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Reise nach Sicilia 286 n. u. Z

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„Mutter, ich bin schrecklich aufgeregt, wann reisen wir endlich?“

Daphne rannte in das von der Abendsonne matt erleuchtete Zimmer und warf sich auf das Bett.

„Ich kann es kaum erwarten, Kaiser Maximian, seine Frau Eutropia und Maxentius, seinen Sohn, kennenzulernen. Philomena sagt, die Familie stammt von Herkules ab, und der Kaiser sieht auch aus wie er: groß wie ein Riese, mit kräftigen Muskeln an Armen und Beinen und vielen Haaren überall am Körper.“

Olympia Licinia, eine Frau mittleren Alters, lag blass in den Kissen. Gestützt auf ihre abgemagerten Arme richtete sie sich mühsam auf und umfasste lächelnd das Mädchen.

„Kind, was für Gedanken in deinem kleinen Kopf kreisen. Du solltest die Einladung auf das neue Landgut von Kaiser Maximian ernster nehmen. Sie ist für unsere Familie eine große Ehre; in die Provinz Sicilia werden nur wenige Getreue des Kaiserhauses eingeladen.“

Ungeduldig streifte Daphne die Arme ihrer Mutter ab und sah suchend im Zimmer herum.

„Mutter, hat Philomena deine Truhen gepackt? Das alte Weib lässt doch keinen anderen Sklaven an deine Gewänder heran. Sie wird bis morgen früh nicht fertig werden, wie letztes Mal, als wir ans Meer nach Baiae (Ortsteil von Bacoli) gereist sind.“

Olympia sank mit qualvollem Stöhnen in die aufgeschichteten Kissen zurück.

„Daphne, sprich nicht ungehörig über Philomena, sie braucht meine Kleider nicht einzupacken, ich fahre nicht mit. Ich habe deinem Vater mitteilen lassen, dass ich in Roma bleibe. Meine angegriffene Gesundheit würde keinen vorteilhaften Eindruck von unserer Familie hinterlassen; ich behindere euch nur auf der beschwerlichen Reise. Du bist die richtige Begleitung für deinen Vater und wirst mich würdig vertreten. Philomenas Enkelin, Philomena minor, reist mit dir zu deiner persönlichen Bedienung.“

Daphne sah ihre Mutter besorgt an und streichelte ihr liebevoll über die Wange.

„Mama, sind die Schmerzen qualvoller als gestern, hat der Arzt dich heute schon besucht?“

„Sorge dich nicht um mich, ich habe hier in meinem Haus alles, was ich brauche. Meine Philomena leistet mir Gesellschaft.“

Schwungvoll öffnete sich die Tür. Mit hochrotem und vor Wut verzerrtem Gesicht stürmte Senator Titus Cornelius Orestes an das Bett seiner Frau.

„Dieses eine Mal könntest du dich zusammenreißen, deine eingebildeten Krankheiten vergessen und mich nach Sicilia begleiten. Du bist die Tochter eines Kaisers, Eutropia, die Ehefrau Kaiser Maximians brennt darauf, dich kennenzulernen.“

Olympia zog die leichte Decke aus feinster Wolle und Seide bis an den Hals und sah ihren Mann kühl an.

„Mein lieber Cornelius, du kennst meine Meinung zu diesem Thema. Ich lasse mich nicht von jeder hergelaufenen Kaiserin zur Audienz in die Wildnis befehlen. Ich fühle mich dieser Reise bei Gott gesundheitlich nicht gewachsen. Ihr beide liebt es, beieinander zu sein, ich störe euch nur. Mehr sage ich nicht in dieser Angelegenheit.“

Olympia warf einen letzten liebevollen Blick auf Daphne, drehte den Kopf zur Seite und schloss die Augen. Wütend starrte der Senator auf seine Frau herunter, zuckte resigniert die Schulter und winkte seiner Tochter, mit ihm das Zimmer zu verlassen. Daphne folgte ihrem Vater in sein Arbeitszimmer, wo er sich missgelaunt auf den Stuhl am Schreibtisch fallen ließ. Wie häufig in den vergangenen Jahren fragte er sich, ob Olympia noch einmal ihre melancholische Stimmung verlieren würde.

Olympia war die illegitime Tochter von Kaiser Puplius Licinius Egnatius Gallienus. Der Kaiser hatte sich in Graciella, die Mutter von Olympia verliebt, als ihr Vater, Senator Decimus Aurelius Drusus, sie ihm bei einem Pferderennen vorstellte. Das frische vierzehnjährige Mädchen mit den blonden Haaren und der zierlichen Figur hatte Gallienus entzückt. Salonia Pipara, die schöne Ehefrau des Kaisers, eine hochgebildete Griechin aus Bithyna, liebte ihren Ehemann. Häufig begleitete sie ihn auf seinen Reisen durch die römischen Provinzen und auf Kriegszügen. Zu ihrem Kummer gelang es ihr nicht, die Liebesbeziehung zu verhindern. Graciella erlebte mit Gallienus nur eine kurze Zeit der Liebe und Zärtlichkeit. Sie genoss die Gespräche mit ihrem kaiserlichen Liebhaber, der sie in die griechische Philosophie einführte. Und sie liebte die wenigen leidenschaftlichen Nächte, die ihnen vergönnt waren. Das Liebesverhältnis dauerte erst drei Monate, als Graciella zu ihrem Entsetzen bemerkte, dass sie ein Kind erwartete. Versteckt auf einem Landgut nahe Karthago in der Provinz Africa proconsularis, das Orania Clepsina, einer Freundin ihrer verstorbenen Mutter gehörte, gebar sie ein kaum lebensfähiges Mädchen, Olympia. Am Tag der Geburt verblutete Graciella - die Plazenta löste sich nicht aus der Gebärmutter.

Kaiser Gallienus war über den Verlust untröstlich, konnte sich aber nicht entschließen, das Kind als seine Tochter anzuerkennen, obwohl seine Ehefrau Salonia ihm dazu riet. Senator Drusus war darüber mehr als erbost. Auch die kaiserlichen Schenkungen an seine Enkelin Olympia konnten ihn nicht beruhigen: eine palastartige Villa in Roma, Häuser am Golf von Napoli und in den Aventiner Bergen sowie ertragreiche Ländereien in den Provinzen Hispania und Africa proconsularis. Als Dank für das Verständnis seiner Ehefrau und aus Rücksicht auf ihre Gefühle vereinbarte Kaiser Gallienus mit dem Senator, dass Olympia auf dem Landgut von Clepsina aufwachsen würde.

Olympia kehrte erst als junge Frau nach Roma zurück, um eine standesgemäße Ehe einzugehen. Aber als illegitime Kaisertochter standen ihr nicht dieselben protokollarischen Ehren zu wie den legitimen Töchtern eines römischen Kaisers. Olympia litt darunter und fühlte sich in der Gesellschaft von Roma, die ihr die Achtung, die einer Kaisertochter gebührte, versagte, nie zu Hause.

