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Augusta Treverorum

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Im Frühling des Jahres 288 zog Daphne zusammen mit ihrer Tochter Claudia in ihre Stadtvilla ein. Zu dieser Zeit blickte Augusta Treverorum auf eine mehrere Jahrhunderte lange, bewegte Geschichte zurück:

Schon in den Jahren 56 und 54 v. u. Z. besiegten Julius Cäsar und seine Legionen die aufrührerischen Treveri (Treverer, ein spätkeltisches Volk) im Gallischen Krieg. Die Bebauung unter dem Westteil der Kaiserthermen sowie die ältesten Wohnbauten entstanden in den Jahren 31 bis 14 unter den Thermen am Viehmarkt.

Die erste hölzerne Brücke über die Mosella, an die sich ein rechtwinkliges Gitter geschotterter Straßen mit seitlichen Entwässerungsgräben anschloss, bauten die Römer in den Jahren 18 bis 17.

Ein Jahr später gründete Kaiser Augustus die Stadt nach römischem Recht und nannte sie Augusta Treverorum, die Kaiserstadt der Treveri. Zu dieser Zeit lebte die Bevölkerung in Häusern mit Wänden aus lehmverstrichenem Flechtwerk. Ihre Toten bestatteten die Menschen in Grabmälern an den südlichen und nördlichen Ausfallstraßen und waren stolz auf ein Ehrenmonument, das zur Erinnerung an, die im Jahr vier verstorbenen Enkel des Augustus errichtet worden war. Der römische Geograf Pomponius Mela bezeugt in einer seiner Schriften für das Jahr 44 n.u.Z., dass Augusta Treverorum als eine der wohlhabendsten Städte im Römischen Reich galt.

Zweimal erhoben sich die Treveri gegen die Römer: Für das Jahr 21 beschreibt der römische Historiker Tacitus in seinen „Annalen“, wie sich die Treveri gegen die römische Herrschaft erhoben. Wenige Jahre später führte die Unzufriedenheit der Treveri mit der Regierung Kaiser Neros zu dem Wunsch, ein selbstständiges gallisches Königreich zu gründen. In den Jahren 69 bis 70 erhoben sich die Treverir zusammen mit dem niederländischen Germanenstamm der Bataver ein letztes Mal gegen die römischen Besatzer unter dem Feldherrn Caius Petilius Cerialis, der den Aufstand im Auftrag Kaiser Vespasians niederschlug.

Kurz nach der endgültigen Niederlage entstand das weite, hundert Meter breite und zweihundertsiebenundachtzig Meter lange Forum am Kreuzpunkt der beiden Hauptstraßen, dem Cardo Maximus, der Nord-Süd-Achse und dem decumanus maximus, der Ost-West-Achse von Augusta Treverorum. Das Forum wurde zum politischen und wirtschaftlichen Mittelpunkt der Stadt. Zwischen den Jahren 82 und 90 errichtete der Kaiser die Provinzen Germania inferior und Germania superior. Im Jahr 100 zählte Augusta Treverorum fünfundzwanzigtausend Einwohner, und man baute zur Unterhaltung der Menschen ein Amphitheater und einen Zirkus wie zu dieser Zeit in vielen Provinzstädten des Römischen Reiches.

Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung der Stadt wuchs die Bevölkerung, und es entstanden neue Monumentalbauten, wie eine zweite Brücke über die Mosella, jetzt mit steinernen Pfeilern. Geschützt wurde die Stadt durch eine sechseinhalb Meter hohe Stadtmauer mit siebenundvierzig massiven Toren, das Größte war die Porta Nigra. Ihre Götter verehrten die Menschen im weitläufigen Tempelbezirk am Ufer der Mosella und in den Tempeln am Herrenbrünnchen und dem Lenus-Mars-Heiligtum am Rande der Stadt.

Dreizehn Jahre dauerte das im Jahr 259 entstandene gallische Sonderkaisertum, das regiert wurde von den Gegenkaisern Postumus, Victorinus und Tetricus und von dem römischen Kaiser Aurelian beendet wurde. Hauptstützpunkte des Sonderreiches waren die Städte Augusta Treverorum und Colonia Claudia Ara Agrippinensium (Köln), in denen erste Münzprägestätten errichtet wurden.

