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4. Ehe als Lebensziel

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Unter diesen Umständen verwundert es nicht, dass Heirat für beide Geschlechter ein erstrebenswertes Ziel war, da sie die Lage des männlichen wie des weiblichen Individuums zu verbessern versprach. Im hier behandelten Zeitraum, dem „Jahrhundert der Frauen“, sollte die Ehe weiterhin als Dreh- und Angelpunkt einer gelungenen Lebensführung gelten. Im Normalfall hatte der Mann verheiratet zu sein. Starb seine Frau oder wurde die Ehe geschieden, so trachtete er in der Regel danach, binnen kurzer Zeit wieder zu heiraten. Fühlte er sich für eine weitere Ehe zu alt, übergab er den Hof oder die Werkstatt seinen Erben und zog sich auf das Altenteil zurück. Für die Übergabe des Hofes war in der Regel wiederum die Heirat des Erben Bedingung. Ähnliches galt für die verwitwete Bauers-, Handwerker- oder Handelsfrau. Auch sie stand unter dem Druck, sich wieder zu verehelichen oder den Hof, die Werkstatt oder das Geschäft zu übergeben. Zwar gab es auch Frauen, die als Witwen oder geschiedene Frauen ihre Geschäfte selbstständig betrieben, doch einfacher war es wohl für sie zu heiraten, um der Hausgemeinschaft wieder das gewohnte Ehepaar voranzustellen.

Wenn Männer aus gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Gründen auch allen Grund zur Heirat hatten, so gab es doch hier einen entscheidenden Unterschied zwischen den Geschlechtern: Bei Männern rüttelte der Ledigen-Status oder Witwenstand weniger an den Festen ihres Selbstverständnisses. Frauen, die auf die Rolle als Ehefrau und Mutter festgelegt waren und deren ganze Sozialisation auf die „erfolgreiche Heirat“ hinauslief, hatten ihr Lebensziel verpasst, wenn sie ledig (und kinderlos) blieben. Für Männer mag die Ehelosigkeit und/oder das Fehlen von Erben auch schmerzhaft gewesen sein, ihnen bot sich in einem solchen Fall jedoch durch berufliche Optionen ein anerkanntes Lebensmodell, das sie weniger abhängig von privaten Konstellationen machte. Erfolg im Beruf verhalf auch unverheirateten Männern zu dem Nimbus eines gelungenen Lebens, ohne dass sie in einen prinzipiellen Rollen-konflikt gerieten oder in große Identitätskrisen geraten mussten.

Alternative Lebensentwürfe

Zu den Personen, deren Namen im Text fett gesetzt sind, finden sich im Anhang biografische Skizzen (S. 166–174).

Frauen dagegen, die ein selbstbestimmtes Leben einer Ehe vorzogen, stießen mit ihrem Wunsch auf einen alternativen weiblichen Lebensentwurf noch bis weit in das 20. Jahrhundert auf wenig Verständnis und mussten sich damit auseinandersetzen, dass ihre Weiblichkeit massiv infrage gestellt wurde. Wenn auch ehelose Männer ebenso wie unverheiratete Frauen im 19. Jahrhundert kein normgerechtes Leben führten, so waren ledige Frauen doch viel größeren Diskriminierungen ausgesetzt als unverheiratete Männer. Viele Frauen willigten deshalb wohl lieber in eine Ehe mit einem wenig passend scheinenden Mann ein, als dass sie offenen Auges das Schicksal einer „alten Jungfer“ auf sich genommen hätten. Ganz anders Fanny Lewald die sich gegen den ausdrücklichen Wunsch ihres Vaters bewusst gegen die Ehe und für ein Leben als Schriftstellerin entscheiden sollte.

Quelle

Die Heiratsverweigerung der Schriftstellerin Fanny Lewald

Fanny Lewald: Meine Lebensgeschichte, 3 Bde., Berlin 1861–1862, hier Bd. 2, S. 183–185.

