Читать книгу Zwei mit Eins - Anja Kannja - Страница 9

Ein neuer Anfang

Оглавление

Es war ein wunderschöner Tag, dieser Samstag, an dem ich mein Vorhaben in die Tat umsetzte. Der Himmel war so blau, als wollte er mir zeigen: Ich habe mich an diesem, deinem Tag besonders schön für dich gemacht.

Entschlossenen Schritts verließ ich die Wohnung meiner Eltern, trat hinaus auf die Straße. Nur nicht umdrehen, dachte ich aufgeregt. Alles war still. Die Stadt schlief noch. Schnell lief ich durch die vielen Gassen, die mich nach knapp einer halben Stunde zu der Landstraße bringen würden, die mich geradewegs in ein neues Leben führen würde. Dieselbe Straße, auf der meine Eltern 1969 gegangen waren – voller Hoffnungen. Welche Ironie des Schicksals! Jetzt ging ich sie entlang, um all dem Gehofften und Geglaubten, das sich nie erfüllt hatte, zu entfliehen.

Die Morgensonne wärmte mich, und ich erinnere mich noch, dass sich meine Aufregung legte. Ich fühlte mich so unendlich frei. Das Abenteuer rief, so wie ich es in der Kinderserie „Tom Sawyer und Huckleberry Finn“ gesehen hatte. Zwei ungestüme Burschen, die durch die Welt zogen. Jetzt wird alles gut!

Dazwischen meldete sich mein schlechtes Gewissen, weil ich gerade die Schule schwänzte. Ich beschwichtigte mich selbst, denn im tiefsten Inneren wusste ich: Großmutter macht das schon. All die Tage zuvor hatte ich meinen Abschied, dieses Gehen auf der Landstraße, durchgespielt, um mir Mut zu machen, es auch wirklich zu tun. Jetzt war ich einfach nur stolz auf mich. Tapfer brachte ich einen Kilometer nach dem anderen hinter mich. Plötzlich durchfuhr mich ein beängstigender Gedanke. Was, wenn mich meine Mutter suchen würde? Sie könnte mich auf dieser Straße auflesen. Nein, so ein Blödsinn. Sie glaubt doch, ich sei in der Schule. Aber es ließ mir keine Ruhe. Und wenn sie meinen Abschiedsbrief früher liest?

Kurzerhand entschied ich mich, die Landstraße zu verlassen und die letzten fünf der insgesamt vierzehn Kilometer durch den Wald zu gehen. Ich kannte jeden Stein auf diesem Weg, so oft waren wir ihn in all den Jahren gegangen. In der Nacht, um zu flüchten, oder am Tag, wenn es an der Zeit war, ein paar Tage mit den Großeltern zu verbringen. Ich liebte ihn, diesen leicht ausgetretenen, romantischen Waldweg. Uralte Bäume ließen ihre starken Wurzeln über ihn wachsen. Die vielen Blumen am Wegrand. Das junge Gras, das mir so saftig hellgrün entgegenlachte. Behaftet von Millionen Tautropfen, die wie kleine Diamanten in der Sonne glitzerten, als sie von einer sanften Brise angestupst wurden. Es machte mir Mut, die stille, vertraute Landschaft zu durchwandern. Ja, ich genoss es, war es doch mein großer Tag, an dem ich mich zum ersten Mal traute, das Richtige zu tun. Aber war es auch wirklich richtig? Ich verbot mir die Gedanken, die mich zum Zweifeln gebracht hätten, und zwang mich, nicht weiter darüber nachzudenken. Der letzte Teil meiner Reise führte mich über eine kleine Brücke, unter der ein Bächlein floss. Da machte ich Rast. Ich bewunderte die Blätter der Dotterblumen, die am Bachufer wucherten. Ich war glücklich. Glücklich, weil ich mich getraut hatte. Ich stellte mir erwartungsvoll die Ankunft bei meinen Großeltern vor, gespannt, wie sie wohl reagieren würden. Und so legte ich diese letzten Meter freudig zurück, in Erwartung eines guten Frühstücks, weil ich schon richtigen Hunger hatte. Ein schmaler Weg mit kleinen Kieselsteinen, die mich durch die Felder zu der Wohnsiedlung am Waldrand führten.