Um das Römische Reich gegen die in kürzeren Abständen einfallenden Germanen zu schützen, begann im Jahr 83 der Bau des obergermanischen Limes.

Zwei Jahrhunderte später, im Jahr 276, durchbrachen Franken und Alemannen die Befestigung des Rhenus und drangen tief nach Gallia ein. Zusammen mit Augusta Treverorum gingen siebzig gallische Städte in Flammen auf. Handel und Gewerbe kamen fast zum Erliegen. Das Land glich einer Einöde, die Bevölkerung war geflohen oder durch die Eindringlinge ums Leben gekommen. Viele Landstriche und Städte in Gallia erholten sich nicht mehr von der Zerstörung. Auch Augusta Treverorum hatte schwer gelitten, aber die Menschen fanden die Kraft zum Neuanfang, unter anderem durch den Wiederaufbau der Weinproduktion.

Daphne war von Augusta Treverorum enttäuscht. Die Stadt war kleiner, als sie erwartet hatte, nicht zu vergleichen mit ihrem geliebten Roma. Dabei war Augusta Treverorum eine der größten Städte des Imperiums Romanum und hatte jetzt im Jahr 288 eine ummauerte Fläche von 285 Hektar. Im Jahr 285, kurz nach seinem Regierungsantritt als Caesar, machte Kaiser Maximian die Stadt an der Mosella zu einer seiner Residenzstädte: Die Stadt lag in der Nähe der Grenze Germaniens, so dass er schnell im Feindesland sein konnte, wenn germanische Stämme erneut in das Römische Reich eindringen sollten. Aber Maximian war unzufrieden über die vorgefundene Bausubstanz des Regierungsbezirks der Residenzstadt. Zu Zeiten des „Gallischen Sonderkaisertums“ hatten die Gegenkaiser, besonders Victorinus, große und prächtige Gebäude für die kaiserliche Repräsentation errichtet, aber ohne Konzept und Plan. Für Maximian wie für seinen Nachfolger im Amt, Kaiser Constantius, wurde der Ausbau von Augusta Treverorum eine Herzensangelegenheit.

Vitruv stellte schnell fest, dass nicht nur er als Statthalter einen respektablen Amtssitz benötigte, sondern auch der seit dem 2. Jahrhundert in Augusta Treverorum residierende Finanzverwalter des römischen Westreiches. Dessen Prokuratorenpalast war bei dem alles verwüstenden Einfall der Franken zehn Jahre zuvor zerstört worden. Seitdem residierte er mit seiner Verwaltung behelfsmäßig, dabei ständig darüber murrend, in einem wenig repräsentativen Gebäude nahe dem Forum. Nun plante Kaiser Maximian, das zentral gelegene Gelände des zerstörten Prokuratorenpalastes einzuebnen und darauf eine Palastaula als Empfangs- und Thronhalle für die kaiserliche Rechtsprechung zu errichten. Der kaiserlichen Verwaltung wies Vitruv vorerst Gebäude im Palastbereich zu, die für seinen Aufgabenbereich nicht groß genug waren. Ihm unterstellt war die Rechtsprechung aller Provinzialen, die nicht militärischen, geistlichen oder senatorischen Ranges waren. Die Verwaltung der Provinz, der sein Oberhofmarschall, der Magister Officiorum, vorstand, bestand aus der Garde, der Polizei, dem Archiv, dem Kanzleiwesen für Briefe und Bittschriften, der Terminverwaltung, den Waffenfabriken und der Staatspost. Außerdem wurde Raum benötigt für hochrangige Ämter des Krongutes, des Militärs, und es fehlte an Quartieren für die protectores domestici, die Leibwache des Kaisers, die in der neuen Kaiserresidenz stationiert wurde.

In enger Zusammenarbeit mit dem Curialen (Stadtadel) der Stadt Augusta Treverorum hatten Vitruvs Architekten in den letzten Monaten Pläne erarbeitet, nach denen der Regierungs- und Palastbereich nach Fertigstellung eine stattliche Länge von fast einem Kilometer, umfassen würde, angefangen von den sich im Bau befindenden Kaiserthermen am decumanus maximus als südlichen Abschluss und des Palastes mit seiner Basilika und den sich in Richtung Osten anschließenden Bauten mit Prunkfassaden, Säulenhallen und Innenhöfen - ähnlich den Palästen auf dem Palatin in Roma - bis hin zu einer palastartigen Villa für die Familienmitglieder der kaiserlichen Familie. Die Breite dieses kaiserlichen Regierungs- und Wohnsitzes würde einen halben Kilometer von der Basilika bis zum Zirkus betragen, wobei Letztgenannter sich mehr als einen halben Kilometer lang als östliche Begrenzung am Fuß des Petriberges erstreckte. Auch musste Vitruv bei seiner Planung an die Privathäuser der Beamten und ihrer Familien denken, von denen viele kümmerlich in nicht standesgemäßen Hütten am Stadtrand wohnten.