Eines Vormittags …sah ich… den Vater mit zwei andern mir unbekannten Männern bei einem Glase Wein am Fenster sitzen. … Darin lag an und fürsichnichtsAuffallen- des, denn es kam öfter vor, daß der Vater einen seiner Geschäftsfreunde, wenn er längere Auseinandersetzungen mit ihm hatte, in die Wohnung hinauf nötigte …

Der Ältere war ein Kaufmann aus einer Provinzialstadt, der andere, ein Mann in der Mitte der dreißiger Jahre, ein zum Landrat erwählter Assessor, der in einer der unwirtbarsten Gegenden der Ostprovinzen seinen Wohnsitz hatte.

… an einem Nachmittage kam das Stubenmädchen mit der Meldung zu mir, der Herr lasse mich bitten … zu kommen. Jetzt wußte ich, was mir bevorstand, und mit klopfendem Herzen, aber mit fester Überzeugung von dem, was ich zu tun hätte, stieg ich die drei Treppen hinauf.

Ich fand meinen Vater allein und sehr bewegt. Er sagte, ich würde mir denken können, weshalb er mich rufen lasse. Der Assessor habe ihn um meine Hand gebeten, und er wünsche und hoffe, daß ich mich bereit finden lassen würde, sie anzunehmen. … ich erklärte unumwunden, daß es mir leid tue, meinem Vater seinen Wunsch und seine Hoffnung nicht erfüllen zu können.

Er schwieg einen Augenblick und bemerkte danach: ,Überlege dir die Verhältnisse, mein Kind! Du bist nicht mehr jung, du bist fünfundzwanzig Jahre. Ich befinde mich leider nicht in der Lage, dir ein Vermögen zur Mitgift zu geben, man weiß, daß ich kein reicher Mann bin, und ich habe fünf Töchter außer dir. Zwei davon sind bereits erwachsen, die andern werden es in wenig Jahren sein, und sechs erwachsene Töchter können sich in einem Hause nebeneinander nicht wohl befinden. Der Assessor wählt dich um deiner selbst willen, das wird vielen reichen Mädchen nicht zuteil, und du hast als Frau eines Landrates, der sicher eine gute Karriere machen wird, eine ehrenvolle Stellung und ein gesichertes Auskommen; ganz abgesehen davon, daß eine Frau selbst in einer nicht ganz glücklichen Ehe noch immer besser daran ist als ein altes Mädchen.’ …

Ich erklärte meinem Vater …, daß nichts mich bestimmen könne, eine Heirat ohne Neigung einzugehen, und sagte, wenn er mich zu einer solchen zu überreden gewünscht, wenn er die Absicht gehabt hätte, aus mir nichts zu machen als eine der Frauen, diesichfürein gutes Auskommen einem Manne verkaufen,so hätteer mirdie Erziehung nicht geben dürfen, die ich von ihm erhalten, so hätte er mich nicht selbständig werden lassen müssen. Mir sei eine Dirne, die sich für Geld verkaufe, wenn sie nichts gelernt habe und ihre Familie armsei, nicht halbs overächtlich als ein Mädchen, das genug gelernt habe, um sichzuernähren, und sich für Haus und Hof verkaufe.

