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Innsbrucker Ring

Montag

Ein Wiederbelebungsversuch für meine bereits völlig ausgetrocknete Semmel im Ofen schlug fehl und das Frühstück fiel schon wieder aus.

In England gab es vorgeschnittenes Weißbrot in einer Plastiktüte, das mindestens eine Woche hielt, wahrscheinlich aber nicht dem hiesigen Reinheitsgebot entsprach.

So konnte es nicht weitergehen. Ich hatte kaum noch saubere Kleidung und hohe Schulden. Ich musste meinen Alltag in den Griff kriegen und mich auf das Wesentliche konzentrieren.

Erster Beschluss: Nie wieder Wiesn – ein Leben lang nicht! Ich würde auch mit meinen Eltern sprechen und bitten, dass sie mir Geld überweisen, sodass ich meine Schulden begleichen konnte.

Montags und Dienstags wurde gearbeitet und dann ging es weiter zum Deutschkurs unter Iren. So sollte ich die nächste drei Wochen meistern.

In der Arbeit gab es endlich etwas zu tun und die Möglichkeit, meine Fähigkeiten unter Beweis stellen. Mir wurde ein Herrn Mueller vorgestellt. Sein Akzent war sehr gewöhnungsbedürftig, er war ein echter Bayer. Ich würde mit ihm die nächsten vier Wochen an einem Projekt arbeiten.

Mein Chef brauchte zehn Minuten, um mich vorzustellen, acht, um mir zu erklären, das Herr Mueller nicht „Muller“ oder „Moeller“ heißt, und dass ich von Glück sprechen könne, dass ich nicht mit den Gebrüdern Mayer, Meyer, Meier, Maier mit und ohne Doktortiteln zu tun hätte.

Beim Kaffeekränzchen sprach er wieder ganz stolz über die schon montierten Winterreifen und darüber, dass er in die Berge gefahren sei. Der Oberarzt konterte mit einem sehr interessanten Gespräch über Schneeketten und darüber, wo man sie billig, sorry, preiswert kaufen könne und wie schnell man höchstens damit fahren dürfe und welche Pässe in Südtirol wo und wann meistens zugesperrt seien. Nur der Kaffee hielt mich wach.

Dienstag

U-Bahn-Stress: Es gab morgens auf dem Weg zur Arbeit nur selten einen Sitzplatz, alle waren hart umkämpft. Ich hatte folgendes beobachtet: Die U-Bahnfahrer waren schlechtgelaunt, und die Pendler ließen sich in vier Gruppen einordnen. Die U-Bahn Profis: Sie stehen genau dort am Bahnsteig, wo sich die Türen öffnen, wenn die Bahn hält. Sie warten ab, bis noch vier oder fünf Leute aussteigen, und drängen sich dann in die U-Bahn. Sie schnappen als erste die freien Plätze, holen ein Buch oder eine Zeitung heraus und vermeiden jeglichen Augenkontakt. Falls eine alte Frau Platz braucht, gibt es dafür die Behindertenplätze, hier müssen sie sich allerdings ausweisen, sonst haben sie eigentlich kein Recht auf einen Sitzplatz.

Die Mitläufer bilden die zweite Welle, die einsteigt, und sie sind nicht ganz so rücksichtslos wie die Profis, fast immer bekommen sie deshalb nur einen Stehplatz.

Die Letzten, die aussteigen wollen, werden von dieser strömende Menschenmasse überrollt, und die Schwächsten und Langsamsten schaffen es nicht mehr und müssen bis zur ersten ruhigen Station warten, um auszusteigen. Sie sind die ewigen Pendler.

Die Loser hingegen schaffen es nicht mal einzusteigen. Sie sprinten meistens von der Rolltreppe. Die Bahnführer erkennen die Loser sofort und warten bis kurz vor deren Ankunft, um ihnen dann die Türe vor ihrer Nase zu schließen. Die Loser versuchen dann, die Türen zu öffnen, und fluchen, wenn sich der Zug in Bewegung setzt.

Wegen meines englischen Höflichkeitssinns war ich als Mitläufer prädestiniert. Zweimal konnte ich aus lauter Höflichkeit nicht mehr einsteigen und musste auf den nächsten Zug warten. An diesem Tag stand ich im Zug hinter einem großgewachsenen Profi, der einen Rücksack trug. Er schaute ständig hin und her, um einen freien Platz zu ergattern. Mit jeder Drehung schlug er mir seinen Rucksack ins Gesicht. Nach zwei Stationen hielt ich aus Angst, dass er mir meine Augen aussticht, seinen Rucksack. Das kam nicht so gut an: „Das gibt’s net!“, „Was soll das?“, „So eine Unverschämtheit“ usw. Es gab keine Möglichkeit, ihn zu beruhigen.

Etwas verärgert zurück im Büro, berief ich meine erste Besprechung mit Herrn Mueller ein. Er brachte ein paar von seinen Kumpels mit, die offenbar gerne Meetings beiwohnten, ohne etwas beizutragen. Ich hätte den Besprechungsraum bei der Abteilungsleiter-Sekretärin im Voraus buchen sollen. Obwohl er eigentlich frei war, wurde ich wegen meiner Unverschämtheit bestraft. Sie machte klar, dass ich zukünftig diesen Raum nur mit ihrer Genehmigung betreten dürfe. Ich lernte, dass diese Frau in der Firmenhierarchie eine besondere Stellung innehatte. Dazu hat sie wenig Geduld und einen sehr schlechten Mode-Geschmack.