Von ihrer Stadtvilla war Daphne begeistert. Das zweistöckige Haus lag an der Hauptstraße der Stadt, am decumanus maximus, schräg gegenüber den Barbarathermen, der größten Therme nördlich der Alpen, und nur wenige Schritte entfernt vom Forum. Im hinteren Teil des mit hohen Bäumen bewachsenen Grundstücks lagen die Sklavenhäuser und der Wirtschaftstrakt. Die ganze Stadt war im Aufbruch, überall wurde gebaut, und den ganzen Tag rumpelten hochbeladene Wagen mit Sand, Steinen und Marmor an der Villa vorbei, die von den Sklaven der Fuhrunternehmer mit so durchdringendem Geschrei gelenkt wurden, dass Daphne nicht ihr gewohntes Mittagsschläfchen halten konnte. Aber nach den einsamen Monaten auf dem Land genoss sie das Stadtleben in vollen Zügen: Das Forum mit seinem Markt und seinen Geschäften, in denen alles angeboten wurde, was ihr Herz begehrte und in den nahen und fernen römischen Provinzen hergestellt wurde, und den neuen Regierungs- und Palastbereich. Beide Orte waren nur ein Häuserblock von ihrer Villa entfernt.

Nur Freundinnen hatte sie nicht gefunden. Die Ehefrauen des Finanzprokurators, der Höflinge und der höheren Beamten waren älter als Daphne und hochnäsig und langweilig. Es gab für diese Damen nichts Wichtigeres, als über ihre lange Ahnenreihe und die hohen Ämter und Privilegien ihrer Familien zu reden, neue Frisuren zu kreieren oder Nachrichten darüber auszutauschen, welche in den unterschiedlichsten Farben funkelnden Seidenstoffe aus Tyros in Augusta Treverorum eingetroffen waren. Wenn diese Themen durchgehechelt waren, gaben sie mit den wunderbaren Eigenschaften ihrer Söhne an, die sie in wenigen Jahren für höchste Ämter im Römischen Reich befähigen würden. Auch vergaßen sie niemals, die aufblühende Schönheit ihrer Töchter zu preisen, die in einer nicht allzu fernen Zukunft einer Kaiserin würdig sein würde und berechtigte Hoffnung auf eine Heirat in die höchsten Kreise machte. Für die letzte Schwärmerei hatte Daphne Verständnis, fand sie doch ihre Claudia schöner und intelligenter als alle anderen Kinder zusammen. Auch vergaßen diese wichtigen Damen nie, leise und hinter vorgehaltener Hand über die kaiserliche Familie herzuziehen. Es war doch zu interessant zu mutmaßen, ob die blauen Flecken auf den Unterarmen von Eutropia von ihrem Ehemann oder vielleicht von einem Liebhaber stammten - war ein Eifersuchtsdrama schuld an den unschönen Hämatomen?

Die Mädchen der römischen Elite wurden früh verheiratet, viele schon im Alter von zwölf Jahren. Bis dahin lebten sie in großen Häusern und Landgütern, kaum beachtet von ihren Eltern, aber verwöhnt von ihren Ammen. Häufig lernten sie nur ungenügend lesen und schreiben. Eine höhere Bildung, wie ihre Brüder sie in Mathematik, Geometrie und Rhetorik bekamen, hielt man für das weibliche Geschlecht nicht für notwendig.

Claudia gedieh prächtig unter der sorgsamen Betreuung ihrer Amme Tullia, einem kräftigen Sklavenmädchen aus Germanien. Bevor sie ein Jahr alt war, hatte sie dicke Backen, konnte sitzen und stehen und wäre schon allzu gern mit ihren noch krummen Beinchen ihrem Vater entgegengelaufen, wenn er ihr Zimmer betrat.

Daphne und der Kaiser

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