Die Villa, die Kaiser Gallienus seiner Tochter geschenkt hatte, lag auf dem Aventin, einem der sieben Hügel von Roma. Der Aventin bestand aus einer Erhebung mit zwei Gipfeln, die ein Tal trennte. Zur Zeit der Republik ein Wohn- und Geschäftsviertel der Plebejer, entwickelte sich die Gegend zur Kaiserzeit in ein elegantes Wohnviertel, in dem der römische Adel seine prunkvollen Stadtpaläste bauen ließ.

Ein weiteres Mal gestand sich Senator Titus verärgert ein, dass seine Frau Olympia über ein größeres Vermögen verfügte als seine Familie. Ohne ihre hohen Einkünfte hätte er sich seinen aufwendigen Lebensstil mit allen dazugehörenden teuren Pflichten wie das Ausrichten der Spiele im Amphitheatrum Flavium (Colosseum) zu Beginn seines Senatorenamtes und die regelmäßigen Brotgaben an die Bevölkerung nicht leisten können.

Senator Orestes stammte aus einem der ältesten Geschlechter von Roma, die Ahnentafel konnte er bis in die Zeit der Republik zurückverfolgen. Seine Familie hatte dem römischen Volk und ihren Kaisern immer treu gedient, nur das Familienvermögen war dabei auf der Strecke geblieben: Kaiser Nero hatte einen Vorfahren gezwungen, ihm sein Vermögen testamentarisch zu vermachen und im Anschluss von eigener Hand aus dem Leben zu scheiden. Sein Vater verlor einen Großteil seiner Ländereien beim Glücksspiel mit Kaiser Elagabel. Zu dieser Zeit verliebte sich Olympia in den Senator, als er ihr bei einem Fest bei Hofe vorgestellt wurde. Und es war ihm eine Ehre und Freude, das schüchterne, freundliche Mädchen zur Frau zu nehmen. Zusätzlich versetzte ihr Reichtum ihn in die Lage, die öffentliche Rolle in der römischen Gesellschaft einzunehmen, die ihm von Geburt zustand.

Olympia war noch nicht lange verheiratet, als sie bemerkte, dass der Senator neben ihr viele andere Frauen beglückte; sie nahm das enttäuscht, aber schweigend hin. Nach Daphnes Geburt war es ihr nicht mehr möglich, Kinder zu gebären, und sie zog sich immer häufiger schwermütig in ihre Räume zurück. Als die Gesellschaft von Roma über die Liebschaften des Senators zu tratschen begann, wies Olympia ihren Ehemann mit der Begründung aus dem Ehebett, seine Leidenschaft ruiniere endgültig ihre Gesundheit. Ein Arrangement mit einer stadtbekannten Kurtisane akzeptierten alle Beteiligten, und es beendete das Gerede in der Stadt. Außerdem besaß der Senator unzählige Sklavinnen, die ihm bei Bedarf zur Verfügung standen. In späteren Jahren verließ Olympia nur das Bett, um an den Versammlungen der römischen Christengemeinde teilzunehmen. Die Christen glaubten an einen einzigen Gott und dessen Sohn, von dem es hieß, dass er viele Jahre zuvor auf Erden gelebt hatte. Der Senator, ein gebildeter Mann mit umfassendem Wissen, begriff nicht, wie seine Frau ihr Herz an diesen Hokuspokus hängen konnte. Doch die Abende in Gesellschaft ihrer Glaubensbrüder machten sie glücklich. Oftmals tauchte sie im Anschluss an das gemeinsame Abendmahl für ein paar Stunden aus ihrer Melancholie auf, und ihre Augen strahlten wie in ihrer Jugend.

Der Senator war ein mittelgroßer, kräftiger Mann von zweiundvierzig Jahren. Man kannte ihn nicht nur als Verehrer schöner Frauen, sondern auch als Genießer exquisiten Essens und süffiger Weine. Letztere genoss er zur Missbilligung seiner Frau meistens unverdünnt, ein Laster, dem er ein gerötetes Gesicht, den nicht zu übersehenden Bauchansatz Ersterem verdankte. Neben den leiblichen Genüssen liebte er die griechischen Philosophen, anregende Gespräche und Daphne, seine Tochter. Nur zwei Dinge in seinem Leben betrübten ihn, seine beginnende Glatze und dass ihm kein Sohn geboren worden war. Mit den Jahren fand er sich damit ab, dass er keine männlichen Nachkommen haben würde, und wandte sich seiner energischen kleinen Tochter zu, um die sich die Mutter immer weniger kümmerte. Häufig erzählte er dem aufgeweckten Mädchen aufregende Geschichten aus der griechischen Mythologie. Als Daphne älter wurde, ließ er sie in allen Wissenschaften der Zeit unterrichten. Senator Orestes war stolz auf Daphnes umfangreiche Bildung und ihre Schönheit: der Gedanke, sie an einen Ehemann zu verlieren, behagte ihm gar nicht.

Der Senator sah seine Tochter freundlich an und sagte:

„Daphne, morgen verlassen wir Roma vor Sonnenaufgang mit dem Cursus publicus (kaiserlichen Postdienst), um die ersten kühlen Stunden des Tages für unsere Fahrt nach Ostia zu nutzen. Das Schiff wird uns von Portus nach Rating (Catania) auf Sicilia bringen. Von dort aus ist es eine halbe Tagesreise bis zu dem Landgut des Kaisers. Er ist stolz auf sein prächtiges Anwesen mit dem großen und artenreichen Wildbestand. Es ist eine hohe Ehre, dass er uns zusammen mit wenigen Getreuen zur Jagd eingeladen hat.“

Daphne hatte sich auf ihr Sofa geworfen, das ihr Vater ihr für die vielen Stunden, in denen er sie unterrichtete, in sein Arbeitszimmer hatte stellen lassen. Sie hob den Kopf und fragte:

„Wer ist denn außer uns eingeladen, Vater, alte Kaiser und seine noch älteren Freunde oder auch junge Leute in meinem Alter?“

Der Senator lachte.

„Außer uns sind zwei Freunde des Kaisers eingeladen: Constantius, Maximians Prätorianerpräfekt mit seinem Sohn Konstantin, der etwas jünger ist als du. Der Zweite heißt Gaius Antonius Rufus Vitruv, ein Mann, von dem man in Zukunft noch viel hören wird. Er möchte dich gerne kennenlernen, teilte mir der Kaiser bei der letzten Audienz im Vertrauen mit.“

„Ach Vater, bring´ mich nicht schon wieder mit einem Langweiler zusammen, den ich heiraten soll. Du verdirbst mir den Spaß an der Reise.“

Dabei runzelte Daphne die Augenbrauen und zog die Mundwinkel nach unten, was ihr das Aussehen eines unzufriedenen Kindes gab.

