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Nachruf für einen Kettenhund oder 370 Tage Leben

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von Martina und Jürgen Gerlach


Asta, unser fast tauber, schäferhundgroßer Kurzhaar-Mischling, hatte 15 Jahre lang an einer eineinhalb Meter langen Kette gelebt, ohne Schutz vor Hitze, Kälte und Regen. Als die Tierschutzinitiative auf die Hündin aufmerksam wurde, appellierte sie an den Besitzer, das Tier abzugeben. Der Besitzer willigte ein und so verbrachte Asta zunächst eine halbe Woche in einem Gehege der Tierschützer mit anderen Hunden zusammen, bevor wir sie zu uns nahmen. Unser Hund war zwei Tage zuvor gestorben.

Asta war unterernährt und ihr Fell schien ihr zu weit zu sein. Das größte Problem für sie aber waren die vielen Treppen bei uns, sowohl im Haus als auch auf unserem Grundstück. Die im Laufen ungeübte, alte Hündin stürzte nicht nur einmal die Treppen hinunter; Gott sei Dank hat sie niemals körperliche Schäden davongetragen. Als Kettenhund hatte Asta natürlich niemals gelernt, Gassi zu gehen. Durch die Unterernährung und den Bewegungsmangel waren ihre Muskeln überhaupt nicht ausgebildet. Demzufolge lief sie immer sehr langsam. Trat sie einmal schief auf, rutschte sie haltlos ab und konnte sich nicht selbst abfangen. Ihr Geschäft erledigte sie dort, wo sie gerade war; das große Geschäft ausnahmslos während des Laufens. Sie lief dabei jeweils im Kreis durch ihre Häufchen. Da Asta ihren Napf nicht auf einmal, sondern im Laufe von etlichen Stunden leerte, hatte sie auch keine festen Lösungszeiten. Täglich wischte ich also etwa viermal das Haus von oben bis unten, vielfach noch einmal so häufig jede Nacht. Aber selbst das reichte nicht, um das Haus sauber zu halten. Wir führten Asta auch nachts hinaus und ließen Sommer wie Winter die Terrassentür offen, um ihr das Hinausgehen zu erleichtern. Aber es war zu spät für sie, sich umzugewöhnen.

Asta wurde auch während ihres letzten Lebensjahres nicht glücklich. Da sie über eineinhalb Jahrzehnte dahinvegetiert hatte, war sie völlig verunsichert. Vor vielen alltäglichen Dingen hatte sie einfach nur Angst, so z. B. vor dem Abwischen oder Bürsten, was jedoch wichtig war, um ihren Kot aus dem Fell zu bekommen. Erst langsam und am Ende ihres Daseins erfuhr Asta, was es bedeuten kann, mit Menschen, die sie lieben, zu leben, ebenso mit Artgenossen und anderen Tieren. Sie begann zu schmusen und merkte, wie schön es ist, gestreichelt zu werden. Unbeholfen steckte sie dabei ihren Kopf zwischen unsere Beine. Auch was eine Belohnung ist, lernte sie erst jetzt kennen. Aber das Jahr war für sie auch sehr anstrengend, denn sie musste schließlich erst einmal die grundlegenden Dinge lernen.

Leider haben viele Menschen bei Asta zu viele Fehler gemacht. Auch ich habe dazugelernt. Wenn ich nochmals einen jahrelang an der Kette gehaltenen Hund aufnehmen würde, würde ich heute in manch einer Hinsicht anders handeln. Zum Beispiel würde ich anfangs, wenn nötig, auch bei dem Tier auf dem Boden schlafen, um mitzubekommen, wann es Zeit ist, den Hund hinauszulassen, bevor er sein Geschäft im Haus erledigt. Ich würde außerdem viel mehr mit Leckerlis arbeiten. Inzwischen führt auch eine Rampe von der Terrasse in den Garten, die von den Hunden, die jetzt bei uns leben, gerne benutzt wird und sicher auch der armen Asta vieles leichter gemacht hätte. Ich würde mehr Mimik und Blickkontakt einsetzen und selbst mit tauben Hunden sprechen. Uns fehlten damals helfende Hinweise, trotz jahrelanger Erfahrung im Umgang mit normal gehaltenen Hunden. Die Tierschützer sagten uns nur, Asta brauche ein warmes, weiches Plätzchen. Die Hündin verhielt sich hingegen völlig anders, als wir es uns vorgestellt hatten. Sie lief – langsam, aber stetig – viele Stunden lang durch Haus und Garten. Selbst wenn sie lag oder schlief, schien sie noch zu rennen. Einmal kam sie nachts nicht ins Haus zurück, was ich erst gegen 5.30 Uhr früh bemerkte. Ich ging hinaus und fand sie liegend im Garten. Als ich bei ihr war, wurde sie munter, stand auf und folgte mir in aller Ruhe. Es war ihr sonst nichts anzumerken. Im Nachhinein denke ich manchmal, dass sie damals vielleicht einen Schlaganfall erlitten hat.