Schon von Weitem sah ich die zwei überdimensional großen Pfingstrosenstöcke, die im Vorgarten des Hauses meiner Großeltern standen, und mir in Rot und Weiß deuteten, näher zu kommen. So als wollten sie mich begrüßen! Immer schon standen sie an dieser Stelle, hießen mich Jahr für Jahr aufs Neue willkommen. Es war mir so vertraut, dieses Knusperhäuschen, wie es mein Großvater so liebevoll nannte, sein Zuhause.

Ein hübsches, kleines Haus mit einem steilen dunkelroten Dach, das einen wunderbaren Kontrast zu der weißen Hausmauer und dem dunkelbraunen kleinen Balkon im ersten Stock schuf. Alles lud einfach ein, sich dort wohlzufühlen. Immer näher kam ich, immer schneller wurden meine Schritte, die meine Freiheit bedeuteten. Gleich war ich an der Gartentür. Was sollte ich sagen? Sollte ich anläuten oder einfach reingehen? Ich läutete an, um sie nicht zu erschrecken. Meine Hände zitterten ein wenig, als ich auf die Glocke drückte, die einen so schönen melodiösen Klang hatte. Mein Herz schlug schneller, ich spürte die Aufregung, wie sie in mir hochkroch, als sich die Tür öffnete. Da stand sie, meine Großmutter, im Nachthemd. In ihrem weiß-rosa geblümten Nachthemd, das sich immer so weich anfühlte, wenn ich auf ihrem Schoß saß und mein Gesicht auf ihre Brust legte, um ihre Nähe zu genießen. Diese Frau, die immer ein Lächeln für mich hatte und an deren Seite ich mich stets geborgen fühlte. Fünfzehn Jahre war sie jünger als mein Großvater. Eigene Kinder hatte sie nie gehabt. Eine hübsche Frau. Streng, aber liebenswert. Fleißig, genau und korrekt. Ganz anders als mein Großvater, aber absolut die Richtige für ihn. Sie gab den Ton an, so wirkte es zumindest oft, aber auf eine wunderbar liebevolle und natürliche Art. „Was denkst du, Vati, könnten wir nicht?“, sagte sie immer zu ihm. Jetzt stand sie vor mir, und ich spürte, wie lieb ich sie hatte!

„Ja, Anja!“, stieß es aus ihr heraus. „Was machst denn du hier?“ Verstört griff sie nach dem Schlüssel für das Gartentor.

„Ist etwas passiert? Wo kommst denn du her? Bist du allein?“, wollte sie wissen, als sie über die vier Stufen zu mir an den Zaun eilte.

„Ich bin von zu Hause weggegangen, um jetzt mal bei euch zu bleiben. Darf ich bitte reinkommen?“, brachte ich gerade noch heraus, da sich plötzlich Zweifel an meiner Entscheidung regten. Was, wenn sie alles nur so gesagt hatten, um mir Mut zu machen, mich in Wahrheit jedoch gar nicht bei sich haben wollten?

„Na, was ist das denn für eine Frage?“, entgegnete sie warmherzig und zerschlug mit diesen Worten sofort meine Ängste. „Komm rein, wart, ich sperr schon auf!“

In der Zwischenzeit war auch mein Großvater aufgetaucht.

Aufgeregt drehte sich meine Großmutter zu ihm um und sagte: „Vati, schau, wer da vor dem Tor steht. Ich glaub, da hat jemand großen Hunger. Haben wir ein Frühstück für das junge Fräulein?“

Ungläubig, aber erfreut meinte er: „Na ja! Hungern muss bei uns keiner, nur hereinspaziert, junge Dame.“

Und mit einer einladenden Handbewegung und einem freundlichen, wenn auch fragenden Lächeln zeigte er nach drinnen. Erleichtert über die Reaktion der beiden fiel ich meiner Großmutter in die Arme, und ohne dass ich es wollte, schossen mir die Tränen in die Augen.

