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Bonnys langer Weg vom Schrottplatz über die Regenbogenbrücke

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von Birgit Fischer


Meine Saluki-Mix-Hündin Bonny fand ich durch Zufall auf einem Schrottplatz, niedliche acht Wochen alt und abgemagert bis auf die Rippen. Ich war damals dreiundzwanzig und da ich gerade meine eigene Wohnung bezogen hatte, war es ganz klar, dass ich sie mitnehmen würde, wo ich doch jetzt für mich alleine verantwortlich war und niemand mir etwas verbieten konnte. Ahnung von Hunden hatte ich noch nicht, aber man kann ja alles lernen.

Bonny wurde immer hübscher und frecher. Sie war ein ungestümer Welpe, fraß meine Schuhe, die Gipswand inklusive des Telefons und tausend andere Sachen, die ich nicht wegräumte. Drei Jahre lang gingen wir zur Hundeschule. Der Hund war immer bei mir, man kannte uns nur als Team. Wir machten jeden Unsinn und hatten viel Spaß, elf Jahre lang – bis zu unserem schlimmsten Tag. War ich mal ohne Hund unterwegs, hieß es zunächst: »Wo ist Bonny?« und dann erst: »Hallo Birgit«. Ich konnte mir kein Leben ohne meine Hündin vorstellen. Die Freunde wechselten, mein Hund war immer bei mir: Birgit und Bonny gegen den Rest der Welt!

Es fällt mir schwer, gerade ihre letzten Jahre zu beschreiben, denn niemals habe ich mehr Herzblut investiert als in dieser Zeit. Es begann mit dem Tag X, einem Unfall: Bonny rannte in eine Bierflasche, die irgendein Idiot am Rheinufer liegen gelassen hatte, und zerschnitt sich die Achillessehne am linken Hinterbein. Es folgte eine schwere und lange Operation. Bonny war damals elf Jahre alt und außerdem herzkrank, daher befürchtete ich, sie würde den Eingriff an diesem heißen Sommertag nicht überleben. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen – und ich bin kein Mensch, der zur Hysterie neigt. Das Warten war unerträglich, die Operation verlief aber gut. Mein Freund und ich konnten Bonny nachmittags endlich wieder abholen. Leicht benommen, aber froh, ließ sie sich nach Hause bringen, das Bein steckte bis zur Hüfte in einer Gehschiene und einem dicken Verband. Ich ahnte nicht im Entferntesten, wie lange es dauern würde, bis Bonny wieder laufen konnte. Nach sechs Monaten mit Gipsbein folgten noch Wochen und Monate in einem Vierbeiner-Rehazentrum zur Reaktivierung des Beines.

Was mich in dieser Zeit sehr beeindruckte, das war Bonnys Wille zu kämpfen. Sie war ein starker Hund, der auch mir Kraft gab. Nur kurz kam sie in eine Phase, in der sie das Gipsbein nicht mehr leiden konnte und depressiv wurde; also holten wir noch einen Hund dazu, um sie aufzumuntern. Ein zweiter Hund war sowieso immer schon mein Traum gewesen. Im Internet fanden wir Frank Sinatra, einen tollen Podenco-Mix aus Fuerteventura. Bonny, die starke Einzelkämpferin, gewöhnte sich schnell an ihn und ließ sich von ihm beschützen. Im darauf folgenden Sommer konnte sie sich wieder leidlich auf ihren Beinen halten, fast ein Jahr war seit dem Unfall vergangen. Wir trainierten ihre Muskeln so gut wie möglich weiter, zusätzlich bekam sie Akupunktur-Behandlungen. Es ging aufwärts. Natürlich fragte ich mich während der ganzen Zeit, ob dieses Leben für Bonny noch lebenswert war. Aber ja doch! Sie zeigte es mir deutlich, dass sie laufen wollte.

