Читать книгу Was wäre, wenn ... - Angelika Rohwetter - Страница 46
3.3 Über-Ich und Ich-Ideal
ОглавлениеGanz gleich, ob Sie tiefenpsychologisch oder verhaltenstherapeutisch arbeiten, die Begriffe Über-Ich und Ich-Ideal helfen, um die Psychodynamik dessen zu verstehen, was wir Glaubenssätze nennen. Beide Begriffe stammen von Freud, er verwendet sie manchmal synonym (in Das Ich und das Es, 1923), manchmal unterscheidet er sie. Im zweiten Fall enthält das Über-Ich die Summe aller elterlichen Ge- und Verbote, es verkörpert also die Gesetze und wirkt als Richter (vgl. Laplanche & Pontalis, 1978, S. 540ff.). Das Ich-Ideal ist eine Art »Vorbild, an das das Subjekt sich anzugleichen sucht.« (ebd., S. 203). In diesem Ideal von sich selbst, dass jeder Mensch in sich trägt, sammeln sich noch andere Ansprüche, kollektive, ideologische und religiöse, so wie das Mutter-Ideal, mit dem meine Patientin aus dem obigen Beispiel so kämpfte. Den beiden Instanzen oder Funktionen, Über-Ich und Ich-Ideal ist es zu verdanken oder anzulasten, dass wir uns so schwer von Zuschreibungen lösen können, die uns in der Kindheit gegeben wurden. Sie stehen zu einem großen Teil unserem Bewusstsein nicht zur Verfügung, wir handeln einfach danach, manchmal mit einem Gefühl von Unbehagen. Frau C. ( Kap. 3.2) spürte neben ihren Schuldgefühlen immer auch eine Ambivalenz: Ja, vielleicht müsse sie alle diese Ansprüche (an sie als Mutter) erfüllen, aber sie wünsche sich doch auch etwas anderes. Diese Ambivalenz wurde in behutsamer und geduldiger Arbeit aufgedeckt. Hierbei stelle ich immer wieder die Frage: »Wer sagt das?«
Gleichzeitig benutze ich verschiedene darstellende Spiele, um beide Seiten voneinander zu trennen. So saß zum Beispiel auf einem Stuhl das Ich-Ideal, auf dem anderen das (erwachsene!) Ich. Oder es gab die Stimme des rigiden Anteils und das kleine Mädchen, das eingeschüchtert glaubte und befolgte, was man ihm sagt. Bei dieser Arbeit mit inneren Anteilen, den Ego-States ( Kap. 4Wollen wir das mal spielen?) braucht es allerdings immer auch einen Beistand, ein gutes Objekt, dass dem Kind zur Seite stand. Ich war stolz darauf, dass am Ende die Patientin diese Rolle selbst übernehmen wollte.
Damit sind wir dann der Selbsterkenntnis, der Ressourcennutzung und der Selbstakzeptanz der Patientin nähergekommen. Wir können uns im Leben und im psychischen und sozialen Wachstum umfangreich verändern, wir können neue Reaktionsformen finden, Stereotypen ablegen, ruhiger und mitfühlender handeln. Und schon das sind Entwicklungen, die über einen einzelnen Therapieprozess hinausgehen. Nicht umsonst spricht Freud von der »endlichen und der unendlichen Analyse« (1937). Dieses Statement gilt natürlich für jede Form der Therapie, weshalb es auch keineswegs falsch ist, nach einiger Wartezeit eine weitere Therapie zu beginnen. Die Wartezeit gilt der Integration des bisher Erarbeiteten. Neben den Entwicklungen, die möglich sind, braucht es auch die Akzeptanz dessen, was nicht zu ändern ist. Sheldon Kopp (1929–1999), ein erfahrener, Bücher schreibender Therapeut, beschreibt, wie er sich bei den kleinen Smalltalks, die sich zwischen den Sitzungen eines Kongresses entwickelten, immer noch ängstlich und unsicher fühlte: »Ich bin eben schüchtern. Ihr könnt es mögen oder nicht. Es ist das Beste und das Schlechteste von mir; nur das Zudecken, das Verstecken, das Weglaufen, das bin ich nicht. Doch, all das, was ich nicht bin, bin ich auch« (Kopp, 1985, S. 190ff.).
Folgende Übung kann allen oben genannten Sätzen von Ich-Ideal und inneren wie äußeren Kritikern entgegengehalten werden: