren noch nie in England gewesen, wussten aber bestens Bescheid und hörten gar nicht zu. Ich war erst eine Woche hier und fühlte ich mich irgendwie nicht richtig ernstgenommen.

Das Wochenende

Mit Paul, meinem Mitbewohner, war ich zum ersten Mal auf dem Oktoberfest oder, richtig ausgesprochen, auf der „Wiesn“. Eigentlich war ich sogar drei Mal dort, und zwar von Freitag bis Sonntag. Ich glaube, es gab eine Unterbrechung, aber dies erlebte ich nur vom Bett aus.

Auf der Wiesn gab es viel Gedränge (deutsche Warteschlangen) und Türsteher, deren Gnade man ausgeliefert war. Einmal im Bierzelt drin, kam die nächste Herausforderung, nämlich einen Tisch zu bekommen. Am Freitag und Samstagabend sprachen wir junge Deutsche an, die so begeistert waren, Englisch reden zu können, dass wir mit auf den Bänken stehen durften. Die Bedienungen waren extrem kräftige Frauen, die bis zu zwölf Maß Bier gleichzeitig tragen konnten, aber leider alle einen Hörschaden hatten, und auch wenn sie direkt angesprochen wurden, so taten, als hätten sie nichts verstanden. Eine sagte „Komme sofort!“, wurde aber dann nie wieder gesehen.

Nach einer Dreiviertelstunde schafften wir es doch, ein erstes Bier zu bestellen, Paul hatte gleich doppelt soviel bestellt, um weitere Wartezeiten zu vermeiden. Ich war kein großer Biertrinker, zwei Maß würden für mich reichen.

Die Musik war furchtbar, immer wieder wurden alte Lieder gespielt und etwas, das “Life is Live” hieß. Am schlimmsten war “The Birdy Song”, dabei wurden Japaner aus dem Publikum geholt, um zu dirigieren, was sie nicht konnten und was alle irgendwie lustig fanden.

Die Deutschen am Tisch kannten alle Lieder und sangen und schaukelten. Insbesondere heizte jener „Birdy Song“ die Stimmung an. Ohne zwei Maß wäre dies alles unerträglich gewesen.

Als ich mein Alkohollimit bereits erreicht hatte, schaffte es Paul noch einmal, eine Doppelrunde zu bestellen.

Die jungen Einheimischen wollten nur über den Weltfrieden reden, fast jeder von ihnen hatte Brighton im Rahmen eines Schullaustausches besucht. Keine Überraschung, dass sie eine seltsame Meinung über England hatten - Brighton war der Ort, wo die Engländer zum Sterben hinziehen, im Glauben, an der Côte d'Azur der dreißiger Jahre zu sein...

Samstagnacht endete in der Früh in einem Dampfnudel-Café.

Eine Dampfnudel sieht aus wie ein zerplatzter Fußball mit Mohn- und Pflaumenmus-Füllung. Die Bedienung sagte, es sei ideal für ein Katerfrühstück, mich hatte das Essen ihres Haustiers nicht sonderlich interessiert, ich hatte aber so einen Heißhunger, dass ich alles aß.

Mittags, als ich wach wurde, konnte ich mich nicht daran erinnern, wie ich nach Hause gekommen war, aber mein Körper erinnerte mich an die vier Maß und die Dampfnudel. Mit einer Zunge aus Filz, einem Kopf aus Porzellan und einem ständigen Überdruck im Bauch fühlte ich mich nicht ganz so belastbar wie die anderen, die bereits aufgestanden waren und mich gut gelaunt verarschten. Paul war überzeugt, dass es genau so weitergehen müsse, die Wiesnbesuche seien der Schlüssel zu unserer Integration in Bayern.

Sonntagabend hatte ich mir vorgenommen, nicht so viel zu trinken. Es ging auch tatsächlich ein bisschen ruhiger zu und wir fanden einen Sitzplatz an einem Tisch mit einer Familie aus Rosenheim. Vater, Mutter, zwei Töchter und dem potenziellen Schwiegersohn.

Die waren superfreundlich, waren mehrmals in England gewesen, hatten dort gut gegessen und sonnige und sogar frostige Tage erlebt. Nur der Freund der jüngsten Tochter war laut und trank schneller als alle die anderen (außer Paul). Paul trank 3-4 Mal schneller (und mehr) als ich, und man merkte es ihm überhaupt nicht an.

Zum Bier aßen wir Radis und Brezn, was sich auf den Durst und die Luft auswirkte, und als die Wiesn zu Ende ging, fühlte ich mich gut, nach nur eineinhalb Maß (ich hatte meine zweite mit der Mutter geteilt).

Ich begann mich zu verabschieden, aber es schien für alle anderen selbstverständlich, dass wir weiterziehen würden. Die Rosenheimer hatten Montag freigenommen und waren in einem Hotel in Haidhausen untergebracht. Wir landeten nebenan in einer Kneipe namens „Hagen“, die, wie sie versicherten, sogar an Sonntagnacht bis vier Uhr in der Frühe geöffnet war. Ich ahnte Schlimmes. Pils wurde bestellt - endlich ein Bier in vernünftiger Größe.

Ein richtiges Pils benötigt mindestens vier Minuten, um gezapft zu werden, man braucht aber nur ca. zwei Minuten, um es zu trinken. Man musste das nächste schon in Auftrag geben, wenn man mit dem ersten begonnen hat.

Der Freund der Tochter wurde lauter und ungezogener. Das war den Eltern sichtbar peinlich, insbesondere die ältere Tochter versuchte wiederholt, ihn zu beruhigen. Nach etwa fünf Pils unterrichtete uns der Vater, ein Lehrer, in Sachen Weinbrände. Ein Korn war zu vermeiden, aber ein guter Willi gehört zum Abschluss eines Abends dazu, wie er meinte. In Englisch hatten wir alle willy verstanden, was bei uns Schniedel heißt. Es gab dann sehr viele willy-Witze - und leider auch sehr viele Willis.

Der Freund erzählte dann, dass die ältere Schwester in den letzten Wochen mehrmals etwas mit seinem Willi gemacht hätte, und war ganz stolz als Liebhaber beider Töchter. In dem darauffolgenden Handgemenge schafften wir es, alle Parteien auseinanderzuhalten, bis der Idiot aus dem Lokal geschmissen wurde.

Ein unwürdiges Ende an einem Abend der Integration, und ich war recht sicher, vorher noch nie so viel getrunken zu haben.

Ein Hellas Bitte!

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