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Kreise

Montag

Ich kam in sauberer Wäsche, aber etwas zerknittert zur Arbeit.

Leider musste ich meine Zusammenarbeit mit Herrn Mueller vertiefen. Er hatte während der Zeit, in der ich auf meinem Deutschkurs war, nicht sehr viel getan. Ich verstand ihn auch kaum, er benutzte sehr oft Wörter, die sicherlich wichtig, aber nicht unbedingt in vornehmer Gesellschaft (d.h. mit meinem Chef) wiederverwendbar waren.

Jetzt wusste ich, dass „Fix“ nichts mit Reparatur zu tun hatte, sondern eine Abkürzung war, und fragte Kollege P., warum Herr Mueller mir immer etwas über seine Freizeit-Aktivitäten erzählen wollte - in jedem zweiten Satz sagte er etwas von seinem „Hobby“. Es stellte sich dann heraus, dass es „Habe ich“ in seinem Dialekt hieß (denn er sagte stets „hob i“). Herr Mueller war auch einer von vielen, der mich mit „Mahlzeit“ beim Essen begrüßte. Jedes Mal wurde ich gefragt, was wir auf Englisch dazu sagen. „Hello“ genügte nicht als Antwort, ich log und behauptete, man sage „Meal-Time“.

Mir fiel es immer wieder auf, dass ich stellvertretend für mein Land angesprochen wurde, zum Beispiel, warum Dresden zerbombt wurde, musste Auskunft zum Falklandkrieg geben und zu Mrs. Thatcher, und oft wurde mit einer unverhältnismäßigen Aggressivität argumentiert.

Ich fühlte mich zwar angesprochen, aber irgendwie nicht verantwortlich. Ich konnte nichts dafür, und meine Meinung zählte in England ebenso wenig wie in Deutschland. Ein beunruhigendes Gefühl.

Dienstag

Ich definierte viele Projekt-Aufgaben und versuchte, die Arbeitsteilung mit Herrn Mueller zu diskutieren. Er schien zunehmend desillusioniert mit diesem „Scheißprojekt, einem Hirnfurz, das eh nichts wird...“ Ich würde wohl alles selbst machen müssen. Das einzig Positive war, dass ich von ihm einiges an neuem Vokabular hörte, leider verstand ich nur einen Bruchteil.

Herr Mueller kam aus einem Dorf in der Nähe von Landsberg, ich glaube, es hieß Arsch am Lech.

Wenn es etwas zu tun gab, fehlte er entweder wegen Rücken- oder Kreislauf-Problemen. Zum Glück gab es einen sehr fähigen jungen Schichtführer, Herrn Sideropolous, mit dem ich vieles organisierte. Zwar musste ich nach dem Deutschkurs jeden Tag in die Firma kommen um mich abzustimmen, aber es schien mir effizienter, als mich mit Herrn Mueller herumzuärgern.

Ich machte mir mittlerweile Sorgen um mein Aussehen. Meine Hemden ließen sich zwar per Hand waschen und auf dem Heizkörper im Schlafzimmer trocknen, hatten aber leider trotz Dehnen und Drücken die Konsistenz eines Kartons, die Kragen hatten die Form eines Kartoffelchips. So fragte ich Kollegen P. wegen einer Bügel-Ausrüstung, und er empfahl den Großmarkt in der Nähe; ich ging dann abends hin.

In England hatte ich wenig Glück mit Einkaufswagen. Ich bekam immer einen mit einem Radfehler, was dazu führte, dass der Wagen ständig nach rechts oder links drehte oder stolperte. Anscheinend lag es an mir, in Deutschland rollte ich meinen Wagen genauso nach links driftend durch die Großmarkthalle, auf der Suche nach Elektrogeräten.

Ich wusste nicht, ob es an der Luft (Sauerstoffmangel) oder an der Musik lag, aber alles schien in Zeitlupe abzulaufen. Die anderen Kunden waren nicht in Eile, zogen ziellos durch die Gänge, starrten orientierungslos auf die Regale, es gab sogar ordentliche Schlangen vor der Wursttheke.

Für jemanden, der es eilig hatte, war das frustrierend. Einkaufswagen blockierten die Gänge. Gerade dort, wo man hinschauen wollte, stand eine ältere Dame, die mühsam die Preisschilder durch ihre Gleitsichtbrille verglich und besonders große Probleme hatte, je weiter sie nach oben schauen musste, sie stand da mit der Brille in der Hand wie mit einem Fernglas. Es erinnerte mich an zwei englische Filme: “The land where time stood still” und “I walked with a zombie – The land of the living dead”.