„Daphne, du weißt, dass ich dich nicht zwinge, einen Mann zu heiraten, den du nicht willst. Ich behalte dich gerne bei mir. Aber ich lebe nicht ewig, und ohne eigene Familie wird es für dich eintönig werden. Jetzt genießen wir erst einmal zusammen die Reise, und im Anschluss sehen wir, wie wir deine Zukunft gestalten.“

Beruhigt rannte Daphne aus dem Arbeitszimmer und in den Schlaftrakt des Hauses. In ihrem Zimmer wartete Philomena minor, um ihr bei der Nachttoilette zu helfen.

Die Sklavin, eine Enkelin von Philomena Maior, der Amme ihrer Mutter, war Daphne zu ihrem dritten Geburtstag zu ihrer persönlichen Bedienung von ihrem Vater geschenkt worden. Mit Daphne aufgewachsen und erzogen, ihre Mutter starb bei der Geburt, kannte Philomena minor ihren Platz in dem großen Haushalt des Senators und war stolz auf ihn. Sie war ein dünnes Mädchen mit pechschwarzen Haaren, freundlich und ihrer Herrin bedingungslos ergeben. Freudig hatte sie alle von Daphne angezettelten Kinderstreiche mitgemacht, ließ sich aber von den Launen ihrer Herrin nicht aus der Ruhe bringen.

Wie stets, wenn Daphne ihr Zimmer betrat, betrachtete sie sich in dem Spiegel, der den größten Teil einer Wand einnahm. Er war ein Geschenk ihres Vaters, der sie oft liebevoll wegen ihrer Eitelkeit neckte. Daphne war mittelgroß mit kräftigem Körperbau und dicken, lockigen blonden Haaren, die Philomena ihr morgens modisch aufsteckte. Das jugendlich runde Gesicht mit den hohen Backenknochen und den grünen, schräg gestellten Augen beherrschte ein Mund mit vollen roten Lippen, die sinnliche Leidenschaft ausstrahlten. Mit ihrem Aussehen war Daphne zufrieden. Nur an manchen Tagen fand sie sich zu kräftig für eine Römerin aus vornehmer Familie und hätte einen zarteren Knochenbau wie den ihrer Mutter bevorzugt.

Daphne freute sich auf die Reise, war aber wie jedes Mal, wenn sie Roma verließ, etwas traurig: Sie liebte diese laute Stadt mit den mehrstöckigen Häusern, dem Menschengewirr in den Straßen, den schmalen, dunklen Gassen und den imposanten Foren und Plätzen.

Wie Daphne lebten ihre Freundinnen mit ihren Familien im Winter in luxuriösen Stadtpalästen, die inmitten riesiger Grundstücke lagen. Die Gärten der Häuser schmückten griechische Statuen, und in den Teichen tummelten sich farbenprächtige Fische. Dort tuschelten die verwöhnten Mädchen viele Nachmittage über die prächtige Zukunft, die sie erwartete. Im Sommer zogen die Familien auf ihre Landsitze in die kühlen Berge oder an das Meer. Häufig war es Daphne gelungen, zusammen mit der sich nur wenig sträubenden Philomena minor Philomena Maior zu entwischen und sich in einer Sänfte durch die Stadt tragen zu lassen. Daphne interessierte brennend, was in den Straßen passierte und wie andere Menschen in Roma ihre Tage verbrachten. Dennoch war sie immer erleichtert gewesen, wenn sich nach ihrer Rückkehr das Tor des Anwesens hinter ihr schloss, und der Lärm und Schmutz der Stadt draußen blieben.

Wie vom Senator angekündigt, standen die Wagen der kaiserlichen Post vor Sonnenaufgang vor dem Eingang der Villa. Der Kaiser hatte mehrere Praedae, vierrädrige, geschlossene Wagen mit vier Sitzplätzen, geschickt, die von jeweils vier auf Trense gezäumten Pferden mit durchbrochenem Mundstück gezogen wurden. Die Kutschen schmückten bronzene Verzierungen und Beschläge aus Silber.

Alle warteten auf Daphne, die sich wie häufig nicht entscheiden konnte, welches ihrer Schmuckstücke sie auf die Reise mitnehmen sollte. Kurz entschlossen wies sie Philomena an, die nervös an der Zimmertür wartete, den gesamten Schmuck einzupacken, aber ihrem Vater nichts zu verraten.

Ostia lag dort, wo der Tiberis in das Meer floss, eine halbe Tagesreise von Romas Stadtzentrum entfernt. Vorbei am Emporium, dem römischen Stadthafen mit seinen Lagerhallen, nahmen sie den kürzesten Weg: er führte über den Vicus Laci Miliari (Via Ostaiensis), passierte das pyramidenförmige Grab des C. Cestii, und verlief weiter durch das Tor Porto Ostasiens (Paulustor) in Richtung Ostia.

Während der Fahrt versuchte Daphne von ihrem Vater mehr über den Mann, zu erfahren, der sie heiraten wollte. Lächelnd schwieg der Senator und machte sich über ihre weibliche Neugierde lustig. Cornelius´ Entscheidung war noch nicht endgültig gefallen, er ahnte, dass es ein Wagnis war, seine Tochter diesem Mann anzuvertrauen. Die Gerüchte, die in Roma die Runde machten, hörten sich nicht vertrauenserweckend an. Für die Verbindung sprach, dass es sich bei dem Heiratskandidaten um einen Verwandten und Günstling Kaiser Maximians handelte. Eine Heirat würde die Stellung der Familie des Senators nicht nur in Roma, sondern im gesamten Römischen Reich aufwerten.

Am frühen Nachmittag erreichten sie die Porta Romana, das Stadttor von Ostia. In der Stadt gehörten dem Senator Schiffe, Lagerhallen und Kontore, die Marcellus, ein tüchtiger Freigelassener, verwaltete; denn Senatoren waren keine direkten gewerblichen Tätigkeiten erlaubt.

Sie fuhren entlang des decumanus maximus, der Hauptstraße der Stadt, und sahen die prächtige Therme des Neptunus (Neptun), das Theater, den Getreidespeicher und das Kapitol mit dem Tempel der Roma und des Augustus. Marcellus erwartete sie am Eingang des Hauses und begrüßte sie ehrerbietig. Er war ein großgewachsener Mann mit biegsamer Figur und tiefschwarzen gelockten Haaren, dessen Familie seit vielen Jahren zum Besitz des Senators gehörte, seine Eltern und Großeltern hatten als Haussklaven auf dem Anwesen der Familie in Roma gearbeitet. Schon als Kind war der gewitzte Junge dem Senator aufgefallen. Wiederholt erwischte er ihn dabei, wie er heimlich in der umfangreichen Bibliothek stöberte und versuchte, die Buchstaben auf den Papyrusrollen zu entziffern. Der Senator sorgte dafür, dass der Junge Unterricht in Lesen, Schreiben und Rechnen erhielt und eine kaufmännische Ausbildung abschloss. Im Anschluss übernahm Marcellus die Handelsniederlassung in Ostia. Er vermehrte das Vermögen des Senators so erfolgreich, dass dieser ihn vor dem dreißigsten Lebensjahr freiließ, einschließlich seiner Frau und Kinder. Zudem beteiligte er ihn am wirtschaftlichen Erfolg des Schiffskontors. Inzwischen war Marcellus zu beträchtlichem Reichtum gekommen. Bisweilen fragte sich der Senator, ob es nicht klüger wäre, ihn häufiger zu kontrollieren.

