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Erste Zeichnungen

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Während seiner Lehrjahre ist Dürer vor allem als Zeichner fassbar. Allerdings können von den 20 Zeichnungen, die Friedrich Winkler (Winkler, 1936–1939) in seinem Werkverzeichnis der Zeichnungen für die Frühzeit aufgeführt hat, heute nur noch die wenigsten als eigenhändige Werke Dürers gelten. Dabei offenbart sich ein grundsätzliches Problem: Zwar tragen viele Blätter Dürers Monogramm und ein Datum, doch handelt es sich überwiegend um spätere Zufügungen von anderer Hand: Dürer hat seine Zeichnungen und Aquarelle – mit Ausnahme von Porträts und direkten Entwürfen für Druckgraphiken – in der Regel weder signiert noch datiert. Unter den über 1.000 Zeichnungen, die Dürer von der Forschung zugeschrieben werden, befinden sich zahlreiche Fehlzuweisungen und Fälschungen, die von späteren Besitzern und Händlern teilweise aus Unkenntnis, teilweise vorsätzlich mit dem Dürermonogramm und einer oft völlig beliebigen Jahreszahl versehen wurden. Einige „Jahrgänge“ tauchen auffällig häufig auf, etwa „1514“ und „1526“, die Entstehungsjahre der „Meisterstiche“ bzw. der „Apostelbilder“. Eine kritische Neubearbeitung des Werkkatalogs der Zeichnungen wäre dringend erforderlich.

Geht man vom „Selbstbildnis als Knabe“ aus, so dürfte man nach streng kennerschaftlichen Maßstäben wohl keine der frühen Zeichnungen im Œuvre Dürers belassen: Dessen feine Detailbeobachtung und Wirklichkeitstreue findet sich auf keinem anderen Blatt. Mit einem Blick auf die Künstlerausbildung des späten 15. Jahrhunderts müssen jedoch nicht alle Zeichnungen aus dem Werk ausgeschieden werden. Denn die Malerlehrlinge übten nicht das Zeichnen nach der Natur, sondern vor allem das Abzeichnen von Vorbildern, den Musterzeichnungen und Werkstattvorlagen des Meisters. Durch das Abzeichnen der Vorlagen wurden die zeichnerischen Fähigkeiten und eine freie und sichere Hand geübt. Noch viele Jahre später empfiehlt Dürer im Entwurf zu seinem „Lehrbuch der Malerei“ (1512), ein Schüler solle „van guter wercklewt kunst erstlich vill ab machen [= abzeichnen], pis daz er ein freie hant erlangt.“ (R. II, S. 99). Daneben konnte der Lehrling das Zusammenstellen von Kompositionen studieren und sich mit der Zeit einen persönlichen Formen- und Figurenschatz aneignen.

Bei Dürer kommt ein weiterer Aspekt hinzu. Er studierte nicht nur die einzelnen Motive, sondern den Zeichenstil der Vorlage insgesamt. Was ihn interessierte, war das Verhältnis von Umriss und Binnenzeichnung, die verschiedenen Arten von Schraffuren und Modellierungen und die daraus resultierende Licht- und Schattenwirkung. Mit dieser Methode, nicht nur eine Figur, sondern auch den Zeichenstil „abzukonterfeien“ und auf diese Weise eine fremde Zeichentechnik kennen zu lernen, konnte er das eigene Stilrepertoire schon früh erweitern.

Übungsmaterial fand er zur Genüge in den Werkstätten seines Vaters und Wolgemuts. Besonders genau studierte und imitierte er Kupferstiche und Zeichnungen von und nach oberrheinischen Künstlern wie Schongauer, dem Meister E. S., dem Monogrammisten P. M. sowie dem so genannten „Hausbuch-Meister“ bzw. „Meister des Amsterdamer Kabinetts“. Vor allem Schongauer wurde gewissermaßen sein indirekter Lehrmeister, von dem er zwar nicht die Grundlagen des Malens, aber im Selbststudium viele Grundzüge des Zeichnens gelernt hat.

Zu den frühesten Proben von Dürers Talent gehört die flüchtige, vielfach korrigierte Kreidezeichnung einer „Dame mit Falke“ (London, British Museum). Man hätte die etwas geziert, aber ungemein lebendig dastehende Frau wohl nicht unbedingt als Dürerwerk erkannt, gäbe die Aufschrift eines unbekannten Besitzers nicht Hinweise auf die Entstehungsgeschichte: „Das ist och alt. hat/mir albrecht dürer/gemacht. E er zum maler kam in des Wolgemuts hus/vff dem obern boden/in dem hindern hus/in biwesen Cunrat Lomayers säligen.“

Das demnach um 1486 datierbare, wohl authentische Blatt steht in der Tradition spätgotischer höfischer Szenen, wie sie auch zum Motivrepertoire in Goldschmiedewerkstätten gehörten. Man kann sich die Situation gut vorstellen: Ein Kunde oder Kollege besucht die Werkstatt, die Albrecht Dürer d. Ä. im Hinterhaus seines Anwesens „Unter der Veste“ eingerichtet hat, und lernt dort seinen etwa 15-jährigen Sohn kennen. Spontan führt ihm der Goldschmiedelehrling seine Zeichenkünste vor, skizziert auf einem Blatt, auf dessen einer Seite er gerade eine Männerfigur in Schrittstellung gezeichnet hatte, die höfische Falkendame als Geschenk für den Besucher. Dieser, und das ist das eigentlich Erstaunliche, verwahrt das Blatt über mehrere Jahre, ehe er es zu einem späteren Zeitpunkt mit der Beschriftung aus der Anonymität reißt.