Ich hatte es natürlich eilig und war sehr frustriert, mit etlichen langen Schlangen an der Kasse konfrontiert zu werden. Ich versuchte abzuwägen, welche Schlange am kürzesten war, schätzte die Anzahl von Personen, Wagengröße, Artikelvielfalt und Kassiererinfertigkeit pro Schlange und entschied mich für die anscheinend kürzeste.

Während ich anstand, wurde eine neue Kasse geöffnet. Wie die Geier stürmten die Familien auf die neue Kasse zu. Es erinnerte mich an die Gepäckannahme am Flughafen, nur hatte ich hier sogar einen Wagen. Es passierte so schnell, dass ich keine Zeit hatte zu reagieren und zusehen musste, wie die eben noch hinter mir Stehenden bereits abgefertigt wurde. Fortan beobachtete ich jede Angestellte, die sich in der Nähe einer neuen Kasse bewegte und blieb bereit in den Startlöchern, falls es wieder losginge. Natürlich passierte nichts.

Kurz vor meiner Ankunft an der Kasse erschien die Ehefrau des Mannes vor mir mit einem zweiten Riesenwagen voller Einzelartikel. Sie hieß „Schatzi“ und hatte eine Geldbörse voller Gutscheine - mindestens zwanzig Stück - und hatte außerdem vergessen, ihr Obst abzuwiegen. Die Kassiererin war genauso begeistert wie ich, als sie endlich fertig war.

Mittwoch

Vor dem Deutschkurs wollte ich noch schnell zum Kreisverwaltungsreferat, um mich anzumelden. Die Wörter „schnell“ und „Behördengänge“ stellten einen Widerspruch in sich dar, wie mir klar wurde.

Obwohl ich zur Eröffnungszeit ankam, wurde ich nicht als Erster bedient. Zuerst musste ich die Formulare finden, die ich auszufüllen hatte. Die Informationsstelle war vorübergehend nicht besetzt, so nahm ich alle die Formulare, die in Frage kamen, und suchte meinen Sachbearbeiter auf. „Sachbearbeiter“ ist ein schönes Wort. Als Beruf bin ich Thingworker – I work with things –, in diesem Fall aber bin ich das Ding, das bearbeitet wird, und genau so habe ich mich anschließend gefühlt.

Die Gesprächspartner sitzen hinter verschlossenen Türen, die nach Buchstaben sortiert waren. Ich setzte mich vor „Ma – Mu“, zog eine Nummer und füllte fleißig alle Formulare aus. Laut Anzeige gab es nur acht Personen vor mir.

Es gab viel Bewegung hier: Immer wieder gingen Leute rein, um bald wieder hinausgeworfen zu werden (sie hatten vergessen, eine Nummer zu ziehen) oder sehr lange blieben (sie brauchten einen Dolmetscher). Die Thingworkers kamen heraus, sperrten zu, verschwanden in den Gängen oder öffneten weitere Türen und schlichen hinein. Es war wie in einem Ameisennest. Alle trugen braune oder grüne Ordner, Halbmond-Lesebrille, Kaffeetassen und immer unglückliche Mienen.

Über den Türen veränderten sich die Zahlen nicht, obwohl immer wieder jemand neues hinein- oder hinausging. Am Anfang hatte ich versucht, hinter das System zu kommen, aber es war hoffnungslos. Nach drei Stunden gab es immer noch sechs Personen vor mir. Dann plötzlich verschwanden sämtliche Thingworkers zur Mittagspause.

Ich hatte schon einen halben Tag verloren! Was trieben wohl Mary und Stephen während meiner Abwesenheit? Hatte Ulrike schon ihre Lack- und Peitsche-Zuneigung während der Alsterfahrt zugegeben?

Nachmittags ging die Qual weiter. Ich wurde mehrmals von Passanten ausgefragt. Sobald es klar wurde, dass ich Englisch verstand, kamen immer wieder Leute vorbei, um Fragen bezüglich Formulare und Wartezimmer zu stellen. Ich hatte genauso wenig Ahnung wie sie, und die meisten sprachen sowieso kaum Englisch, aber offenbar noch weniger Deutsch. Die Dolmetscher waren nicht auffindbar und die Informationsstelle war immer noch vorübergehend nicht besetzt.

Um vier Uhr kam ich endlich dran. Der Thingworker war wesentlich freundlicher als die Grenzpolizei, brauchte aber ein Passfoto, das ich zum Glück in der U-Bahn machen lassen konnte. Ich hatte sogar passendes Kleingeld. Sobald die Bilder trocken waren, wurde mir eine Aufenthaltserlaubnis für zwölf Monate ausgestellt. Das hieß, mich erwartete dieselbe Scheiß-Prozedur in einem Jahr wieder!

Donnerstag

Mein Chef meldete sich, er sagte, dass ich beim Deutschkurs gefehlt hätte und vorbeischauen solle.