Etwa zehn Monate später erlitt Bonny einen linksseitigen Schlaganfall. Es ging ihr sehr schlecht und jetzt war es erneut an der Zeit zu überlegen, ob sie noch glücklich war oder ihr Leben nur noch erduldete. Leiden sollte sie natürlich nicht, aber alleine der Gedanke an ihren Tod tat schon fürchterlich weh. Ich glaubte an Bonnys Stärke und Kraft und war überzeugt, dass sie auch diesen Schicksalsschlag verkraften würde. Ihr Gesichtsfeld war eingeschränkt; ich wusste nicht, wie gut sie sehen konnte und ob das Gehirn stark gelitten hatte. Die Hinterbeine waren geschwächt. Ich musste Bonny anfangs zwangsfüttern, denn aufgrund der schlechten Leberwerte hatte sie keinen Appetit mehr. Sie wurde inkontinent und ich sah, wie peinlich es ihr war, wenn sie in ihr Körbchen gemacht hatte. Unsere Tage bestanden aus füttern, putzen, baden; oft musste ich den Hund tragen und das Gassigehen war nur ganz langsam möglich. Es war allerdings erkennbar, dass Bonny sich »berappelte« und auch diese Situation in den Griff bekam. Da hält man einfach durch, für den Hund und für seine Lebensqualität. Wir fuhren so oft wie möglich ans Meer, um die Hündin darin zu unterstützen, körperlich und geistig wieder zu einem gesunden Hund zu werden, zu »unserer Bonny« eben.

Bonny fiel häufig um oder torkelte auf ihren schwachen Beinen, was bei einem großen Hund von 69 Zentimetern für den Beobachter natürlich sehr grausam aussah. So war ich plötzlich damit konfrontiert, dass mich fremde Menschen ansprachen und fragten, wann ich dem Hund denn endlich »helfen« würde. Spätestens wenn Bonny aber nach der Hand schnappte, die sie streicheln wollte, hieß es: »Na ja, Lebenswillen hat sie noch …« Ja, genau – ihren Lebenswillen hatte sie weiterhin und zwar jede Menge davon! So lange sie noch wollte, musste ich auch wollen. Ab diesem Zeitpunkt mied ich jedoch die Menschen, um mir deren Kommentare zu ersparen.

Es wurde wieder November. Über ein Jahr war seit dem Unfall vergangen und ich wartete ungeduldig auf den nahenden Frühling. Bonny liebte die Sonne und ich wollte ihr die Gelegenheit geben, Kraft zu tanken und stark zu werden. Ich dachte inzwischen fast täglich darüber nach, ob ihr Leben wirklich noch so lebenswert war, wie ich es sah. Immer häufiger fiel sie um oder stieß mit ihren Knochen an die Türrahmen. Ich änderte fast alles, von der Wohnungseinrichtung bis hin zu meinem Tagesablauf, um es Bonny so einfach wie möglich zu machen. Aber langsam musste ich mir ehrlich eingestehen, dass dies nicht das Leben war, das sie früher geführt hatte, als sie noch der wilde, unbändige Hund war mit den frech blitzenden Augen, ständig aufmerksam und in Bewegung. Da auch ich nur ein Mensch bin, tat ich mich schwer in dieser Zeit. Ich heulte nächtelang bei dem Gedanken an ihren Tod, wollte es ihr aber nicht zeigen. Dafür war dieser Hund einfach zu intelligent; sie hätte gemerkt, was los war.

Ich war hin- und hergerissen. Mutete ich gerade dem Wesen, das mir am meisten bedeutete, womöglich Unerträgliches zu, nur weil ich nicht loslassen konnte? Musste Bonny leiden oder bekam sie es gar nicht so mit? Hunde erleben körperliche Defekte ja anders als wir Menschen. Aber irgendwie spürte ich, dass sie um ihren Zustand wusste. Jetzt, ein Jahr später, denke ich, dass sie selbst auch nicht einfach aufgeben wollte, mir zuliebe und weil sie eine so starke Persönlichkeit war. Sie liebte das Leben, sie war es gewohnt zu kämpfen, sonst hätte sie bereits als Welpe nicht überlebt.

Ich hoffte Tag um Tag. Und wenn ich ehrlich bin, dann wünschte ich mir insgeheim, dass Bonny morgens tot im Körbchen liegen würde, einfach friedlich eingeschlafen, ohne Schmerzen. Gleichzeitig wollte ich aber nicht, dass sie diesen Weg alleine gehen musste und womöglich Angst dabei hatte. Ich gab ihr alles, was ich konnte – Ruhe, nette Hundekontakte, Wiesen, auf denen sie schnuppern oder sich einfach mal hinlegen konnte, und das Wichtigste: meine Anwesenheit. Dem Himmel sei Dank, dass ich in dieser ganzen Zeit arbeitslos war und so die letzte, schwere Zeit mit ihr teilen durfte. Während unserer Schmusestunden und bei den leichten Massagen versuchte ich immer, in ihren Augen zu lesen, wann ES soweit sein würde. Jemand hatte mir erzählt, dass man an den Augen sehen kann, wenn ein Hund nicht mehr will. Ich sah nichts, nur diese großen, schönen Augen, die fast immer noch Lebensfreude zeigten. Aber ich bemerkte auch ihre Hilflosigkeit, wenn sie mal wieder gegen den Türpfosten stieß, umfiel und nicht mehr aufstehen konnte. Innerlich schrie ich mir selbst zu: Oh nein, sie leidet. Was tust du ihr bloß an? Und dann ging ich verzweifelt zu ihr, half ihr wieder auf und sie rannte einfach weiter, ziellos und doch bestimmt.