„Na, komm, mein Mädchen.“ Sie umarmte mich und drückte mich fest an sich. „Ist ja gut“, beruhigte sie mich und streichelte mir über den Kopf, „komm rein, na, komm schon. Wir gehen mal was essen.“

Sie schob mich behutsam Richtung Treppe. „Hast du Hunger, sag schon, hast du Hunger?“

Sie fasste mich am Kinn und schob mein Gesicht nach oben. Ich sah in ihre Augen. War so unendlich dankbar, dass ich hineindurfte, und ja, ich hatte einen riesigen Hunger. Mit Tränen in den Augen lachte ich ihr ins Gesicht: „Ich bin immer hungrig, das weißt du ja.“

Der Bann war gebrochen. Mit tiefer Erleichterung ging ich die Stufen hinauf, hinein in dieses Haus, das für mich seit eh und je der Inbegriff von Sicherheit und Frieden war. Im Dauerbrandofen der kleinen Küche brannte schon ein wärmendes Feuer. Wie ich dieses Haus doch liebte und diese Menschen, die es bewohnten.

„Komm, setz dich“, sagte meine Großmutter.

Wie immer war alles ordentlich aufgeräumt und sauber.

Das Tischtuch war glatt gestrichen, zwei Jausenbretter lagen auf dem Tisch. Meine Großmutter hatte wohl gerade für das Frühstück decken wollen, als mein Läuten sie dabei unterbrochen hatte.

„Vati, gib ein Brett her für die Anja, ich hab ja nur zwei aufgedeckt.“

Sie drehte sich zu mir: „So, und jetzt erzähl mal, was ist denn passiert und woher kommst du? Aber alles schön der Reihe nach.“

Mein Großvater setzte sich wortlos zu uns an den Tisch. Als ich mit den zaghaften Worten „Na ja, ich bin heute Morgen weggegangen, weil ich es zu Hause einfach nicht mehr aushalte“ begann, wurden ihre Blicke traurig. Sie wussten wohl, dass es nichts Gutes sein würde, was ich zu berichten hatte. Gefasst hörten sie mir zu, als ich von all dem Erlebten der letzten Zeit erzählte. Von meinem Vater, meines Großvaters Sohn, der den ganzen Tag im Hof saß und mit den beängstigenden Kreaturen Unmengen an Rotwein trank, getrieben von der Wahnvorstellung, weiße Mäuse zu sehen, die ihm nachts den Schlaf raubten. Aufgefressen von der Angst, dem General, den es nur in seiner Phantasie gab, nicht rechtzeitig einen salutierenden Gruß zu entbieten. Von seinen krank gesoffenen fahlen Augen, die wie riesige Räder aus einem mausgrauen, alt wirkenden Gesicht hervortraten und in die Dunkelheit stierten. Was sie wohl alles sahen? Auf jeden Fall nichts von dem, was tatsächlich passierte. Als ich an diesem Morgen das Haus verlassen hatte, war mein Vater nur ein Schatten seiner selbst. Nichts war mehr übrig von dem einst so sympathischen, lustigen, kräftigen jungen Mann. Ein Häufchen Elend, das gebeutelt von Angst, Schweiß und Krankheit, mit dünnen Beinchen und dickem Bauch sein jämmerliches, ungepflegtes Dasein fristete. An der Seite einer Frau, die, gebrochen durch ihn, immer noch auf ihn einredete.

„Gut, dass du gekommen bist“, meinte mein Großvater und legte seine warme, weiche Hand auf meine Schulter. Wie geborgen und sicher ich mich in diesem Moment fühlte. Wie schon lange nicht mehr! Traurig frühstückten wir und überlegten gemeinsam, wie es denn nun weitergehen sollte. Es war klar, dass ich bei meinen Großeltern bleiben würde. Aber wie nun wirklich weiter, das wussten wir alle drei noch nicht.