Ich musste meine Besprechung bei uns im Büro abhalten, um anschließend zu hören, dass unser Besprechungstisch eigentlich freigehalten werden solle, für den Fall eines dienstelleninternen Treffens (ich nehme an, dass dies „Weißwurstfrühstück“ bedeutete).

Mittwoch

Ich war froh, wieder später aufzustehen, Platz in der U-Bahn zu haben, hinten im Klassenzimmer zu sitzen und ungestraft wegen mangelnden Interesses davonzukommen.

Die Iren hatten es bei der Arbeit leichter. Die waren an zwei Standorten in einem neuen, noch nicht fertiggebauten Gebäudekomplex untergebracht, in neuen Abteilungen, wo nicht einmal die Fachärzte wussten, was zu tun war. Alles, was anfiel, wurde vom Promovierten aufgeschnappt, sogar Würstlholen.

Conor beschwerte sich, dass die Toiletten an seinem Standort keinen gescheiten Oberdeckel hätten. Als Werkstudent in Irland hatte er sich daran gewöhnt, im Klo ein Stündchen zu schlafen. wenn es langweilig wurde, aber hier, ohne Deckel, bestand die Gefahr, dass man irgendwann hineinrutscht. Nachdem noch nicht alle Büros bezogen waren, benutzte er einfach eines der leeren Büros für ein Nickerchen. Es fiel keinem auf.

Die Klos bei uns am Standort hatten einen Oberdeckel, waren aber sehr seltsam. Die waren irgendwie umgekehrt gebaut mit dem Abfluss nach vorne. Man musste im Sitzen pinkeln, weil es im Stehen von der Fläche überall hin spritzte. Ganz senkrecht nach unten vorne zu pinkeln bekam ich nicht hin, aber es musste ein Trick geben. Viel schlimmer war es bei größeren Geschäften. Hier wurde alles auf der Platte deponiert.

Jetzt weiß ich, dass ich dazu tendiere, sehr gerade „Würste“ zu erzeugen. Normalerweise wäre mir dies nicht aufgefallen und ehrlich gesagt finde ich es auch abstoßend. Aber beim Spülen führten sich diese Würste wie Lachse auf und schienen stromaufwärts zu schwimmen. Mit einer morbiden Faszination erprobte ich neue Techniken, bis die Würste schräg lagen. Mittlerweile musste ich quer sitzen. Es war mir zu peinlich zu erfragen, warum es ein so bescheuertes Klo-Design gab – will man das wirklich so genau sehen und riechen? Sollte ich irgendwelche Rückschlüsse über die Deutsche Psyche ziehen und gab es einfachere Techniken, dem Lachs-Effekt zu entkommen?

Donnerstag, Freitag

Es gab nicht viel Neues vom Deutschkurs. Im Lehrbuch hatten Stephen und Mary Freundschaft mit Sven und Ulrike geschlossen und langweilige Sehenswürdigkeiten besucht. Ulrike sah aus wie eine Kugelstoßerin, vielleicht würde es in Buch 2 interessanter, wenn sie ihnen die Reeperbahn vorstellen und es sich herausstellt, dass Ulrike dort abends als Domina arbeitet.

Das Wochenende

Wäsche gewaschen, hatte aber leider kein Bügeleisen und Bügelbrett. Das „Hagen“ besucht und Pils getrunken.

Die Bedienungen waren ganz nett, eine Lesbe, die immer Leder trug und aussah, als wenn sie nicht dort arbeitete, sondern gleich mit dem Motorrad wegfahren wollte, außerdem Claudia, die extrem gutaussehend und charmant, aber leider schon vergeben war.

Ein etwas älterer Herr, Hansi, legte Platten bis halb zwei auf. Er hatte eine Glatze, umrahmt von langen dünnen Haaren, trug einen Ohrring, Leder-Halskette und lauter bunte Schnüre um das Handgelenk. Er trug dünne Baumwoll-Hosen mit einem ausgewaschenen lila Batik-Muster und einer Lederweste. Sogar sein Hund sah mit seinem weiß-blauem Halstuch aus wie ein Hippy.

Mir war der Hund ehrlich gesagt sympathischer. Hansi hatte keinen Musik-Geschmack und konnte uns nicht so richtig leiden, weil wir ständig versuchten, ihm unsere Platten, die später als 1975 aufgenommen wurden, aufzudrängen. Er wollte sie auf keinem Fall auflegen.

Das Ganze wurde von einem Franzosen namens Francois geführt. Er hatte früher Polo gespielt und war ein Frauenschwarm, was das Publikum interessant gestaltete.

Ich stellte fest, dass Paul und mich irgendwas verband, obwohl wir sehr unterschiedlich waren. Er hatte früher als Barmann in einer Kneipe gearbeitet und hatte eine Selbstsicherheit, um die ich ihn beneidete. Ich konnte nicht so auf Leute zugehen wie er und hatte nicht so einen Schatz an Geschichten und Erfahrungen zu erzählen, aber ich kannte niemanden, der meinen Sinn für Humor so gut verstand und ergänzte. Wir saßen zu zweit und lachten nur, gegenseitig angestachelt von dem nächsten Blödsinn, bis wir das Lustigste aus einer Situation abstrahiert hatten.

Im „Hagen“ an der Bar sitzend, unterhielten wir uns mit der Bedienung, beobachteten die Gäste, und gelegentlich fanden wir uns einen Gesprächspartner an der Bar, meistens allerdings störten wir Paare, die eigentlich einen romantischen Abend verbringen wollten. Man erfuhr viel über die Menschen und über sich. Mit 23 Jahren schienen mir die älteren Leute zu konservativ und die Jungen zu naiv, ich passte hier nicht herein und wollte alles ändern.

Ein Hellas Bitte!

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