Читать книгу Frauenbewegung in Deutschland 1848-1933 - Angelika Schaser - Страница 15
1. Aufbruch und Stagnation – Das Zeitalter der Revolutionen 1789–1850
ОглавлениеDie Jahre zwischen der Französischen Revolution von 1789 und der europäischen Revolution 1848/49 waren durch das Wechselspiel von Aufbruch, Stagnation und Restauration geprägt. In Frankreich griff Olympe de Gouges indie Debatte um die Menschenrechte ein. Schreiben galt ihr als politisches Handeln, für die Publizität ihrer Texte investierte sie viel und riskierte manchen Skandal. Zwei Jahre nach der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte formulierte sie die Erklärung der Rechte der Frau und der Bürgerin, wenige Tage bevor Ludwig XVI. (Reg. 1774–1792) am 13. September 1791 die Verfassung sanktionierte, deren Definition des aktiven Bürgers Frauen unmissverständlich ausschloss. Olympe de Gouges forderte die Menschen- und Bürgerrechte für Frauen ein. Ihre Erklärung folgte genau den 17 Artikeln der Menschenrechtserklärung: „Die Frau ist frei geboren und bleibt dem Manne gleich an Rechten“, begann der 1. Artikel. Da Rechte immer Pflichten mit einschlossen und die Frauen im Strafrecht den Männern ohnehin gleichgestellt waren, formulierte de Gouges im 10. Artikel: Die Frau „hat das Recht, das Schafott zu besteigen; sie muss gleichermaßen das Recht haben, die Rednertribüne zu besteigen …“ Mit dem ersten Teil des Satzes sollte sie fortan am häufigsten zitiert werden. Obwohl die Erklärung der Rechte der Frau ungeachtet aller Bemühungen der Autorin kaum bekannt wurde, sollte Olympe de Gouges wegen dieses Textes und ihres gewaltsamen Todes zum Symbol der Frauen in der Französischen Revolution werden.
Theodor Gottlieb von Hippel (1741–1796) forderte in seiner Schrift „Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber“ (Berlin 1792) bereits Ende des 18. Jahrhunderts in Preußen die Emanzipation der Frauen. Als während der antinapoleonischen Kriege in den deutschen Gebieten die Forderung nach einem einheitlichen deutschen Nationalstaat laut wurde, beteiligten sich daran auch Frauen aller Stände, die für die Krieger Fahnen stickten und Socken strickten, Soldaten pflegten, Charpie für Verbandsmaterial zupften und wie ihre Väter, Männer und Söhne von einem einigen Vaterland träumten. Dabei beließen es diese Frauen jedoch nicht: Sie gründeten in den Städten und auf dem Land Vereine zur Unterstützung der Landwehr, verarmter Soldaten, Witwen und Kinder, zur Pflege von verwundeten und kranken Soldaten, zur Sammlung von Material für das Militär und die Lazarette. Sie nannten sich Gesellschaft patriotischer Frauen (1813 in Weimar), Frauenverein zum Wohle des Vaterlandes (1813 in Berlin) oder oft auch einfach schlicht „Mädchenverein“ oder „Frauenverein“. Nach dem Wiener Kongress und mit der einsetzenden Restauration wurde es zunächst still um diese Frauenorganisationen. Doch wie Dirk Reder zeigen konnte, hatten diese Frauenvereine nicht nur in den antinapoleonischen Kriegen ihrem Willen zur Partizipation am gesellschaftlichen Leben und ihrem Anspruch auf selbstständiges Handeln Ausdruck verliehen, sondern setzten zum Teil ihre Tätigkeit nach 1815 fort. Viele der Vereine sicherten sich ihre neu gewonnenen Handlungsspielräume und Einflussmöglichkeiten durch die Änderung des Vereinszwecks, ihre Umorientierung auf die Armenpflege und durch Konzentration auf die Arbeit in der katholischen und in der protestantischen Kirche sowie in den zahlreich entstehenden freien Gemeinden. Oberstes Gebot war dabei der unpolitische Anstrich der Frauenvereine, um deren Existenz nicht zu gefährden.
Erst als 1830 die erfolgreiche Julirevolution in Frankreich auch nach Deutschland ausstrahlte, wurden nicht nur die liberalen und demokratischen Bestrebungen wieder gestärkt, sondern auch konkrete Forderungen nach einer verbesserten Mädchenbildung und mehr Erwerbsmöglichkeiten für Frauen laut. Im Umfeld des Deutschkatholizismus wurden damals freireligiöse Frauenvereine auf regionaler und in ersten Ansätzen auch auf überregionaler Ebene gegründet, die die religiöse Reformbewegung mit der Frauenemanzipation verbinden wollten.