Eigentlich habe ich mir noch nie überlegt, was die beiden in diesem Moment wohl gefühlt haben müssen, sie zeigten tiefes Mitgefühl und öffneten ihr Herz, um mich aufzunehmen. Welchen Schmerz durchlitt mein Großvater wohl, als es nichts mehr zu hoffen und leugnen gab, weil die ganze Wahrheit aus dem Mund eines Kindes zu seinem Herzen vordrang. Jahrelang hatte er den Verfall meines Vaters und seiner Familie mitverfolgt, statt Aufschwung und Freude zu erleben. „Ein Fass ohne Boden“, wie er es oft ärgerlich formulierte. Er hatte geholfen, wo er seiner Meinung nach helfen konnte, um zu der ernüchternden Gewissheit zu gelangen, dass alles umsonst und sein Sohn ein Versager war. Ein Säufer, der keine Zukunft mehr hatte. Taumelnd sollte er sich noch zwanzig lange Jahre durchs Leben schleppen, einen Fuß hinter sich nachziehend, weil sein Gehirn keinen geraden Gang mehr zuließ. Insgesamt sechzehnmal auf Entzug, getrieben vom niemals endenden Verlangen nach Alkohol, weil er sonst wahnsinnig werden würde! Würdelos und abwesend durch die Straßen ziehend, um am Straßenrand, von verachtenden Blicken gestraft, zu schlafen. Ohne medizinische Versorgung. Alle seine Zähne riss er sich selbst aus, und als er mit einer brennenden Zigarette einschlief, da stand sein Bett lichterloh in Flammen. Sein ganzer Oberschenkel war verbrannt. Das Fleisch wucherte aus dem Bein. So schleppte er sich durch den Tag, ertrank die Schmerzen im Wein. Die Menschen wichen ihm aus, weil er nach Urin stank, sein Körper war schwarz vor Dreck. Einmal schlugen ihn junge Burschen in einer Unterführung zusammen, weil er in ihren Augen Abschaum war. Brachen ihm seine Knochen, um ihm hundert Schilling zu entwenden. Was war übrig von diesem hochintelligenten Menschen, der einmal ein so lustiger, liebenswerter, ehrlicher Mann gewesen war?

Das Ende eines Trinkers kommt langsam und schmerzhaft. Vaters Ende war nicht schön. Als ihn die Leberzirrhose zwei Jahre lang peinigte. Ohne Schmerzmittel. In diesem letzten Abschnitt seines traurigen Daseins bestimmte der Teufelskreis, dem er zeit seines Lebens den Vorrang gegeben hatte, sein Handeln. Trank er, hielt er es nicht aus vor Schmerzen, trank er nicht, war es dasselbe. Als sein Leben durch einen Schlaganfall endete und ich an seinem Totenbett stand, da waren seine Augen nicht friedlich geschlossen. Sie waren gezeichnet von Angst. Mein Herz tat weh. Es weinte: Papa, ich hab dich geliebt. Ich hab so oft auf dich gewartet. Ich bin so gern auf deinem Schoß gesessen. Hab es so geliebt, dein Lachen und die Art, wie du mich umarmt hast. Warum hast du dich nicht für mich entschieden? Ja, du konntest mit Mama nicht, aber warum bist du nicht einfach gegangen? Warum hast du auf mich vergessen?

Was, wenn er damals bereits gewusst hätte, wie sein Leben einmal enden würde? An diesem verhängnisvollen Abend, als ihn die Polizisten zum ersten Mal ins Krankenhaus brachten. Als wir so voller Hoffnung in die Zukunft blickten, mein Bruder und ich! Hätte er dann auch diesen Weg gewählt? Ich weiß es nicht.

Jetzt, wo ich hier so sitze und alles niederschreibe, drängt sich mir unweigerlich eine Frage auf. Haben wir als Erwachsene nicht an jedem Tag unseres Lebens die Wahl? Kam er jemals an diesen Punkt, an dem man sich fragt, ob das der richtige Weg ist?

Aber die Zeit nimmt diesen bohrenden Schmerz mit sich, dieses Warum, das sich in ein „Papa, ich danke dir, dass du mir das Leben geschenkt hast!“ verändert. Was für ein Glück!

Heute weiß ich, dass Kindheit ein begrenzter Abschnitt ist, weil man irgendwann die Chance bekommt, sich das Leben nach seinen eigenen Vorstellungen zu richten. Und wann immer sie auch kommen mag, diese Chance, sie kommt, und dann muss man sie nützen! Auch wenn einem die Angst „Tu’s nicht“ ins Ohr flüstert, weil man ja gar nicht weiß, was das überhaupt heißt, was das ist, ein schönes Leben. Kennt man doch nur das eine, das man bis jetzt gelebt hat. Aber es muss sein, man muss sich entscheiden. Denn es kann nur besser werden!