Die Stadt Ostia wurde laut einer marmornen Inschrift des 2. Jahrhunderts v. u. Z. durch den vierten König von Roma, Ancus Marcius, als Militärlager zum Schutz und zur Verteidigung von Roma und zur Kontrolle des Seehandels gegründet. Nach kurzer Zeit entwickelte sich das Lager zu einer pulsierenden Hafenstadt und zu einem wichtigen Stützpunkt der römischen Flotte. Im 2. Jahrhundert lebten in Ostia fünfzigtausend Einwohner, und die Stadt erlebte ihre größte wirtschaftliche Blüte. Handwerker wie Seilmacher, Schiffsbauer und Händler ließen sich nieder, um vom Schiffshandel zu leben, denn der Transport über die Meere versprach mehr Profit als über Land. Wichtigstes Handelsgut war das Getreide, das mit riesigen Schiffen von der Provinz Africa proconsularis nach Roma geschifft wurde, um dort die Plebejer zu ernähren.

Nach einer freundlichen Begrüßung geleitete Marcellus sie in das Haus. Daphne bewunderte die Mosaike, die die Fußböden vieler Räume schmückten. Erst zwei Jahre zuvor hatte ihr Vater den Auftrag gegeben, das Haus von Grund auf zu sanieren. Auch ihm gefielen die Böden, nur hatte er den Verdacht, dass die Mosaisten Anhänger des neuen Christengottes waren: Dargestellt waren hauptsächlich Fische, von denen man sagte, dass sie bei dem Gott Christen eine wichtige Rolle spielen würden.

Nach einem leichten Abendmahl und einer kurzen Nachtruhe fuhr die kleine Reisegesellschaft am nächsten Morgen in das nahe Porto, einem Stadtteil Ostias. Dort wartete das Schiff der Staatspost auf sie.

280 Jahre zuvor hatte die Verlandung des Meeres vor Ostia derart zugenommen, dass der Hafen kaum noch schiffbar war. Daraufhin ließ Kaiser Claudius, vier Kilometer nördlich an der Mündung eines Nebenarms des Tiberis, ein künstliches Hafenbecken ausheben und es durch einen Kanal mit dem Fluss verbinden. Kaiser Trajan baute ein zweites Hafenbecken, das größte der römischen Welt, dem zuerst gebauten vorgelagert.

Im Hafen Trajan, westlich von Porto, herrschte geschäftiges Treiben. Viele große und kleine Schiffe ankerten im Hafenbecken. Die Ladungen löschten Sklaven sowie freie römische Bürger, Letztere, um mit dem Verdienst ihren kläglichen Lebensunterhalt zu bestreiten. Sie luden die Ware auf Wagen und fuhren sie an den Kanal, der das Hafenbecken mit dem Tiberis verband. Von dort treidelten die wartenden Boote die Güter zum römischen Handelshafen Empori. Ware, die keinen Käufer fand oder später nach Roma verschifft werden sollte, lagerte in den Speichern von Porto und Ostia.

Daphne sah ihr Schiff schon von weitem, eine kleine Liburne, ausgestattet mit zwei Ruderreihen. Diese Segelschiffe wurden seit Jahren wegen ihrer Wendigkeit und Schnelligkeit bevorzugt von der staatlichen Post genutzt. Der Senator sah beunruhigt zu dem aufgeblähten Segel hinauf.

„Daphne, heute ist deine erste Seereise. Ich hoffe, du bist seefest, wir werden ein bewegtes Meer erleben.“

„Vater, ich weiß, dass ich das Schaukeln der Wellen vertrage. Ansonsten hätte ich dich gebeten, in Roma zu bleiben. Wie oft habe ich von der Terrasse unserer Villa in Baiae auf das Meer geschaut und mir gewünscht, es zu befahren. Sorge dich nicht um mich.“

Bald darauf verließen sie das Hafenbecken, Daphne stand auf Deck, um nichts zu verpassen. Um kein anderes Schiff zu rammen, segelten sie langsam vorbei an Lagerhäusern und an dem Leuchtturm, der über dem Wrack des Schiffes erbaut war, das unter Kaiser Caligula einen Obelisken aus der Provinz Aegyptus (Ägypten) nach Roma gebracht hatte.

„Sieh Vater, dort am Eingang des Hafens steht eine Statue des Gottes Poseidon. In den Händen hält er einen Dreizack und ein Zepter.“

„In vielen Häfen des Römischen Reiches bewacht Poseidon die Ein- und Ausfahrt der Schiffe, Daphne. Wie du weißt, ist er der Schutzgott der Meere, der Flüsse und der Erdbeben. Häufig wird seine Skulptur von einem Delfin und einem Seepferdchen begleitet.“

Wie der Senator es vorausgesehen hatte, war das Tyrrhenische Meer für diese Jahreszeit zu unruhig, sodass es den Ruderern schwerfiel, den Kurs zu halten. Dunkle Wellen donnerten an die Seiten des Schiffes und schwappten über die Reling. Daphne genoss die frische Seeluft und war kaum davon zu überzeugen, ihre Kabine aufzusuchen, um ihre nass gewordene Tunika zu wechseln.

Die Schiffsroute führte entlang der Westküste, vorbei an Neapolis (Neapel) durch die Straße von Messina, entlang der Ostküste von Sicilia nach Rating, wo sie den Anker warfen. Als das Schiff am Kai festgemacht hatte, kam ein stattlich aussehender Fremder an Deck. Er begrüßte sie mit eleganter, leicht angedeuteter Verbeugung und sagte mit melodischer Stimme:

„Verehrter Senator, ich habe die Ehre Sie im Namen unseres Augustus Maximian auf Sicilia begrüßen zu dürfen. Ich hoffe, Sie hatten eine ruhige Überfahrt, manchmal kann unser Meer tückisch sein.“

Der Fremde verbeugte sich ein zweites Mal und stellte sich als Gast des Kaisers mit Namen Gaius Antonius Rufus Vitruv vor. Der Mann betonte, dass es ihm nicht nur eine Ehre, sondern ein Vergnügen sei, die hochverehrten Gäste zu ihrem Reiseziel zu begleiten.

