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1.WARUM IST DAS SO?

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Es gibt Dinge, die ich nicht kapiere. Warum finde ich in meiner Besteckkastenschublade Brotkrumen? Ich schwöre es, in diesem Bereich befindet sich nicht der Brotkasten. Ich habe es eilig. Schnell noch einen Schluck Kaffee nehmen und da ist es passiert. Ein brauner Fleck an einer Stelle, die sich auch nicht verstecken lässt. Zwei Zahlen beunruhigen mich: die auf dem Kontoauszug und die, die auf der Waage angezeigt werden. Das sind Dinge, die mich nachhaltig erschüttern. Warum ist das so?

Zur Kultszene gehört der von mir hoch geschätzte Liedermacher Konstantin Wecker. Einst freite er eine 30 Jahre jüngere Frau. Sie war gerade 18 geworden. Mit 29 Jahren begann sie zu verwelken. Höchste Zeit, sich im Gemüsegarten nach frischen Sprossen umzusehen. Ein blonder langhaariger Engel steht jetzt mit ihm auf der Bühne. Der Dümmste merkt es, die beiden machen nicht nur Musik miteinander. Er, der mich berührte hat mit seinen kraftvollen Liedern „Sag nein“ und „Revolution jetzt.“ Lieder, die aufwühlten, den Verstand wachrüttelten. Nun singt er mit diesem kleinen Mädchen mit lustigem Hut „wo ein Wille ist, ist auch ein Gebüsch.“ Ich bin fassungslos und verstehe es nicht. Warum ist das so?

Da fällt mir Picasso ein: Er hat im fortgeschrittenen Alter Frauen vom Bauchnabel an bis zu den Oberschenkeln skizziert. An den restlichen Körperteilen hatte er kein Interesse. Die Kunstwelt verwirrte das, bescheinigten aber, dass dies Skizzen in der späten Schaffensphase des Künstlers entstanden wären. Denn nur in dieser Zeit habe er mit breitem Pinsel-Duktus gemalt. Aha! Millionen blätterten sie für diese Alt-Männer-Phantasien hin. Warum ist das so?

Ulrich Tukur, seine Filme sind „Kult“, seine Musikband auch. Nun tut er etwas ganz Außergewöhnliches. Er kommt mit heruntergelassener Hose auf die Bühne. Erst war das Publikum vor Staunen sprachlos, dann brandete tosender Beifall auf. Fortan bezeichnet man das als Kult. Wenn ich ab Taille unbekleidet vor ihnen stehen würde, landete ich in der Psychiatrie. Warum ist das Kult?

Rund um den Globus wird das Bild vom hässlichen Deutschen gezeichnet. Warum? Wir bemühen uns doch redlich, den Verfolgten und Verarmten ein besseres Leben bei uns zu ermöglichen. In Frankreich kümmert man sich nicht um die Gestrandeten. Aber der Franzose muss sich nicht sagen lassen, dass er eine scheußliche Fratze trägt. Engländer erschweren den Zugang zu ihrem Land, Ungarn zieht hohe Stacheldrahtzäune um seine Grenzen, in Mazedonien schießt man wahllos auf Flüchtlinge. Nein, da sagt man allenfalls, das ist unschön und so was macht man nicht. Warum ist das so?

In den letzten Jahren sind heftige Stürme über unser Land hinweg gefegt. Haben Bäume wie Streichhölzer zum Fallen gebracht und viel zerschlagen. Mit Hochdruck wurden die Schäden beseitigt. Wir sind spießige Aufräumer heißt es dann. Der Grieche lässt den Schrott liegen, nach 2000 Jahren wird er zum Weltkulturerbe erklärt. Warum ist das so?

„Mit Holsten knallt‘s am dollsten.“ Motto für das Wacken-Open-Air. Biertrunkene und Halbnackte formen das Victory-Zeiche, wälzen sich zu krachender Musik im Schlamm, harren im Dreck eine Woche aus, und zwar freiwillig. Ein Flüchtlingscamp würde man sofort schließen. Auf ARTE, dem Kanal für gehobene Unterhaltung, sendet man an vier Tagen stundenlang diese Schlammorgien, weil Wacken „Kult“ ist. Warum ist das so?

Den hässlichen Deutschen habe ich gesichtet. Er tummelt sich an warmen Tagen leicht bekleidet am Strand, in der Fußgängerzone und vor Flüchtlingsunterkünften. Die strammen Muskelpartien zieren Tattoos unterschiedlichster Art. Er fühlt sich auch dazu berufen, grölend seine Meinung zu äußern, wie „Ausländer raus“ und „Juden ins Gas“ Zumeist ist eine Bierdose sein Begleiter. Das ist abscheulich. Warum ist das so?

Ich weiß es doch auch nicht. Ich kann es nicht sagen, sonst würde ich nicht fragen.

Ich atme ein – Ich raste aus!

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