Handelt es sich bei der „Falkendame“ um die flüchtige Skizze einer Einzelfigur, so stellt die „Thronende Madonna mit Engeln“ (Berlin, Kupferstichkabinett) den frühen Versuch einer Kompositionsstudie dar. Sie ist zugleich Dürers früheste erhaltene Federzeichnung, eine Technik, die gegenüber der Silberstiftzeichnung eine wesentlich sicherere Hand verlangte. Die Tinte von Monogramm und Datum „1485“ ist neuen Untersuchungen zufolge mit der Tinte der Zeichnung identisch, sodass das Blatt sicher in dieses Jahr datiert werden kann. Die äußerst sorgfältige Zeichnung, bei der einige Linien mit dem Lineal gezogen sind, ist eine Reinzeichnung, die alles Skizzenhaft-Suchende vermeidet. Trotz einiger Unsicherheiten bei Perspektive und Proportion zeugt das Blatt von einer erstaunlich differenzierten Zeichentechnik, die nicht nur Licht- und Schatteneffekte sowie Faltenwürfe treffend modelliert, sondern es auch versteht, verschiedene Oberflächen und Stoffe, angefangen vom Brokatvorhang und den Fransen des Baldachins bis zum steinernen Thron, möglichst getreu wiederzugeben. Dies ist ähnlich auch bei Kupferstichen Schongauers zu beobachten, etwa seiner „Marienkrönung“. Erreicht wird diese Differenzierung durch unterschiedlich dichte Parallelschraffuren, locker darüber gesetzte Kreuzschraffuren, kurze Häkchen und verschieden kräftige Umriss- und Schattierungslinien. Man gewinnt den Eindruck, dass der junge Dürer auf diesem Blatt das gesamte bisher erlernte Schraffur- und Zeichenvokabular anwenden wollte.

Einen sparsameren und gezielteren Einsatz der graphischen Mittel zeigt die wohl gegen Ende seiner Lehrzeit entstandene, nachträglich „1489“ datierte Federzeichnung der „Fechtenden Reiter“ (London, British Museum). Es handelt sich um Studien von einzelnen Reitern, die mehr oder weniger überzeugend in einem szenischen Kontext vereint wurden. Offensichtlich hat Dürer die Mustersammlung seines Lehrmeisters nach geeigneten Reiterfiguren durchsucht und die interessantesten Beispiele kopiert. Der mit seinem Schwert zum Schlag ausholende Reiter im Vordergrund erinnert etwa an Schongauers „Hl. Georg“ oder an einen der kämpfenden Ritter im Hintergrund des „Großen Liebesgartens“ des Meisters E. S. Dürer kopierte seine Vorlagen jedoch nicht sklavisch, sondern übernahm vor allem das Bewegungsmotiv von Pferd und Reiter, während er die Kleidung nach eigenen Vorstellungen gestaltete. Diese Art der „Modernisierung“ von Vorlagen und ihrer Einpassung in einen neuen szenischen Kontext steht durchaus im Einklang mit den Gepflogenheiten der Zeit. Bemerkenswert ist jedoch die differenzierte Zeichentechnik, die nicht nur jeder Figur einen leicht unterschiedlichen Charakter verleiht, sondern durch die Stärke und Dichte der Striche zugleich zwischen Vorder- und Hintergrund unterscheidet.

Insgesamt wirkt die zeichnerische „Collage“ jedoch unbefriedigend. Zwar stellt jedes Element für sich genommen ein kleines Meisterwerk dar und zeigt, wie gut sich Dürer den Zeichenstil seiner Vorlagen angeeignet hatte, doch insgesamt ist die Darstellung merkwürdig heterogen, die einzelnen Bildteile scheinen nicht recht zusammenzupassen. Die Zeichnung offenbart die Grenzen des im Spätmittelalter üblichen Kompositionsverfahrens, aus unterschiedlichen Vorlagen und eigenen Zutaten eine neue Darstellung zu schaffen. Der Kompilationsstil seiner Lehrmeister hat Dürer offensichtlich nicht zufrieden gestellt. Im Folgenden wandte er sich immer mehr eigenen Seherfahrungen zu. Die Natur wurde nun neben der Kunst zu seiner wichtigsten Lehrmeisterin.

Albrecht Dürer

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