Langsam überwog die schlechte Zeit die guten Momente. Ich konnte es sehen, aber ich wollte nicht. Wie soll man sich in solch einem Wechselbad der Gefühle verhalten? Natürlich ist es selbstverständlich, ausschließlich im Sinne des Hundes zu handeln. Bonny war mir ausgeliefert, von mir abhängig. Mein Freund war zwar stets bei uns, den endgültigen Entschluss aber hatte ich zu fällen. Ich wollte auch meinem Freund die Zeit geben, sich mit Bonnys Tod vertraut zu machen. Häufig beobachtete ich, wie er sich alleine zu der Hündin setzte, mit ihr schmuste und auf seine Art Abschied nahm. Wir litten vor uns hin: Ich, weil ich die Entscheidung über ihr Ende treffen musste, über den Zeitpunkt, wann ich mich für immer von ihr trennen musste; er, weil er es einfach nicht mehr mit ansehen konnte, wie sie sich quälte. Ich sprach mit vielen Freunden und Bekannten. Einerseits, um mir Bestätigung zu holen in dem, was ich tat, und andererseits wollte ich vielleicht von mehreren Seiten gesagt bekommen, dass Bonnys Zeit jetzt wohl gekommen sei. Die Angst vor dem Tod des geliebten Hundes ist der blanke Egoismus. Ich musste mit dem Schmerz des Verlustes umgehen, Bonny würde einfach in Frieden einschlafen. Das wusste ich, aber …

Schließlich, an einem Freitag Anfang Februar, war ich mir sicher, bereit dafür zu sein, Bonny zu erlösen. Wir kosteten das anschließende Wochenende mit ihr richtig aus, so gut das eben in solch einer Situation ging. Jeder von uns hatte nah am Wasser gebaut. Tränen standen schon lange auf der Tagesordnung. Und, so makaber es jetzt klingt, wir dachten auch darüber nach, was mit ihrem Körper nach ihrem Tod geschehen sollte. Verbrennen – aber wo? Vergraben – an welchem Ort? Beim Tierarzt lassen und dann vielleicht zu Seife verarbeitet werden – niemals! Wir hatten so viel Zeit gehabt, doch diese Gedanken hatten wir immer verdrängt. Wenn ich sie töten ließ, musste sie doch irgendwohin! Am Montagmorgen stand es endlich für mich fest: Bonny sollte selbstverständlich zu Hause sterben, durch ihren Lieblingsarzt, der sogar nach Feierabend extra für sie noch zu uns kam. Er hatte sie operiert und uns zwei Jahre lang betreut und wollte ihr schweren Herzens diese letzte Hilfe geben. Den Tag verbrachten wir damit, ihr Grab auf unserem Grundstück -auszuheben. Die Situation war makaber, doch wir wussten nicht, wie wir sonst mit dieser endlos langen Zeit bis zum Abend umgehen sollten. Arbeiten gehen konnte niemand von uns in dem Bewusstsein, dass dies der letzte Tag war, die letzten Stunden, die wir alle noch miteinander verbringen durften.

Bonny stapfte zielstrebig um uns herum, ganz neugierig und völlig beschäftigt mit Schnüffeln und Laufen. Sie fiel auch nur einmal um. Wir sahen uns an und fragten uns zum x-ten Mal, was wir da eigentlich geplant hatten. Es ging ihr doch gut! Sie rannte tatsächlich über zwei Stunden herum, sprang kleinen Stöckchen hinterher und war ganz begeistert. Im Nachhinein denke ich, dass sie wusste, was passieren würde, und einfach fröhlich Abschied genommen hat. Frank Sinatra, der ewig gut gelaunte Hund, stand mit uns im Loch und half sogar stolz beim Buddeln. Das war seine Leidenschaft. Wenn er gewusst hätte, was er da tat … Eine Million Gedanken in ein paar Stunden! Herzleid wird so oft beschrieben, doch man versteht es erst, wenn es einem selbst passiert. Bonny sollte Fröhlichkeit um sich haben, wenn sie ihre letzten Stunden schon so aktiv erleben konnte. Ich sah sie an, immer wieder, fasziniert von ihrer Schönheit und ihrem Blick, hin- und her gerissen zwischen Lachen und Weinen. Der Tag war schlimm und doch so unendlich wertvoll.