Nachdem ihr Gepäck verstaut war, wurden sie unter dem Schutz kaiserlichen Soldaten und dem Beifall Schaulustiger, die die staubigen Wege säumten, in das nahegelegene Haus des Provinzstatthalters geleitet. Vor der Weiterreise ins Landesinnere würden sie dort eine Erfrischung zu sich nehmen.

In Vertretung des Statthalters, der auf einer Inspektionsreise auf der Insel Sardinia (Sardinien) weilte, begrüßte sie sein Stellvertreter. Ungeübt im Umgang mit kaiserlichen Gästen wedelte er mit ständigen Verbeugungen aufgeregt um sie herum. Im triclinium waren alle Köstlichkeiten Sicilias aufgetischt. Daphne beteiligte sich wenig an der munteren Unterhaltung. Denn sie erkannte, dass es sich bei dem Fremden um den Mann handelte, von dem ihr Vater ihr am Abend vor ihrer Abreise erzählt hatte, der Mann, der sie heiraten wollte.

Vitruv, ein entfernter Verwandter und Jugendfreund Kaiser Maximians aus der Provinz Pannonia, hatte sich über die Militia equestris, die ritterliche Laufbahn, in der Armee hochgedient und deren vier Rangstufen durchlaufen. Zuletzt kämpfte er unter dem Oberkommando Kaiser Maximians als praefectus alae milliariae (Kommandant einer Reitereinheit von 1000 Mann) gegen die Germanen an den Grenzen von Gallia. Mit Kaiser Diocletian hatte er am Denuvius gegen die Goten gekämpft. Kaiser Maximian war im April des Jahres 286 von Kaiser Diocletian zum Augustus des Westens ernannt worden. Beide Augusti planten, Vitruv im Jahr 288 zum Statthalter der neu geschaffenen Provinz Belgica prima zu ernennen.

Auf Daphne wirkte Vitruv wie ein Wesen aus einer anderen Welt; er glitzerte und schimmerte, wie sie es noch nie bei einem Menschen wahrgenommen hatte. Für den Rest der Reise sah sie verwirrt auf ihre Füße und brachte entgegen ihrer Gewohnheit kaum ein Wort heraus. Erst am Abend, als sie endlich in ihrem komfortablen Bett lag, beruhigte sich ihr Herz.

Nach dem köstlichen Mahl, von dem Daphne nur Häppchen zu sich nahm, verließen sie mit vielen höflichen Dankesbezeugungen ihren erleichterten Gastgeber. Unter Hurrarufen der Bevölkerung stiegen sie in die bequemen kaiserlichen Reisewagen und fuhren über die vortrefflich ausgebaute Via Publica, die von Rating nach Agrigentum (Agrigent) führte. Bei Castrum Hennae (Enna) verließen sie die Straße, und befestigte Wege führten sie ins Landesinnere. Nach mehr als dreißig Kilometern bogen sie in eine Allee ein, die sie an ihr Ziel brachte.

Die Villa Kaiser Maximians stand unterhalb des Hügels Monte Mangone, der auf einem halbkreisförmigen Plateau am linken Hang eines kleinen Tals lag, durch das der Fluss Gela floss.

Geschickt hatte der Architekt die Hanglage der Terrains ausgenutzt und den Bau über drei Ebenen errichtet. Als Erstes sah man die Thermen, erbaut in der gleichen axillaren Abfolge wie die von Roma.

Der Senator und Daphne stiegen aus, und Vitruv geleitete sie zu dem monumentalen dreitorigen Eingang, in dessen Nischen Wasserbecken eingelassen waren und Seerosen schwammen. Das mittlere Tor führte zu einem mit Marmorsäulen eingefassten Hof mit einem Boden, den ein zweifarbiges Mosaik in Schuppenmusterung schmückte. In der Mitte des Hofes stand ein quadratischer Springbrunnen, aus dem Fontänen in die Luft stiegen. Hier kam ihnen der Haushofmeister des Kaisers mit Namen Plautus entgegen, ein kleingewachsener schmächtiger Mann, dessen leicht nach vorn gebeugter Oberkörper die dienende Haltung seines Amtes angenommen hatte. Während er sich mehrmals tief verbeugte, begrüßte er sie leise mit hoher Stimme im Namen seines Herrn. Wenige Jahre zuvor hatte Kaiser Maximian Plautus in der Provinz Hispania kennengelernt. Schnell erkannte er die Fähigkeiten des Sklaven, kaufte ihn seinem Besitzer, dem römischen Statthalter der Provinz, für wenig Geld ab und rettete ihn damit vor der Kreuzigung. Plautus hatte sich des Mordes an einem Nebenbuhler schuldig gemacht: Ein Streit um die Gunst eines zarten Knaben eskalierte, und kurzerhand erschlug Plautus den Mann mit der Axt. Kaiser Maximian setzte ihn in seiner Residenz in Mediolanum als Haushofmeister ein und wirbelte damit die Hierarchie innerhalb der Dienerschaft kräftig durcheinander, denn viele der altgedienten Höflinge hatten sich auf das einflussreiche Amt Hoffnung gemacht. Bis zu seinem frühen Tod, der ihn durch das Messer eines Lustjungen in einem dunklen Nebenzimmer einer Spelunke in Roma ereilte, war Plautus seinem Herrn treu ergeben. Überall spitzte er für Maximian seine Ohren, und nicht nur die Sklaven fürchteten ihn. Auch Eutropia, Maximians Ehefrau, und sein Sohn Maxentius, ein wilder Junge mit schielendem Blick, der selten vor etwas Angst hatte, bemühten sich Plautus nicht zu verärgern. Jetzt ließ Plautus es sich nicht nehmen, die verehrten Gäste in ihre Zimmer im Gästetrakt der Villa zu geleiten, wo sie Gelegenheit erhielten, sich von der anstrengenden Reise zu erholen.

Am frühen Abend holten sie prächtig gekleidete Haussklaven aus ihren Gästezimmern ab. Sie geleiteten sie durch das Peristylium, einem von Säulen umgebenen Hof, und weiter durch einen Innenhof. Dann durchquerten sie den „Wandelgang der großen Jagd“, der aufwendig mit Jagdszenen ausgeschmückt worden war, und gelangten in den Audienzsaal der Villa. Der rechteckige Raum endete an der Kopfseite in einer Apsis, in der eine marmorne Statue des Herkules stand.

Kaiser Maximian empfing sie sitzend auf einem Thron in der Apsis, deren Fenster reich verzierte Lünetten (Bogenfelder) schmückten. Tiefer standen, seine Ehefrau Eutropia und ein großer freundlich lächelnder Mann, dessen ausdrucksvolle Präsenz nur Maximian nicht in den Hintergrund treten ließ. Als der Senator und Daphne dem Kaiser die Ehre erweisend sich auf die Knie niederließen, um den Saum der kaiserlichen Tunika zu küssen, erhob sich Maximian und half dem Senator, sich wiederaufzurichten.

