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Kapitel 2 … Spiderman und Tarzan

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„Meine Elfe, ich bin stolz auf dich!“ Bei uns zu Hause gab es keine Timo und auch keinen Grauen Wolf. Die beiden gab es nur in der Redaktion. Mein Freund nannte mich gern „Elfe“ oder gar „Elflein“, stets verziert mit einem süffisanten Grinsen. Denn ich war wirklich keine Elfe. Ich schwebte nicht im leichten Seidenfähnchen auf zartem Fuß durch unsere Wohnung. Ich war auch keine Frau mit Kleidergröße Zero und ich pflegte keine Essstörung, die mich durchsichtig oder zart wie eine Elfe erscheinen ließ. Ich war eine ganz normal gebaute Frau, vielleicht hier und da zu viele Muskeln. An den richtigen Stellen war ich wirklich Frau, entgegen dem allgemeinen Schönheitstrend. Kurzum: „Elflein“ spottete jeder Beschreibung, aber es war lieb gemeint und ich musste jedes Mal lachen, wenn meinem Freund dieses leichte Wort nur sehr schwer über die Lippen kroch, weil sie sich schon beim ersten Buchstaben zu einem Grinsen verzerrten.

Im Gegenzug nannte ich ihn „Spiderman“ oder „Mr. Slowly“, weil er der bedächtigste und langsamste Mann war, den ich je in mein Herz geschlossen hatte und der sich frei in meiner Wohnung bewegen durfte.

Ich war stolz auf den Auftrag von Napoleon, aber vor allem beunruhigt.

Eine Kolumne war keine Filmkritik, ich musste mir mehr einfallen lassen und vor allem Tatort-Expertin werden. Doch zunächst wurde unser Zuhause zum Tatort, meiner Meinung nach zum Tatort für Tierquälerei.

Spiderman und ich teilten uns die Wohnung mit Bärbel und Tarzan, unseren Katzen, meinen Katzen. Es tat mir in der Seele weh, wenn mein Freund die Katzen mit geübtem Griff im Nacken packte, sie in die Luft hob und mir auf mein erschrockenes Gesicht hin erklärte, das man Katzen genauso anfassen müsse und nicht anders. Aber was er heute tat, war unverzeihlich. Er schnappte sich Tarzan, legte ihn auf den Bauch und aufs Parkett. Anschließend fasste er ihn hinter den Ohren und begann ihn im Kreis herumzuwirbeln. Es sah aus wie die Todespirouette bei der Eistanz-WM. Tarzan streckte alle Fünfe von sich und drehte übers Parkett bis Spiderman ihn bremste, lachte und mich darüber aufklärte, dass diese Übung „Cosmos-Cat“ hieße. Der Kater sprang auf, schwankte und hatte für einen kurzen Moment die Orientierung verloren. Ich wurde wütend. „Spider, lass sofort Tarzan in Ruhe, der Kater war eher da als du!“ Der Satz war nicht klug, aber es brach mir das Herz, mit anzusehen, wie das arme Tier pirouettiert wurde. Es war ein Satz, den mir mein Freund auf ewig vorhalten würde, denn er besagte, dass Tarzan ein älteres Hausrecht hatte als er und er stellte ihn mit dem Tier auf eine Stufe. Mich machte der Satz nachdenklich, denn er kam mir keineswegs als Witz über die Lippen. Er war das Resultat jahrelangen Zusammenlebens mit meinem Freund. Ich erwog gelegentlich, ihn eigentlich nicht zu brauchen. Er war mein Wegbegleiter, mein Vertrauter, mein Kamerad. Aber war er auch der Mann, den ich wollte und brauchte? Wäre das Leben ohne ihn womöglich leichter?

Ich setzte mir selbst eine Galgenfrist. Ich war jetzt 44, das Ende meiner ersten Halbzeit stand bevor. Ich rechnete, falls mich weder ein Krankenhauskeim noch ein Unfall dahinrafften, damit, dass ich 90 Jahre alt werden würde. Ich nahm mir vor, bis zum Winter darüber nachzudenken, ob ich meine zweite Lebenshälfte zusammen mit Spiderman verbringen wollte. Ich musste mich entscheiden, bevor es für mich zu spät wurde. Ich wälzte Gedankensteine, denn mich quälte das Gefühl, dass die Zeit schneller läuft. Mit 44 lag mein Leben nicht mehr so unendlich lang vor mir. Es war bereits ein Ende abzusehen, das nicht Horizont hieß, denn das Meer der Tage hörte dahinter einfach auf. Die Jahre und Tage erschienen mir kostbarer, als noch vor zwanzig oder dreißig Jahren. Ganz klares Prinzip von Angebot und Nachfrage. Das Angebot stagnierte nicht nur, es verringerte sich sogar unaufhaltsam. Meine Nachfrage aber blieb gleich groß. Jeder Tag erschien mir damit wertvoller, kostbarer und durfte nicht ohne ein besonderes Ereignis vergehen.

Ich schrieb das Wort „Entscheidungsfrist“ in meine Wortsammlung. Ich hatte mir angewöhnt, an besonderen Tagen ein „Wort des Tages“ zu notieren. Der Tag musste dafür besonders schön oder besonders schlimm gewesen sein. Die Art der Besonderheit war unbestimmt. Das Wort musste mein Tagesgefühl widerspiegeln und es musste so treffend gewählt sein, dass ich jederzeit die Situation, die zu seiner Wahl geführt hatte, abrufen konnte, ein Schlagwort – bestehend aus möglichst nur einem Wort. In den letzten Jahren hatte ich bereits zwei Notizheftchen mit dem „Wort des Tages“ gefüllt. Heute kam eines hinzu, das mir Bauchschmerzen bereitete. Es lag mir lang und sperrig im Magen, machte Druck. „Entscheidungsfrist“. Die Ecken der Buchstaben piksten gegen die Magenwände. Die beiden i-Punkte fraßen sich ins weiche Fleisch, das „ts“ und das „st“ steckten wie Zahnstocher darin. Die ganze Wortschlange krümmte sich, wühlte. Das Wort war nicht geschmeidig, es hatte Stacheln, Widerhaken.

Halbzeiten

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