Stichwort
Deutschkatholizismus und freie Gemeinden
Nach 1845 traten auf dem Gebiet des Deutschen Bundes ca. 100 000 bis 150 000 Gläubige („Deutschkatholiken“) aus der katholischen Kirche beziehungsweise den protestantischen Kirchen („Freireligiöse“) aus. In den Jahren vor der Revolution verknüpfte sich bei diesen Dissidenten die Kirchenkritik eng mit der Kritik an den herrschenden politischen und sozialen Zuständen. Die Deutschkatholiken wandten sich gegen den römischen Zentralismus und versuchten wie die aus Opposition zu den protestantischen Kirchen entstandenen freien Gemeinden religiöse Reform mit Demokratisierung und Frauenemanzipation zu verbinden. In den freireligiösen Gemeinden besaßen Frauen aktives und passives Wahlrecht.
Die Stellung der Frau in der Gesellschaft wurde zu einem viel diskutierten Thema in der Presse. Hatte zunächst ein preußischer Jurist die Forderung nach der Emanzipation der Frauen gestellt, schlug nun die Stunde der „Frauen der Feder“. Im Vormärz thematisierten erstmals mehrere Autorinnen die untergeordnete Stellung der Frau in der Gesellschaft. Verantwortlich machten sie für diese Ungleichheit in erster Linie die vernachlässigte Mädchenbildung. „Schickt die Mädchen auf die Universitäten und die Knaben in die Nähschule und Küche: nach drei Generationen werdet ihr wissen, … was es heißt, die Unterdrückten zu sein“, hatte Ida Hahn-Hahn (1805–1880) bereits in ihrem Roman „Der Rechte“ 1839 provokativ gefordert. Vereine, die sich für eine bessere Mädchenbildung einsetzten, wurden nun ebenso gegründet wie Kindergärten, die eine liberal-demokratische Erziehung der Kinder und damit eine neue Gesellschaft anstrebten. Innerhalb der religiösen und politischen Oppositionsbewegung, in Bildungsvereinen, in der Kindergartenbewegung und in Wohlfahrtsorganisationen engagierten sich Frauen separat oder zusammen mit Männern für eine verbesserte Stellung von Frauen in der Gesellschaft.
Stichwort
Kindergartenbewegung
Friedrich Fröbel (1782–1852), Pädagoge und Schulbesitzer, sah in der Mutter die erste und beste Lehrerin der Kinder und zielte bei der Förderung der Kinder auf deren individuelle Entwicklung. Seine nicht autoritären, „mütterlichen“ Erziehungsmethoden standen in scharfem Gegensatz zu den üblichen „Bewahranstalten“ für Kinder. Die von ihm eingesetzten Lieder und Bilder sowie das von ihm entworfene Spielmaterial stießen bei Lehrern auf wenig Resonanz, deshalb wandte sich Fröbel an die Frauen. 1848 wurden die Fröbel’schen Methoden insbesondere von den religiösen Dissidenten begeistert aufgegriffen. Als der Weg für Reformen 1848 frei schien, gründeten viele freireligiöse Frauenvereine Kindergärten, die ökumenisch ausgerichtet waren und die Klassengegensätze überwinden helfen sollten.
Mitte des 19. Jahrhunderts hatten sich die sozialen Probleme auch in den oberen Gesellschaftsschichten spürbar verschärft. Durch eine Hungerkrise waren nicht nur ärmere Bevölkerungsteile in eine prekäre wirtschaftliche Situation geraten, sondern auch das Bürgertum, insbesondere die unverheirateten Frauen, denen in immer größerer Zahl eine angemessene Mitgift fehlte und daher das wenig attraktive Schicksal einer „alten Jungfer“ drohte. Fiel die übliche Versorgung durch eine standesgemäße Ehe für junge Frauen aus, hatten sie, von einer guten Schul- und Berufsausbildung ausgeschlossen, nicht nur das Problem, dass Frauenerwerbsarbeit für bürgerliche Frauen als unschicklich galt, sondern es mangelte ihnen aufgrund fehlender Ausbildung auf dem Arbeitsmarkt auch an Chancen. Ida von Hahn-Hahn, Louise Otto-Peters, Luise Dittmar (1807–1884), Mathilde Franziska Anneke, Louise Aston (1814–1871) und andere polemisierten beharrlich, bezeichnenderweise anfangs oft unter Pseudonym, gegen diese Rollenzuweisung für Frauen in der Gesellschaft und forderten eine bessere Mädchenbildung und mehr Berufsmöglichkeiten für unverheiratete Frauen.