Читать книгу Die Stadt und der Tod - Anja Kuemski - Страница 6

Kapitel 4

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„Ich schwöre dir, wenn ich auch nur noch eine einzige Personalakte durchlesen muss, dann gehe ich sofort runter zur Promenade, kaufe mir eine Ladung Sprengstoff und lege hier alles in Schutt und Asche“, murmelte Cooper und schaltete demonstrativ den Bildschirm aus. Briggs seufzte und nickte zustimmend. Er hatte schon vor Stunden bemerkt, dass das Bild seines Cyberauges flimmerte, ein Zeichen von Materialermüdung. Aber Weston hatte sehr deutlich gemacht, dass die Überprüfung des Personals so schnell wie möglich abgeschlossen werden musste. Bisher war nichts dabei herausgekommen. HomeCare beschäftigte in erster Linie Freelancer, unabhängige Makler, die auf Provisionsbasis Kunden generierten. Es gab keine Unregelmäßigkeiten bei der Abrechnung, zumindest nichts, was für jemanden ohne Buchhalter-Kenntnisse ersichtlich gewesen wäre. Bis auf ein paar harmlose Verkehrsdelikte gab es außerdem keine Verbindungen zur Datenbank der Polizei. HomeCare war ein sehr großes, multi-nationales Versicherungsunternehmen, das bisher von größeren Skandalen verschont geblieben war. Aber das musste nicht zwangsläufig bedeuten, dass es da nichts gab.

„Wir sollten uns vielleicht mal mit denjenigen auseinandersetzen, die eine Versicherung abgeschlossen haben und dann derbe verarscht wurden, sobald eine Zahlungsforderung anstand.“

„Also praktisch alle Kunden“, stöhnte Cooper auf. Versicherungsgesellschaften waren das kollektive Feindbild aller Bürger, unabhängig von Einkommen oder Herkunft. Die Verträge waren derart verklausuliert, dass niemand außer sie selbst auch nur ansatzweise verstanden, was genau damit gemeint war. Es hatte in der Vergangenheit immer mal wieder Bombendrohungen gegeben. Versicherungsagenten hatten oft Schwierigkeiten, sich selbst gegen gewalttätige Übergriffe zu versichern. Nicht wenige Kunden fühlten sich von den Versicherungen betrogen und ruiniert. Briggs kannte niemanden, der nicht mindestens schon einmal einen Anwalt beauftragt hatte, um gegen eine fragwürdige Zahlungsverweigerung Widerspruch einzulegen. Als Agent der STF hatte er das Problem gehabt, dass keine einzige Unfallversicherung ihn nehmen wollte, zumindest nicht zu einem bezahlbaren Tarif. Weston hatte das Problem gelöst, indem er einen Fond eingerichtet hatte, der Behandlungskosten aller Art übernahm, egal ob man sich die Verletzungen im Dienst zugezogen hatte oder in der Freizeit. Nach Semuel Westons Ansicht waren seine Leute ohnehin immer im Dienst.

„Lass uns was essen“, sagte Briggs und schaltete seinen Bildschirm ebenfalls aus. Sie hatten ein Büro in der Zentrale der Versicherung zugewiesen bekommen, da man sich geweigert hatte, den Server freizugeben, damit die STF auch von außerhalb Zugriff bekäme. Ohne Frage hätte Weston das mit ein wenig politischem Druck durchsetzen können, aber er wollte HomeCare offenbar nicht gegen sich aufbringen. Nach wie vor war die Motivation des Anschlags vollkommen unklar. Man war also eventuell auf die Kooperationsbereitschaft der Chefetage angewiesen. Weston war ein Meister der Strategie, er würde sich keine Optionen nehmen, nur um auf einem Prinzip zu beharren. Also saßen Briggs und Cooper eben im Büro der Versicherung. Da man die Essensdrucker abgebaut und zur Untersuchung in die Labors der STF gebracht hatte, mussten alle Mitarbeiter auf andere Nahrungsquellen ausweichen. Ein geschäftstüchtiger Caterer hatte sich das zunutze gemacht und einen schnellen Lieferservice für die Firma angeboten. Aber die beiden Agenten wollten die Gelegenheit nutzen, sich ein wenig die Beine zu vertreten. Aktenrecherche mochten die beiden überhaupt nicht. Außerdem konnten sie nicht gänzlich ausschließen, dass der Raum, den man ihnen zur Verfügung gestellt hatte, abgehört wurde. Man war von Versicherungen einiges gewohnt, und Wanzen in den Büros wären da keine Überraschung gewesen.

Während sie die breite Straße Richtung Uferpromenade entlang gingen und die Angebote der Fastfoodautomaten betrachteten, erhielt Briggs eine Nachricht auf sein eKomm.

„Guck nicht drauf“, sagte Cooper und legte seine Hand über das Gerät am Handgelenk seines Kollegen.

„Was?“ Briggs schaute verwirrt auf die Hand, die noch immer sein Handgelenk umfasst hielt.

„Das ist bestimmt Weston mit irgendeiner wichtigen Botschaft und wir kriegen wieder nix zu Essen. Briggs, ich habe Hunger! Ich kann nicht klar denken, wenn mein Magen knurrt. Und spar dir dazu jeglichen blöden Kommentar“, fügte er in einem Nachsatz hinzu.

Briggs feixte und klappte den Mund wieder zu. Er hatte in der Tat einiges dazu auf den Lippen gehabt.

„Und wie soll ich das Weston erklären, dass ich eine Nachricht, die ich bekomme, erst später gesehen habe, obwohl es die ganze Zeit blinkt und piept?“ Er entzog seine Hand dem festen Griff seines Kollegen.

„Du hast es nach dem Händewaschen auf dem Klo liegen lassen“, schlug Cooper halbherzig vor.

„Spinnst du? Wenn der Alte denkt, dass wir so fahrlässig mit einem Kommunikationsgerät des Geheimdienstes umgehen, schmeißt der uns raus, schneller als du 'Garküche' sagen kannst.“

„Ich würde noch lauter schreien, damit auch die Drogendealer da hinten beim U-Bahn-Aufgang wissen, dass wir da sind.“ Cooper nickte vage in die Richtung, wo eine kleine Gruppe Menschen ziemlich offensichtlich ihren illegalen Geschäften nachging. Briggs kribbelte es in den Fingern, hinüber zu gehen, und alle festzunehmen.

„Das lass mal schön bleiben“, sagte Cooper leise und bewies einmal mehr, dass er meistens sehr genau wusste, was in Briggs' Kopf vorging. „Du bist nicht mehr bei der Drogenfahndung. Nicht dein Problem.“

„Das ist unser aller Problem.“

„Jetzt werde mal nicht philosophisch. Los, hier gibt es einen Fischautomaten“, er schob Briggs ohne zu zögern in den nächsten Eingang, wo eine lange Schlange vor dem Automaten wartete, der angeblich echtes Fischmehl als Zutat versprach.

Die Stadt und der Tod

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