„Mein lieber Freund, ich bitte Euch, lassen wir die Förmlichkeiten, wir sind hier unter uns. Meine Frau und ich freuen uns, dass Ihr den Weg in unsere kleine Sommerresidenz gefunden habt, um mich auf der Jagd zu begleiten. Aber ich vermisse Eure verehrte Frau, sie ist doch eine Berühmtheit. Wer hätte gedacht, dass unser verehrungswürdiger Kaiser Gallienus nicht nur seine kluge Salonina zu schätzen wusste, sondern auch die Vorzüge frischer junger Mädchen kennengelernt hat. Meine Eutropia hat sich sehr gefreut, den Spross der Lenden unseres Gallienus, ihre verehrte Gemahlin, kennenzulernen.“

Mit dröhnendem Lachen klopfte sich der Kaiser auf die Schenkel, während Eutropia peinlich berührt zur Seite blickte. Der Senator überging die Anspielungen auf die kaiserliche Herkunft von Olympia und bedankte sich mit einer tiefen Verbeugung für die Einladung.

„Imperator, ich bedauere außerordentlich und bitte Euch untertänigst um Verzeihung, dass meine Ehefrau nicht hier sein kann. Sie fühlt sich durch Eure Einladung hochgeehrt. Meine Frau ist seit Jahren leidend, und ihre angegriffene Gesundheit gestattet es ihr nicht, in dieser heißen Jahreszeit die lange Reise zu bewältigen. Ich überbringe Euch und Eurer verehrten Frau Gemahlin ihre Grüße und ihr Bedauern, nicht hier sein zu können.“

„Dann wird sich meine Eutropia allein amüsieren müssen, während wir auf die Jagd gehen, Senator. Aber wer ist denn die Schönheit neben Euch, Eure jugendliche Konkubine?“

„Imperator, darf ich Euch mein einziges Kind, meine Tochter Daphne, vorstellen, sie ist überglücklich hier sein zu dürfen.“

„Meine Liebe“, sagte der Kaiser und wandte sich Daphne zu, „ich hoffe, das Meer war Euch wohlgesonnen und Ihr habt die Reise gesund überstanden. Ihr seht mir weitaus kräftiger aus als Eure verehrte Frau Mutter.“

Der Kaiser lachte dröhnend.

„Abgesehen vom pannonischem Blut, das unvergleichlich ist, verbessert ein guter Schuss kräftigen latinischen Blutes jedes Geschlecht, auch Göttliches. Jetzt aber zu wichtigeren Dingen: Hat mein Freund Gaius Antonius Rufus Vitruv Euch interessant unterhalten?“, fragte leicht lächelnd der Kaiser, als wenn er sie foppen wollte.

Daphne, die die Anspielung auf die Herkunft ihrer Mutter eines Kaisers für unwürdig hielt, antwortete schnippisch:

„Imperator, ich bedanke mich für die Einladung. Um Eure Fragen zu beantworten: Ja, die See war ruhig und die Reise hat mich nicht angestrengt. Was Herrn Vitruv betrifft, er empfing uns auf das Freundlichste. Ob er unterhaltsam ist, konnte ich bisher nicht feststellen.“

„Mir dünkt, hier ist eine junge Dame mit schneller Zunge. Sie wird genügend Zeit bekommen, die vielen Vorzüge meines alten Freundes kennenzulernen“, antwortete Maximian hintergründig lächelnd.

„Senator, hattet Ihr Gelegenheit, Euch mit Constantius, einem anderen guten Freund und Gefährten aus meinen Jugendtagen in Pannonia (Pannonien), bekannt zu machen?“

Maximian zeigte auf den imposanten Mann, der vortrat und sich verbeugte.

„Wir haben Großes mit ihm vor, wenn er klug handelt. Aber genug der Konversation, ich habe einen Bärenhunger. Eutropia, mein Häschen, ich hoffe, du hast dafür gesorgt, dass etwas Ordentliches auf den Tisch kommt.“

Mit diesen Worten stand der Kaiser auf, klopfte seiner Frau auf das prächtig entwickelte Hinterteil und bot Daphne galant die Hand. Die kleine Gesellschaft ging durch lange Flure mit Mosaikfußböden und bemalten Wänden in das Triclinium. Während des zehngängigen Banketts drehte sich die Unterhaltung hauptsächlich um die Jagd, die am morgigen Tag bei Sonnenaufgang beginnen sollte.

Daphne lag auf dem Ehrenplatz neben dem Kaiser, der ihrer Mutter zugedacht war. Sie fühlte sich unwohl neben Maximian, der sie nicht weiter neckte, sondern sie nicht beachtete.

Wie Daphne im Audienzsaal bemerkt hatte, versteckte Maximian seine einfache Herkunft nicht. Mehrmals trafen ihn die strafenden Augen seiner Frau, die eingerahmt zwischen Vitruv und Constantius ihm gegenüberlag: Dröhnend lachte er auf seine zweideutigen Witze am meisten oder verschmähte das Messer beim Zerkleinern der Braten.

Den gesamten Abend klopfte Daphnes Herz. Sie wagte nicht, Vitruv anzuschauen, der, ohne sie aus den Augen zu lassen, sich ruhig mit Eutropia und Konstantin, dem dreizehnjährigen Sohn von Constantius, unterhielt. Wie Philomena von der Dienerschaft erfahren hatte, stammte Konstantin aus einer eheähnlichen Verbindung mit einem Schankmädchen mit Namen Helena aus dem kleinasiatischen Bithynia. Seit einiger Zeit drängte Kaiser Maximian Constantius, sich aus dynastischen Gründen von Helena zu trennen und seine Stieftochter Theodora aus einer früheren Beziehung von Eutropia zu ehelichen. Constantius, ein Mann mit zuvorkommender Art, weigerte sich bisher, Helena, mit der er, seit Konstantins Geburt zusammenlebte, zu verlassen. Theodora, eine ältliche Jungfrau mit hervorstehenden Augen, fliehendem Kinn und plumper Gestalt, lag neben Konstantin und sah immer wieder hoffnungsvoll in Richtung Constantius. Aufmerksam beobachtete Konstantin die Gesellschaft aus altklugen Augen. Nur wenn Vitruv das Wort an ihn richtete, hellte sich sein Blick auf, und er antwortete mit lebhafter Gestik und Mimik.