Im Kurs erfuhr ich, dass es keine Offenbarung von Ulrike gab und mir jetzt wichtige Informationen über die Hafenstadt fehlte. Das würde meine Integration sicherlich um Monate zurückwerfen...

In der Firma suchte ich meinen Chef auf und klärte alles. Er machte den Eindruck, als hätte er nicht sehr viel Vertrauen in mich. Er erwähnte zwar die Probezeit nicht, aber irgendwie wurde mir die Wichtigkeit meines ersten Projektes noch einmal sehr klar.

Ich besuchte Herrn Mueller, aber er war krank. Er hatte schon wieder Kreislaufprobleme. Ich sollte eigentlich derjenige sein, der unter Kreislaufprobleme litt, nachdem ich mit ihm von Anfang an nur im Kreis lief.

Herr Sideropolous hatte viel erledigt und ich ging mit ihm bis 21 Uhr die Ergebnisse und die nächsten Schritte durch. Die Prozessoptimierungen schienen Früchte zu tragen und die Zusammenarbeit machte auch Spaß.

Freitag

Ich musste mich wieder bei meinem Chef melden, dieses Mal wegen unerlaubter Kernzeitverletzung. Ich durfte nicht nur zu lange fehlen, aber auch nicht zu lange in der Firma bleiben. Ich machte alles falsch im Moment, jetzt wurde ich sogar wegen zu viel Einsatz bestraft!

Ich erklärte ihm die Probleme mit Herrn Mueller, dass er derzeit krank sei und dass ich keine Zeit mit meinem Projekt verlieren wolle. Er nahm alles zur Kenntnis und entließ mich mit einer kleinen Abmahnung ins Wochenende.

Zuhause lag eine Postkarte vom Briefträger vor, mit der Mitteilung, dass ein Paket am Postamt auf mich warte, aber dass ich es nicht am selben Tag abholen dürfe. Warum, er hatte es doch dabeigehabt?! Wahrscheinlich hatten die Postler so wie die Beamten um vier Uhr schon frei. Jetzt musste ich noch einen Antrag auf Kernzeitentnahme diesmal wegen des Postamtbesuches beantragen. Ob das gutgeht?

Wochenende

Ich hatte mir einige Pils verdient und musste mir eine neue Arbeitsstrategie ausdenken, um ohne Herrn Müller und die Kernzeitverletzungen auszukommen.

Am Samstag ging ich zum Einkaufen, ich stand früh auf, um den Viktualienmarkt zu besuchen.

Der Markt war beeindruckend mit seiner unerwarteten Vielfalt an Gemüse, Obst, Fisch und Fleisch, alles war sehr frisch, aber teuer, und daneben gab es einen schönen großen Laden namens „Kustermann“, eine geniale Kombination von Kochgeräten und Werkzeugkasten - Kreuzschlitzschrauben und Zimtsternschneider unter einem Dach.

Ich genoss in der Gesellschaft von gepflegten Omis meinen ersten richtigen Kaffee und Kuchen in einem Café zwischen der Frauenkirche und Bayerischen Hof. Eine so große Auswahl an Kuchen hatte ich noch nie gesehen; es gab so viel Sahne, dass es sich hier als Herzspezialist sehr gut verdienen lassen musste. Kaffee bestellen war aber nicht ganz so einfach wie im Büro. Es gab Portionen, Haferl, Melange, Milchkaffee, Kaffee Hag usw.. Ich warf einen Blick zu den Cholesterintanten am Nachbartisch und bestellte einen Kaffee.

Das Stadtgesicht abseits von Maß und Händl bei Tageslicht ohne Kopfschmerz und Kater - eine Offenbarung.

Nur diese Modegeschäfte! So etwas entsprach meinen Vorurteilen über Deutschland. Hochzeitsanzüge mit hohem Kragen und Fliege, wie eine Bedienung in einen Pizzaladen. Pastellfarbene Anzüge wie ausgewaschen. Jeans und noch mehr Jeans, Cowboy-Stiefel, Schnürsenkelkrawatten. Wir waren doch in Bayern, nicht Arizona.

Und dann ein riesiger Laden mit allem, was man nicht braucht. Männer kauften hier Jacken und Hosen, die nicht zueinander passen, ewig lange Mäntel mit einer Falte mitten im Rücken. Hüte, vom Cowboyhut bis zum typisch bayerischen Hut mit Rasierbürsteneinsatz oder mit Kordeln und Knoten. Für sie und für ihn. CSU-Partnerlook für Möchtegern-Schweizer. Und ein ganzer Flur mit etwas, das „Loden“ hieß: schwere Stoffe, filzartig, es fehlten nur ein paar Dosen Fett, um sich für eine Beuys-Installation auszugeben.

Ein Hellas Bitte!

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