Drei Stunden später wussten wir, wie es weitergehen sollte. Denn es traf das ein, was ich nie zu denken gewagt, geschweige denn gewollt hätte.

Meine Mutter freute sich kein bisschen über meinen Entschluss. Und sie hatte meinen Abschiedsbrief nicht gelesen. Krank vor Sorge, wo ich denn sein könnte, war sie mich suchen gefahren, und Stunden später stand sie wütend vor dem Haus meiner Großeltern.

„Komm sofort raus!“, brüllte sie. „Wie fahren nach Hause!“

Mein Herz raste, als ich durchs Küchenfenster sah, wie sie da hysterisch vor dem Zaun herumrannte. Ich wollte nicht zurück. Ja, ich wollte bei ihr sein, aber nicht dort, wo wir wohnten. Ja, ich liebte meine Mutter, aber ich wollte auch endlich meine Ruhe haben. Und nein, ich konnte nicht mit ihr gehen. Ich heulte und zitterte, wurde genauso hysterisch wie sie.

„Bitte, lasst mich hierbleiben“, flehte ich, allein in der Küche, meine Großeltern beobachtend, wie sie mit ihr stritten.

„Nein, du kommst nicht rein“, schrie mein Großvater.

„Die Kleine bleibt jetzt mal bei uns! Und Schluss!“

Mein Gott, was sollte ich nur machen? Warum war sie so böse? Ich konnte ihr Verhalten nicht verstehen, war ich doch der Überzeugung, sie hätte meinen Brief gelesen. Als mein Bruder ausgezogen war, war das ja auch kein Problem gewesen. Er hatte bei uns keinen Platz gehabt und war eben zu seiner Freundin gegangen. Nichts war da ein Problem gewesen! Warum also tobte sie so? Meine Großeltern verwiesen sie schroff an das Jugendamt, dort könne sie ihr Recht einklagen.

„Das ist meine Tochter!“ Sie war völlig von Sinnen. „Ihr werdet sie mir nicht wegnehmen!“

Was heißt wegnehmen? Wovon redet sie da? Ich verstand die Welt nicht mehr. Schließlich ging es mir bei meinen Großeltern gut. Warum gönnte sie mir das nicht?

„Wir sehen uns vor Gericht!“, schrie sie und raste auf ihrem Moped davon.

Und wir sahen uns bei Gericht, wo ein böser Sorgerechtsstreit entbrannte.

Als wir am darauf folgenden Montag zum Gericht fuhren, war meine Großmutter völlig aufgelöst. Sie hatte weiße Lippen vor lauter Aufregung. Ich begriff nicht, warum. Denn ich war der Meinung, dass ich dort nur sagen müsste, dass ich jetzt mal eine Zeit lang bei meinen Großeltern leben wolle. Stattdessen befragte man mich stundenlang, warum ich von meinen Eltern wegwolle, wie es denn so gewesen sei zu Hause, alles wollten sie wissen, bis ins kleinste Detail. Ich war verzweifelt. Die Menschen, die mich durchlöcherten, waren mir fremd, und ich wollte ihnen nicht erzählen, was in meinem Innersten vorging. Ich war hin und her gerissen zwischen dem Wunsch, keine Angst mehr haben zu müssen, dem Hass auf meine Eltern, die ich aber dennoch liebte, dass ich überhaupt eine Entscheidung treffen hatte müssen, und der Gewissheit, es so nicht gewollt zu haben. Was hatte ich da nur angestellt? So sollte das alles nicht ablaufen. Eine Person, männlich oder weiblich, ich weiß es nicht mehr, tippte alles, was ich sagte, auf der Schreibmaschine auf ein auffallend dünnes Papier, und als wir fertig waren, musste ich mir meine Aussagen noch einmal durchlesen. Danach war meine Großmutter mein Vormund, und für mich war es schwarz auf weiß amtlich, dass ich eine Verräterin war! Eine Verräterin, die ihre Eltern vor fremden Leuten angeschwärzt hatte. Wie oft hatte mich meine Mutter ermahnt, nicht immer alles gleich zu erzählen!

Zwei mit Eins

Подняться наверх