Asta starb, nachdem sie ein Jahr und fünf Tage bei uns verbracht hatte. Sie war nicht krank, aber ihr Leben, das keines gewesen war, ging einfach zu Ende. Das Sterben dauerte tagelang. Die Hündin lief wie immer langsam umher und legte sich ab und zu an irgendeiner Stelle hin. Manchmal sah es aus, als wenn sie sich etwas erholt hätte, dann war wieder ganz das Gegenteil zu beobachten. Kurz vor ihrem Tod raffte sie sich nochmal auf, ging auf die Terrasse und schaute zum Himmel in diese so besch … Welt. Dann brach sie zusammen, genau in dem Moment, als der Tierarzt klingelte, den ich voller Vorahnung gebeten hatte zu kommen. Er gab ihr die letzte Spritze, die sie vielleicht nicht einmal mehr gebraucht hätte. 15 Jahre Kettenhund »im Dienste der Menschen« waren vorbei.

Es kann kein Trost sein, dass Asta wenigstens noch für eine kurze Zeit Liebe, Achtung und Qualfreiheit genießen konnte. Denn eigentlich hätte dieser wunderbaren, sanften Hündin ein artgerechtes und ihren Bedürfnissen entsprechendes Leben mit Zuwendung und Geborgenheit zugestanden, so wie es bei allen Tieren sein sollte. Immer wieder stellt sich für uns die Frage: Mit welchem Recht knechten Menschen Tiere, halten sie würdelos und beuten sie ohne Gnade aus? Massentierhaltung und Tiertransporte sind Beispiele genug dafür. Warum missbrauchen, vergiften, zerstückeln sie sie wie in Tierexperimenten? Der Umgang von uns Menschen mit unseren Mitgeschöpfen, den Tieren, kommt den Verbrechen der Inquisition, der Hexenverfolgung und der Sklavenhaltung gleich – und das im 20. bzw. 21. Jahrhundert. Besonders in der Kettenhundhaltung, die auf dem Lande leider keine Seltenheit ist, wird deutlich, wie schlecht der Mensch den Hund, seinen angeblich besten Freund, behandelt. Dabei würde ein Bewegungsmelder in solchen Fällen das bessere Ergebnis für den Besitzer bringen und kein Tier würde gequält werden müssen.

Die Tiere haben den Menschen sehr viel voraus. Trotz Qual und Missachtung durch die »Krone der Schöpfung« bringen sie immer wieder Dankbarkeit und Zuneigung auf und gewinnen zum Teil auch ihre Lebensfreude zurück, wenn wir ihnen den letzten Rest oder eine Zeit ihres Lebens liebevoll gestalten. Sprache, Seele, Vernunft und Gefühl – wodurch Menschen sich angeblich auszeichnen –, über all das verfügen die Tiere genauso und oftmals noch intensiver als wir! Nur sind wir nicht bereit, den Tieren gleichermaßen ihre Rechte zuzugestehen. Das lässt die menschliche Anmaßung nicht zu. Kein Tier quält und tötet bewusst und berechnend und vor allem ohne Notwendigkeit, wie wir Menschen das tun bzw. zulassen, aus Gleichgültigkeit oder um uns einen zweifelhaften Vorteil zu verschaffen.

Tierschutz ist der Testfall für die Menschheit. Der Umgang mit den Tieren ist die Bewährung für jeden von uns.

Anders – aber trotzdem glücklich

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