Als Daphne am Abend todmüde in ihrem komfortablen Bett lag, konnte sie nicht entscheiden, ob ihr Vitruv gefiel oder nicht. Wenn sie daran dachte, dass sie ihn morgen wiedersehen würde, fühlte sie ihr Herz hart in der Brust schlagen und ihr Atem ging schnell. Philomena, die sie ins Vertrauen zog, fand ihn ausgesprochen gut aussehend: Seine große, schlanke Erscheinung, der schmale Kopf mit den schwarzen Haaren, die prägnante gebogene Nase und die glühenden dunkelbraunen Augen, die funkelten, wenn der schmallippige Mund sich zu einem kaum wahrnehmenden Lächeln verzog. Vitruv strahlte etwas aus, das Daphne nicht kannte und ihr, Angst machte.

Zu ihrer Enttäuschung sah sie Vitruv in den nächsten Tagen nur abends beim Essen, bei dem die Gespräche sich hauptsächlich um die Jagderfolge des Kaisers drehten. Wenn die Gäste Maximian genug gewürdigt hatten, speziell auf die Verehrung seiner Eutropia legte er Wert, trug der Hofpoet Panegyrici (Lobreden) vor: Sie verglichen Maximian mit Herkules und dessen Heldentaten, wobei die Erfolge des Kaisers mindestens als ebenbürtig gepriesen wurden.

Manchmal nahmen der Kaiser und seine männlichen Gäste die Abendmahlzeit ohne die Damen ein, um ungestört über die kaiserlichen Zukunftspläne für das Römische Reich zu sprechen: Zu Beginn des Jahres 286 hatte Kaiser Diocletian begonnen, eine landesweite Verwaltungsreform durchzuführen und die römischen Provinzen neu geordnet. Belgica teilte er auf in die Provinzen Belgica I und Belgica II. Belgica I (Belgica Prima) lag rund um die Mosella (Mosel) mit der Hauptstadt und Kaiserresidenz Augusta Treverorum, seit Jahren Sitz des gallischen Finanzprokurators, dessen Amtsbereich die Provinzen Gallia, Britannia (Großbritannien) und Hispania umfasste. Belgica II (Belgica Secunda) reichte von der Provinzhauptstadt Remorum Civitas (Reims) bis zum Ärmelkanal. Beide Belgica bildeten mit den bisherigen Provinzen Lugdunensis, Germania superior und inferior, Sequana, Alpes Graiae und Poeninae die Diözese Gallia, die der Praefectus praetorio Galliarum, der Prätorianerpräfekt von Gallia, leitete. Seine Residenz sollte ab 318 in Augusta Treverorum sein.

Weiterhin planten die Kaiser, Roma mit einer neuen Therme zu verschönern, die mit noch größeren, noch glanzvolleren Mosaikfußböden und Statuen ausgestattet werden sollte als die Therme von Caracalla. Außerdem gab es den Plan, die von einem Brand zerstört Curia Senatus (Senatsgebäude) wiederaufzubauen.

Zu später Stunde beglückten Schauspielerinnen die Herrenrunde. Die schönen jungen Frauen sangen und spielten dazu auf der Lyra, auf Flöten und der Kithra (griechisches Saiteninstrument). Theaterstücke kamen zur Aufführung, man aß gut und viel und trank ausgiebig gewürzten Wein. An einem Morgen sah Daphne die Mädchen durch eine Seitentür still das Haus verlassen.

Während die Männer jagten, amüsierten sich die Frauen bei Musik, Gesang und sportlicher Betätigung. Nach anfänglichem Zögern hatte Daphne sich von Eutropia überreden lassen, beim Ballspiel, Wettlauf und gymnastischen Übungen ihre gewohnte Kleidung abzulegen. Wie sie es bei den Frauen in den Caracalla-Thermen gesehen hatte, behielt sie nur das Fascia pectoralis (Brustband) an. Um ihre Hüften schlang sie das subligar(wollenes Hüftband), wie Männer es trugen. Philomena, die ihr bisher vom Ablegen der Kleider mit dem Hinweis auf ihre Jugend abgeraten hatte, runzelte die Stirn und zog sich leise grollend zurück.

Nachmittags besuchte Daphne zusammen mit den Frauen die prächtigen Thermen. Dabei ging es laut zu, Theodora stritt sich ständig mit ihrer Mutter über ihren mangelnden Erfolg bei Constantius.

„Theodora, du dummes Huhn, so eine Gelegenheit bekommst du niemals wieder. Der Mann sieht gut aus, ist freundlich und wird bald zum Caesar ernannt. Er ist deine Zukunft. Anstatt auf deinem dicken Hintern zu sitzen, dich mit Essen vollzustopfen und ihn mit deinen Fischaugen dämlich anzustarren, solltest du ihn beim Essen bedienen und dich dabei vorbeugen, damit er deine schönen Brüste sehen kann. Wie erzählt wird, ist seine Stallmagd von herausragender Schönheit. Nimm dir ein Beispiel an der Kleinen hier“, und sie zeigte auf Daphne, „bevor die Woche endet, hat sie sich den attraktivsten Mann von Roma geangelt.“

„Mutter, ich kann das Gezeter nicht mehr hören, was soll ich machen, wenn er mich nicht will.“

„Dein Stiefvater, unser geliebter Imperator, muss noch einmal mit ihm sprechen. Wenn wir nicht bald einen adäquaten Mann für dich finden, kannst du einen Bauern heiraten.“

Nach drei Tagen gesellte sich Konstantin zu den Frauen. Er hatte sich beim Jagen eines Ebers an der Wade verletzt und sah gelangweilt den Vergnügungen der Frauen zu. Still schloss er sich Daphne an, die der einzige Gast in seinem Alter war. Der Junge, der bisher bei seiner Mutter in geordneten Verhältnissen aufgewachsen war, fühlte sich einsam und in der prächtigen kaiserlichen Umgebung unsicher. Hinzu kam, dass er nicht nach Naissus (Nis) zu seiner Mutter zurückkehren würde, sondern am Hofe Kaiser Diocletians in Nikomedia erzogen werden sollte, wie sein Vater eines Abends erzählte. Daphne hatte Mitleid mit dem Jungen, dessen Gesicht viele Pickel verunzierten und der nicht genau wusste, welches seiner langen Gliedmaßen er als Erstes bewegen sollte. Zusammen durchstreiften Daphne und Konstantin den weitläufigen Park des Anwesens und bewunderten die exotischen Fische in den Teichen, die seltenen Tiere in den Gehegen und die kunstvollen Wasserspiele.

Konstantin stellte sich als scharfsichtiger Beobachter heraus, der Daphne zum Lachen brachte, wenn er die Gäste der Jagdgesellschaft imitierte. Beide hatten so viel Spaß miteinander, dass Daphne ihre anstehende Heirat vergaß und der schillernde Vitruv ihre Gedanken nicht mehr beherrschte.

Die folgenden Tage lag Daphne beim Abendessen neben Vitruv, der mit angedeutetem Lächeln und Blicken aus den schwarzen, schweren Augen sie mit Geschichten aus der römischen Gesellschaft unterhielt. Eines Abends rief ihr Vater sie in sein Zimmer und eröffnete ihr, dass Vitruv bei ihm um ihre Hand angehalten hatte.