Fanny Lewald hatte sich damit aus einer Vorstellungswelt gelöst, die im 19. Jahrhundert als unumstößliche Norm galt: Das weibliche und das männliche Geschlecht ergänzten einander, und damit seien Mann und Frau füreinander unentbehrlich. Gemäß der sich von ca. 1750 bis ca. 1850 entwickelnden bürgerlichen Vorstellung vom Verhältnis der Geschlechter zueinander, war es „einem einzelnen Menschen unmöglich, sich zur harmonischen Persönlichkeit zu entwickeln“ (Karin Hausen). Im bürgerlichen Komplementärmodell benötigt jeder Mensch die sprichwörtliche bessere Hälfte. Der Mann, der für die Welt draußen, und die Frau, die für das häusliche Leben qualifiziert wurde, benötigten einander. Die Vorstellung, dass die Gesellschaft auf einer solchen imaginierten Geschlechterpolarität basierte, wurde zur allgemein anerkannten Grundlage bürgerlichen Selbstverständnisses. Die Bildungspolitik, die unterschiedliche Bildungsinhalte für Mädchen und Jungen vermittelte, zementierte diese Vorstellung von der Polarität der Geschlechter. Im 19. Jahrhundert war die Geschlechterpolarität so weit akzeptiert, dass selbst die Frauenbewegung sie in der Regel nicht infrage stellte, sondern lediglich darauf drängte, dass das weibliche Geschlecht zwar grundsätzlich anders, aber gleichwertig sei. Die Frauenbewegung stellte damit die Hierarchisierung des Geschlechtermodells infrage und wollte die Gleichwertigkeit der Frauen in der Gesellschaft akzeptiert sehen.

Inwieweit die in normativen Quellen nachzulesenden Vorstellungen von der Geschlechterpolarität auch die soziale Realität widerspiegelten, bleibt weiterhin eine offene Frage. Die historische Geschlechter- und Frauenforschung hat inzwischen aufgezeigt, dass man von gesellschaftlichen Vorstellungen nicht einfach auf soziale Realität schließen kann und trotz des hohen Drucks und einer eindeutigen Erwartungshaltung seitens der Gesellschaft die so eindeutigen Rollenzuweisungen im Leben doch immer wieder von beiden Geschlechtern variiert werden konnten.■

Auf einen Blick

Während die Heteronormativität die Gesellschaft bereits in der Frühen Neuzeit prägte, bildete sich die für das 19. Jahrhundert typische Geschlechterhierarchie erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts heraus. Die Forderungen nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit in der Französischen Revolution von 1789 standenin den Augen der männlichen Revolutionäre nur Männern und nicht auch den Frauen zu. Die Geschlechterhierarchie und die geschlechterspezifische Arbeitsteilung dominierten im 19. und 20. Jahrhundert nicht nur den Alltag von Familien in allen gesellschaftlichen Schichten, sondern auch die Politik, das Recht und die Wirtschaft. Die meisten Aktivistinnen der Frauenbewegung problematisierten die Heteronormativität nicht, kämpften aber für die Anerkennung von Frauen als „gleichwertige“ Menschen.

Literaturhinweise

Christiane Eifert, Angelika Epple, Martina Kessel u.a. (Hrsg.): Was sind Frauen? Was sind Männer? Geschlechterkonstruktionen im historischen Wandel. Frankfurt a. M. 1996. Der Sammelband, der auf einer Vorlesungsreihe an der Freien Universität Berlin im Wintersemester 1993/1994 beruht, thematisiert die gesellschaftliche Bedingtheit und historische Wandelbarkeit von Geschlecht.

Olwen Hufton: Frauenleben. Eine europäische Geschichte 1500–1800. Frankfurt a. M. 1998. Eine alltagsgeschichtlich orientierte Darstellung zur Geschichte der Frauen im frühneuzeitlichen (West-)Europa.

Joan Scott: Gender: A Useful Category of Historical Analysis, in: American Historical Review 91 (1986), S. 1053–1068. Ein Aufsatz, der die internationale Geschlechtergeschichte beflügelte und weiterführende Diskussionen auslöste.

Barbara Stollberg-Rilinger: Europa im Jahrhundert der Aufklärung. 2. Aufl. Stuttgart 2011. Eine gelungene Einführung in die Geschichte des 18. Jahrhunderts, die auch die Geschlechterverhältnisse thematisiert.

Heide Wunder: „Er ist die Sonn’, sie ist der Mond“. Frauen in der Frühen Neuzeit. München 1992. Dieses Buch ist der deutschsprachige Klassiker für die Geschlechterverhältnisse in der Frühen Neuzeit.

Frauenbewegung in Deutschland 1848-1933

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