Dann fuhren wir alle vier wieder nach Haus und mussten auf das Unvermeidliche warten. Wir zündeten Kerzen an und machten den Raum angenehm dunkel. Warum, war uns selbst nicht klar, es schien uns zum Tod dazuzugehören. Bonny und Frank waren müde nach dem Laufen und legten sich zusammen ins Körbchen. Das geschah nur selten, denn der Kleine hatte viel Respekt vor der Hündin. Später lag Bonny alleine dort, wie immer im komatösen Tiefschlaf, den sie schon seit langer Zeit hatte. Nichts konnte sie in solchen Situationen wecken. Wir saßen auf der Couch, schauten zu ihr und sprachen kaum. Jeder hing seinen Gedanken nach; immer wieder gingen wir zu ihr, um sie zu streicheln – mit dem Wissen, gleich sollte es vorbei sein. Sie würde nachher genauso daliegen, nur dann würde sie nie wieder aufwachen. Die Stunden wurden zu einer Ewigkeit. Als es an der Tür klingelte, war es um meine Fassung geschehen. Der Tierarzt kam und Bonny, die Wächterin im Haus, hörte nicht einmal die Klingel. Frank, der Clown, fand es toll, diesen netten Mann auch mal zu Hause begrüßen zu dürfen, und freute sich riesig. Das lenkte mich ein wenig ab. Bonny reagierte nicht auf die Stimme ihres Arztes, sie war erschöpft von dem schönen Tag.

Wir tranken Kaffee und sprachen über die Gegensätze hinsichtlich Bonnys Zustandes. Aber der Arzt kannte uns lange und gut und wusste, dass unsere Entscheidung richtig war. Als er zu Bonny ging, schnürte es meinem Freund und mir die Kehle zu. Wir knieten an ihrem Körbchen und streichelten sie sanft. Frank setzte sich leise zwischen uns. Ich hielt Bonnys Pfote, schaute in ihre Augen und versuchte, sie nicht mit Tränen zu verabschieden, sondern mit einem Lächeln zu begleiten. Bonny sollte fühlen, dass sie nicht alleine war, aber auf keinen Fall wach werden. Dieser starke und stolze Hund hätte sich bestimmt gewehrt!

Als der Tierarzt Bonnys Bein streichelte, sah sie kurz auf, ließ dann ihren Kopf aber wieder ruhig zur Seite sinken. Die Kanüle war gelegt, das Beruhigungsmittel floss in ihren Körper. Sie schlief ein, nun gab es kein Zurück mehr. Dann kam das zweite Mittel, es sollte ihr endgültig das Leben nehmen. Wie in Trance schaute ich zu und konnte gar nichts sagen oder tun. Bonnys Mundwinkel zuckten, als ihr Herz aufhörte zu schlagen. Sie sah so schön aus wie vorher, nur würde sie mich nie wieder ansehen. Es war vorbei und der Verlust tat unbeschreiblich weh. Wir weinten und streichelten Bonny immer wieder. Dabei versuchten wir, uns zu trösten: Wir erzählten uns kleine Anekdoten, die wir mit Bonny erlebt hatten, während unsere Tränen nahezu unaufhörlich flossen. Nur für Frank schien sich nichts verändert zu haben, Bonny war noch warm und lag ja häufig so in ihrem Körbchen.

Am nächsten Tag mussten wir Frank mit Bonnys kaltem Körper konfrontieren. Er sollte sie nicht ewig suchen müssen. Seinen Schrei und sein Gejammer möchte ich nicht noch einmal erleben. Er war genauso verzweifelt wie wir, aber auf seine Art. Die nächsten Wochen war er nicht mehr unser kleiner, fröhlicher Hund. Erst drei Monate später war ich in der Lage, uns einen neuen Hausgenossen zu suchen. Eine wunderschöne, aber total verängstigte Galgo-Seele namens Batida kam zu uns und damit eine neue Aufgabe, die uns alle wieder aufleben ließ. Batida wird Bonny niemals ersetzen, aber ich bin sicher, es ist auch in Bonnys Sinne, wenn wir den freien Platz in der Familie mit einem gequälten Hund neu besetzen, dem es nicht gut ging und der dringend ein sicheres Plätzchen braucht.

Anders – aber trotzdem glücklich

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