„Mein liebes Kind, Vitruv hat eine große Zukunft vor sich, der Kaiser plant, ihn zum Statthalter der Provinz Gallia Belgica prima zu berufen. Wer weiß, welche ehrenvollen Aufgaben ihn noch erwarten. Leider entstammt er keiner alten Familie, was deine Mutter gegen eine Verbindung einnehmen wird. Aber er ist ein weitläufiger Verwandter Kaiser Maximians, und Kaiser Diocletian vertraut ihm uneingeschränkt. Ihr werdet Zugang zum Hofe haben, mit allen Ehren und Vorteilen, die das hohe Amt mit sich bringt. Dazu sieht er gut aus, was nicht unwichtig für eine junge Frau ist.“

„Vater, heißt das, dass ich, wenn ich ihn heirate, in Gallia leben muss?“

„Ja, und das ist für mich der einzige Wermutstropfen bei der Verbindung, ich werde dich schrecklich vermissen.“

Daphne ging im Geiste die Reihe ihrer Verehrer durch, da war keiner, den zu heiraten sie reizte. Es gab jemanden, einen jungen Mann aus guter Familie mit schwarzen dichten Haaren und glänzenden braunen Augen, der aber bisher keinen Versuch unternommen hatte, ihr näher zu kommen. Zum Missfallen von Philomena Maior hatte sie ihm mehr als einmal dazu die Gelegenheit gegeben.

„Vater“, sagte Daphne und umarmte den Senator, „ich heirate Vitruv. Ich werde dich und Roma schrecklich vermissen, aber ich freue mich darauf, Gallia und Augusta Treverorum kennenzulernen. Wir besuchen uns mindestens einmal im Jahr, Gallia ist nicht so weit entfernt von Roma wie die Provinzen Africa proconsularis oder Aegyptus.“

Am nächsten Tag lud Vitruv Daphne zu einem Spaziergang in den Park der Villa ein. Beide schwiegen, bis er sie bat, sich mit ihm auf eine Bank zu setzen, die an einem der Teiche stand.

„Daphne, ich habe das Einverständnis Eures Vaters Euch zu fragen, ob Ihr meine Frau werden möchtet.“

Dabei streichelte er ihr leicht über die unbedeckten Arme.

„Ihr seid ein schönes und vor allem kluges Mädchen, dem es gelingen wird, mich zu akzeptieren, wie ich bin. Ich kann Euch, als meine Frau ein ehrenvolles Leben in Luxus bieten. Euer Vater hat Euch berichtet, dass Kaiser Maximian mich zum Provinzstadthalter berufen wird. Gallia hat schwere Jahre mit vielen blutigen und zerstörerischen Germaneneinfällen hinter sich. Es ist mir eine Ehre, dabei zu helfen, es wiederaufzubauen und den Menschen bessere Lebensbedingungen zu schaffen.“

„Vitruv, ich freue mich, Eure Frau zu werden. Sollte es sich herausstellen, dass ich es bei den wilden Galliern nicht aushalte, verlasse ich Euch und kehre nach Roma zurück.“

Vitruv lachte und streifte mit seinem Mund leicht über ihre Wange.

„Meine Liebe, auch ich gehörte wie unsere geliebten Kaiser vor noch nicht langer Zeit zu den Wilden. Das Römische Reich besteht seit Jahrhunderten aus vielen verschiedenen Völkern, und es werden immer mehr, die Germanen stehen erneut an unseren Grenzen. Alle wollen an unserem Wohlstand teilhaben. Daphne, du bist zäh und wirst dich schnell an das raue Leben im Norden gewöhnen.“

Als Daphne am Abend in ihrem Bett lag, gestand sie sich ein, dass sie enttäuscht war. Was Vitruvs glühende Blicke versprachen, war von ihm bisher nicht eingelöst worden: Der zarte Kuss auf die Wange war etwas mager. Daphne nahm sich vor, bei ihrer nächsten Begegnung ihre Reize spielen zu lassen, vielleicht brauchte der Mann Ermutigung.

Vom Senator und Vitruv über die vereinbarte Verbindung am selben Tag informiert, zeigte sich der Kaiser hoch erfreut.

„Mein lieber Vitruv, dein Glück ist größer als dein Verstand. Eine reiche und gebildete Schönheit aus einer der ersten Familien des Reiches. Ich werde dir zur Hochzeit eine prächtige Stadtvilla in Augusta Treverorum schenken, damit du schnell bei Hofe bist, wenn ich dich brauche.“

Glücklich klatschte der Kaiser in die Hände.

„Was jetzt noch fehlt, ist eine geeignete Frau für meinen Freund Constantius. Allerdings kann ich verstehen, dass ihm die Entscheidung schwerer fällt als dir, Vitruv, Theodora ist keine Augenweide. Aber er muss sich entscheiden, oder seine Zukunft wird nicht so glanzvoll sein wie Diocletian und ich uns das vorstellen. Zum Wohle unseres Römischen Reiches planen wir, in nicht allzu ferner Zukunft zwei Cäsaren zu ernennen, einen für den Osten und einen für den Westen. Constantius ist mit seiner Erfahrung als Tribun und Protektor ein guter Kandidat. Bis es so weit ist, wird Diocletian ihn zum Statthalter der Provinz Dalmatiarum (Dalmatien) ernennen, aber nur unter der Voraussetzung, dass er sich mit meiner Familie verbindet.“

Befriedigt gab der Kaiser am nächsten Abend die noch inoffizielle Verlobung seiner Stieftochter Theodora mit Constantius bekannt. Die Braut strahlte den Bräutigam an, der gequält den Boden betrachtete. Mit einem Aufschrei rannte Konstantin bei der Ankündigung aus dem Saal und zog sich bis zur Abreise in sein Zimmer zurück. Am selben Abend informierte der Kaiser die versammelte Gesellschaft, dass er die Jagd abbrechen müsse, um nach Gallia zurückzukehren. Ein Bote war mit der Nachricht eingetroffen, dass Germanen den erneut überschritten hätten und römischen Boden verwüsteten.

Am nächsten Tag verließ der Kaiser in Begleitung Vitruvs Sicilia, ohne dass sich eine Gelegenheit für ein weiteres Zusammentreffen mit Daphne ergab. Auch Constantius reiste ab, um seinen Sohn nach Nikomedia zu bringen. Konstantin, wieder scheu und still, verabschiedete sich linkisch vom Senator und Daphne. Vater und Tochter verbrachten noch einige Tage ungestörten Zusammenseins auf Sicilia, bis sie die Insel verließen. Ein gewaltiger Sturm zwang Daphne, die Fahrt über das Mare Nostrum (Mittelmeer) unter Deck in ihrem Bett zu verbringen.

Daphne und der Kaiser

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